Napoleon und der Pope.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1913
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Napoleon, Russlandfeldzug, Moskau, Stadtbrand, Rückzug
Nur um dem Volk zu willfahren, das die heilige Stadt Moskau nicht widerstandslos in die Hände der Franzosen fallen lassen wollte, entschloss sich General Kutusow, der Führer der Russen, Napoleon und der Großen Armee an der Moskwa gegenüberzutreten. Doch riss Napoleon in der mörderischen Schlacht bei Borodino am 7. September 1812 den Sieg an sich. Zwar ging das geschlagene russische Heer in guter Ordnung zurück, aber zu der von Kutusow angekündigten Schlacht unter den Mauern Moskaus kam es nicht mehr, so dass Napoleon an der Spitze seiner Truppen am 14. September den Einzug in die allrussische Krönungsstadt halten konnte.

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Aber die Besetzung Moskaus stand von vornherein unter einem Unglückstern. Die Stadt war von den wohlhabenden Bürgern verlassen, und ein banges Grauen erfüllte die von den Anstrengungen und Kämpfen erschöpften Soldaten beim Anblick des verdächtigen Gesindels, das durch die Straßen schlich. Napoleon nahm in dem festungsartigen Kreml, und zwar in dem sogenannten Winterschloss, das die Kaiserin Elisabeth hatte erbauen lassen, Wohnung. Die Verlegung des Hauptquartiers in den Kreml, die geheiligte Stätte, in der die Zaren ihre priesterliche Weihe empfangen, deuchte dem russischen Volke eine unerhörte Entweihung, für die die Strafe Gottes nicht ausbleiben konnte. Bald durchflog denn auch das ganze russische Reich die Kunde von einer geisterhaften Erscheinung, die Napoleon Verderben und Untergangvorausgesagt haben sollte. Als der Kaiser in Begleitung mehrerer Marschälle und Gardisten die in der Mitte des Kremls gelegene Kathedrale der Himmelfahrt Mariä, die Krönungskirche der Zaren und Begräbnisstätte früherer Patriarchen und hochverdienter Popen, besuchte und sich einige der Särge öffnen ließ, habe sich plötzlich nach dem Volksgerücht die Gestalt eines verstorbenen Popen erhoben, wie es unser packendes Bild auf Seite 83 veranschaulicht. Schauerlich seien von den Lippen des Toten die grollenden Worte erklungen: „Gottesfrevler, Wahnsinniger, weiche zurück! Dein Heer wird vernichtet werden und du wirst in der Verbannung sterben.“ Entsetzt sei der Kaiser mit seiner Begleitung aus der Kathedrale geflohen. Der viertägige Brand von Moskau, der furchtbare Rückzug unter den Schrecken des Winters und der Tod Napoleons auf St. Helena gelten noch heute, nach hundert Jahren, dem russischen Volke als Bürgschaft für die Wahrheit des geheimnisvollen Vorganges.

Napoleon und der Pope

Napoleon und der Pope