Über Gesteinsbildung
Mustert man die Berge mit einiger Aufmerksamkeit, so wird in vielen Fällen der lagenweise Aufbau der Gesteine auffallen. Die weißen Kalke, die Schiefer, die Sandsteine besitzen eine Struktur, nach der sie in Schichten angeordnet sind, durch parallele Klüfte voneinander getrennt. Nicht immer tritt dies deutlich hervor (s. Tafel 3); oft vermeinen wir, vor ungeschichteten Gesteinskomplexen zu stehen. Indes werden wir unter Umständen beobachten, dass die Schichtung zwar im Kleinen zurücktritt, dass dagegen doch eine grobe Absonderung vorhanden ist, die dicke Gesteinsbänke entstehen lässt. Oft macht der Schnee die Schichtung weithin sichtbar, wenn er auf den kleinen Schichtflächen liegenbleibt, an den steilen Schichtabbrüchen aber nicht zu haften vermag (Tafel 12); prächtig tritt dann die Struktur der Berge hervor! — Wie entsteht Schichtung? Sie ist charakteristisch für alle im Wasser abgesetzten Gesteine. Lage für Lage setzt sich ab; gerät die Ablagerung durch irgendwelche Vorgänge ans Tageslicht, so graben die Rinnsale Furchen in sie ein, durchschneiden Schicht für Schicht und lassen so die Entstehungsgeschichte des Gesteines erkennen. Am besten verfolgen wir diese etwa in einem Gebirgssee. Ein Fluss mündet in ihn ein und schafft eine Menge von festem Material als Gerölle und Schlamm in das Wasserbecken. Im Frühjahr ist der Fluss durch die Schneeschmelze angeschwollen; er vermag auch mehr Gesteinstrümmer mit sich zu führen. Große Mengen von Geröllen werden im See abgelagert, mächtige Schlammmassen trüben die Fluten. Im Sommer schwindet die Flut; nur bei starken Regen, bei Gewittergüssen schwellen die Wasser und tragen wieder ungeheure Schottermassen in den See. Nacheinander kommen die festen Bestandteile zur Ablagerung. Dies Nacheinander erzeugt die Schichten; jeder Pause im Ablagern bei Niederwasser entspricht eine Schichtfuge. — Schon früher hatten wir gesehen, dass das Ablagern in dem Augenblick eintritt, in dem die Transportkraft, die Bewegung des fließenden Wassers aufhört. Verringert sich die Strömung des Flusses an der Mündung in den See, so werden zuerst die gröbsten Blöcke liegen bleiben. Für feinere Bestandteile ist indes die Bewegung noch ausreichend, sie weiter in das Becken zu schleppen; die feinsten Partikelchen bleiben am längsten schwebend erhalten und kommen erst weit draußen im See zur Ruhe. Wir sehen, dass eine Sortierung des Materials eintreten muss. Darin finden wir eine Erklärung für die Entstehung von Schichten, die ausschließlich aus den feinsten Teilchen bestehen, die Tone und Mergel, für andere, die von gleichmäßig großen Quarzkörnchen aufgebaut werden, die Sandsteine, und für die Konglomerate, die von groben Geröllen zusammengesetzt werden.
In buntem Wechsel finden wir im Gebirge derart entstandene Schichten übereinander. Die Mannigfaltigkeit wird noch größer durch den Umstand, dass weitaus die meisten Schichtgesteine im Meere entstanden sind. Eingeschlossene Reste von Meerestieren, Versteinerungen, beweisen dies mit unumstößlicher Sicherheit. Ja, diese können mächtige Gesteinsbänke nur durch ihre Hartteile allein auftürmen. Die Korallen bauen hohe Riffe; mit ihnen vergesellschaften sich Muscheln, Schnecken, Seeigel, deren Schalen zusammen mit den Korallen erhalten bleiben. So können wir denn ein Bild reichsten Tierlebens im Meere mitten im Gebirge versteinert finden. Milliarden von mikroskopisch kleinen Organismenschälchen, aus Kalk oder Kieselsäure bestehend, sinken auf den Meeresboden und bedecken ihn als Schicht von weiter Ausbreitung. Wie dies heute geschieht, so geschah es, seit Meere die Erde bedecken. Und die Erde, die sich ständig verändert, die ihre Kruste in Runzeln legt, hebt diese Schichten durch rätselhafte Kräfte über das Meer, wölbt und faltet sie zu hohen Gebirgen auf. Verwitterung und fließende Wässer beginnen ihr Zerstörungswerk und enthüllen an den Bergen, den Ruinen einstmals geschlossener Schichttafeln, eine verschlungene, lange Geschichte. Sehen wir dann eine Folge der verschiedensten Schichten übereinander, so sehen wir gar oft, dass die Lagen nicht horizontal liegen, wie sie ursprünglich im Wasser abgesetzt wurden, sondern schräggestellt und verbogen worden sind. Wir werden uns diese Erscheinung leicht erklären können: denken wir, ein ausgebreitetes Tischtuch stelle eine Schicht dar, und schieben wir an einer Stelle einen Körper darunter, so wird das Tuch nach allen Seiten abfallen; die ursprünglich horizontale Fläche ist in Falten gelegt oder dacht sich wie ein breites Gewölbe nach allen Seiten hin ab. — Diese nachträglichen Veränderungen, die die Gesteine durch gebirgsbildende Kräfte erfahren haben, sind von so einschneidender Bedeutung für gewisse Vorgänge der Abtragung, dass wir sie wohl im Auge behalten müssen. Sie sind aber auch an den Gehängen unserer Alpentäler, wo diese in Schichtgesteine eingesenkt sind, in deutlichster und mit unglaublicher Mannigfaltigkeit wiederkehrender Weise zu sehen. An vielen Gebirgsstöcken, z. B. in den Zentralalpen, vermissen wir jedoch die Schichtung der Gesteine. Gleichartige Struktur, eine unregelmäßige Zerklüftung nach allen Richtungen zeichnet diese Massive aus. Und sieht man genau zu, so zeigt sich auch die Verschiedenartigkeit der Zusammensetzung: eine ganze Anzahl von Mineralien, wie Feldspate, Quarz, Glimmer, Hornblende usw. (Silikate), oft in prächtigen Kristallen ausgeschieden, bilden ein gleichmäßig körniges Gefüge. Dies sind die Massengesteine. Wie die Laven der Vulkane sind sie aus feurigem Gesteinsfluss (Magma) entstanden. Die Massen entstammen dem Erdinnern und drangen zur Erdoberfläche, freilich, manchmal, ohne diese zu erreichen. Dann sind sie wie Fremdkörper innerhalb der Erdkruste steckengeblieben, unterirdisch erstarrt. Die Erstarrung, eine Folge der Abkühlung, ist mit Schrumpfung verbunden; die Gesteinsmasse hat geringeren Rauminhalt als das einst flüssige Magma. Durch die Zusammenziehung sind jene Klüfte und Risse entstanden, die das Gestein in unregelmäßige Trümmer spalten, die es völlig in Blöcke auflösen können, wenn erst die Verwitterung eingesetzt hat und ins Gesteinsinnere gedrungen ist (S. 5 — 11).
Noch eine dritte Gruppe von Gesteinen muss hier erwähnt werden: die kristallinen Schiefer, die als „Urgebirge“ vielleicht die weitest verbreitete Gesteinsart darstellen. In den Alpen sind ja Gneis, Glimmerschiefer, Phyllit usw. Gesteine, die in den „Zentralpen“ die höchsten Kämme unseres Hochgebirges aufbauen. Diese Gesteinsgruppe vereinigt in sich in merkwürdiger Weise Merkmale von Schicht- und Massengesteinen. Mit jenen haben sie eine Parallelstruktur, die Schieferung, gemein, mit diesen verbindet sie die Zusammensetzung aus Silikaten. Aus beiden Gesteinsarten sind die Schiefer auch entstanden. Vergegenwärtigen wir uns, welch enormen Druck viele hundert Meter mächtige Schichten auf ihre Unterlage ausüben, welch ein Riesenschraubstock die Gesteine bei der Gebirgsfaltung zusammenpresst, so werden wir uns wohl vorstellen können, dass die zuunterst liegenden Glieder der Gesteinskomplexe völlig zerquetscht werden. Dies umso eher, als nicht nur durch den Druck Wärme erzeugt wird, sondern die Gesteine in einer Tiefe unter der Erdoberfläche lagern, in der die Temperaturen schon sehr hoch sind. Jedenfalls genügen diese Wärme und dieser Druck, die sprödesten Gesteine plastisch zu machen! Die erlangte Parallelstruktur, die Schieferung, die das Gestein in feinste Splitter und Lagen zerteilen lässt, ist nun wieder für die Verwitterung ein Angriffspunkt ersten Ranges. So finden wir denn hier naturgemäß ein fruchtbares Feld für abtragende Tätigkeit jeder Art.
Der Steinschlag (S. 11) ist die der Hochregion eigene Form der Abtragung; fallen die Blöcke auch nur einzeln, so sind die Massen, die im Lauf der Jahrtausende zu Tal wandern, doch ungeheure. — Aber nicht immer beschränkt sich die Bewegung nur auf einzelne Trümmer. Die Erscheinung kann riesige Dimensionen annehmen, kann als Katastrophe die Alpentäler in furchtbarster Weise heimsuchen. Das sind dann die Bergstürze. Doch ehe wir sie desnäheren beschreiben, wollen wir die
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Naturgewalten im Hochgebirge
Naturgewalten im Hochgebirge Tafel 003 Verwitterungsformen im Kalk
Naturgewalten im Hochgebirge Tafel 012 Brentagruppe, Südtirol. Bergsturztrümmer liegen auf allen weniger geneigten Absätzen unter den schwarzen Steilwänden
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