Erste Fortsetzung
Indes sind dies noch nicht alle hierher gehörigen Phänomene. Wir haben den wesentlichsten Faktor der Gebirgsabtragung noch nicht kennen gelernt: den Spaltenfrost. Beim Gefrieren dehnt sich das Wasser aus, sein Volumen wird um etwa 9 Prozent größer. Und diese Ausdehnung ist so vehement, dass bekanntlich eine wassergefüllte Stahlbombe durch Abkühlen zum Platzen gebracht werden kann. Auf unzähligen Spalten und Klüften dringen tagsüber Schmelzwässer in den Fels und durchtränken ihn schließlich gänzlich. Nachts gefriert zunächst das eingesickerte Wasser nahe der Gesteinsoberfläche, und es entsteht eine Art Eispfropfen. Er hindert es, dass das Wasser in größerer Tiefe, wenn der Frost hinabdringt, auf den Klüften aufsteige, sobald das Gefrieren beginnt. Mit unwiderstehlichem Druck presst das entstehende Eis gegen die Kluftwandungen. Das Netz von Fugen wird vergrößert, einzelne Spalten so erweitert, dass große Blöcke abgesprengt werden und beim nächsten Auftauen stürzen. Der Fels, von Rissen ganz durchzogen, wird in Trümmer gelegt. Jeder Sonnenstrahl bringt ein Tauen, jeder Schatten ein Gefrieren. Die Tiefe, bis zu der sich die Wirksamkeit des Spaltenfrostes fühlbar macht, wird stets bedeutender. Das entstehende Eis presst auf das Wasser; dies kann nach oben nicht ausweichen, hier ist ja die Fuge zugefroren. Nach den Seiten und nach unten dringt es in feinste Spältchen und lockert selbst die Grundfesten der Berge. Es ist leicht verständlich, dass die Höhen in der Nähe der Schneegrenze, das ist einer Linie, über der täglich Frost und Wärme wechseln, über der der Winterschnee im Sommer nicht mehr schmilzt, am stärksten dieser Art von Verwitterung ausgesetzt sind; dass uns hier wegen der raschen Arbeit nach der Tiefe vornehmlich schroffe Formen mit steilen Gehängen entgegentreten. In dieser Region, die sich so scharf durch das Ausmaß der Abtragung, durch die davon abhängenden Bergformen vom Mittelgebirge unterscheidet, dürfen wir auch am ehesten gewaltsame Steigerungen der zerstörenden Prozesse erwarten. Diese Region ist das Hochgebirge.
Eine wesentliche Förderung zersetzender Vorgänge ist in der Tätigkeit der Organismen zu erblicken. Die Alpen gliedern sich nach ihrer Höhe in Gebiete, in denen Kulturpflanzen gebaut werden können, in denen Laubwald, Nadelwald gedeiht. Darüber folgen die Matten und Almwiesen und noch höher oben, bis zur Schneegrenze reichend, vereinzelt auch im Gebiete ewigen Schnees, finden sich die niedersten Pflanzen wie Algen und Flechten. Besonders die letztgenannten spielen für die Aufschließung des Bodens eine sehr wichtige Rolle. Selbst in die allerhärtesten Gesteine dringen durch Ritzen und Fugen feine Wurzelfäserchen und eröffnen dem eindringenden Wasser neue Bahnen. Die Organismen scheiden aber auch organische Säuren ab, die lösend auf alle Mineralien wirken. Chemisch und mechanisch beteiligen sich so die Pflanzen an der Zerstörung der Gesteine, an der Bildung der Ackerkrume (Humus), die ja aus nichts anderem besteht als aus den Verwitterungsprodukten der Gesteine, unter die sich Zersetzungsreste der Pflanzen, faulende, organische Stoffe mengen. Haben erst einmal die Flechten, die Vorposten organischen Lebens im Hochgebirge, eine Spur von Humus geschaffen, so siedeln sich bald höhere Pflanzen an. Ein Felsblock, der etwa durch einen Bergsturz in die Waldregion geraten ist, wird bald von Farnkräutern und Gräsern bevölkert, und schließlich gedeihen hier auch Sträucher und Bäume. Diese Urbarmachung unfruchtbaren Bodens ist von hervorragender Bedeutung namentlich in wirtschaftlicher Hinsicht: das Wohl und Wehe ganzer Täler, vieler Dörfer hängt oft davon ab, ob die Berghänge bewaldet sind oder nicht. Doch davon später!
Das Ergebnis der Verwitterung ist ein recht verschiedenes. Wer einmal den Adamello, eine vergletscherte Gebirgsgruppe des westlichen Südtirols, durchstreift hat, wird mit Verwunderung der eigenartigen Beschaffenheit der schroffen, kühn geformten Hörner und Grate gedenken (s. den Vordergrund Tafel 5). Gigantisch türmen sich lose Blöcke zu der feinen Schneide des Berges und erheischen äußerste Vorsicht, weil oft eine nur leichte Berührung genügt, um einen Gesteinskoloss hinabdonnern zu lassen. Das ist das Werk der Verwitterung: entlang den Klüften im Gestein ging die Zerstörung rasch vor sich, immer mehr wurden Quadern des einst festgefügten Felsens voneinander gesondert, bis schließlich die an Ort und Stelle herausgewitterten Blöcke den „Blockgipfel“ bildeten. Natürlich braucht es nicht des Menschen, um die Trümmer abwärts wandern zu lassen. Im selben Maße, wie die Auflösung fortschreitet, verlieren die zu oberstliegenden Felsbrocken das Gleichgewicht; eine Erschütterung, etwa hervorgerufen durch Wind, die Belastung durch Schnee, die Lufterschütterung durch eine abgehende Lawine genügen, die labilen Trümmer abstürzen zu lassen. Sie sammeln sich am Fuß der schroffen Wände zur Blockhalde.
Eine wesentliche Förderung zersetzender Vorgänge ist in der Tätigkeit der Organismen zu erblicken. Die Alpen gliedern sich nach ihrer Höhe in Gebiete, in denen Kulturpflanzen gebaut werden können, in denen Laubwald, Nadelwald gedeiht. Darüber folgen die Matten und Almwiesen und noch höher oben, bis zur Schneegrenze reichend, vereinzelt auch im Gebiete ewigen Schnees, finden sich die niedersten Pflanzen wie Algen und Flechten. Besonders die letztgenannten spielen für die Aufschließung des Bodens eine sehr wichtige Rolle. Selbst in die allerhärtesten Gesteine dringen durch Ritzen und Fugen feine Wurzelfäserchen und eröffnen dem eindringenden Wasser neue Bahnen. Die Organismen scheiden aber auch organische Säuren ab, die lösend auf alle Mineralien wirken. Chemisch und mechanisch beteiligen sich so die Pflanzen an der Zerstörung der Gesteine, an der Bildung der Ackerkrume (Humus), die ja aus nichts anderem besteht als aus den Verwitterungsprodukten der Gesteine, unter die sich Zersetzungsreste der Pflanzen, faulende, organische Stoffe mengen. Haben erst einmal die Flechten, die Vorposten organischen Lebens im Hochgebirge, eine Spur von Humus geschaffen, so siedeln sich bald höhere Pflanzen an. Ein Felsblock, der etwa durch einen Bergsturz in die Waldregion geraten ist, wird bald von Farnkräutern und Gräsern bevölkert, und schließlich gedeihen hier auch Sträucher und Bäume. Diese Urbarmachung unfruchtbaren Bodens ist von hervorragender Bedeutung namentlich in wirtschaftlicher Hinsicht: das Wohl und Wehe ganzer Täler, vieler Dörfer hängt oft davon ab, ob die Berghänge bewaldet sind oder nicht. Doch davon später!
Das Ergebnis der Verwitterung ist ein recht verschiedenes. Wer einmal den Adamello, eine vergletscherte Gebirgsgruppe des westlichen Südtirols, durchstreift hat, wird mit Verwunderung der eigenartigen Beschaffenheit der schroffen, kühn geformten Hörner und Grate gedenken (s. den Vordergrund Tafel 5). Gigantisch türmen sich lose Blöcke zu der feinen Schneide des Berges und erheischen äußerste Vorsicht, weil oft eine nur leichte Berührung genügt, um einen Gesteinskoloss hinabdonnern zu lassen. Das ist das Werk der Verwitterung: entlang den Klüften im Gestein ging die Zerstörung rasch vor sich, immer mehr wurden Quadern des einst festgefügten Felsens voneinander gesondert, bis schließlich die an Ort und Stelle herausgewitterten Blöcke den „Blockgipfel“ bildeten. Natürlich braucht es nicht des Menschen, um die Trümmer abwärts wandern zu lassen. Im selben Maße, wie die Auflösung fortschreitet, verlieren die zu oberstliegenden Felsbrocken das Gleichgewicht; eine Erschütterung, etwa hervorgerufen durch Wind, die Belastung durch Schnee, die Lufterschütterung durch eine abgehende Lawine genügen, die labilen Trümmer abstürzen zu lassen. Sie sammeln sich am Fuß der schroffen Wände zur Blockhalde.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Naturgewalten im Hochgebirge
Naturgewalten im Hochgebirge Tafel 005 Adamellogruppe, Südtirol, Im Vordergrund Blockgipfel
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