Aus Turkestan über den Himalaja nach Indien. - Nach Younghusband, the heart of a continent 1896.

Im Jahr 1887 unternahm der englische Kapitän Younghusband eine Reise von Peking nach Indien. Nach einem Marsch durch die Wüste Gobi durchzog er das chinesische Turkestan, besuchte die Städte Kaschgar und Jarkand und wandte sich dann südwärts den Gebirgen zu, die das chinesische und indische Land trennen. Ganz Turkestan ist seiner Beschreibung nach eine Wüste mit einzelnen kultivierten Flecken längs der Flüsse, die von den Bergen herabströmen. Ohne diese Oasen gäbe es kein ungastlicheres Land. Aber diese Oasen bieten einen ganz anderen Anblick dar. Mit einemmale findet sich der Reisende in der einladendsten Umgebung, kühle, schattige Wege mit Wasserläufen in jeder Richtung, auf allen Seiten, soweit man sehen kann, Feld an Feld mit reifendem Getreide, nur unterbrochen durch Obstgärten und kleine Dörfer. Alles ist im Überfluß vorhanden: herrliches Obst und Weizen, der billiger ist als in Indien. Das Klima ist auch hier kontinental: heiße Sommer und kalte Winter. Die Bevölkerung führt in ihrer Abgeschlossenheit ein sorgloses, behagliches Dasein. Es ist ein Geschlecht von Ackerbauern und kleinen Kaufleuten, nichts sonst; politische Unruhen sind nie von der Bevölkerung des Landes selbst ausgegangen.

In Jarkand, der letzten Stadt in Turkestan, traf der Reisende seine Vorbereitungen für den Gebirgsübergang. Ein Reisender, der ihm kurze Zeit vorangegangen und über den Karakorumpaß nach Leh im Industal gereist war, Oberst Bell, schrieb ihm, er möge statt dieses wohlbekannten, wenig interessanten Passes den direkten Weg über den noch unerforschten Mustagh-Paß nach Baltistan und Kaschmir versuchen.


Wohlausgerüstet mit den nötigen Begleitern, einer Anzahl Ponys, Kleidern aus Schafsfellen für die Menschen und Vorräten an Lebensmitteln machte sich Y. auf den Weg. Aus einem Dorf auf der andern Seite des Passes hatte er einen trefflichen Führer Wali gewonnen. Bald ging es in die Bergwelt hinein, zunächst auf mäßigen Höhen über das Kuenlungebirge ins Tal des oberen Jarkandflusses, dann ging es in einem Seitental weiter nach Süden. Der Gebirgswall, der vor ihnen lag, schien bald jede Möglichkeit des Weiterkommens zu verwehren. Plötzlich öffnete sich ein Seitental und es wurde möglich, ohne Mühe eine neue Paßhöhe zu erreichen. Schon hier zeigte sich den Reisenden eine unvergleichliche Aussicht. In gewaltigen Reihen standen riesenhafte Berge, zu den höchsten der Welt gehörig, Spitzen von 6000, 7000, ja 8000 Meter Höhe vor ihnen, noch getrennt durch ein tief eingeschnittenes Tal, in das nun der Weg hinabführte. Es waren die Höhen des dem Himalaja nah verbundenen Mustagh oder Karakorum-Gebirges. Y. bezeichnet übrigens den Namen Karakorum (= schwarzer Kies) als so ziemlich den unpassendsten Namen, den man einem Gebirge der höchsten Schneeberge der Welt geben konnte; Mustagh dagegen heißt zutreffend Eisberg. Über dieses Gebirge galt es nun hinüberzukommen. Bald hatten die Reisenden in nächster Nähe zur linken Hand einen riesenhaften Berg, ohne Zweifel den zweithöchsten der Erde, den Dapsang (8600 Meter hoch) vor sich. Bald kamen sie an einen großen Gletscher, der von dem Mustaghpaß herunterfloß. Lassen wir nun den Reisenden selbst erzählen.

Als wir gegen den Mustaghpaß anstiegen, begannen meine wirklichen Schwierigkeiten erst recht. Meine Führer hatten das Gebirge vor Jahren überschritten. Seitdem war ein ungeheurer Gletscher vorgerückt und versperrte vollständig das Tal mit Eis und Gerölle. Bei der ersten Annäherung sah es aus wie ungeheure Haufen von Steinen und Felstrümmern, 2 – 300 Fuß hoch. Schon so schien es schwer, die Ponys hinaufzubringen. Wie erstaunt war ich, als ich bei näherem Zusehen fand, daß es Massen von festem Eis waren, die nur leicht mit einer dünnen Schichte von felsigen Trümmern bedeckt waren, und als ich den höchsten der Hügel erstieg und fand, daß das nur das Ende einer Reihe solcher Höhen war, die sich ununterbrochen meilenweit bis zu dem Schneefeld am Fuße des Passes erstreckte. Drei Tage schleppte ich meine Ponys über diese schauderhafte Bahn. Zweimal gab ich es auf, sie mitzunehmen, und befahl, sie zurückzuführen, um sie auf einem bequemeren Paß nach Ladak zu führen, während ich mit wenig Männern allein weiter marschieren wollte. Zweimal nahm ich den Kampf wieder auf und brachte sie endlich unter unerhörten Anstrengungen zu dem Schneefeld im höheren Teile des Gebirges. Von Tagesanbruch an bis nach Einbruch der Nacht war ich auf meinen Beinen, mußte zuerst vorangehen und den Weg ausforschen, dann zurückkehren und die Karawane nachholen und bei der großen Höhe, in der wir uns befanden, wurde man von diesem Marschieren furchtbar erschöpft. Bei Nacht lag ich auf dem Boden unter freiem Himmel, warm eingewickelt in meinen Schlafsack von Schafsfell.

Am dritten Tag des eigentlichen Aufstiegs sandte ich zwei Männer voraus, den Paß zu erkunden. Sie kamen bei Nacht zurück und sagten, daß der Paß, der sonst für Ponys gangbar gewesen war, jetzt infolge der Ansammlung des Eises völlig unpassierbar sei und daß wir jetzt gar nichts tun können, als den anderen, den eigentlichen Mustaghpaß zu überschreiten und aus dem oberen Teil des Skardudistrikts auf der andern Seite eine Anzahl Leute herüberzuholen, um für die Ponys einen Weg zu bahnen. Der Paß führt über die Hauptkette des Grenzgebirges zwischen dem chinesischen und indischen Gebiet, über die Wasserscheide zwischen den Flüssen Turkestans und denen zum indischen Ozean und ist in der Tat einer der höchsten und schwierigsten dieser Gebirgspässe.

Der Weg hinauf war leicht genug, da er über ein weiches Schneefeld führte. Doch kamen wir nur langsam voran, da das Atmen in dieser Höhe von gegen 6000 Meter äußerst erschöpfend war. Alle zwölf oder zwanzig Schritte mußten wir stehen bleiben und, auf unsere Stöcke gelehnt, nach Luft schnappen. Endlich um Mittag war die Höhe erreicht. Was wir aber vor uns sahen von dem Weg abwärts, war nichts als ein steiler Felsabhang. Da hinunterzukommen schien ganz unmöglich. Ich hatte keine Erfahrung im Alpenbesteigen, hatte keine Eispickel oder andere Geräte für Bergwanderungen bei mir. Ich hatte nicht einmal geeignete Stiefel; nur Stiefel, wie sie die Eingeborenen tragen, von weichem Leder, ohne Nägel und Absätze, eigentlich nur Lederstrümpfe, die in keiner Weise auf der eisigen Oberfläche einen Halt gaben. Ich gestehe offen, daß ich selbst nie den Abstieg versucht hätte. Was unser Unternehmen rettete, war dies, daß ich den Mund hielt. Ich blieb ganz still, indem ich über den Paß hinsah und wartete, was meine Leute sagen würden. Diese sahen auf mich, und in der Annahme, daß ein Engländer nie zurückgeht, wenn er etwas unternommen hat, nahmen sie es als selbstverständlich an, daß ich, da ich keinen Befehl zum Zurückgehen gab, vorwärts zu gehen dachte. Wir hatten eine gewöhnliche Axt bei uns. Wali ging damit voran, während wir übrigen hinterdrein gingen, alle an einem Seil, das um seinen Leib befestigt war, um ihn zu halten, falls er ausglitte, während er in den Eisabhang Stufen hieb. Es war zunächst ein steiler Abhang von hartem Eis, der etwa dreißig Ellen unter uns endigte mit einem jähen Abhang zu einem tief unten liegenden Gletscher. Wir schritten langsam den Eisabhang schief abwärts zu einer Felsenklippe, an der wir zum Gletscher hinuntersteigen mußten. Es war schwer, über den Eisabhang hinzugehen und kühl und fest zu bleiben. Von unserem Standpunkte aus konnten wir nur über den Rand des Abhangs weg den Gletscher sehen, der viele Hunderte von Fuß unten lag. Einige der Leute waren so leichtsinnig, daß sie die losgehauenen Eisstücke mit dem Fuß hinabstießen und über ihre Sprünge lachten, und doch standen wir an einem Abhang so steil wie ein Hausdach. Wir hatten keine Pickel, um uns einen Halt zu geben; obgleich wir Handtücher und dergleichen um die Schuhe banden, war mir's doch klar, daß, wenn einer von uns ausglitte – und das Eis war sehr schlüpfrig – wir übrigen nimmermehr im stande gewesen wären, ihn mittelst des Seiles zu halten und aller Wahrscheinlichkeit nach wir alle den Eisabhang hinabgezogen worden wären und dann über den Abgrund in die Ewigkeit. Auswendig blieb ich kühl und heiter, so gut ich konnte, aber innerlich schauderte es mich bei jedem neuen Schritt. Unterwegs blieb einer meiner Diener aus Ladak schaudernd stehen, so daß ich ihm sagen mußte, er solle zu den Ponys zurückgehen.

Endlich erreichten wir das Ende des Eisabhangs und befanden uns an einem aus dem Eis hervorragenden Felsvorsprung. Wir waren jetzt oben an einem felsigen Abhang, an dem wir nun hinabsteigen sollten zu Eisabhängen, die zu dem Gletscher am Fuß des Passes führten. In der Höhe, in der wir uns befanden, wo Schnee und Eis mitunter Hunderte von Fuß dick ist, kommt der nackte Fels nur an sehr steilen Stellen zum Vorschein. So hatten wir auch hier einen fast senkrechten Abhang hinunterzusteigen. Das einzige Günstige war, daß er rauh und zerrissen war, und so für Hand und Fuß wenigstens einigen Halt bot. Doch war er selten für die ganze Hand oder den ganzen Fuß groß genug; meist konnten wir nur mit den Fingerspitzen und einem Teil des Fußes uns halten. Meine Leute waren so freundlich, womöglich meinen Fuß zu einem sicheren Halt zu leiten und oft noch mit ihren Händen zu stützen. Gegen diesen Abstieg war der obere Eisabhang das reinste Kinderspiel. Langsam arbeiteten wir uns hinab, immer zugleich in der Furcht, daß die Felsenvorsprünge, an denen wir uns hielten und die sehr brüchig waren unter unserem Gewicht nachgeben möchten.

Endlich erreichten wir ohne Mißgeschick den Fuß des Felsabhangs. Es folgte ein langer Eisabhang zu dem Gletscher hinunter. An drei Stellen durchbrach hier der Fels das Eis und darnach bestimmten wir unsere Abstiegslinie. Wir banden, was wir Brauchbares hatten, zu einem möglichst langen Seil zusammen und ließen daran einen Mann zu dem ersten vorspringenden Felsen hinunter, wobei er unterwegs Stufen ins Eis hauen mußte. Wir banden dann das Seil an ein Felsstück oben fest an und kamen einzeln den Abhang hinab, indem wir uns an das Seil hängten und die gehauenen Stufen benutzten. So ging es verhältnismäßig leicht hinab. Nur einer glitt unterwegs aus und fiel; er wäre verloren gewesen, wenn es ihm nicht noch gelungen wäre, das Seil mit einer Hand zu ergreifen. So stiegen wir dreimal hinab und erreichten endlich eine Strecke, wo der Abhang weniger steil war, so daß wir, ohne Tritte ins Eis zu hauen, vorwärts gehen konnten. Endlich, eben als die Sonne unterging, erreichten wir den Gletscher. Wir waren in Sicherheit. Sechs Stunden lang waren wir herabgestiegen den Fels und Eisabhang, und als ich jetzt zurücksah, schien es mir völlig unmöglich, daß ein Mensch hier sollte heruntergekommen sein. Das letzte und größte Hindernis in meiner Reise war überwunden. Augenblicke wie diese haften für immer in der Erinnerung, Augenblicke voll erleichterten Aufatmens und voll tiefer Dankbarkeit für den Erfolg, der uns gewährt worden war. Ich warf einen letzten Blick auf den Paß, der nie vorher und seither von einem Europäer gesehen worden ist, und dann ging's vorwärts, den Gletscher abwärts, um einen trockenen Fleck zur Nachtruhe zu finden. Die Sonne war untergegangen, aber glücklicherweise umgab uns eine Fülle von Licht und die Nacht war wunderbar schön. Der Mond war fast voll, der Himmel wolkenlos und in dem Amphitheater schneebedeckter Berge und auf der Eisfläche des Gletschers war nicht ein Fleck, der nicht im reinsten Weiß gestrahlt hätte. Unbekümmert um die Gefahren, die immer noch um uns verborgen waren, zogen wir auf dem Gletscher dahin. Erst als einer meiner Leute verschwand und wir ihn nach einigem Suchen, glücklicherweise unbeschädigt, aus einer Gletscherspalte herausgezogen hatten, wurden wir vorsichtiger. Um 11 Uhr nachts erreichten wir ein schneefreies Stück Land und machten Halt für die Nacht. Gehölz gab es nicht, nur ein wenig Wurzeln von Unkraut; wir mußten ein paar von unsern Stöcken zerbrechen, um ein kleines Feuer für unsern Tee zu machen. Der letzten Tage Qual war groß gewesen; an diesem Tag waren wir 18 Stunden ununterbrochen auf den Füßen gewesen. Jetzt war das Schlimmste vorüber und wir schliefen auch, wie nach solchem Tagewerk zu erwarten war.

Noch drei schwere Tage lagen vor uns, bis wir das nächste Dorf Askoli erreichen konnten. Wir mußten aufbrechen, ohne etwas Warmes genießen zu können, weil wir kein Feuer machen konnten. Dazu gingen unsere Vorräte rasch auf die Neige. Die Umgebung auf der Weiterreise war überaus großartig. Da sahen wir den Baltorogletscher, den größten Gletscher der Welt, vier Bergspitzen mit über 8000 Meter Höhe erhoben ihre schneeigen Häupter über ihm. Aber trotz der unübertroffenen Erhabenheit und Großartigkeit der Gegend konnte ich nur noch daran denken, so rasch als möglich einen bewohnten Platz zu erreichen. Es war eine qualvolle Wanderung, da meine Stiefel durchgelaufen waren und ich teilweise mit meinen bloßen Füßen über die scharfen Steine und die Felsentrümmer des Gletschers gehen mußte, immer wieder ausgleitend, fallend, Ellbogen und Hände verletzend. Am zweiten Tage dieser Wanderung erreichten wir das Ende des Gletschers. Am dritten Tag kamen endlich die grünen Bäume und Felder des Dorfs Askoli in Sicht. Aber es ging äußerst langsam auf dem rauhen und steinigen Weg voran, bis wir endlich um vier Uhr das ausnehmend schmutzige Dorf mit seinen übelgesinnten Einwohnern erreichten. Doch konnte ich von hier aus den über dem Paß zurückgebliebenen Leuten die nötigen Vorräte zusenden.

Nach einem vergeblichen Versuch, auch den andern Mustaghpaß zu erforschen, wurde der Weg nach Kaschmir und dem Pandschab fortgesetzt. Wir stiegen hinab in das Schigartal. Die Mühen gingen nun zu Ende. Zu Pferd konnte ich jetzt durch das herrliche Tal, das mit Dörfern und Hunderten von Aprikosenbäumen in der bunten Färbung des Herbstes bedeckt war, zwischen den rauhen Gebirgswänden, deren Höhen mit ewigem Schnee bedeckt waren, bei herrlichem Sonnenschein unter einem tiefblauen Himmel meinen Weg fortsetzen. Ein letzter Paß von 3200 Meter Höhe wurde überschritten; als wir auf der Südseite herabkamen, fanden wir alle Bergabhänge mit Wald bedeckt. Es war eine ebenso überraschende als angenehme Veränderung. Von Jarkand her waren alle Berge kahl und ohne jeden Baumwuchs gewesen. Jetzt hatten wir die Südabhänge des Himalaja erreicht, über die sich die Regengüsse des Monsun ergießen. Durch das schön bewaldete Sindtal mit seinen Wiesen und Fichtenwäldern, seinen rauschenden Bächen und schneebekleideten Bergspitzen kamen wir nach Erinagar, der malerischen, aber schmutzigsten aller Städte. Die Schwelle der Zivilisation war hier betreten. Zu den angenehmsten Überraschungen, die mir hier zuteil wurden, gehörte ein Telegramm von General Sir Frederick Roberts, der mir seine Glückwünsche zu der glücklichen Vollendung meiner Reise entbot.