Erste Fortsetzung
„Die Lawine gewährte während ihres ganzen Fluges ein wahrhaft großartiges Schauspiel. Als sie losgegangen war, sah es aus, als ob der halbe Berg, in Schnee aufgelöst, herunterkäme. In der Mitte ergoss sich wie ein ungeheurer Wasserfall der Hauptstrom der stürzenden Schneemassen; rechts und links wirbelten, als wollten sie sich ablösen und selbständige Ströme bilden, einzelne kleinere Wolken blendenden Schneestaubs auf und versanken dann wieder in der großen Masse. In die am weitesten aus. geworfenen Schwaden schien die Sonne und zeichnete hell. leuchtende, rotierende, beständig sich verändernde Ringe in die wogende weiße Masse hinein. Der Boden zitterte wie bei einem Erdbeben, und das Krachen und Dröhnen vom Aufschlagen der Schneemassen auf die Felsen war ohrbetäubend. Als nach vielleicht 40 Sekunden der Hauptstrom unten angelangt war, nur noch kleinere Massen nachstürzten und die Hauptmasse horizontal über die Weidegelände dahinschoß, nahm das Geräusch mehr und mehr den Ton eines grollenden fernen Donners an; dann kam es dumpf verhallend allmählich ganz zur Ruhe.“ (Glärnisch-Lawine; Dr. Coaz.) 1.750 m stürzte der Schneestrom ab und brandete am jenseitigen Gehänge an, derart, dass durch die abgeprallten, hoch sich bäumenden Schneewolken der Himmel verdunkelt wurde und der Schnee in rückläufiger Bewegung gleichsam als zweite Lawine vom Hange der anderen Talseite niederging. Nach 6—8 Minuten kam das Phänomen zur Ruhe.
Mannigfacher Art sind die Erscheinungen; wir wollen nun versuchen, sie und ihre Ursachen kennen zu lernen. Studieren wir die Einzelheiten an einem Hang eines Hochtales (s. Tafel 5), so sehen wir eine ganze Anzahl von seichten Rissen in ihn eingesenkt, die in großer Steilheit zur Höhe ziehen und die Bergflanken auf das feinste modellieren. In zahllosen Furchen ziehen sie durch die Wälder, verästeln sich hoch oben und ragen bis in die Region ewigen Schnees empor. Das sind die „Lawinenzüge“. Die Verwitterung meißelt zuerst ihre Spuren in die Berghänge, Regenwasser greifen weiter an und schaffen Rinnen, die an das Grundrissbild eines Wildbachbettes, eines Sammeltrichters erinnern. Von den Seiten, von oben bröckelt Verwitterungsschutt nach, stets zu einer Vergrößerung dieses ungemein steilen „Talsystems“ Anlass gebend. Als Steinschlag pfeifen die Trümmer im Sommer durch die Runse. Kleine Wildbäche können sich hier bei Gewitterregen entwickeln. Das sind die Bahnen der Lawinen, die Geleise, die durch Steinschlag und Wasser ausgearbeitet werden und im Winter dem Schnee zur Talfahrt dienen. Wie das Wasser die Gesteinstrümmer zur Tiefe reißt, so ist auch die Lawine mit Schutt, Erde, Stücken der Vegetationsdecke beladen und breitet alles am Ausgang der Furche auf dem „Lawinenkegel“ aus. Vergeht der Schnee im Sommer, so bleiben doch die Fremdkörper liegen und häufen allmählich einen Schuttkegel am unteren Ende des Lawinenzuges an. So hat denn jede Rinne, sei sie noch so klein, sei sie noch so steil in nackten Fels eingesägt, am Ausgang ihren Kegel loser Trümmer. In allen Größenordnungen begleiten sie die Flanken der Täler. Nicht nur hier verfolgen wir diese überaus charakteristischen Formen, sondern auch in großer Höhe, im Gebiet des Firns.
Gehört doch ein großer Teil aller abgehenden Lawinen der Hochregion allein an! Ständig fegen sie über die Steilwände und eisigen Hänge und graben ihre Bahnen ein. Dann entsteht an den Bergen eine feine Ziselierung (Tafel 20), eine Furchung, die dem Alpinisten gar wohl bekannt ist. Das Überqueren der Lawinenzüge dort oben ist mit manchen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden! Auch die Königswand, die unser Bild zeigt, gehört zu den schwierigen Hochtouren in den Alpen. — Betrachten wir das Bild, das in glücklicher Weise den Augenblick des Abgehens einer Lawine festhält, so überrascht uns die Ähnlichkeit mit einem Wasserfall (Tafel 21). In der Tat gleicht die Bewegung auch in physikalischer Hinsicht dem Fließen. Das einzelne Teilchen in der Lawine kann sich nicht frei bewegen: es stößt stets an seine Nachbarn, teilt diesen seine lebendige Kraft mit, wirkt als Impuls. Es entsteht ein gemeinsames Strömen, vergleichbar dem Rieseln feinen Sandes, ein Strömen, bei dem sich die Masse wie ein plastischer Körper der Unterlage anpasst. Wie eine Flüssigkeit suchen die „periodischen Schneeströme“ (Lawinen) die Vertiefungen im Gelände auf. Wie Sturzbäche fließen sie in Furchen zu Tal. Und doch besteht im äußeren Anblick der Lawinen eine Verschiedenheit, die in der Beschaffenheit des Schnees ihre Erklärung findet. Oft sehen wir des Winters an den Kämmen der Berge weiße Fetzen hängen, die sich wie Wolken ausnehmen. Im Tale unten herrscht Windstille, prächtig lauer Sonnenschein. Die Fahnen in der Höhe verraten indes, dass dort oben eisiger Sturm weht, der den Schneestaub mit sich reißt und als „Schneefahnen“ verschleppt. Auch sie sind Lawinen, eine Form, die zu den Staublawinen gehört.
Mannigfacher Art sind die Erscheinungen; wir wollen nun versuchen, sie und ihre Ursachen kennen zu lernen. Studieren wir die Einzelheiten an einem Hang eines Hochtales (s. Tafel 5), so sehen wir eine ganze Anzahl von seichten Rissen in ihn eingesenkt, die in großer Steilheit zur Höhe ziehen und die Bergflanken auf das feinste modellieren. In zahllosen Furchen ziehen sie durch die Wälder, verästeln sich hoch oben und ragen bis in die Region ewigen Schnees empor. Das sind die „Lawinenzüge“. Die Verwitterung meißelt zuerst ihre Spuren in die Berghänge, Regenwasser greifen weiter an und schaffen Rinnen, die an das Grundrissbild eines Wildbachbettes, eines Sammeltrichters erinnern. Von den Seiten, von oben bröckelt Verwitterungsschutt nach, stets zu einer Vergrößerung dieses ungemein steilen „Talsystems“ Anlass gebend. Als Steinschlag pfeifen die Trümmer im Sommer durch die Runse. Kleine Wildbäche können sich hier bei Gewitterregen entwickeln. Das sind die Bahnen der Lawinen, die Geleise, die durch Steinschlag und Wasser ausgearbeitet werden und im Winter dem Schnee zur Talfahrt dienen. Wie das Wasser die Gesteinstrümmer zur Tiefe reißt, so ist auch die Lawine mit Schutt, Erde, Stücken der Vegetationsdecke beladen und breitet alles am Ausgang der Furche auf dem „Lawinenkegel“ aus. Vergeht der Schnee im Sommer, so bleiben doch die Fremdkörper liegen und häufen allmählich einen Schuttkegel am unteren Ende des Lawinenzuges an. So hat denn jede Rinne, sei sie noch so klein, sei sie noch so steil in nackten Fels eingesägt, am Ausgang ihren Kegel loser Trümmer. In allen Größenordnungen begleiten sie die Flanken der Täler. Nicht nur hier verfolgen wir diese überaus charakteristischen Formen, sondern auch in großer Höhe, im Gebiet des Firns.
Gehört doch ein großer Teil aller abgehenden Lawinen der Hochregion allein an! Ständig fegen sie über die Steilwände und eisigen Hänge und graben ihre Bahnen ein. Dann entsteht an den Bergen eine feine Ziselierung (Tafel 20), eine Furchung, die dem Alpinisten gar wohl bekannt ist. Das Überqueren der Lawinenzüge dort oben ist mit manchen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden! Auch die Königswand, die unser Bild zeigt, gehört zu den schwierigen Hochtouren in den Alpen. — Betrachten wir das Bild, das in glücklicher Weise den Augenblick des Abgehens einer Lawine festhält, so überrascht uns die Ähnlichkeit mit einem Wasserfall (Tafel 21). In der Tat gleicht die Bewegung auch in physikalischer Hinsicht dem Fließen. Das einzelne Teilchen in der Lawine kann sich nicht frei bewegen: es stößt stets an seine Nachbarn, teilt diesen seine lebendige Kraft mit, wirkt als Impuls. Es entsteht ein gemeinsames Strömen, vergleichbar dem Rieseln feinen Sandes, ein Strömen, bei dem sich die Masse wie ein plastischer Körper der Unterlage anpasst. Wie eine Flüssigkeit suchen die „periodischen Schneeströme“ (Lawinen) die Vertiefungen im Gelände auf. Wie Sturzbäche fließen sie in Furchen zu Tal. Und doch besteht im äußeren Anblick der Lawinen eine Verschiedenheit, die in der Beschaffenheit des Schnees ihre Erklärung findet. Oft sehen wir des Winters an den Kämmen der Berge weiße Fetzen hängen, die sich wie Wolken ausnehmen. Im Tale unten herrscht Windstille, prächtig lauer Sonnenschein. Die Fahnen in der Höhe verraten indes, dass dort oben eisiger Sturm weht, der den Schneestaub mit sich reißt und als „Schneefahnen“ verschleppt. Auch sie sind Lawinen, eine Form, die zu den Staublawinen gehört.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Naturgewalten im Hochgebirge
Naturgewalten im Hochgebirge Tafel 005 Adamellogruppe, Südtirol, Im Vordergrund Blockgipfel
Naturgewalten im Hochgebirge Tafel 020 Lawinenfurchen in der Königswand, Königsspitze, Ortlergruppe
Naturgewalten im Hochgebirge Tafel 021 Abgehende Grundlawine am Schlossberg, Katon Uri
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