Napoleon Bonaparte.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
131. Napoleon. – Ich werde etwas schauerlich sein in dieser Betrachtung, aber fürchtet euch nicht, es ist alles nur Spaß. Der Kanzleistil nennt ihn jetzt Bonaparte, aber warum wollen wir diesen ruchlosen, fluchbeladenen Mann nicht mit dem Namen, unter welchem er sich gegen die Menschheit vergangen, auf die Nachwelt bringen? Bonaparte war groß, edelmütig, hochherzig, er hatte für Freiheit und Recht gekämpft; aber Napoleon war herrschsüchtig, eigenmächtig, schlecht und trugvoll. Darum führe er seinen Fürstennamen fort, und alle Zwingherren sollen so genannt werden, damit die kommenden Geschlechter erfahren, daß wir nicht bloß den Tyrannen, sondern auch die Tyrannei verabscheut haben. Sie sagten neulich, der Gefangene auf Helena habe sich befreien wollen – dieser sein Wunsch ist natürlich. Sie haben ihn festgehalten – das war Pflicht. Sie werden ihn strenger bewachen – man tut recht daran. Aber sie fürchten seine Entweichung, und das ist lächerlich; aber sie zittern vor ihm, und das ist abgeschmackt. Ist diese Eiche Europa so ausgewurzelt, daß das bloße Lüftchen einer Sage sie schon wanken macht? Wer kann nur glauben, daß Napoleon nach Europa feindlich zurückkehren möchte, auch wenn es ihm frei stände! Was dürfte er hier zu gewinnen hoffen? Wäre er auch gewesen, was er nicht war, ein wahrhaft großer, freigesinnter, edelmütiger Mann, selbst dann hätte er zum Wohle der europäischen Menschheit nichts zu tun vermocht. Seine Schöpfungskraft war zu groß und zu feurig, als daß er auf unsern phlegmatischen, dickbäuchigen, alternden Weltteil anders als zerstörend hätte einwirken können. Was sollte ihn zur Rückkehr antreiben, wer würde ihm beitreten? Frankreich nicht; denn die Franzosen sind frei und glücklich bei ihrer jetzigen Verfassung, und dieses Volk findet in dem Bestreben nach Erweiterung und Befestigung seiner Freiheit Nahrung für seine Regsamkeit auf Jahrhunderte, so daß es gewiß keinem eroberungssüchtigen Fürsten mehr gelingen würde, es durch Waffenglanz und Ruhm zu ködern. Wo aber sonst in Europa dürfte Napoleon auf Anhang zählen? Wie ist es also möglich, daß der bloße Schall eines Namens, der so weit übers Meer herübertönt, einen ganzen Weltteil wach halten kann? Der Gefangene auf Helena hat durch Las Cases und andere viele Klagen über die üble Behandlung, die er von Sir Hudson Lowe zu erdulden habe, in Europa verbreiten lassen. Weichherzige, auch edelmütige Menschen sind hierdurch gerührt worden. Allein, wären auch alle die Klagen gegründet, welche andere Sicherheit gegen die Entweichung dieses furchtbaren Mannes gäbe es, als die rohe Henkersseele seines Wächters? Ich möchte ihn nicht zu bewachen, ich möchte die Weltgeschichte nicht im Käfig haben. Der Mensch hat schwache Stunden, er hat Träume, in welchen das gnädige, belohnende Lächeln eines Bathurst und die Ehre des Hosenbandordens ihn minder lockt als die Stimme der Nachwelt, und es könnte ihn einmal gelüsten, seinen Ruf an einen unsterblichen Namen knüpfen zu wollen – dann ein leiser Ruck der Finger, und Europa bebte von Ost nach West. Denke ja keiner, es gehöre ein verruchtes Herz dazu, durch eine solche Tat die Welt in Aufruhr zu bringen. Man kann sich blenden lassen, man kann sich überreden, die Welt -außer Frankreich allein – habe bis jetzt durch den Sturz Napoleons nichts weiteres gewonnen, als daß die Zentnerlast der Not in die hundert Pfunde mannigfaltiger Nöten zerschlagen worden ist. Und Frankreich selbst, um durch den Sturz Napoleons zu gewinnen, mußte es nicht einen solchen zu stürzen haben? Er war der Blutigel dieses fiebernden, vollblütigen Körpers, und nachdem er sich angesogen, fühlte sich der Leib gesund und frei. Er war von vier französischen Königsdynastien und allen Revolutionsherrschern der letzte Kopf, dem die zusammengehäufte Tyrannei als eine Tontine allein zugefallen. Mit ihm verlosch die Leibrente der Knechtschaft.

Es gibt große Gedanken, die in der Brust eines Höflings nicht Raum genug finden; die Freigebung Napoleons ist ein solcher. Wollt ihr Europa alles demokratischen Stoffes entleeren, wollt ihr los werden sämtliche Schreier nach Verfassung, Freiheit, Gleichheit, Volksrepräsentation und wie sonst noch die krankhaften Gelüste heißen mögen, und froh und friedlich im Familienkreise eurer Generalstäbe, Hofmarschälle, Kammerjunker und Zeremonienmeister leben: so – laßt Bonaparte nach Amerika ziehen. Alle tolle Köpfe fliegen dann diesem Pole zu; ihr umgebt Europa mit einer chinesischen Mauer und könnt ruhig schlafen. Wollt ihr nicht, daß sich das republikanische System auch in Südamerika ausdehne, und alsdann dieser ganze antimonarchische Weltteil mit der ungeheuern Kraft seines Beispiels auf die Eierschalen der europäischen Fürstentümer drücke, so sendet den Gefangenen von Helena nach Mexiko, daß er dort der Stifter von Königreichen und so euer Retter werde.