Zweite Fortsetzung
Dies Herabfallen ist eine dem Bergsteiger vertraute Erscheinung; er kennt sie als Steinschlag. Einzelne, durch Verwitterung losgelöste Brocken sausen meist durch bestimmte Rinnen, zu bestimmter Tagesstunde herab. Der erste Sonnenstrahl bringt Leben in den Berg. Abgesprengte, aber noch festgefrorene Steine treten ihre Talfahrt an. Oder Neuschnee speist bei aufgehender Sonne eine Unsumme von Rinnsalen, die durch Risse, über Wände strömen; sie bringen Bewegung unter die toten Trümmer und eröffnen ein gefährliches Feuer. Nachts ruht der Steinschlag. Mittags hört man das Geknatter weithin; es ist besonders stark. Fegt noch der Wind um die Grate, so surren und pfeifen die unsichtbaren Geschosse über Wände, schlagen mit kurzem Knall auf oder reißen größere Brocken mit sich. Der ganze Berg lebt. In der Tiefe häufen sich die Steine als Schutthalde an (Tafel 3). Am Ausgange der Rinnen reichen sie bis hoch hinauf; jede Felswand wird von ihnen umsäumt. — Der Betrag der Verwitterung ist verschieden bei verschiedenen Gesteinen. Da kommen Strukturverhältnisse, wie Schieferung, Klüftung, horizontale oder geneigte Schichtung, in Betracht, die örtlich außerordentlich rasch wechseln. Damit hängt es zusammen, dass der Steinschlag an einzelnen Stellen stärker tätig ist, dass einzelne Berge wegen des Steinschlages, wegen „brüchigen Gesteins“, d. h. wegen stark vorangeschrittener Verwitterung verrufen sind. Eisrinnen, steile Schluchten, die häufig den Zugang zu einer Bergspitze vermitteln, sind ja das Ergebnis solch rascherer Verwitterung. An ihrem Ausgang künden frische, lose Trümmer die vorhandene Gefahr: mit aller Aufmerksamkeit muss man hier beim Anstieg auf jede Bewegung achten, um nicht getroffen zu werden. Meist gewährt auch der Fels an diesen Stellen nur wenig Halt für Hand und Fuß. Ganze Salven losbrechender Steine krachen unter unserer Last zur Tiefe.
Die gestaltende Kraft der Verwitterung ist durchaus abhängig von der Gesteinsbeschaffenheit der Berge. Wie anders sehen Kalkberge aus (etwa die Dolomiten) als Schieferberge, wie etwa die Zillertaler Alpen. Beide überblicken wir von dem berühmten Aussichtspunkt im Pustertal, vom Kronplatz. Jene bilden öde Plateaus, die in bizarre Türme und Bastionen mit steilen Wandabbrüchen aufgelöst sind; diese: ein langgestreckter, scharfer Grat, über den sich in elegant geschwungener Linie die Hörner erheben, und zwar dort, wo Seitengrate vom Gebirgskamm abzweigen. Haben diese Unterschiede im Landschaftsbild auch verschiedenartige Ursachen, der Hauptgegensatz wird durch die Gesteinsbeschaffenheit erzeugt und beruht auf unterschiedlicher Steilheit der Gehänge. Wir finden im Hochgebirge alle Abstufungen von senkrecht bis leicht geneigt, sehr selten aber Überhänge. Solche Neigungen von 90 Grad und mehr können dadurch entstehen, dass ein weiches Gestein unter einem härteren fortgespült wird (Abb. 1). Die eigene Last wird den überhängenden Fels abbrechen lassen; große Ausdehnung können also Überhänge niemals erreichen. Stets wird ein Böschungswinkel wiederhergestellt, der dem Gestein an dieser Stelle wegen seiner bestimmten Härte, Zusammensetzung, Zerklüftung und Lagerung zu kommt. Bilden sich also Gehängeneigungen, die steiler sind als die Gesteinsbeschaffenheit erlaubt, so wird immer wieder ein Ausgleich geschaffen, der oft plötzlich, mit Heftigkeit ausgelöst wird. Ungeheuer groß ist die Bedeutung dieses Satzes für die Ausgestaltung von Berg und Tal!
Das Regenwasser sickert durch poröses Gestein oder an Klüften und Spalten ein, bis die Undurchlässigkeit, z. B. in Form einer Tonschicht, das weitere Eindringen hindert. Hier sammelt sich das Wasser und erreicht auf verschlungenen Bahnen als Quelle wieder die Erdoberfläche, wo das undurchlässige Gestein zu Tage ausgeht. An der Quelle nimmt das Rinnsal seinen Ursprung. Sein Schicksal wollen wir verfolgen. Die Tätigkeit rinnenden Wassers (Erosion) wollen wir studieren, um zu erkennen, dass die langsam, aber stetig wirkenden Kräfte das Gebirge in weit höherem Maße gestalten als katastrophale Ereignisse, die freilich auf den Menschen einen tiefen, gewaltsamen Eindruck machen.
Die gestaltende Kraft der Verwitterung ist durchaus abhängig von der Gesteinsbeschaffenheit der Berge. Wie anders sehen Kalkberge aus (etwa die Dolomiten) als Schieferberge, wie etwa die Zillertaler Alpen. Beide überblicken wir von dem berühmten Aussichtspunkt im Pustertal, vom Kronplatz. Jene bilden öde Plateaus, die in bizarre Türme und Bastionen mit steilen Wandabbrüchen aufgelöst sind; diese: ein langgestreckter, scharfer Grat, über den sich in elegant geschwungener Linie die Hörner erheben, und zwar dort, wo Seitengrate vom Gebirgskamm abzweigen. Haben diese Unterschiede im Landschaftsbild auch verschiedenartige Ursachen, der Hauptgegensatz wird durch die Gesteinsbeschaffenheit erzeugt und beruht auf unterschiedlicher Steilheit der Gehänge. Wir finden im Hochgebirge alle Abstufungen von senkrecht bis leicht geneigt, sehr selten aber Überhänge. Solche Neigungen von 90 Grad und mehr können dadurch entstehen, dass ein weiches Gestein unter einem härteren fortgespült wird (Abb. 1). Die eigene Last wird den überhängenden Fels abbrechen lassen; große Ausdehnung können also Überhänge niemals erreichen. Stets wird ein Böschungswinkel wiederhergestellt, der dem Gestein an dieser Stelle wegen seiner bestimmten Härte, Zusammensetzung, Zerklüftung und Lagerung zu kommt. Bilden sich also Gehängeneigungen, die steiler sind als die Gesteinsbeschaffenheit erlaubt, so wird immer wieder ein Ausgleich geschaffen, der oft plötzlich, mit Heftigkeit ausgelöst wird. Ungeheuer groß ist die Bedeutung dieses Satzes für die Ausgestaltung von Berg und Tal!
Das Regenwasser sickert durch poröses Gestein oder an Klüften und Spalten ein, bis die Undurchlässigkeit, z. B. in Form einer Tonschicht, das weitere Eindringen hindert. Hier sammelt sich das Wasser und erreicht auf verschlungenen Bahnen als Quelle wieder die Erdoberfläche, wo das undurchlässige Gestein zu Tage ausgeht. An der Quelle nimmt das Rinnsal seinen Ursprung. Sein Schicksal wollen wir verfolgen. Die Tätigkeit rinnenden Wassers (Erosion) wollen wir studieren, um zu erkennen, dass die langsam, aber stetig wirkenden Kräfte das Gebirge in weit höherem Maße gestalten als katastrophale Ereignisse, die freilich auf den Menschen einen tiefen, gewaltsamen Eindruck machen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Naturgewalten im Hochgebirge
Naturgewalten im Hochgebirge Tafel 003 Verwitterungsformen im Kalk
Naturgewalten im Hochgebirge. Tafel 001. Gletscherbruch (séracs) am Argentièregletscher (Mont-Blanc-Gruppe) Nach Tairraz
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