Allgemeine Erscheinungen der Abtragung im Hochgebirge
Wollen wir für die katastrophalen Ereignisse im Hochgebirge, wie Bergstürze, Lawinen usw., tieferes Verständnis gewinnen, so müssen wir uns zunächst mit den Vorgängen vertraut machen, die von der Geologie als Abtragung der Erdoberfläche bezeichnet werden.
Es erscheint uns, die wir das Gebirge betreten, dass die gewaltigen Felsmassen, die kühnen Zacken, die Grate, die gletschergeschmückten Hörner, die sich mit den grünen Matten, den bewaldeten und besiedelten Tälern zu einem reizvollen Bilde zusammenfügen, etwas Beständiges, von jeher Gewesenes seien. Und sicher vergehen Zeiträume, in denen sich die Geschicke von Völkern erfüllen, ohne dass wir eine Änderung in den Bergformen oder gar ein Werden und Vergehen von Gebirgen wahrnehmen könnten. Der Maßstab der Zeit, den wir an die Vorgänge in der Natur legen müssen, ist ein anderer als der unseres Lebens, unserer Geschichte. — Selbst wenn wir in die Hochregion der Alpen wandern, wenn wir bewohnte Täler verlassen, wenn die Wälder und Matten durchstiegen sind, wenn die Stätten jeglichen organischen Lebens tief unter uns liegen, — vollkommene Stille, absolute Leblosigkeit finden wir auch in den „Fels- und Eiswüsten“ des Gebirges nicht. Freilich wird uns der Gedanke fremdartig erscheinen, dass das Ausschlagen des fallenden Steines, das Rieseln der Wasseradern, das Rollen der Blöcke im Bach, dass dies unscheinbare Geschehen eine Äußerung der Zerstörung ist, einer Zerstörung, die, langsam aber stetig wirkend, den „ewigen“ Fels, ja das ganze Gebirge vergehen lassen wird.
Fassbarer wird der Gedanke beim Anblick der Schuttmassen, die in hohen Kegeln den Sockel der Felswände umsäumen, wenn wir die Trümmer eines Bergsturzes betrachten, wenn wir die Wälle von Blöcken sehen, welche die Ränder der Gletscher begleiten. Welche Kräfte sind hier wirksam? Wie kann denn die Zertrümmerung der Felsen geschehen?
Viele Faktoren, wie Gesteinsbeschaffenheit, Temperatur, sind wirksam; die wichtigste Rolle kommt zweifellos dem Wasser zu, das als Regen oder Schnee (Niederschläge) fällt. Verfolgen wir seinen Lauf. Erst in größerer Höhe, wo die Temperatur geringer ist als in den Niederungen, verdichten sich die ständig dem Meere, den Seen und Flüssen entsteigenden Wasserdünste zu Wolken. Und je geringer die Temperatur, desto stärker diese Verdichtung, bis das Wasser wieder als Schnee oder Regen zur Erde fällt. Der Höhe kommt also eine erhebliche Bedeutung zu, wenn wir die Niederschlagsmengen der Gebirge mit denen der Ebene vergleichen. Wie sich der Atemhauch an kalten Gegenständen in Wassertröpfchen abscheidet, so müssen auch die feuchten Winde am Hochgebirge den Wasserdampf verlieren. Als Schnee fällt das Wasser und sammelt sich in der Hochregion, während das Regenwasser tieferer Landschaften in den Boden sickert und abfließt. Unsere Hochalpen empfangen aber nicht ausschließlich Schnee, sondern in den warmen Sommermonaten auch Regen. Die Regen- und Schmelzwässer der Schneeregion wollen wir zuerst in ihrer Wirksamkeit verfolgen. Das Wasser besitzt in hohem Grade die Fähigkeit, feste Körper aufzulösen. Nahezu alle Mineralien, die unsere Gesteine zusammensetzen, sind löslich, wenn auch in sehr verschiedenem Grade. Der Kalkstein, der mächtige Bergzüge, weite Gebiete der Alpen aufbaut — erinnern wir uns nur der „nördlichen und südlichen Kalkalpen“ —, ist verhältnismäßig leicht löslich: in jeder Quelle kann Kalk nachgewiesen werden. Aber auch Stoffe wie Quarz, Feldspäte, die Mineralien, die ihrem chemischen Bestand nach Silikate genannt werden, sind in Wasser löslich. Freilich würden wir vergeblich versuchen, ein Stück Quarz aufzulösen; die Natur hat aber einen mächtigen Helfer: die Zeit, die sie vollbringen lässt, was wir vergeblich unternehmen. Der Lösung und Zersetzung (Umwandlung unter dem Einfluss des Wassers) sind alle Gesteine unterworfen, weil die wenigen Bestandteile, Minerale, die sie aufbauen, der zerstörenden Kraft erliegen. So mannigfaltig die Gesteine unserer Alpen seien, sie alle zeigen Spuren lösender und zersetzender Einwirkung. Wir brauchen nur einen Block mit dem Hammer anzuschlagen, um feststellen zu können, dass ein frischer, unveränderter Kern von einer andersgefärbten, oft mürben Rinde umgeben ist. Jeder Block, jede Felswand, jedes Stück aus einer Schutthalde ist von der Verwitterung angegriffen, teilweise zerstört worden.
Aber nicht nur diese chemische Einwirkung entfaltet ihre Tätigkeit. Zahllose Klüfte, Spalten, haarfeine Risse durchziehen den Fels. Das sind die Bahnen, auf denen das Wasser eindringt, bis tief unter die Gesteinsoberfläche zu sickern vermag und neben den geschilderten Vorgängen noch hilft, eine andere Arbeit zu verrichten: die mechanische Verwitterung. Durch sie findet keine Veränderung der Substanz, nur eine Umlagerung der Teile, ein Zerfall in größere, kleinere Blöcke, eine Auflösung in staubfeine Partikelchen statt. Gleich werden wir sehen, dass dabei die Gegensätze: heiß und kalt, trocken und nass, gefroren und geschmolzen, die Hauptrolle spielen.
Zunächst die Temperaturgegensätze: ein Gesteinsstück, das erwärmt wird, dehnt sich aus, bei raschem Abkühlen zieht es sich wieder zusammen. Die Oberfläche des Steines, die mit dem Träger der Wärme oder Kälte, der Luft, in unmittelbarer Berührung ist, folgt naturgemäß der Temperaturschwankung am unmittelbarsten; der Kern dehnt sich langsamer aus, schrumpft langsamer zusammen als seine Hülle. Tritt nun rasche Abkühlung ein, sagen wir durch das Verschwinden der Sonne hinter einer Wolke, so wird die Gesteinsoberfläche rasch kleiner, rascher als das Gesteinsinnere. Die Hülle wird zu klein, sie muss platzen. Wirklich können wir auch das Abspringen größerer oder kleinerer Felsbrocken gerade mit Einbruch der Dämmerung im Hochgebirge beobachten. Polternd stürzen die Trümmer zur Tiefe. Begreiflicher weise wird das Abbröckeln dann leicht erfolgen, wenn das Innere eines Felsblockes gleichsam nicht Zeit hat, sein Ausdehnen oder Schrumpfen den Volumenänderungen der Rinde anzupassen. Rasch müssen die Gegensätze von warm und kalt einander folgen. Dies ist im Hochgebirge der Fall. Drückend heiß brennt die Sonne auf Fels und Gletscher und ladet nicht ein, auf dem heißen Gestein zu rasten. Abends kommt die Abkühlung: rieselndes Wasser erstarrt. An glühend-heißen Felsen, deren Berühren tagsüber fast unangenehm war, wachsen nun Eiszapfen herab. Tag und Nacht, Sommer und Winter bringen in ständigem Wechsel die starke Sonnenbestrahlung (Insolation) und die eisige Kälte. Selbst in geringerer Höhe gefriert im Sommer das Wasser allnächtlich, und wir, die wir untertags wohlige Wärme empfunden haben, werden überrascht durch das Frösteln zur Dämmerstunde. Gerade weil im Hochgebirge Hitze und Kälte in rascher Aufeinanderfolge wechseln, überwiegt dort die mechanische Verwitterung. Sie arbeitet schnell zur Tiefe, schafft steile „Hochgebirgsformen“ und lässt den Schutt in den Tälern sich häufen. Die scharfen Grate, Hörner, die pittoresken Zacken, die jähen Wände, an deren Fuß sich Halden loser Gesteinstrümmer lehnen, sind das Bild, das die mechanische Verwitterung schafft (Tafel 2).
Es erscheint uns, die wir das Gebirge betreten, dass die gewaltigen Felsmassen, die kühnen Zacken, die Grate, die gletschergeschmückten Hörner, die sich mit den grünen Matten, den bewaldeten und besiedelten Tälern zu einem reizvollen Bilde zusammenfügen, etwas Beständiges, von jeher Gewesenes seien. Und sicher vergehen Zeiträume, in denen sich die Geschicke von Völkern erfüllen, ohne dass wir eine Änderung in den Bergformen oder gar ein Werden und Vergehen von Gebirgen wahrnehmen könnten. Der Maßstab der Zeit, den wir an die Vorgänge in der Natur legen müssen, ist ein anderer als der unseres Lebens, unserer Geschichte. — Selbst wenn wir in die Hochregion der Alpen wandern, wenn wir bewohnte Täler verlassen, wenn die Wälder und Matten durchstiegen sind, wenn die Stätten jeglichen organischen Lebens tief unter uns liegen, — vollkommene Stille, absolute Leblosigkeit finden wir auch in den „Fels- und Eiswüsten“ des Gebirges nicht. Freilich wird uns der Gedanke fremdartig erscheinen, dass das Ausschlagen des fallenden Steines, das Rieseln der Wasseradern, das Rollen der Blöcke im Bach, dass dies unscheinbare Geschehen eine Äußerung der Zerstörung ist, einer Zerstörung, die, langsam aber stetig wirkend, den „ewigen“ Fels, ja das ganze Gebirge vergehen lassen wird.
Fassbarer wird der Gedanke beim Anblick der Schuttmassen, die in hohen Kegeln den Sockel der Felswände umsäumen, wenn wir die Trümmer eines Bergsturzes betrachten, wenn wir die Wälle von Blöcken sehen, welche die Ränder der Gletscher begleiten. Welche Kräfte sind hier wirksam? Wie kann denn die Zertrümmerung der Felsen geschehen?
Viele Faktoren, wie Gesteinsbeschaffenheit, Temperatur, sind wirksam; die wichtigste Rolle kommt zweifellos dem Wasser zu, das als Regen oder Schnee (Niederschläge) fällt. Verfolgen wir seinen Lauf. Erst in größerer Höhe, wo die Temperatur geringer ist als in den Niederungen, verdichten sich die ständig dem Meere, den Seen und Flüssen entsteigenden Wasserdünste zu Wolken. Und je geringer die Temperatur, desto stärker diese Verdichtung, bis das Wasser wieder als Schnee oder Regen zur Erde fällt. Der Höhe kommt also eine erhebliche Bedeutung zu, wenn wir die Niederschlagsmengen der Gebirge mit denen der Ebene vergleichen. Wie sich der Atemhauch an kalten Gegenständen in Wassertröpfchen abscheidet, so müssen auch die feuchten Winde am Hochgebirge den Wasserdampf verlieren. Als Schnee fällt das Wasser und sammelt sich in der Hochregion, während das Regenwasser tieferer Landschaften in den Boden sickert und abfließt. Unsere Hochalpen empfangen aber nicht ausschließlich Schnee, sondern in den warmen Sommermonaten auch Regen. Die Regen- und Schmelzwässer der Schneeregion wollen wir zuerst in ihrer Wirksamkeit verfolgen. Das Wasser besitzt in hohem Grade die Fähigkeit, feste Körper aufzulösen. Nahezu alle Mineralien, die unsere Gesteine zusammensetzen, sind löslich, wenn auch in sehr verschiedenem Grade. Der Kalkstein, der mächtige Bergzüge, weite Gebiete der Alpen aufbaut — erinnern wir uns nur der „nördlichen und südlichen Kalkalpen“ —, ist verhältnismäßig leicht löslich: in jeder Quelle kann Kalk nachgewiesen werden. Aber auch Stoffe wie Quarz, Feldspäte, die Mineralien, die ihrem chemischen Bestand nach Silikate genannt werden, sind in Wasser löslich. Freilich würden wir vergeblich versuchen, ein Stück Quarz aufzulösen; die Natur hat aber einen mächtigen Helfer: die Zeit, die sie vollbringen lässt, was wir vergeblich unternehmen. Der Lösung und Zersetzung (Umwandlung unter dem Einfluss des Wassers) sind alle Gesteine unterworfen, weil die wenigen Bestandteile, Minerale, die sie aufbauen, der zerstörenden Kraft erliegen. So mannigfaltig die Gesteine unserer Alpen seien, sie alle zeigen Spuren lösender und zersetzender Einwirkung. Wir brauchen nur einen Block mit dem Hammer anzuschlagen, um feststellen zu können, dass ein frischer, unveränderter Kern von einer andersgefärbten, oft mürben Rinde umgeben ist. Jeder Block, jede Felswand, jedes Stück aus einer Schutthalde ist von der Verwitterung angegriffen, teilweise zerstört worden.
Aber nicht nur diese chemische Einwirkung entfaltet ihre Tätigkeit. Zahllose Klüfte, Spalten, haarfeine Risse durchziehen den Fels. Das sind die Bahnen, auf denen das Wasser eindringt, bis tief unter die Gesteinsoberfläche zu sickern vermag und neben den geschilderten Vorgängen noch hilft, eine andere Arbeit zu verrichten: die mechanische Verwitterung. Durch sie findet keine Veränderung der Substanz, nur eine Umlagerung der Teile, ein Zerfall in größere, kleinere Blöcke, eine Auflösung in staubfeine Partikelchen statt. Gleich werden wir sehen, dass dabei die Gegensätze: heiß und kalt, trocken und nass, gefroren und geschmolzen, die Hauptrolle spielen.
Zunächst die Temperaturgegensätze: ein Gesteinsstück, das erwärmt wird, dehnt sich aus, bei raschem Abkühlen zieht es sich wieder zusammen. Die Oberfläche des Steines, die mit dem Träger der Wärme oder Kälte, der Luft, in unmittelbarer Berührung ist, folgt naturgemäß der Temperaturschwankung am unmittelbarsten; der Kern dehnt sich langsamer aus, schrumpft langsamer zusammen als seine Hülle. Tritt nun rasche Abkühlung ein, sagen wir durch das Verschwinden der Sonne hinter einer Wolke, so wird die Gesteinsoberfläche rasch kleiner, rascher als das Gesteinsinnere. Die Hülle wird zu klein, sie muss platzen. Wirklich können wir auch das Abspringen größerer oder kleinerer Felsbrocken gerade mit Einbruch der Dämmerung im Hochgebirge beobachten. Polternd stürzen die Trümmer zur Tiefe. Begreiflicher weise wird das Abbröckeln dann leicht erfolgen, wenn das Innere eines Felsblockes gleichsam nicht Zeit hat, sein Ausdehnen oder Schrumpfen den Volumenänderungen der Rinde anzupassen. Rasch müssen die Gegensätze von warm und kalt einander folgen. Dies ist im Hochgebirge der Fall. Drückend heiß brennt die Sonne auf Fels und Gletscher und ladet nicht ein, auf dem heißen Gestein zu rasten. Abends kommt die Abkühlung: rieselndes Wasser erstarrt. An glühend-heißen Felsen, deren Berühren tagsüber fast unangenehm war, wachsen nun Eiszapfen herab. Tag und Nacht, Sommer und Winter bringen in ständigem Wechsel die starke Sonnenbestrahlung (Insolation) und die eisige Kälte. Selbst in geringerer Höhe gefriert im Sommer das Wasser allnächtlich, und wir, die wir untertags wohlige Wärme empfunden haben, werden überrascht durch das Frösteln zur Dämmerstunde. Gerade weil im Hochgebirge Hitze und Kälte in rascher Aufeinanderfolge wechseln, überwiegt dort die mechanische Verwitterung. Sie arbeitet schnell zur Tiefe, schafft steile „Hochgebirgsformen“ und lässt den Schutt in den Tälern sich häufen. Die scharfen Grate, Hörner, die pittoresken Zacken, die jähen Wände, an deren Fuß sich Halden loser Gesteinstrümmer lehnen, sind das Bild, das die mechanische Verwitterung schafft (Tafel 2).
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Naturgewalten im Hochgebirge
Naturgewalten im Hochgebirge Tafel 002 Trafoiergletscher, Ortlergruppe, Gletscherzungen mit starker Zerklüftung
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