Dritte Fortsetzung

Von den Söhnen Kaiser Alexanders II. sind außer dem Thronfolger zwei, die Großfürsten Alexei, geb. 1850, und Wladimir, geb. 1847, erwachsen. Der Erstere ist durch seine Reisen nach Amerika und Ostasien, namentlich aber durch sein Verhältnis zu Alexandrine Shukowski bekannter geworden als ihm lieb ist. Der Großfürst Wladimir zeichnet sich durch besonderen Eifer für die Landwirtschaft aus und ist seit Jahren Ehren-Präsident aller in Russland stattfindenden landwirtschaftlichen Ausstellungen; von den kaiserlichen Neffen ist allein der Großfürst Nikolai Konstantinowitsch leider in wenig ehrenvoller Weise öffentlich genannt worden. — Das Verhältnis der beiden ältesten Söhne des Kaisers, des verstorbenen und des gegenwärtigen Thronfolgers war in gewisser Rücksicht dem ähnlich, welches ehedem zwischen Alexander und Konstantin Nikolajewitsch obwaltete. Gerade wie sein Vater galt der verstorbene Nikolai Alexandrowitsch für eine weiche, liebenswürdige Natur, für einen Anhänger westeuropäischer Bildung, während der jüngere Bruder und jetzige Thronfolger der öffentlichen Meinung das Urbild echt slawischer Energie war. Schlank und hoch aufgeschossen, zeigte das ausdrucksvolle Gesicht des Verstorbenen einen Liebreiz, der den runden, sinnlich-derben Zügen Alexander Alexandrowitschs vollständig fehlt. Der älteste Sohn des Kaisers, der Liebling seiner Eltern und des Hofes galt den verschiedensten Teilen des Reiches als Bürge für die Erfüllung längst gehegter Wünsche. Die Klage über seinen frühen Tod war darum aufrichtig und allgemein und die Personen der näheren Umgebung des Thronfolgers wurden auch nach dem Tode desselben mit besonderer Sympathie behandelt. — So war die Stellung des plötzlich zum Cäsarewitsch gewordenen, damals zwanzigjährigen Großfürsten Alexander an und für sich eine schwierige: die mangelhafte einseitig-militärische Bildung, welche herkömmlich das Los der jüngeren Söhne unseres Kaiserhauses ist, konnte nur dazu beitragen, das Unbehagen des plötzlich zum Thronerben gewordenen jungen Prinzen zu verschärfen.

Das Bewusstsein, plötzlich in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gestellt und zum Träger von Pflichten geworden zu sein, deren Umfang man selbst nicht zu übersehen vermag, ist in jedem Lebensverhältnis ein peinliches; einerlei ob es als solches aufgefasst und erkannt wird oder nicht. Mehr noch wie dem auf ein neues Piedestal gestellten Privatmann nimmt es dem Fürsten die Unbefangenheit, welche überall Bedingung ersprießlicher Tätigkeit und wohltuender Beziehung zu anderen Menschen ist. Seinem Vater; seinem Volk und schließlich auch der Gemahlin, die ihm zugeführt wurde, sollte Alexandrowitsch den Bruder ersetzen, dessen Erbe er geworden, ohne auf diese Erbschaft vorbereitet zu sein. Zum lebenslustigen Gardeoffizier erzogen, ohne staatswissenschaftliche Bildung, mit einer für seine Verhältnisse mangelhaften Sprachkenntnis ausgerüstet, von der Natur mehr auf den Genuss als auf die Arbeit angelegt, hatte der neue Thronfolger Zeit nötig, sich in die neuen Verhältnisse zu finden. Und gerade diese schien ihm nicht gegönnt zu sein — er sollte überall zugreifen, überall Interesse und Urteilsfähigkeit bekunden, überall sofort durch die Tat beweisen, dass der russische Staat durch den Tausch, den das Schicksal gewollt, nichts verloren habe. Für einen nach gewöhnlichem Maß zugeschnittenen Jüngling, der über die meisten Dinge gerade so dachte, wie seine Kameraden, gerade wie diese abwechselnd von nationalen und liberalen Zeitideen und autokratischen Traditionen berührt worden war, konnte es unter solchen Umständen ohne Missgriffe nicht abgehen. Der seit dem Jahre 1863 in die Mode gekommenen nationalen Strömung wurde es darum leicht, den Erben der Krone mit fortzureißen und denselben glauben zu machen. Hingabe an die Tendenzen des Augenblicks sei der kürzeste und sicherste Weg zur Popularität. Die Abneigung gegen die Deutschen, welche in gewissen Kreisen unserer Gesellschaft von jeher für eine „noble Passion" und für ein Zeichen unabhängiger Gesinnung gegolten hat, wurde bei dem Großfürsten noch durch seine dänische Gemahlin gesteigert, die aus der Geschichte Schleswig-Holsteins genug zu wissen glaubte, um ihrerseits vor preußischen Absichten auf das Ostseegebiet warnen und in den gleichgültigsten Vorkommnissen Anzeichen einer deutschen „Propaganda" wahrnehmen zu müssen. Schon wenige Jahre, nachdem er in seine neue Stellung getreten, galt der Thronfolger darum für einen eifrigen Partisan der nationalen Partei, für einen Verehrer der Katkoff und Genossen, die ihn alsbald mit Walujeff, der bête noire des gesinnungstüchtigen Slawentums in Händel zu bringen wussten. Bestrebt, seine Person und seinen Eifer für das Volkswohl möglichst nachdrücklich geltend zu machen, stellte der Thronfolger sich nämlich im Winter 1867 — 68 an die Spitze des Comiés, das sich die Linderung des in den nördlichen Gouvernements herrschenden Notstandes zur Aufgabe machte, nebenbei aber das löbliche Ziel verfolgte, den Minister des Innern als für alle Unglücksfalle verantwortlichen Sündenbock zu stürzen. — Die Jahre, welche der Aufhebung der Leibeigenschaft gefolgt waren, hatten im Norden und Nordosten des Reiches mehr oder minder alle den Charakter von Notjahren gehabt: über den Winter 1867 besonderes Aufheben zu machen, wäre unseren Nationalen schwerlich in den Sinn gekommen, wenn nicht der in dem benachbarten Ostpreußen ausgebrochene Notstand besonders günstige Veranlassung zu patriotisch-aufgeregtem Gebahren geboten hätte. In der Umgebung des jungen thronfolgerlichen Hofes, der nach den verschiedensten Seiten Beziehungen angeknüpft hatte, trieb sich damals der ehemalige Gouverneur eines „inneren“ Gouvernements, Herr Tschikaloff, umher. Dieser ehrgeizige Herr glaubte seine Reaktivierung nicht besser betreiben zu können, als wenn er sich dem Thronfolger gegenüber als gelehrten „Ökonomisten'' und von der Not seiner Volksgenossen leidenschaftlich ergriffenen, rettenden Staatsweisen aufspielte. Er war es vorzüglich, der den Cäsarewitsch glauben machte, Walujeffs verderblichem Einfluss sei die Schuld an dem üblen Gange zuzumessen, den die landwirtschaftliche Entwicklung genommen. Obgleich alle Eingeweihten wussten, dass die Hauptquelle der eingerissenen Verlegenheiten die Aufhebung der bisher obrigkeitlich überwachten bäuerlichen Vorratsmagazine, gegen Walujeffs Rat dekretiert worden war und dass der Winter 1867/68 von seinen Vorgängern nicht wesentlich verschieden sei, hetzte Tschikaloff seinen vertrauensvollen Protektor so erfolgreich gegen den Minister auf, dass der Großfürst diesen wiederholt öffentlich angriff und seinem Comité Rechte arrogierte, welche in die Kompetenz der Verwaltungsbehörden eingriffen und ministeriellen Anordnungen direkt entgegenarbeiteten. Walujeffs zahlreiche Gegner wussten fertig zu bringen, dass es schließlich zum offenen Bruch kam, und der Kaiser in die Alternative versetzt wurde, entweder seinen Minister zu entlassen oder seinen Sohn zu desavouieren. Obgleich Walujeff klug und patriotisch genug war, um dem Monarchen durch ein rechtzeitig eingereichtes Abschiedsgesuch die peinliche Entscheidung zu ersparen, kam es zwischen Vater und Sohn um jene Zeit zu Auftritten, welche weder der Art des Kaisers entsprachen, noch der im Grunde gutmütigen Natur des Thronfolgers gemäß waren. — Dabei sollte es indessen nicht bleiben: ermutigt durch die dem Minister des Innern beigebrachte Niederlage drängten die Moskauer Nationalen sich an den Erben der Krone enger heran; als nach den überkommenen Traditionen schicklich und für die Geschlossenheit einer streng monarchischen Regierung anständig war. In Veranlassung des so erfolgreich improvisierten Notstandes fand Herr Iwan Aksakoff; der berühmte Publizist und spiritus rector der Slawophilenpartei Veranlassung, mit Sr. kaiserlichen Hoheit in einen Briefwechsel zu treten, der natürlich nur der Linderung des über die nördlichen Gouvernements ausgebreiteten Elendes galt, nichts desto weniger aber zur Erörterung von politischen Fragen aller Art Gelegenheit bot. Eben als diese Korrespondenz interessant zu werden begann, fielen Bruchstücke, derselben Sr. Majestät höchsteigener Kanzlei dritter Abteilung in die Hände. Graf Schuwaloff nahm keinen Anstand; dem Kaiser über das Vorgefallene zu berichten, der Thronfolger aber reichte statt jeder Antwort auf die ihm gestellten Fragen eine Beschwerde darüber ein, dass ein Untertan gewagt habe, sich in die Privatangelegenheiten eines Gliedes der kaiserlichen Familie zu drängen. Schon jubelte man in den nationalen Kreisen von einem zweiten gegen die „Sapadniki“ geführten Schlage und von der bevorstehenden Entlassung des allgewaltigen Leiters der dritten Abteilung, — schon stritt man darüber, wem unter den begünstigten General-Adjutanten jenes Amt des Chefs der Geheimpolizei zufallen werde, das tatsächlich das wichtigste im gesamten Reiche ist. Dieses Mal aber war die Rechnung ohne den Wirt ausgeschrieben worden. Graf Schuwaloff wusste so nachdrücklich geltend zu machen, dass er seiner Pflicht als oberster Wächter über die Sicherheit des Monarchen und die Autorität der Regierung nur nachkommen könne, wenn sein Recht zur Kontrolle aller Untertanen Sr. Majestät unangetastet bleibe, — dass der Großfürst den Kürzeren ziehen und eine Unterweisung darüber hinnehmen musste, dass sein Wohltätigkeitscomité lediglich ein Privatverein sei, dessen Vorsitzender seinen Abschied nehmen werde, sobald er sich weiter auf unstatthafte und unschickliche Korrespondenzen einlasse. Einen seiner vertrautesten Räte hatte der Kaiser den Liebhabereien seines Sohnes bereits opfern müssen, sich seinen ersten Berater nehmen zu lassen, hatte er nicht die geringste Neigung. — Der Eindruck, den diese kaiserliche Entschließung auf den Thronfolger machte, musste um so nachhaltiger sein, als derselbe seinen Vater genügsam kannte, um zu wissen, dass die Weichheit desselben wesentlich auf Allerhöchster Abneigung gegen heftige Emotionen und Störungen des ruhigen Ganges der Dinge gegründet sei: kam es einmal zu einer solchen, so war der Kaiser der Mann, gerade so nachdrücklich und rücksichtslos aufzutreten, wie weiland sein Vater.