Singapore und Batavia. - Nach E. Haffter, Brief aus dem fernen Osten. 1898.

Die Einfahrt in die Straße von Malakka brachte uns ein überraschend schönes Bild. Die Straße wird immer enger; gegen Osten sieht man die Küsten der Halbinsel mit der Stadt gleichen Namens, die in englischem Besitz ist. Dann führt der Weg durch eine wunderbar schöne, grüne, reiche Inselwelt; immer tauchen neue, schönere, üppiger bewachsene Eilande auf, oft scheint die Vegetation direkt dem Meere zu entsprießen. Bald sieht man auch im Schatten von überhängenden Baumkronen und Palmen malayische Dörfer, Pfahlbauten, deren Bewohner mit Fischen, Netzeflechten u. a. beschäftigt sind. Schon ist auf einem noch ziemlich weit entfernten und durch vorgeschobene Inseln zum Teil verdeckten Hügel der Flaggstock von Singapore sichtbar, an dessen riesigem Maste die ankommenden Schiffe durch Aufhissen der verschiedenen Flaggen signalisiert werden. Unser Schiff windet sich, von Piloten gelenkt, zwischen einzig schönen, durch kleinere, aber stets grüne, hügelige Inseln hindurch, und plötzlich liegt vor unseren Augen die Reede von Singapore, von Schiffen aller Nationen besetzt, und eingerahmt von Docks, Lagerhäusern, den durch kleinere Landzungen von einander getrennten Anlegeplätzen und Quais der verschiedenen Dampfschiffgesellschaften. Langsam nähert sich unser Schiffskoloß dem ins Meer hinausgebauten hölzernen Weg; die Brücke wird gelegt und wenige Minuten später führt uns ein bequemer Wagen zu dem herrlichen Hügel Lady Hill.

Ein erfrischender Regen, wie er in Singapore fast jeden Tag fällt, hat die Luft etwas abgekühlt und man atmet mit Leichtigkeit, so daß man vergißt, in der Nähe des Äquators zu sein. Hier haben Heinrich Heines träumender Fichtenbaum und die trauernde Palme ihre Sehnsucht gestillt und sich zusammengefunden. Der paradiesische Hügel ist von Fruchtbäumen, Wellingtonien, australischen Nadelhölzern, Fächer-, Sago-, Areko-, Kokosnußpalmen, Kaffeebäumchen, riesigen Orchideen, Ananas, Tapioka, den schönsten Begonien und Crotonpflanzen belebt. Sechzehn Gärtner pflegen dies Eldorado und halten es in Ordnung. Ein Teil des Hügels ist mit wildem, urwaldähnlichem Gestrüpp bedeckt. Hier schlummert auch ein kleiner See, der den stolzen Namen »Vierwaldstättersee« trägt. Eine kleine Erhöhung in seiner Nähe nennt sich »Rigi«.


Von hier aus überblickt man die neun Quadratmeilen große Insel mit ihrer reizenden Hügelformation. Noch vor neunzig Jahren war Singapore ein unbekanntes malayisches Fischerdorf; den eben aufblühenden Handel mit China und Japan vermittelte Batavia, die Hauptstadt Javas, das damals vorübergehend in englischen Händen lag. Als aber Java im Wiener Frieden den Holländern wieder zugesprochen wurde, beschloß der frühere Generalgouverneur, Sir Stamford Raffles, aus Singapore, dessen günstige Lage er sofort erkannte, einen Konkurrenzhafen für Batavia zu machen. England kaufte die Insel dem Rajah von Johere ab und schuf einen Freihafen, der seither zu einem Zentrum des Welthandels geworden ist.

Vom Festlands Malakka wird die Insel durch eine Meerenge getrennt, die so schmal ist, daß sie z. B. keine Abwehr gegen Tiger bildet. Sie schwimmen mit Leichtigkeit herüber, werden aber durch den lebhaften Verkehr mehr und mehr abgehalten. Während noch Hildebrandt, der Singapore 1862 besuchte, erzählt, daß daselbst fast täglich ein Eingeborener den Tigern zum Opfer falle, ist heutzutage eine Begegnung mit diesem Raubtiere eine Seltenheit.

Die Sehenswürdigkeiten von Singapore sind bald abgetan. Reizend ist der botanische Garten, in dem jeden Samstag Abend eine englische Militärkapelle ein Konzert veranstaltet. Da sieht man die elegante europäische Welt, aber auch vornehme Araber und chinesische Krösusse Korso fahren. Das Museum enthält außer einer hübschen Schlangensammlung viel verwahrlosten, schlecht geordneten Kram. Längere Fußtouren zu machen ist in Singapore nicht statthaft; die Anstrengung ist für den Europäer zu groß. Es gibt daher viel Mietkarren (Palankins) mit kleinen Pferdchen und hindostanischen Kutschern. Viele lassen sich auch auf zweiräderigen Handkarren von Chinesen ziehen. In den malayischen Quartieren sieht man richtige Pfahlbaudörfer von unbeschreiblichem Schmutz und Gedränge; zur Zeit der Flut stehen sie im Wasser, während der Ebbe in schmierigem Schlamm. Auf Entfernung bietet es eines der interessantesten und schönsten Landschaftsbilder, und was unsere Altertumsforscher mühsam aus verkohlten Bruchstücken zusammenleimen und -reimen, sieht man hier leibhaftig vor sich.

Nach dreitägigem Aufenthalt beschloß ich, mich morgens 4 Uhr auf dem französischen Dampfer Emirne nach Batavia einzuschiffen, über den Äquator hinüberzurutschen und mir ein tropisches Eiland anzusehen, von dessen Wundern ich schon viel gelesen hatte. Die Entfernung beträgt etwa 480 Seemeilen. Das Meer ist wegen der vielen verborgenen Klippen schwierig zu befahren und hat schon manches Schiff verschlungen. Ein ordentlicher Dampfer braucht 2½ Tage; unser Kasten aber keuchte und rumpelte noch am Abend des vierten Tages auf offener See, näher der Insel Sumatra als unserem Reiseziele. Die Ursache dieses Schneckenganges war vom Kapitän nicht zu erfragen. Endlich erfuhr ich von einem Maschinisten niederster Ordnung, einem gebürtigen »Mülhäuser« die vertrauenerweckende Mär, daß der Dampfkessel sehr defekt sei; man dürfe daher nur mit halber Spannung arbeiten, damit es keine Explosion gebe. Mit diesem süßen Geheimnis suchte ich mich nachmittags in den Schlaf zu lullen. Zum guten Glück war das Meer glatt wie ein Spiegel. Um 4 Uhr passierten wir den Äquator. Am folgenden Tag brachte mir der Elsäßer, unter dem Siegel der größten Verschwiegenheit und als Gegenleistung mein Zigarrenetui leerend, die frohe Kunde, daß der Dampfkessel nun glücklich einen Riß habe und der vapeur zum falschen Loch hinausströme. Wir warfen daher in der Nacht Anker und das Hämmern und Klopfen im Maschinenraum war das einzige Geräusch, das die nächtliche Stille störte. Andern Tags nahm unser Schiff seinen Kurs auf und zwar zu meiner Überraschung mit vermehrter Geschwindigkeit von acht Meilen in der Stunde.

Endlich gelangten wir in den Bereich der Vorposten von Batavia, einer Anzahl kleiner, herrlicher Inseln, die bunt zerstreut die gewaltige Bai gegen das offene Meer abschließen, alle unbewohnt und von der holländischen Regierung an einen Chinesen verpachtet, der sie von Zeit zu Zeit befährt, um ihre Erzeugnisse einzuheimsen.

In Batavia angelangt, wählte ich einen Dos-à-Dos, einen jener leichten, zweiräderigen Karren, in denen der Reisende von hinten einzusteigen hat und dem vorne sitzenden Kutscher den Rücken kehrt. Da ich einstieg, bevor der malayische Mann seinen Platz inne hatte, wurde durch mein respektables Körpergewicht die Deichsel so in die Höhe geschnellt, daß der kleine javanische Gaul verzweifelte Anstrengungen machen mußte, um auf dem Boden zu bleiben. Mit dem Rücken voraus fuhr ich nun zunächst ins Geschäftsquartier von Batavia ein und betrachtete das bunte Leben auf den Straßen und Kanälen. Von da ging's in Begleitung eines Landsmanns, der mich auf dem schweizerischen Konsulat begrüßt und sich als Gast eingeladen hatte, nach dem europäischen Viertel. Als wir das chinesische Quartier passierten, tönte uns aus dem Hofraum eines gewaltigen Privathauses ein betäubender Lärm entgegen. Hier feierte ein reicher Chinese schon seit drei Monaten seine Hochzeit. Wir traten ein. Im weiten Hofe trafen wir ein buntes Gedränge: Schauspieler, Musikbanden, im Zuschauerraum eine Menge Volks, das mit Tabakspfeifen und Tee regaliert wurde; außerdem Gruppen von Tänzerinnen, Gauklern, Verkäufern, Garküchen, kurz ein Bild wie auf einem Volksfest. Vor der Mitte des Hauses, in luftiger Veranda saß, müde vom Genießen und verdrossen der junge reiche Chinese, umgeben von seinen Freunden und Schmeichlern, wie ein Fürst von seinem Hofstaate. Durch die geöffneten Türen sah man in das Innere des Hauses, in prunkvolle mit schwerseidenen Draperien ausgeschlagene Räume, mit Kostbarkeiten zum Erdrücken angefüllt. Der chinesische Krösus hatte täglich 1000 Gulden zu verzehren, ist aber noch lange nicht der reichste Bezopfte in Java. In Samarang lebt ein chinesischer Kaufmann, der auf 60 Millionen Gulden geschätzt wird, und doch war sein Vater noch ein armer Hausierer.

Halb betäubt vom Lärm setzten wir unsere Fahrt fort, und erhielten schon bei dieser Gelegenheit einen interessanten Gesamteindruck. Batavia, das im Jahr 1600 von den Holländern gegründet wurde, hat ein sehr ungesundes Klima, und deshalb sind in der Altstadt nur noch Kontore und Lagerhäuser, Wohnungen der Chinesen und Eingeborenen; während Regierungsgebäude, Kasernen und Privatwohnungen der Europäer sich in Weltevrede befinden. Des Morgens wandert die ganze Geschäftswelt teils per Eisenbahn und Dampftram, teils in eigener Equipage nach der alten Stadt; abends aber verödet sie; der Kaufmann fährt nach der Neustadt zurück und erholt sich in ihren herrlichen Gärten und Anlagen von der Unbill der Tagesarbeit.

Ganz Batavia ist von Kanälen durchzogen. In Weltevrede sind die Straßen breit angelegt; die Häuser sind von einander getrennt, luftig, in prächtigen Gärten, ein-, höchstens zweistöckig, haben platte Dächer und reizende Veranden. Gegen die Straßen sind die Gärten mit schneeweißen, luftig durchbrochenen Mauern abgeschlossen. Alles glänzt in holländischer Reinlichkeit. Nur die Kanäle sind mit trübgelbem, träge dahinschleichendem Wasser gefüllt, das die Auswurfstoffe der Stadt mit sich führt. Das hindert die Eingeborenen nicht, tagtäglich in dieser Brühe zu baden; jederzeit und überall an der offenen Straße sieht man badende Männer, Weiber und Kinder. Die Erwachsenen verstehen es sehr geschickt, ohne alle Verletzung des Anstandes und mit einer gewissen Grazie vor den Zuschauern sich ihrer Kleider zu entledigen. Sie tauchen dann mit dem nämlichen Behagen in die trübe Sauce, wie wir in kristallhelle Fluten. Ja sie trinken sogar dieses Wasser und meiden das reine, wenn auch laue Wasser, das die Regierung durch artesische Brunnen gewonnen hat.

Eine merkwürdige Erscheinung ist das sogenannte Amoklaufen. Wie in Indien kommt es nicht selten vor, daß ein Eingeborener durch Fieber oder Eifersucht die Herrschaft über sich selbst verliert, in rasender Wut sein Messer zieht, und in wütendem Lauf wie ein toller Hund die Straßen durchrennt und alles Lebende, das ihm begegnet, niedersticht. Her Ruf »Amok« ist einer der gräßlichsten, die man hören kann, und bewirkt eine augenblickliche Panik. Die Polizisten sind deshalb mit Instrumenten versehen, mit denen sie auf die Gefahr aufmerksam machen und mit einer Art von Heugabel, mit der sie den Läufer so lange gegen eine Mauer drücken, bis er unschädlich gemacht werden kann. Gelingt dies nicht, so rennt er fort, bis er tobend und schäumend zusammenbricht. Die Wut, mit der sich der Pöbel über diese Unglücklichen hermacht und sie zerfleischt, soll grauenhaft sein. Jedermann hat das Recht, ja die Pflicht, einen Amokläufer niederzumachen.

Doch weg von diesen gräßlichen Szenen zu freundlicheren Bildern. Da ist die javanische Frau, die mit wahrhafter Hoheit, das Haupt stolz in den Nacken geworfen, einherschreitet. Auch das arme Weib in Lumpen gleicht in Gestalt und Haltung einer Juno. Die dichten, glänzend schwarzen Haare sind in einfach schönen Knoten geschlungen, um die Hüfte liegt der bunte Sarong; den Oberkörper deckt eine Jacke oder ein Oberkleid aus leichtem Baumwollenzeug; die schön geformten Füße sind unbekleidet. Ein reizendes Bild gewährt eine junge Mutter, die ihren zweijährigen Jungen, der nur mit einer roten Mütze bekleidet ist, auf der Hüfte trägt. Rittlings sitzt er, von einer Tuchschleife gehalten, da und blickt trotzig und kühn in die Welt hinaus.

Die männlichen Eingeborenen sind sehr fleißig. Man sieht sie mit schweren Lasten durch die Straßen rennen. Sie tragen dieselben an langen Bambusstäben aufgehängt über den Schultern.

Ein wichtiges Element im Straßenleben von Batavia ist der Chinese, der in allen Stufen vom Millionär bis zum Kuli anzutreffen ist. Man erkennt ihn sofort an seinem Zopf. Der vornehme Chinese trägt einen übertriebenen Luxus zur Schau. Von zehn Fingern sind neun mit goldenen, brillantblitzenden Ringen besetzt. Vier breite Goldstreifen an einem Finger sind keine Seltenheit. Der junge reiche Chinese ist ein Stutzer erster Klasse und weiß mit seinem Zopf ebenso zu kokettieren wie ein Pariser Pflastertreter mit seinem Spazierstöckchen.

Wie überall sind die Chinesen auch in Batavia nur geduldet. Sie sind die Blutsauger des Landes, die Wucherer; der Kleinhandel ist ganz in ihrer Hand. Verschmitztheit und Zudringlichkeit sind ihre hervorstechendsten Eigenschaften.

Die holländische Armee bietet ein klägliches Bild. Beim ersten Anblick der Kavallerie dachte ich eine Gesellschaft verkleideter Affen auf Zirkuspferden zu sehen. Sie zählt etwa 30 000 Mann, wovon ein Drittel Europäer sind; die übrigen sind Eingeborene, die barfuß gehen und in Uniformen so häßlich und unmilitärisch als möglich sich ausnehmen. Trotz der Höhe des Soldes wird es Holland immer schwerer, die nötigen Anwerbungen in Europa zu machen; denn die Anforderungen, namentlich die klimatischen, sind ungeheuer, und die wenigsten kommen wieder heim. Leider stellen die Schweizer immer noch ein großes Kontingent, wenn auch die Zahl mehr und mehr abnimmt, Jammerbriefe von Eltern, die ihre Söhne zurück haben wollen, sind nicht selten, wirken aber nur dann, wenn sie mit 2500 Francs beschwert sind. Die holländische Regierung erlaubt den Soldaten, sich in den Kasernen »Weiber« zu halten. Etwaigen Kindern ist als Schlafstätte der Platz unter den Betten angewiesen. Ich überlasse es dem Leser, sich ein Bild von der Disziplin und dem Leben in solchen Kasernen zu entwerfen und beschränke mich darauf, zu sagen, daß ich dieses Institut nicht nur vom moralischen, sondern auch vom hygienischen und militärischen Standpunkt aus verabscheuen lernte. Wie im dreißigjährigen Krieg erklärten die Soldaten vor Abmarsch in den Krieg: Wir gehen nur, wenn unsere Weiber auch mitdürfen. Es nutzte alles nichts; die Weiber mußten in gehöriger Zahl herbeigeschafft werden, und die »stramme« Truppe ging mit Familie an Bord.

Rings um den Koningsplein führt eine breite, mit Waringinbäumen eingefaßte Straße; an ihr liegen die schönsten öffentlichen Gebäude, so der Palast des Gouverneurs, das Museum und ein Kranz herrlicher Gärten. Wir bogen in eine Seitenstraße ein; noch einige Minuten und wir hielten vor einem freundlichen, inmitten eines Gartens gelegenen Hause mit großer, offener Veranda längs der ganzen Fassade. »Mer send derheim«, sagte mein freundlicher Begleiter und verschwand, die Herrin des Hauses zu holen.