Nacht-Gespenster

Autor: Dr. Johannes Bergner, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Fledermaus, Flughund, Java,
Dem Europäer, der zum ersten Mal nach Java oder einer andern Sundainsel kommt, wird bald ein großer Baum auffallen, der Hunderte von birnenförmigen schwarzen Früchten trägt. Beim Näherkommen aber merkt er mit Erstaunen, wie es sich droben regt und leise piepst. Fliegende Hunde sind es, riesige Fledermäuse mit dem Gesicht und den klugen Augen eines Spitzes, die dort in ungeheuren Scharen kopfunter an den Ästen hängen und, in die Flughaut eingehüllt, den Tag verschlafen. Erst wenn die Sonne untergeht, erwachen sie und schweben nun in langem Zug, eines hinter dem anderen, oft weitentfernten Gärten zu.

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Die unersättliche Gefräßigkeit zwingt nämlich die zahllosen Schwärme, sich über weite Strecken zu verteilen, so dass selbst Meeresarme überflogen werden, um Nachbarinseln Heimzusuchen. Auch sind es Feinschmecker, die nur süße, reife Früchte, vor allem Feigen, Datteln, Trauben und Bananen, schätzen. Selbst gärendem Palmwein sprechen sie derart zu, dass sie morgens berauscht neben den leeren Gefäßen liegen. Sie richten also großen Schaden an, zumal sie mehr verwüsten als verzehren und hauptsächlich den Saft der Frucht genießen, die sie mit den Krallen des langen Daumens und des kurzen Zeigefingers halten, lassen sich kaum vertreiben und fressen lärmend die ganze Nacht hindurch. Erst in der Frühe wird der Rückzug zum Schlafbaum angetreten. Immer wieder fliegt der Schwarm dorthin, obwohl er durch sein rücksichtsloses Verhalten den Stamm meist entblättert hat, so dass er keinen Schutz mehr vor dem Sonnenbrand bietet. Doch erst nach stundenlangem Kämpfen um die hochgelegenen Plätze, die einen guten Abflug sichern, verstummt das wütende Gekreisch und wilderregte Zischen. An einem Fuße aufgehängt, die Flatterhaut so um den Leib geschlagen, dass sie die Augen deckt und nur die Ohren freilässt, verträumt die zänkische Gesellschaft nun den lieben langen Tag. Kein Nachttier gab ja mehr Anlass zu schauerlichen Sagen als die Fledermaus, deren dunkle Schwingen Sinnbild verworfener Dämonen sind. Doch eben diese Flatterhaut ist ein Wunderwerk der Schöpfung, denn es gibt kaum etwas Kunstvolleres als das von langen, stützenden Fingerstrahlen durchzogene Gebilde. Nur der scharfbekrallte Daumen ist frei, denn damit hält das eigenartige Geschöpf zu kurzer Rast sich an den Zweigen fest oder klettert, von den gleichfalls bekrallten Füßen unterstützt, am Stamm empor.

Man kennt rund siebzig Arten dieser Fruchtfresser, die in der Jugend freilich auch Insekten und kleine Wirbeltiere, selbst Fische nicht verschmähen und erst später sich nur von Pflanzen nähren. Südasien mit seiner reichen Inselwelt, dazu Australien und das heiße Afrika sind die Heimat dieser „Satansvögel“, wie der Araber solche Flattertiere nennt. Der Riese unter ihnen und damit das größte aller fliegenden Säugetiere ist der Flughund oder Kalong, dessen Schwingen fast anderthalb Meter klaftern, während der dunkelbraun behaarte Körper kaum einen halben Meter misst. Dieser Flughund hat den Beinamen „der Essbare“, denn sein zeitweise ganz in Fett gehülltes Fleisch wird von den Eingeborenen verzehrt. Gut zubereitet soll es wie Kaninchen schmecken, der Europäer jedoch verschmäht es wegen seines Moschusgeruches. Den Papua auf Neuguinea aber sind die jungen Tiere, die sie lebend im Feuer schmoren, ein wahrer Leckerbissen. Sie fangen sie in trichterförmigen Fischreusen, die aus den Stachelranken einer Schlingpflanze gefertigt werden. Mit diesen eigenartigen, an langen Bambusstäben festgebundenen Fallen berühren sie der Reihe nach die schlafenden Flughunde, deren Flügel sich alsbald festhaken. Die Malaien dagegen schießen die fliegenden Tiere mit ihren langen Blasrohren massenweise ab, denn wird die nervenreiche Flughaut getroffen oder gar eine der sie stützenden Spangen verletzt, so verlieren sie das Gleichgewicht und stürzen ab. Die am Baum hängenden Tiere aber klammern sich verwundet derart fest, dass sie mit Blasrohren nicht herunterzuholen sind. Ein hübscher Zug ist ihr kameradschaftlicher Sinn, denn wenn einer von ihnen gefangen ist, so kommen die Genossen von überall herbei und stürmen wütend gegen den Käfig an, um den Insassen womöglich zu befreien. Selbst diese Geschöpfe empfinden Mitgefühl mit der Not der Ihrigen.

Bild oben: Der in ganz Indien häufige Flugfuchs mit ausgespannter Flatterhaut, die von den langen Armen mit ihren strahlenförmigen Fingern und dem von der Ferse ausgehenden Spornbein gestützt wird. (Phot. Scherl)
Bild links: Ein Schwarm riesiger Fledermäuse, der sich auf einen Baum niedergelassen und ihn abgefressen hat. Hier ruhen die Tiere, mit dem Kopf nach unten hängend. (Phot. Scherl)
Bild rechts: Skelett des Fliegenden Hundes, der größten Fledermausart. (Phot. Dr. Vergner)

Der in ganz Indien häufige Flugfuchs mit ausgespannter Flatterhaut, die von den langen Armen mit ihren strahlenförmigen Fingern und dem von der Ferse ausgehenden Spornbein gestützt wird.

Der in ganz Indien häufige Flugfuchs mit ausgespannter Flatterhaut, die von den langen Armen mit ihren strahlenförmigen Fingern und dem von der Ferse ausgehenden Spornbein gestützt wird.

Ein Schwarm riesiger Fledermäuse, der sich auf einen Baum niedergelassen und ihn abgefressen hat. Hier ruhen die Tiere, mit dem Kopf nach unten hängend.

Ein Schwarm riesiger Fledermäuse, der sich auf einen Baum niedergelassen und ihn abgefressen hat. Hier ruhen die Tiere, mit dem Kopf nach unten hängend.

Skelett des Fliegenden Hundes, der größten Fledermausart.

Skelett des Fliegenden Hundes, der größten Fledermausart.

Fliegende Hunde

Fliegende Hunde