Napoleon zu Moskau 1812

Autor: Dumas, Alexander (1802-1870) französischer Theater- und Roman-Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1840
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Franzosen, Russen, Napoleon, Moskau, Feldzug 1812, russischer Winter, Borodino, Kutusow
Aus: Gelehrte und gemeinnützige Beiträge aus allen Teilen der Wissenschaften. Band 1. Nr. 6. Rostock 12. Februar 1840. S. 72, 88


Am 1. April 1810 vermählte sich Napoleon mit Marie Louise, Erzherzogin von Österreich; elf Monate später verkündigten 101 Kanonenschüsse der Welt die Geburt eines Thronerben. — Eine der ersten Folgen, welche die Verbindung Napoleons mit dem Hause Lothringen hatte, war, dass eine Kälte zwischen ihm und dem Kaiser von Russland eintrat, der, wenn man dem Doktor O’Meare Glauben schenken darf, ihm seine Schwester, die Großfürstin Anna, hatte antragen lassen. Von 1810 ab hatte Alexander, der sich das Reich Napoleons näher rücken sah wie einen anschwellenden Ozean, seine Armem vergrößert und sich wieder an Großbritannien angeschlossen.
Das ganze Jahr 1811 verstrich in fruchtlosen Unterhandlungen, die, so wie sie sich zerschlugen, einen nahen Krieg immer wahrscheinlicher machten; auch begann man auf beiden Seiten sich darauf zu rüsten, ehe er noch erklärt war. Preußen stellte Napoleon laut einem Traktat vom 24. Februar 20.000, und Österreich laut einem Traktat vom 14. März 30.000 Mann; Italien und der Rheinbund nahmen ihrerseits Teil an diesem großen Unternehmen, das Eine mit 25.000, der Andere mit 80.000 Kombattanten. Ein Senatus-Consultus endlich teilte die Nationalgarde in drei Heerlager für den Dienst des Inner ein: das erste derselben, das mit zum aktiven Dienst verwandt werden sollte, stellte dem Kaiser, außer der riesigen Armee, die nach dem Niemen im Anmarsch war, 100 Kohorten, jede zu 4.000 Mann, zur Verfügung. — Am 9. März ging Napoleon von Paris ab, nachdem er zuvor dem Herzog von Bassano den Befehl erteilt hatte, den Gesandten des Zars, Fürsten Kurakin, möglichst lange auf seine Pässe warten zu lassen. Diese Maßregel, die auf den ersten Anblick die Hoffnung zum Frieden durchschimmern ließ, hatte in der Wirklichkeit nur den Zweck, Alexander über die eigentlichen Pläne seines Feindes in Ungewissheit zu lassen, damit dieser ihn überrumpeln und unversehens über seine Armee herfallen könne. Es war dies die gewöhnliche Taktik Napoleons, und sie gelang ihm auch wie immer. Der Moniteur zeigte bloß an, dass der Kaiser von Paris abreise, um die große Armee an der Weichsel in Augenschein zu nehmen, und dass die Kaiserin ihn bis nach Dresden begleiten werde, um ihrer erlauchten Familie einen Besuch abzustatten. Nachdem er dort vierzehn Tage lang geblieben war und, wie er es ihnen zu Paris versprochen, Talma und die Demoiselle Mars vor einem Parterre von Königen hatte spielen lassen, verließ Napoleon Dresden wieder und traf am 2ten Junius zu Thorn ein. Am 22. kündigte er seine Ankunft in Polen durch folgende, aus dem Hauptquartier Wilkowsky datierte, Proklamation an:

„Soldaten, Russland hat Frankreich ein ewiges Bündnis, England den Krieg geschworen, und nun bricht es seine Eide; es will sich über sein auffallendes Benehmen nicht eher erklären, als bis die französischen Adler über den Rhein zurückgegangen und sonach unsere Verbündeten in seine Diskretion gestellt worden sind. Hält es uns für entartet, wären wir nicht mehr die Soldaten von Austerlitz? Es stellt uns zwischen die Unehre und den Krieg: da ist an der Wahl nicht zu zweifeln. Lasst uns vorwärts gehen, den Riemen überschreiten, den Krieg auf russisches Gebiet übertragen: er wird den französischen Armeen glorreich sein. Der Friede, den wir schließen werden, wird dem verderblichen Einfluss ein Ende machen, den das moskowitische Kabinett seit fünfzig Jahren auf die europäischen Angelegenheiten ausübt.“

Die Armee, an welche Napoleon diese Worte richtete, war die schönste, die zahlreichste, die mächtigste, die er je befehligt hatte. Sie war in fünfzehn Corps abgeteilt, jedes unter dem Befehl eines Herzogs, eines Fürsten, oder eines Königs, und sie bildete eine Masse von 400.000 Mann Infanterie, 70.000 Mann Cavallerie und 1.000 Feuerschlünden. Sie brauchte drei Tage zu ihrem Übergange über den Niemen, der am 23., 24. und 25. Junius bewerkstelligt wurde. Napoleon blieb einen Augenblick nachdenkend und unbeweglich auf dem linken Ufer dieses Flusses stehen, wo der Kaiser Alexander ihm drei Jahre früher eine ewige Freundschaft zugeschworen hatte. Dann ihn seinerseits überschreitend, sagte er: „Die Russen lassen sich durch ihr Geschick fortreißen, so möge denn das Schicksal an ihnen in Erfüllung gehen!“ Seine ersten Schritte waren, wie immer, wahre Riesenschritte. Nach einem zweitägigen geschickten Marsch war die russische Armee überrumpelt und geworfen, und sah ein ganzes Armeecorps abgeschnitten. An den raschen, furchtbaren und entscheidenden Streichen Napoleon erkennend, ließ Alexander ihm nun sagen, er sei bereit, mit ihm zu unterhandeln, wenn er das eingenommene Terrain wieder räumen und nach dem Niemen zurückkehren wollte: ein Antrag, der Napoleon aber so sonderbar erschien, dass er ihn nur dadurch beantwortete, dass er den andern Tag in Wilna einzog. Dort verblieb er 21 Tage lang und setzte eine provisorische Regierung ein, während sich zu Warschau ein Reichstag versammelte, um Polen herzustellen; darnach brach er wieder zur Verfolgung der russischen Armee aus. Am zweiten Marschtage begann er über das Verteidigungssystem besorgt zu werden, zu welchem Alexander gegriffen hatte. Die Russen vernichteten auf ihrem Rückzuge die Ernten und die Häuser, die Schlösser wie die Bauernhütten. Es rückte eine Armee von 500.000 Mann in eine Wüstenei hinein, die in einer früheren Zeit Carl XII und dessen 20.000 Schweden keine Subsistenz hatte geben können. Vom Niemen bis nach Wilna zog man beim Schein der Brandgluten über Leichen und Trümmern einher.

In den letzten Tagen des Julius kam die Armee zu Witepsk an, schon verwundert über einen Krieg, der keinem andern ähnlich war; in welchem man auf leine Feinde stieß, und bei dem man nur mit den Geistern der Vernichtung zu tun zu haben schien. Selbst Napoleon sah, über einen Feldzugsplan verdutzt, den er nicht hatte voraussehen können, nur immense Wüsten vor sich, zu deren Ende zu gelangen er ein Jahr bedurft hätte, und wo jede Etappe, die er zurücklegte, ihn von Frankreich, dann von seinen Verbündeten und endlich von seinen Hilfsmitteln entfernte. Zu Witepsk angekommen, warf er sich erschöpft auf einen Sessel; darnach ließ er den Grafen Daru kommen, und sagte zu ihm: „Hier will ich bleiben, recht zur Besinnung kommen, meine Armee sich sammeln und erholen lassen, und dann Polen organisieren. Der Feldzug von 1812 ist zu Ende, der von 1813 wird ein Übriges tun. Ihre Sache ist es, uns hier mit Lebensmitteln zu versorgen, denn wir wollen es nicht so dumm machen als Carl XII.“ Dann sich an Murat wendend, setzte er hinzu: „1813 wird uns zu Moskau, 1814 zu St. Petersburg sehen: der russische Krieg wird ein dreijähriger sein.“ Es schien dies in der Tat von ihm beschlossen worden zu sein; aber seinerseits über diese Untätigkeit erschrocken, zeigte Alexander ihm endlich die Russen, die ihm bis dahin wie Gespenster entschlüpft waren. Gleich dem Spieler, der beim Klange des Goldes erwacht, kann Napoleon dem nicht widerstehen, er eilt hinter sie her, holt sie am 14. August zu Krasnoi ein und schlägt sie; am 18sten jagt er sie aus Smolensk, dass er in Flammen hinterlässt, und am 30sten bemächtigt er sich Wiazmas, dessen Magazine er zerstört findet. Seit man den Fuß auf russisches Gebiet gesetzt hat, deutet Alles darauf hin, dass es sich um einen großen nationalen Krieg handelt. Endlich erfährt Napoleon in dieser Stadt, dass die russische Armee einen andern Chef bekommen hat und sich anschickt, in einer Position, die sie eiligst verschanzt, eine Schlacht zu liefern. Der öffentlichen Stimme nachgebend, welche die Unfälle des Krieges der schlechten Wahl seiner Generale beimisst, verleiht Alexander den Oberbefehl dem General Kutusow, dem Besieger der Türken. Wenn einem öffentlichen Gerüchte zu glauben ist, so ist es der preußische Pfuhl gewesen, der die ersten Unfälle des Feldzuges verursacht hat, die dann durch Barclay de Tolly, auch ein Ausländer, vermöge seines ewigen Rückzugsystems, das nicht nach dem Geschmacke der reinen Moskowiten war, noch verschlimmert worden sind. Bei einem Nationalkriege muss es ein Russe sein, der das Vaterland rettet, und alle, vom Zar bis zum niedrigsten Leibeignen, stimmen in der Ansicht überein, dass nur der Sieger von Rudschuck und der Unterhändler von Bucharest im Stande sind, Russland zu erlösen. Seinerseits überzeugt, dass er, um seine Popularität bei der Armee und der Nation zu bewahren, uns erst eine Schlacht liefern müsse, ehe er uns nach Moskau kommen lasse, entschließt der neue General sich dazu in der Position, die er in der Nähe von Borodino genommen hat, und wo am 4ten September noch 10.000 kaum organisierte moskowitische Milizen zu ihm gestoßen waren. – Denselben Tag stößt Murat zwischen Gjatz und Borodino auf den General Konowitzin, der von Kutusow beauftragt worden ist, ein großes, durch einen Hohlweg gedecktes, Plateau zu behaupten. Konowitzin befolgt den ihm gegebenen Befehl aufs pünktlichste, und hält sich so lange, bis die der seinigen ums doppelte überlegenen Massen ihn gewissermaßen fortschieben und hinten weg gleiten lassen. Man folgt der blutigen Spur bis zu dem befestigten Kloster Kolostkoy: dort sucht er noch einmal Stand zu halten, muss aber, von allen Seiten überflügelt, sich auf Golowino retirieren, wo er bloß fast in Berührung mit der russischen Arriergarde. Einen Augenblick darnach erscheint Napoleon zu Pferde, und von der Höhe herab, auf der er sich befindet, übersieht er die ganze Ebene; die verheerten Dörfer, die unter die Füße getretenen Konfelder, die von Kosaken wimmelnden Gehölze überzeugen ihn, dass die Ebene, welche sich vor ihm ausbreiten, von Kutusow zum Schlachtfelde auserkoren worden ist. Hinter dieser ersten Linie, in drei Dörfern, in einer Ausdehnung von einer Stunde Weges, mit einem von Hohlwegen durchschnittenen Terrain und mit Gehauen untermischt, wimmelt es von Kriegsvolk: die ganze russische Armee steht dort, und wartet, was noch der Umstand beweist, dass sie über ihren linken Flügel hinaus, in der Nähe des Dorfes Schardino, eine Redoute hat aufwerfen lassen. – Napoleon ermisst den Horizont mit einem Überblick. Er sieht die beiden Ufer der Kaluga einige Lieues entlang; er weiß, dass dieser Fluss zu Borodino eine Biegung zur Linken macht, und wenn er auch die Anhöhen, die dies veranlassen, nicht gewahrt, so errät er sie doch und weiß nun, dass sich dort die Hauptstellung der russischen Armee befinden. Der Fluss lässt aber, indem er die äußerste Rechte des Feindes deckt, dessen Zentrum und linken Flügel bloß: nur dort ist ihm beizukommen; dort muss er also angegriffen werden. Zuvörderst ist es aber von Wichtigkeit, ihn aus der Redoute zu vertreiben, die seinen linken Flügel wie ein vorgeschobenes Werk beschirmt; von da ab ist dann auch seine Stellung besser zu rekognoszieren. Der General Compans erhält den Befehl, sie zu nehmen: dreimal stürmt er bis zu ihr heran, wird aber jedes mal wieder zurückgeschlagen; endlich gelingt ihm ein vierter Versuch und er setzt sich nun darin fest. Von da ab kann Napoleon endlich auf fast zwei Dritteile seines Umfanges das Schlachtfeld übersehen, auf welchem er manövrieren soll. Der Rest des Tages vom 5ten wird beiderseits zu Observationen verwandt: auf beiden Seiten rüstet man sich zu einer entscheidenden Schlacht. Die Russen bringen den ganzen Tag mit dem pomphaften griechischen Kultus zu und flehen im Gesange den heiligen Niewski um seinen allmächtigen Beistand an. Wohl an Te Deums aber nicht an Gebete gewöhnt, ziehn die Franzosen ihre detachierten Leute ein, verdichten ihre Massen, setzen ihre Waffen in gehörigen Stand und stellen ihre Kanonen auf. Die numerische Macht ist auf beiden Seiten fast völlig gleich: die Russen haben 130.000, wir 125.000 Mann. Der Kaiser campiert hinter der italienischen Armee, links der großen Heerstraße. Die alte Garde stellt sich im Carré um sein Zelt auf; die Wachtfeuer brennen: die der Russen bilden einen großen und regelmäßigen Halbkreis, die der Franzosen aber sind schwach, ungleich, ungeregelt, es ist den verschiedenen Corps noch kein bestimmter Platz angewiesen worden, und es fehlt ihnen an Holz. Die ganze Nacht hindurch fällt ein feiner, kalter Regen: der Herbst zeigt sich. Napoleon lässt den Fürsten von Neufchatel elfmal wecken, um ihm Befehle zuerteilen, und fragt ihn zugleich jedes mal, ob der Feind noch immer Willens scheine, Stand zu halten; dies macht, weil er mehrere Male im Schlafe in die Höhe gesprungen ist, aus Furcht, die Russen möchten ihm entwischen; es war ihm, als hätte er das Geräusch des Aufbruchs gehört; aber er hatte sich getäuscht, und nur das Licht des Tages hob den Schein der feindlichen Wachtfeuer auf. Um 3 Uhr Morgens setzt Napoleon sich zu Pferde und reitet, nur von einer schwachen Eskorte begleitet, in der Morgendämmerung verloren, auf halbe Schussweite längs der ganzen feindlichen Linie hin.

Um 4 Uhr kehrt der Kaiser in sein Lager zurück. Er findet den Herrn von Leausset vor, der ihm Briefe von Marie Louise und das von Gerard gemalte Portrait des Königs von Rom gebracht hat. Letzteres ist vor dem Zelte ausgehängt und von einem Kreise von Marschällen, Generalen und anderen Offizieren umstellt. — „Nehmt das Bild weg,“ sagt Napoleon, „das heißt ihm zu früh ein Schlachtfeld zeigen.“ — Ins Zelt zurückgekehrt, diktiert Napoleon seine Befehle. Um 4 Uhr tritt Rapp in das Zelt des Kaisers, und findet ihn das Haupt auf beiden Händen gestützt; er sieht sich dann um, und sagt:
„Nun, Rapp?"
„Sire, sie sind noch immer da."
„Es wird eine fürchterliche Schlacht werden! Rapp, glauben Sie an den Sieg?“
„Ja, Sire; aber er wird blutig sein."
„Ich weiß es,“
antwortet Napoleon; „aber ich habe 80.000 Mann, und wenn ich 20.000 verliere, bleiben mir noch 60.000, womit ich in Moskau einrücken werde; dort werden, was zurückgeblieben ist, so wie die Marschbataillons, zu uns stoßen, und dann sind wir wieder stärker als vor der Schlacht.“ — Man sieht, dass Napoleon bei der Zahl seiner Kombattanten weder seine Garde noch seine Kavallerie in Rechnung brachte; er will die Schlacht ohne sie gewinnen; sie soll durch die Artillerie entschieden werden. — In diesem Augenblicke ertönt Jubelgeschrei und der Ausruf: Es lebe der Kaiser! zieht sich die ganze Linie entlang. Bei den ersten Sonnenstrahlen wird den Soldaten folgende Proklamation, eine der schönsten, der freimütigsten und der bündigsten, die von Napoleon ausgegangen sind, vorgelesen:

„Soldaten, da habt Ihr die Schlacht, nach welcher Ihr Euch so sehr gesehnt habt; der Sieg hängt nur von Euch ab, und er ist notwendig: er wird uns Überfluss bringen, uns gute Winterquartiere und eine baldige Rückkehr ins Vaterland verschaffen. Zeigt Euch als die Männer von Austerlitz, von Friedland, von Witepsk und von Smolensk, und möge die späteste Nachwelt, wenn sie von uns spricht, sagen:

Er hat die große Schlacht unter den Mauern von Moskau mitgemacht!“


Kaum hat das Jubelgeschrei geendigt, als der immer ungeduldige Ney die Erlaubnis nachsuchen lässt, den Angriff zu beginnen. Sofort greift Alles zu den Waffen; ein Jeder schickt sich zu der großen Szene an, die über das Schicksal Europas entscheiden soll; die Adjutanten fliegen wie abgeschossene Pfeile nach allen Richtungen hin. — Um 10 Uhr abends eilt Murat, der sich seit 6 Uhr Morgens geschlagen, herbei, um anzuzeigen, dass der Feind in Unordnung die Moskowa passiere und ihm entrinnen werde; er hält noch einmal um die Garde an, die noch gar nicht ins Treffen gekommen ist, und mit der er die Russen zu überfallen und ihnen den Garaus zu machen verspricht. Aber Napoleon weigert sich dessen abermals und lässt sich so eine Armee entschlüpfen, die er einzuholen vorher eine so große Eile gehabt hatte. Den anderen Tag war sie gänzlich verschwunden und Napoleon Herr des graulichsten Schlachtfeldes geblieben, das vielleicht je existiert hat. Es lagen 60.000 Mann hingestreckt, von welchen uns ein Drittteil angehörte; es waren uns 9 Generale getötet und 34 verwundet worden. Unsere Verluste waren ungeheuer und ohne entsprechende Resultate. — Am 14. September rückte die Armee in Moskau ein.

In diesem Kriege sollte Alles düster sein, sogar die Triumphe. Unsere Soldaten waren gewohnt, in Hauptstädte einzuziehen, und nicht in Nekropole; aber Moskau sah einem ungeheuren Grabgewölbe ähnlich, überall verödet und schweigsam. Napoleon nahm seine Wohnung im Kreml und die Armee verbreitete sich in der Stadt: darnach ward es Nacht. — Mitten in der Nacht wurde Napoleon durch den Ruf: Feuer, Feuer! geweckt; der blutige Schein drang bis zu seinem Bette. Er lief ans Fenster: Moskau stand in Flammen. Ein erhabener Herostrat, hatte Rostopschin zugleich sich selbst verewigt und sein Vaterland gerettet. — Man musste diesem Flammen-Ozean, der wie eine Flut höher und höher stieg, entweichen. Am 16ten sah Napoleon, von Ruinen umgeben und von der Feuersbrunst eingehüllt, sich genötigt, den Kreml zu verlassen und sich in das Schloss Peteroskoy zurückzuziehen. Dort begann sein Kampf mit seinen Generalen, die ihm rieten, sich zurückzuziehen und die verderbliche Eroberung fahren zu lassen, während es noch Zeit sei. Bei dieser sonderbaren und ungewohnten Sprache weiß er nicht, was er tun soll, und schaute bald nach Paris, bald nach St. Petersburg hinüber; von der einen Metropole ist er 150, von der andern 800 Lieues entfernt; auf St. Petersburg losgehen, heißt seinen Sieg konstatieren, auf Paris zurückweichen aber seine Niederlage eingestehen. — Unterdessen tritt der Winter ein, der nicht mehr ermahnt, sondern der gebeut. Am 15., 16., 17. und 18. Oktober werden die Kranken auf Mojaisk und Smolensk geräumt; am 22sten verlässt Napoleon Moskau; am 23sten wird der Kreml gesprengt. Elf Tage lang geht der Rückzug ohne sehr große Unfälle vor sich, als plötzlich, am 7. November, das Thermometer von 5 auf 18 Grad unter Null fällt, und das 29ste Bulletin, vom 14ten datiert, berichtet nach Paris Unfälle, an welche die Franzosen nicht geglaubt haben würden, wenn nicht ihr Kaiser selber sie erzählt hätte. — Von diesem Tage ab ist es ein Unfall, der unseren größten Siegen gleichkommt: es ist der Cambyses, der in die Sandwüsten von Ammon geraten ist; der Xerxes, der in einem Nachen über den Hellespont zurückkehrt; Varo, der die Trümmer der Armee von Cannes nach Rom zurückbringt. Von den 70.000 Reitern, die über den Niemen gegangen sind, kann man kaum noch vier Compagnien, jede zu 150 Mann, bilden, um Napoleon als Eskorte zu dienen. Es ist dies das heilige Bataillon, in welchem die Offiziere als Gemeine, die Obersten als Unteroffiziere, die Generale als Kapitäne fungieren. Es hat einen Marschall zum Obersten, einen König zum General, und das Depôt, das ihm anvertraut ist, das Palladium, das es zu bewahren hat, ist ein Kaiser. — Wer da wissen will, wie es um den übrigen Teil der Armee stand, und was in diesen ungeheuren aufgeweichten Steppen, zwischen dem Schneehimmel, der schwer über ihm lag, und den gefrorenen Seen, die unter ihm zusammenbrachen, daraus geworden ist, der höre:

„Generale, Offiziere und Gemeine, alle waren gleich abenteuerlich angetan und marschierten unter und neben einander: das Übermaß des Unglücks hatte jeden Unterschied des Ranges verschwinden lassen; Kavallerie, Artillerie, Infanterie, alles war unter einander gemengt. Die Meisten hatten über ihren Schultern einen mit Mehl gefüllten Quersack hängen, und trugen an der Seite an einem Bindfaden einen Topf; andere führten Schatten von Pferden am Zaum, die mit Küchengerät und den ärmlichen Proviantvorräten bepackt waren. Diese Pferde selber waren ein Proviant, und ein um so kostbarerer Proviant, als man ihn nicht zu transportieren brauchte, so wie sie fielen, wurden sie von ihren Herren verzehrt. Man wartete, um sie zu zerlegen, es nicht einmal ab, bis dass sie völlig tot waren, sondern fiel gleich über sie her, so wie sie zusammenbrachen. — Die meisten der Armeecorps waren aufgelöst. Aus ihren Trümmern hatte sich eine Menge kleiner Abheilungen von acht bis zehn Mann gebildet, die sich zusammenhielten und deren Hilfsmittel gemeinschaftlich waren. Mehrere dieser Coterien hatten ein Pferd, um ihr Gepäck, ihr Küchengerät, ihren Mundvorrat zu tragen, oder sie waren auch einer wie der andere mit einem Quersack bepackt. Diese kleinen Gemeinden, die sich von der allgemeinen Masse völlig abgeschieden hatten, ließen unter sich niemand zu, der nicht schon zu ihnen gehörte. Alle Individuen der Familie zogen, dicht an einander gedrängt, einher und waren vor Allem darauf bedacht, sich nicht inmitten des großen Haufens zu teilen. Wehe dem, der von seiner Coterie [Klüngel] abgekommen war; er fand nirgends Jemand, der ihm die mindeste Teilnahme bewiesen, ihm den geringsten Beistand geleistet hätte; überall wurde er misshandelt und hart angefahren; man jagte ihn ohne Erbarmen von allen Feuern weg, auf die er kein Recht hatte, und von all den Orten, zu welchen er sich flüchten wollte; er hatte erst dann Ruhe, wenn er die Seinigen wieder aufgefunden. Napoleon sah diese wahrhaft unglaubliche Masse von Flüchtlingen und desorganisierten Leuten unter seinen Augen vorüberziehen. — Man denke sich, wenn es möglich ist, hunderttausend Unglückliche, mit einem Quersack über der Schulter, einem Stecken in der Hand, in grotesk getragenen Lumpen steckend, die von Ungeziefer wimmeln, und allen Schrecknissen des Hungers preisgegeben. Zu dieser Ausstaffierung, das Bild des größten Elends, denke man sich nun noch die von der Wucht der Leiden hohl gewordenen Physiognomien; man denke sich diese Menschen, bleich, von der Erde des Biwaks beschmutzt, durch den Rauch geschwärzt, die Augen hohl und matt, die Haare in Unordnung, den Bart unrasiert und ekelhaft, und man hat ein schwaches Bild von dem Zustande, in welchem sich die Armee befand. Uns selber überlassen, kamen wir auf Wege, die mitten durch Einöden und ungeheure Fichtenwälder führten, nur mühsam vom Fleck. Hier unterlagen Elende, die schon seit lange von Krankheit und vom Hunger aufgerieben waren, der Wucht ihrer Leiden, und hauchten, unter Qualen und der gräulichsten Verzweiflung preisgegeben, ihren Geist aus. Dort fiel man über alle diejenigen her, bei welchen man einige Lebensmittel vermutete, und entriss sie ihnen, alles ihres Sträubens und ihrer fürchterlichen Flüche ungeachtet. — Auf der einen Seite hörte man das Krachen der Leichname unter den Füßen der Pferde und unter den Rädern der Wagen; auf der andern das Geschrei und das Gestöhn der Opfer, welchen die Kräfte ausgegangen waren und die, am Wege liegend, in der furchtbarsten Agonie eines zehnfachen Todes starben. Weiterhin schlugen sich Gruppen, die sich um den Kadaver eines Pferdes versammelt hatten, um dessen Fetzen. Während die einen die fleischigen Teile davon ablösten, fuhren Andere ihnen tief ins Eingeweide, um das Herz und die Leber herauszureißen. Überall düstre, schreckhafte, von Frost verstümmelte Gestalten; überall mit einem Worte Niedergeschlagenheit, Schmerz, Hunger und Tod. Um all die gräulichen Kalamitäten, die auf unsern Schultern lasteten, zu ertragen, musste man mit der größten Energie und mit einem unerschütterlichen Mute begabt sein. Es war unerlässlich, dass die moralische Macht in einem Verhältnis zunahm, wie die Umstände gefahrvoller wurden. Sich von den traurigen Szenen erweichen lassen, deren Zeuge man war, hieß sich selbst den Stab brechen: man musste sonach sein Herz gegen jegliches Mitleid verhärten. Diejenigen, die glücklich genug waren, in sich selber eine genügende Reaktionskraft zu finden, um all den Leiden widerstehen zu können, zeigten zugleich die kälteste Gefühllosigkeit und die unerschütterlichste Standhaftigkeit. In mitten all der Schrecknisse, von welchen sie umgeben waren, sah man sie kalt und furchtlos alle Wechselfälle ertragen, den Gefahren Trotz bieten, und dadurch, dass sie den Tod in seinen gräulichsten Gestalten sahen, gewöhnten sie sich so zu sagen daran, ihm unerschrocken ins Auge zu schauen. Taub vor dem Angstgeschrei, das von allen Selten an ihr Ohr schlug, wandten sie, wenn ein Unglücklicher in ihrer Nähe zusammen stürzte, kalt den Blick ab und setzten ohne einiges Mitgefühl ihren Weg fort. So blieben die unglücklichen Opfer verlassen auf dem Schnee liegen, nachdem sie sich anfangs noch ein paarmal aufgerafft hatten, und starben langsam hin, ohne ein Wort des Trostes und ohne von irgend jemand auch nur den geringsten Beistand zu erhalten. Wir zogen, große Schritte machend, schweigend und gesenkten Haupts immer weiter, und machten erst mit Einbruch der Nacht Halt. Von Strapazen und Hunger erschöpft, musste ein jede von uns nun noch darüber aus sein, sich, wenn auch kein Logis, doch ein Asyl gegen den schneidenden Wind aufzusuchen. Man stürzte sich in die Häuser, in die Scheunen, in die Schuppen und in all die Gebäude, die man vorfand. Bald waren sie so gedrängt voll, dass Niemand mehr hinein noch heraus konnte. Wer draußen bleiben musste, lagerte sich dann hinter einer Mauer oder irgend einem Vorsprung. Ihre nächste erste Sorge war die, sich Holz und Stroh zum Biwak anzuschaffen: zu dem Ende erstiegen sie alle benachbarten Häuser und trugen zuvorderst die Dächer ab; dann gingen sie weiter und demolierten das ganze Gebäude bis auf den Grund, so lebhaft sich auch diejenigen widersetzten, die schon Schutz dann gesucht hatten. Wenn nicht in dieser Weise aus den Bauernhütten verjagt, riskierte man, von den Flammen darin verzehrt zu werden: denn zum öfteren steckten diejenigen, welchen der Einlass verweigert wurde, das Asyl der anderen in Brand. Dies geschah vor allem dann, wenn die früheren Besitzer von Generalen und anderen Offizieren hinausgetrieben worden waren. So musste man sich dann entschließen, ins Biwak zu gehen. Auch hatte man zuletzt die Gewohnheit angenommen, die Häuser, statt sie zu beziehen, völlig abzutragen und aus dem Material mitten auf dem Felde isolierte Hütten aufzuführen. Sobald man sich, so weit es die Örtlichkeiten zuließen, mit dem, was zu einem Biwak vonnöten war, versorgt hatte, wurde ein Feuer angemacht, und ein jeder, der zu der Coterie gehörte, trug mit Eifer dazu bei, ein Mahl zu bereiten. Während die Einen beschäftigt waren, eine Suppe zu kochen, kneteten die Anderen Brotkuchen, die unter heißer Asche gar gebacken wurden. Ein jeder holte aus seinem Quersack die Stücke Pferdefleisch hervor, deren er hatte habhaft werden können, und röstete sie über den Kohlen. Die Suppe bildete die Hauptnahrung, und mit ihrer Bereitung verfuhr man folgendermaßen. Da es überall kein Wasser gab, weil alle Quellen und Gräben zugefroren waren, so ließ man so viel Schnee, als nötig war, in einer Kasserolle schmelzen; in diesem Wasser, das schwarz und dick war, löste man nun von dem groben Mehl auf, das man mit sich führte, und würzte dies Gemisch mit Salz oder in dessen Ermangelung mit einer Portion Schießpulver, wodurch es dann dem schwarzen Gebräue der Spartaner ähnlich wurde. Die auf Kohlen gerösteten Schnitte Pferdefleisch wurden ebenfalls mit Schießpulver gesalzen. Bald nach gehaltenem Mahle legte sich ein Jeder nieder und schlief auch, von Strapazen erschöpft und von Kummer ermattet, bald ein, um den andern Tag zu einem gleichen Lebensläufe wieder zu erwachen. Mit Tagesanbruch erhob sich die ganze Masse, ohne dass irgend ein militärisches Instrument das Signal dazu gegeben hätte, aus ihrem Biwak und zog weiter.“ *) ...

So verstrichen zwanzig Tage. Während dieser zwanzig Tage hinterließ die Armee auf ihrer Route 200.000 Mann und 500 Kanonen; dann mündete sie in der Beresina aus wie ein Strom, der sich in einen Schlund ergießt.

Am 5. Dezember, während die Trümmer der Armee zu Wilna in den letzten Zügen lagen, ging Napoleon auf inständiges Bitten des Königs von Neapel, des Vizekönigs von Italien und seiner vornehmsten Feldherren von Smorgoni auf einem Schlitten nach Frankreich ab. Die Kälte hatte eine Intensität von 27 Graden unter dem Gefrierpunkt erreicht. — Am 18ten Abends traf Napoleon in einer schlechten Kalesche vor der Pforte der Tuilerien ein, die man ihm Anfangs nicht öffnen wollte. Jedermann glaubte, er wäre noch zu Wilna.

*) Bericht des Herrn Reue Borgeois.

3. Husaren-Regiment unter Napoleon I.

3. Husaren-Regiment unter Napoleon I.

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 4

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 4

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 2

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 2

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 3

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 3

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 1

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 1

Fürst Kutusow, Oberbefehlshaber der russischen Armee 1745-1813.

Fürst Kutusow, Oberbefehlshaber der russischen Armee 1745-1813.

Napoleon Bonaparte I. Kaiser der Franzosen 1769-1821.

Napoleon Bonaparte I. Kaiser der Franzosen 1769-1821.

Napoleon 1769-1821 & Alexander I. 1777-1825.

Napoleon 1769-1821 & Alexander I. 1777-1825.

Die Große Armee auf dem Rückzug.

Die Große Armee auf dem Rückzug.

Generalmajor von Fallois, Führer des mecklenburgischen Regiments im russischen Feldzuge 1812.

Generalmajor von Fallois, Führer des mecklenburgischen Regiments im russischen Feldzuge 1812.

Schlacht an der Moskwa bei Borodino am 7. September 1812.

Schlacht an der Moskwa bei Borodino am 7. September 1812.

Das Handwerkszeug eines französischen Soldaten.

Das Handwerkszeug eines französischen Soldaten.

Bei Borodino 7. September 1812

Bei Borodino 7. September 1812

Napoleon in Angesicht Moskaus im Jahre 1812

Napoleon in Angesicht Moskaus im Jahre 1812

Die Franzosen auf dem Rückmarsch 1813

Die Franzosen auf dem Rückmarsch 1813

Napoleon in Moskau

Napoleon in Moskau

Russische Grenadiere 1812/13

Russische Grenadiere 1812/13

Napoleon mit seinen Generalen: Bertier, Murat, Rapp

Napoleon mit seinen Generalen: Bertier, Murat, Rapp