1. Eine bulgarische Sage. (Aus Strauß, Die Bulgaren S. 6 fg.)

Im Anfange gab es weder Erde, noch Menschen; überall war nur Wasser; und es gab nur Gott und Satan, die zusammen lebten. Da sprach einmal Gott zu Satan: „Erschaffen wir Erde und Menschen!“ — „Erschaffen wir sie,“ versetzte Satan, „aber woher sollen wir uns Erde holen?“ — Gott antwortete: „Unter dem Wasser ist Erde! Steige hinab und hole etwas Erde herauf!“ — „Gut!“ antwortete der Satan. — „Bevor du aber ins Wasser hinabtauchst,“ sagte Gott, „mußt du sprechen: ,Mit Gottes Kraft und mit meiner!' dann wirst du des Wassers Grund erreichen und Erde finden!“ Der Satan ließ sich in das Wasser hinab, sagte aber nicht: „Mit Gottes Kraft und mit meiner!“ sondern er sprach: „Mit meiner Kraft und mit der Gottes!“ Deshalb konnte er nicht auf den Grund des Wassers gelangen. Er kehrte unverrichteter Dinge zu Gott zurück. Zum zweiten Male machte er es ebenso und konnte abermals den Grund des Wassers nicht erreichen. Als er sich aber zum dritten Male auf den Weg machen mußte, da sagte er schon: „Mit Gottes Kraft und mit meiner!“ Und er erreichte den Grund, von dem er mit seinen Fingernägeln ein wenig Erde nahm. Diese Erde warf dann Gott auf das Wasser hin, und nun entstand die Erde. Als nun Satan die große weite Erde sah, verfiel er auf den hinterlistigen Gedanken, Gott einzuschläfern, ihn dann ins Wasser zu stürzen, die ganze Erde allein in Besitz zu nehmen und sich als Erschaffer der Erde rühmen zu lassen. Gott wußte freilich den Plan des Satans und legte sich nieder, als ob er sich dem Schlafe übergeben wolle. Der Satan ergriff' nun Gott und trug ihn zum großen Wasser, um ihn in die Tiefe zu werfen. Als er ans Ufer gelangte, begann das Land rasch zu wachsen, so daß er das Wasser auf keine Weise erreichen konnte; er wandte sich nun zu einem anderen Ufer, konnte aber auch dieses aus demselben Grunde nicht erreichen. Und als er auch von einer dritten Seite her infolge des Wachsens der Erde das Wasser nicht erreichen konnte, so ließ er Gott auf die Erde gleiten und legte sich auch neben ihn hin. Nachdem er kurze Zeit lang geschlafen hatte, ergriff er abermals Gott und trug ihn in einer vierten Richtung zum Wasser; da aber auch hier das Land sofort zu wachsen begann, so konnte er auch in dieser Richtung das Wasser nicht erreichen. Er weckte nun Gott auf, indem er rief: „Steh auf, Gott, damit wir die Erde segnen! Siehe, wie sehr sie in der Zeit gewachsen ist, in der wir geschlafen haben!“ Gott versetzte hierauf: „Als du mich nach vier Richtungen hin getragen hast, um mich ins Wasser zu werfen, und dabei mit meinem Körper ein Kreuz beschriebst, da habe ich die Erde dadurch schon gesegnet, damit sie Wachse und gedeihe.“ Dies ärgerte nun den Satan, und er verließ Gott. — Als Gott allein blieb, und die Erde fortwährend wuchs, so daß sie von der Sonne schon nicht mehr bedeckt werden konnte, da erschuf Gott von seinem Geiste Engel und sandte den Kriegsengel zum Satan, um ihn zu befragen, was er tun solle, damit das Wachsen der Erde aufhöre. In der Zwischenzeit aber hatte sich der Teufel eine Ziege gemacht, und als er nun zu Gott ging, da ritt er auf dem Rücken dieser Ziege, der er aus Erde einen Bart gemacht hatte. Seit dieser Zeit haben die Ziegen bis auf den heutigen Tag Bärte. Als die Engel den Teufel auf der Ziege einherreiten sahen, da lachten sie ihn aus; er ärgerte sich darüber und ritt zurück. In diesem Augenblicke erschuf Gott eine Biene, zu der er also sprach: „Fliege sofort dem Satan auf die Schulter und behorche ihn bei seiner Rede; kehre dann zurück und verständige mich!“ Die Biene flog nun dem Satan auf die Schulter, als dieser eben zu sich selber sprach: „Üh, dieser dumme Gott. Er weiß nicht, daß er einen Stock zu nehmen, damit nach allen vier Seiten hin die Erde zu bekreuzigen und zu sagen hat: ,So viel Erde ist nun genug!' Er weiß eben nicht, was er zu machen hat!“ — Als die Biene dies vernommen hatte, da flog sie von der Schulter des Satans hinweg. Dieser drehte sich um, bemerkte die Biene und sagte: „Der soll dich essen, der dich ausgesendet hat!“ — Als die Biene zu Gott kam, so erzählte sie genau alles, was der Satan gesprochen hatte. Gott tat nun also, und die Erde hörte auf zu wachsen. Zur Biene aber sprach Gott: „Süßeres, denn du, soll es nicht geben!“ — Hierauf machte Gott aus Kot Menschen; und als sich diese auf der Erde gar sehr vermehrt hatten und zu sterben begannen, da berief Gott den Satan zu sich, damit er mit ihm zusammen lebe. Der Satan kam und zwar unter der Bedingung, daß die lebenden Menschen Gott, die toten aber dem Satan gehören sollen. Damit die Menschen nicht so rasch hinwegsterben, so ließ sie Gott 200 bis 300 Jahre lang leben. Als aber nach längerer Zeit Gott bemerkte, daß es mehr tote als lebende Menschen gab, da wollte er den mit Satan geschlossenen Vertrag abändern, wußte aber nicht, wie er dies anstellen solle. Er fragte in dieser Sache bei mehreren Menschen um Rat nach, wie z. B. bei Abraham, Moses und Joseph, er fragte auch die Engel, — aber niemand konnte es ihm sagen, wie er diesen Vertrag vernichten könne. Die Menschen fragten nun den Satan über diese Angelegenheit aus. Dieser sagte: „Gott allein kann den Vertrag nicht brechen; wenn er aber von seinem Geiste einen Sohn erschafft, der aber nicht so ist, wie die anderen Menschen, so wird der den Vertrag auflösen.“ Als dies nun Gott mitgeteilt wurde, da dachte er nach, wie er denn von seinem Geiste einen Sohn machen könne. Er konnte sich aber dies nicht ausdenken; deshalb fragte er selber den Satan, wie er aus seinem Geiste einen Sohn machen könne. Der Satan versetzte: „Das geht gar leicht! Nimm Basilienblumen und binde dir daraus einen Strauß; lege denselben unter dein Polster und schlafe darauf eine Nacht, indem du dir dabei denkst, daß dir ein Sohn vom Gottesgeiste geboren werden wird. Wenn du dann aufstehst, so trage den Strauß zur unbefleckten, jungfräulichen, bescheidenen Maria, der Schwester des Jordan, damit sie ihn berieche; davon wird sie dann schwanger werden!“ — Gott machte es also, wie es ihm der Satan gesagt hatte, und sandte dann den Engel Gabriel mit dem Basilienstrauß zur jungfräulichen, bescheidenen Maria.

Es folgt eine Episode von Maria und ihrem Bruder Jordan, *) dann Christi Geburt und die Lösung jenes Gemeinschaftsverhältnisses zwischen Gott und Satan, das bis dahin 800.000 Jahre gedauert hatte. Christus fordert die Toten für sich, da ja der Vertrag, der die Toten dem Satan, die Lebendigen Gott zuerteilte, nur mit Gott dem Vater, nicht mit Gott dem Sohne abgeschlossen sei. Endlich wird Christi Ende erzählt. Der Teufel stiftet die Juden an, ihn zu verfolgen.





*) Darüber Dragomanov, Sbornik X, S. 34.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Natur Sagen - Band 1 - Sagen zum Alten Testament