Neue Bilder aus der Petersburger Gesellschaft. II. Kaiserliche Brüder und Söhne.

Autor: Eckardt, Julius Albert Wilhelm von (1836-1908) deutscher Journalist, Historiker, Senatssekretär und Diplomat. Studierte Rechtswissenschaften in St. Petersburg, Dorpat und Berlin, Erscheinungsjahr: 1874

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Handel, Wirtschaft, Banken, Bankhäuser, Papiergeld, Finanzprojekte, Rubel, Einnahmequellen, Finanzreform, Branntweinmonopol, Tabaksteuer,
Von einem der hervorragendsten Glieder des kaiserlichen Hauses; der verstorbenen Großfürstin Helene Pawlowna ist in dem ersten Teil dieser Skizzen bereits die Rede gewesen. Ehe ich die dort veröffentlichten Mitteilungen vervollständige, muss ich eine Unterstellung zurückweisen, zu der sich mehrere meiner sonst so wohlwollenden Kritiker ohne genügenden Grund veranlasst gesehen haben: die Augsburger Zeitung und nach dieser die Kreuzzeitung meinten, es sei unrichtig, wenn a. a. O. behauptet worden, die verstorbene Großfürstin habe sich um Politik nicht gekümmert. In Wahrheit ist das niemals von mir gesagt*), sondern nur angedeutet worden, über den politischen Einfluss der Verstorbenen seien vielfach übertriebene Berichte im Schwange gewesen. Als Beweis des Gegenteils ist angeführt worden, die Witwe des Großfürsten Michael habe ein Sammelwerk über europäische Verfassungen durch den Baron Haxthausen anfertigen lassen, um mit diesem Propaganda zu machen u. s. w. Damit ist doch nur bewiesen, dass Helene Pawlowna Einfluss üben gewollt, nicht dass sie solchen besessen — an eine Konstitution wird bei uns ja heute eben so wenig gedacht, wie vor zehn Jahren.

*) In der Skizze „Die Großfürstin Helene“ heißt es S. 11 ausdrücklich, die Großfürstin habe zahlreiche einflussreiche Politiker um sich versammelt, rastlos politische Memoires anfertigen lassen und gelesen. Ausdrücklich ist ferner von der ,,hohen Politikerin" die Rede, ein Ausdruck, dessen Bedeutung doch nicht zweifelhaft sein kann.

Um indessen alle Zweifel an der Tragweite des in Rede stehenden Urteils auszuschließen, will ich gleich hier bemerken, dass die Großfürstin zu Zeiten allerdings gewissen Einfluss auf den Gang unserer politischen Dinge geübt hat. Ob es richtig ist, dass sie es gewesen, die den Fürsten Gortschakow im Juli 1870 zu seiner ausgesprochen preußen-freundlichen Politik bestimmt und den Reichskanzler daran erinnert habe, dass eine antifranzösische Haltung Russlands bestimmte Aussichten zur Auflösung der auf die Neutralität des Schwarzen Meeres bezüglichen Pariser Stipulationen von 1856 gewähre, — muss dahin gestellt bleiben. Die bezüglichen Angaben stammen aus sehr guter Quelle und sind aus diesem Grunde bisher als strenges Geheimnis behandelt worden. Für zweifelhaft möchte ich sie indessen halten, weil sie erst in einer Zeit aufgetaucht sind, in der es Mode geworden, die Verdienste des Fürsten Gortschakow zu schmälern und von der Überlebtheit dieses Staatsmannes zu reden. Auffallend ist zum Mindesten, dass gleichzeitig erzählt wurde, auch im J. 1863 sei der Fürst nicht sofort auf der richtigen Fährte gewesen, sondern erst durch seinen Kollegen Walujew bewogen worden, die westmächtlich-österreichische Einmischung in den polnischen Aufstand rundweg abzulehnen. Walujew ist allerdings zuzutrauen, dass er die Lahmheit der Russell-Rechbergschen Polenfreundschaft früher als andere Leute durchschaute: wäre er es aber gewesen, der sich zuerst auf den „nationalen Standpunkt“ gestellt, hätte er wirklich abweichende Anschauungen des Reichskanzlers zu bekämpfen gehabt, so wäre das Licht dieses Verdienstes schwerlich zehn Jahre lang unter dem Scheffel versteckt geblieben. Für keinen unserer Minister ist der polnische Aufstand so verhängnisvoll geworden, wie für den damaligen Minister des Innern, kein russischer Staatsmann ist wegen angeblicher Polenfreundschaft so arg verketzert, so schamlos verleumdet worden, wie Walujew. Sollte der intellektuelle Urheber der berühmten Noten vom Sommer 1863 es wirklich über sich gewonnen haben, von seinem Verdienst zu schweigen, wo ein Wort über dasselbe hinreichend gewesen wäre, seine gefährdete und schließlich unhaltbar gewordene Stellung zu rotten? Bis auf Weiteres wird das ebenso für zweifelhaft gelten müssen, wie das Verdienst der Großfürstin Helene um Gortschakows Entschließungen von 1870. Dass die Großfürstin nach Kräften bemüht gewesen, der preußisch-deutschen Sache zu nützen, steht unzweifelhaft fest und ist von mir schon früher mit allem Nachdruck hervorgehoben worden.

Anders steht es um die Wirkungen, welche die Herrin des Palais Michel auf den Gang der Emanzipationsangelegenheit von 1861 geübt hat. Den auf diese Materie bezüglichen früheren Darstellungen ist nachzutragen, dass die Großfürstin in der Tat ihr Möglichstes getan hat, um (im Sinne ihres damaligen Freundes Nikolaus Miljetin) auf eine möglichst radikale , um nicht zu sagen überstürzte Lösung hinzuwirken. Mit weiblicher Ungeduld und Leidenschaftlichkeit glaubte die hohe Frau den Intrigen der Reaktionspartei nicht besser entgegenarbeiten zu können, als wenn sie mit der äußersten Linken des Emanzipations-Comités gemeinschaftliche Sache machte. Auf den Kaiser, der durch die seinem ersten großen Werke bereiteten Schwierigkeiten in eine nervös gereizte Stimmung versetzt worden war, musste es nachhaltigen Eindruck machen, dass seine Tante die Hemmung des Emanzipationsplanes für bedenklicher hielt, als die Gefahr einer Überstürzung desselben und dass Männer, die den Veteranen des Hofs für gefährliche Jakobiner und Revolutionäre galten, von dem ältesten Mitgliede des Kaiserhauses in Schutz genommen wurden. Die Großfürstin blieb aber nicht dabei stehen, die Linke des Hauptcomité's zu unterstützen und auf den Kaiser im Sinne einer möglichst beschleunigten und rücksichtslosen Durchführung der Emanzipation zu wirken, — sie gab durch Freilassung der zu ihren Apanagegütern gehörigen Leibeigenen einen wirkungsvollen und vielbesprochenen Beleg für die Entschiedenheit ihrer Stellung. — Der Einfluss, den die Großfürstin während dieses Stadiums der Emanzipationsangelegenheit übte, ist entschieden ein ausnahmsweiser gewesen; er rührte nicht sowohl davon her, dass der Kaiser auf das Urteil seiner Tante besonderes Gewicht legte, als von einer momentanen, durch die Lage der Dinge bedingten Übereinstimmung seiner Ansichten und Gefühle mit den ihrigen. Zur Durchführung und Behauptung einer in Betracht kommenden politischen Rolle, fehlte der verstorbenen Großfürstin vor Allem die erforderliche Festigkeit und Folgerichtigkeit der Gesinnung und Anschauungsweise. Gut intentioniert, gescheut, gebildet und lebhaft genug, um die erfasste Meinung mit einigem Aplomb durchzufuhren, entbehrte Helene Pawlowna (wie das bei einer Frau nicht anders sein konnte, die dreißig Jahre am Hofe des Kaisers Nikolaus gelebt hatte) sowohl der Stetigkeit des Willens, wie der Vertiefung der Bildung, die für eine wirkliche Politikerin erforderlich gewesen wären. Für die Bestimmbarkeit ihres Urteils ist es bezeichnend, dass sie sich regelmäßig für diejenigen Ideen interessierte, welche gerade an der Tagesordnung waren. — 1859 für die möglichst beschleunigte, gegen den Adel möglichst rücksichtslose Art der Emanzipation. 1862 für die konstitutionellen Hirngespinnste der liberalen Jugend, 1864 für die nationale Politik der nach Litauen gesandten Missionare u. s w.

Unter der männlichen Nachkommenschaft des Kaisers Nikolaus hat dessen zweiter Sohn, der jetzt siebenundvierzigjährige Großfürst Konstantin, am meisten von sich reden gemacht. Die geistige Lebendigkeit, welche ihn schon früh auszeichnete, machte diesen von Kindesbeinen an zum Großadmiral bestimmten Prinzen seinerzeit zum Mittelpunkt eines förmlichen Mythus. Wenn der Mann dem Kinde nicht Wort gehalten hat, so sind daran, wenigstens zum Teil, die übertriebenen Vorstellungen schuld gewesen, welche die liebedienerische Beflissenheit der Hofleute zur Zeit des Kaisers Nikolaus in Cours setzte. Weil der zweite Sohn des Zars eine gewisse Entschlossenheit und Schlagfertigkeit zeigte, welche dem damaligen Thronfolger abzugehen schien, machte das Gerücht ihn sofort zu einem kraftstrotzenden Ausnahmemenschen, für den der gewöhnliche Maßstab nicht mehr ausreiche und von dem man der größten Dinge gewärtig sein müsse. Weil Konstantin Nikolajewitsch gelegentlich über die Ausländerei des vornehmen Russentums gespottet hatte, sollte er sofort ein slawischer National-Fanatiker sein; weil er einmal gesagt: „Mein Bruder ist der Sohn des Großfürsten Nikolaus, ich bin als Sohn des Kaisers geboren“, sollte er von ehrgeizigen Plänen erfüllt sein; der knabenhafte Einfall, beim Betreten eines Kriegsschiffes den Großadmiral herauszustecken und gegen den Einspruch des Kapitäns und seines begleitenden Gouverneurs die Segel aufhissen und nach Kronstadt steuern zu lassen, wurde zu einem Geniestreich aufgebauscht, der Bürge künftiger Großtaten sein sollte. Achtzehn Jahre sind seit der Thronbesteigung Alexanders II. vergangen, der den Bruder ohne Rücksicht auf die diesem imputierten Plan sofort hervorzog und in hervorragende Stellungen brachte, ohne dass sich nur eine der Prophezeiungen erfüllt hätte, die diesem Großfürsten vorhergesendet worden waren. In jedem der verschiedenen Ämter, die ihm übertragen wurden, hat Konstantin Nikolajewitsch eine gewisse Energie und Rührigkeit, in keinem eine selbstständige, auf dem Grunde fester Prinzipien ruhende politische Anschauung betätigt, im Gegenteil seinen Standpunkt zu verschiedenenmalen in auffallender Weise je nach der herrschenden Zeitströmung gemodelt.

Während der ersten Hälfte des gegenwärtigen Regimes stand der angebliche Vertreter des Altrussentums an der Spitze jener europäischen Liberalen, welche bis zum Jahre 1863 die öffentliche Meinung Russlands beherrschten. In seiner Eigenschaft als Marineminister und Großadmiral ließ der Großfürst es sich sofort nach Abschluss des Pariser Friedens angelegen sein, eine ganze Anzahl westeuropäischen Mustern angepasster Reformen ins Werk zu setzen, mit denen in den übrigen Ressorts erst nach geraumer Zeit der Anfang gemacht wurde. Das unter seinen Anspielen redigierte offizielle Organ der Marine-Verwaltung, der Morskoi Sbornik, schlug zuerst von allen gouvemementalen Zeitschriften einen liberalen Ton an; auf seine Veranlassung wurde die Körperstrafe für die Marine-Soldaten aufgehoben, das Kommissariats- und Proviantwesen verbessert und die Nachahmung englischer, französischer und amerikanischer Schiffsmodelle versucht. Das Detail der Arbeit überließ der Großfürst natürlich anderen, wie es heißt, nicht immer geschickt ausgewählten Leuten, indem er für sich nur die Ehre und das Verdienst der Initiative in Anspruch nahm. Für einen großen Verwaltungsmann und Techniker hat er niemals gegolten.

Die liberale Reputation, welche sein Bruder auf diese Weise erworben, veranlasste den Kaiser, den Großadmiral zum Präsidenten des mit Vorbereitung des Emanzipations-Gesetzes betrauten Hauptcomités zu machen Dieses wichtige neue Amt wurde dem Großfürsten aber nur kurze Zeit belassen; die Leidenschaftlichkeit, mit welcher derselbe den konservativen Elementen innerhalb dieses Comiés entgegengetreten war und durch die er sich zu den härtesten und absprechendsten Urteilen über den gesamten russischen Adel hatte hinreißen lassen, machte den Großfürsten für eine Weile so gründlich unmöglich, dass derselbe auf Reisen geschickt und zu einem längeren Aufenthalt im Orient veranlasst wurde. Diese Reise und die dem Reisenden nachgerühmte entschiedene Parteinahme für die Sache der Emanzipation haben wesentlich dazu beigetragen, dem Großfürsten im Auslande ein gewisses Renommée zu verschaffen. In Jerusalem machte Konstantin Nikolajewitsch die Bekanntschaft des Leipziger Professors v. Tischendorf, den er als Entdecker und Überbringer des Codex Sinaiticus an den Hof brachte*) und der seitdem ein unermüdlicher Lobredner seines hohen Protektors gewesen ist. Außerdem schmeichelte der russischen National Eitelkeit die begeisterte Aufnahme, welche dem Großfürsten in Stambul durch die griechischen und slawischen Rajahs, in Jerusalem durch die Würdenträger der rechtgläubigen Kirche bereitet wurden und die der Diensteifer der großfürstlichen Valets de plume zu förmlichen Triumphzügen vergrößerte.

*) Herr v. Tischendorf hat den russischen Hof als Ritter des Annensterns und Inhaber beträchtlicher Geld-Dotationen und als ,,russischer Baron" verlassen — in den Traditionen desselben lebt „le célèbre professeur Tischendorf“ (wie der eitle Mann sich bei einer dem General Ignatjeff gemachten ersten Visite selbst nannte) noch heute als komische Person fort. Die Wichtigtuerei und der Servilismus dieses Herrn, der natürlich für einen Typus des deutschen Gelehrten galt, haben monatelang für die Spottsucht unserer Hofleute hergehalten, die man noch heute in die glücklichste Laune versetzen kann, wenn man den Namen Tischendorf nennt. Die Beflissenheit, mit welcher der königlich sächsische Hofrat sich um den russischen Staatsratstitel bemühte (eine Qualifikation, von der ein homme du monde nie Gebrauch macht, die Herr Tischendorf aber für einen Schlüssel zur Vornehmheit ansah), wäre allein hinreichend gewesen, diesen „Repräsentanten deutscher Wissenschaft“ für alle Zeit zum plastron des Hofes zu machen.

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

Russischer Dorfmusikant

Russischer Dorfmusikant

Eine Großrussin

Eine Großrussin

Russisches Bauernmädchen

Russisches Bauernmädchen

Russicher Bauer in Wintertracht

Russicher Bauer in Wintertracht

Ganz privat - Teestunde am Samowar

Ganz privat - Teestunde am Samowar

Mutterliebe

Mutterliebe

Kosaken

Kosaken

Russischer Geistlicher

Russischer Geistlicher

Das Denkmal Peter des Großen

Das Denkmal Peter des Großen

Pferdeschlitten

Pferdeschlitten

Russische Recken, aus die drei Bogatyri von Wasnezow, links Dobrynja Nikititsch, rechts Ilja Muromez

Russische Recken, aus die drei Bogatyri von Wasnezow, links Dobrynja Nikititsch, rechts Ilja Muromez

Personentransport im Winter

Personentransport im Winter

Das heutige Russland

Das heutige Russland

Russisches Sittenbild

Russisches Sittenbild

Im Park von Peterhof

Im Park von Peterhof