9. Die skandinavischen Sagen (um 1200 u. ff.)

Die skandinavischen Sagen, welche nach der Sitte der nordischen Völker bereits seit der Zeit des Norwegers Guthorm Sindri, des ersten berühmten Skalden (862— 932) die tapfern Taten ihrer Helden und Fürsten nach dem Tode derselben in Liedern, die man Drapa nannte, vor ihren Löhnen und Enkeln feierten, hatten oft Gelegenheit, Vorfälle zwischen den Skandinaviern und den Slawen zu verkünden. Dasselbe geschah fast gleichzeitig in den Saga’s, prosaischen Erzählungen von den kriegerischen Streifzügen und den Heldentaten der nordischen Völker. Diese Lieder und Erzählungen, welche sich lange Zeit nur durch mündliche Überlieferung erhalten hatten, wurden gegen das Ende des 12. Jahrh. noch ziemlich selten, viel häufiger dagegen im Verlauf des 13. Jahrh., wenn auch in sehr veränderter Gestalt, nach und nach niedergeschrieben. Das Andenken an die Vorfälle zwischen den Dänen und den pomerischen Slawen, namentlich denen an der Mündung der Oder, wurde, obgleich sie auch in viele andre Lieder und Erzählungen übergegangen, doch vor allem der Gegenstand einer besondern Erzählung, der Jomsvikingasaga. Diese in ihrer ursprünglichen und ersten Gestalt nach dem Aro (um 1120), dem Sweno und Saxo bekannte Erzählung ward am Ende des 12. oder im Anfange des 13. Jahrh. neu umgearbeitet und märchenhaft erweitert; in dieser Umarbeitung kannte sie Snorro (1215) und schöpfte aus ihr; später erst, wahrscheinlich im 14. Jahrh., ward sie endlich vom Neuen umgearbeitet, und in der Gestalt, wie wir sie jetzt gedruckt haben, niedergeschrieben. Wie in einigen andern historischen Sagen Skandinaviens, so wird auch besonders in dieser ausschließlich die Thaten der Abenteurer von Jomsburg, oder der Jomsvikinger behandelnden Erzählung berichtet, wie der dänische König Harald, nachdem er das slawische Land unterworfen, in demselben ganz nahe an der Hauptstadt eine Burg, Jomsburg genannt, gegründet habe, wie dann später daselbst aus den dort angesiedelten Dänen und den eingebornen Slawen eine mächtige Gemeinde von Abenteurern und Seeräubern entstanden und was für Reibungen, Kriegszüge und Kämpfe darüber zwischen den Dänen und Schweden und Norwegern von der einen und den Jomsvikingern und Pommern von der andern Seite ausgebrochen seien. Namentlich wird, bald klarer oder dunkler, von der Belagerung und der Schleifung der Jomsburg durch König Magnus 1043, von der Plünderung durch die Dänen unter König Erich Ejegod 1095, oder zwischen 1095 und 1098, von der Zerstörung und Ausplünderung derselben unter König Niels und seinem Sohne Magnus zwischen 1116 und 1119 berichtet und mancherlei andere historisch weniger wichtige Ereignisse aufgezählt. Über die Lage Jomsburgs und des (nach Saxo) sogen. Landes Jom oder Jum, lässt sich aus diesen Erzählungen nichts weiter ermitteln, als dass man beide an der Mündung der Oder suchen muss, und dass Jomsburg eine „Seeburg“ gewesen. Allein die ältesten dänischen Historiker Sveno und Saxo, denen die Jomsvikingasaga und auch die übrigen Erzählungen und Lieder in ihrer ursprünglichen Gestalt bekannt waren, und denen es aus vielfachen Gründen viel leichter war als uns, in den wahren Sinn der geographischen Angaben jener Sagen einzudringen, waren keiner andern Ansicht, als dass Jomsburg oder Jumin nichts anders ist als Julin, und das Land Jom oder Jum die Umgegend dieser Stadt, wie wir das bereits oben gesehen.