Zweck der Reise

[b]Eine Stiftungsurkunde. — Briefe des Gemeindevorstandes in Wien und Prag.[(b]

Am 18. August 1855, mit der nähern Bezeichnung „am Geburtsfeste Sr. Majestät des Kaisers von Österreich“ richtete Frau Elise Herz, geborene Edle von Lämel, an den Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde in Wien folgendes Schreiben:


„Erlauben Sie, geehrte Herren! dass ich Ihnen eine mir heilige, von der Pietät für meinen seligen Vater gebotene Angelegenheit vortrage. Ich darf, bei dem Umstande, dass dieselbe mit den Interessen unserer Glaubensgenossen eng zusammenhängt, Ihrer Aufmerksamkeit sowohl, als auch Ihrer unterstützenden Teilnahme gewiss sein.

Es ist ein Gebot unserer ewigen Tafeln: „du sollst Vater und Mutter ehren“, und es ist ein schöner Zug des Menschenherzens, der uns drängt, dieses Gebot auch dann noch zu erfüllen, wenn diejenigen, die wir ehren sollen, uns von der Gruft genommen worden sind.

Während ich gemeinschaftlich mit meinen Geschwistern durch fromme und wohltätige Stiftungen das Andenken an meine selige Mutter für eine ferne Zukunft dankbar zu begründen strebte, ist es mir eine vom Herzen gebotene Pflicht, ein Gleiches auch für meinen in Gott ruhenden Vater zu tun.

Kein Monument ist schöner als dasjenige, welches im Sinne und Geiste desjenigen gedacht und ausgeführt ist, dem es errichtet werden soll. Wenn ich mir die unvergessliche, mir stets gütige Persönlichkeit meines Vaters vorstelle, so erscheint mir neben seinen allgemein menschlichen, trefflichen Eigenschaften vor Allem sein frommes Gemüt, seine unverbrüchliche Treue für den Glauben unserer Väter, sein im Geiste wehmütig freudiges Verweilen an den Stätten, die uns durch Religion und Geschichte unseres Volkes stets heilig, ehrwürdig und teuer bleiben werden. Mit diesen Gefühlen lebten aber auch diejenigen in ihm, welche ihn, treu und begeistert fürs Vaterland, zu den edlen und aufopferndsten Handlungen anspornten und ihn durch die Gnade eines Monarchen von Österreich zu den „Edlen“ des Landes reihten.

Ich beschloss denn, ihm in Palästina, in der Stadt Jerusalem selbst ein Denkmal zu errichten; keines das prunkt, aber eines das wirkt, bildet und edel macht. Ein Institut, in welchem die Anschauung der israelitischen Jugend frühzeitig wahrer Religiosität und nützlichen Gewerben zugewendet und jener Sinn wachgerufen wird, welcher der Keim ist für jede Bürgertugend und echte, begeisterte Vaterlandsliebe, zunächst für das große Österreich!

Durch reisende und in Jerusalem ansässige Israeliten wurde mir, wie die Armut unserer Glaubensgenossen daselbst, überhaupt das Schicksal der Jugend, der Kinder herzerschütternd geschildert; nackt und hungernd, wenn nicht krank und elend, füllen sie die Straßen der Stadt, entbehren sie der Überwachung, des Unterrichtes.

Ich habe denn beschlossen, in Jerusalem eine
Kinder-Bewahranstalt
zu stiften, und zur Begründung und Erhaltung derselben die 4 ½ Prozent Zinsen eines Kapitals
von 50.000 fl. Fünfzigtausend Gulden
in Staatsschuldverschreibungen zu bestimmen, mit welchen die Erhaltungskosten der Anstalt nach den folgenden Bestimmungen bestritten werden sollen:

„In der Anstalt sollen zunächst die israelitischen Kinder österreichischer Untertanen Aufnahme finden, und um ein Zeichen der unserem heiligen Glauben innewohnenden Duldsamkeit und Nächstenliebe zu geben — wenn kein Hindernis dagegen von der einen oder andern Seite obwaltet — auch Kinder christlicher und mohammedanischer Eltern Aufnahme und Schutz finden. Diesen soll dann, der Zahl nach zusammen der fünfte Teil eingeräumt sein.

Die Zahl der aufzunehmenden Kinder überhaupt wird sich nach Verhältnis der Erhaltungskosten zu den Zinsen des Stifftungskapitals richten. Die Kinder, die vom Morgen bis zum Abend in der Schule zu verbleiben haben, sollen ein einfaches, gut nährendes Mittagsmahl und die völlig Armen die Bekleidung erhalten. An dieser Kinder-Bewahranstalt, welche je nach sich ergebenden Lokalbedingungen in einem eigens anzukaufenden, oder in einem gemieteten Hause und Garten sich befindet, soll ein Mann angestellt werden, welcher mit den nötigen speziellen Kenntnissen ausgerüstet, wenigstens der hebräischen, arabischen, deutschen und möglichst auch der italienischen Sprache kundig und ein Mann von vorzüglicher Moralität und Religiosität ist. Er muss verheiratet und seine Gattin geeignet sein, ihn als Lehrerin und Kinderbewahrerin zu unterstützen. Ein Arzt soll die Verpflichtung haben, in der Anstalt selbst die Sanität zu überwachen.

Es ist mein lebhafter Wunsch und ich hoffe, dass Sie, geehrte Herren! denselben im Interesse der Humanität und des Heils unserer Glaubensgenossen zu erfüllen geneigt sein werden: das Ehrenamt der Kuratoren dieser meiner Gründung, welche unter dem Namen:

Simon Edlen von Lämel's Stiftung

fortan in Jerusalem bestehen und blühen soll, zu übernehmen.

Ich wünsche, dass die genannte Stiftung unter den Schutz der Regierung, unseres gnädigsten Herrn und Kaisers, der unter seinen glorreichen Titeln auch den eines „Königs von Jerusalem“ führt, gestellt und der jeweilige kaiserlich österreichische Konsul in Jerusalem beauftragt werde, die von der Anstalt regelmäßig an die Herren Kuratoren in Wien zu richtenden Berichte mit zu unterzeichnen, nach deren Einlangung erst die Zinsen zur Erhaltung des Instituts in Jerusalem anzuweisen sein werden. Ebenso sollen die Herren Kuratoren verpflichtet sein, der hohen kaiserlichen Statthaltern von Österreich unter der Enns jährliche Rechnung über die verwendeten Zinsen abzulegen.

Neben der aus diesen Verfügungen fließenden Beruhigung leitet mich zugleich das Gefühl des patriotischen Stolzes, dass unseren Glaubensgenossen, wie den Christen in Palästina, der hohe Schutz der Regierung unseres Kaisers und Herrn zu Teil werden soll, und dies in einer Angelegenheit, in der es gilt, die Herzen der Jugend fromm und glaubensinnig, die Geister treu und hell zu bilden, auf dass sie für das Vaterland begeisterte, treue, religiöse und fleißige Bürger werden.
„Um aber ein solches Institut in Jerusalem zu begründen, ist es unerlässlich, in Jerusalem selbst die nötigen Einleitungen zu treffen, die entsprechenden Lehrer, den Arzt glücklich zu finden, die Lokalitäten für die Schule aufzunehmen und einzurichten, überhaupt, dass Alles geschehe, was ersprießlich ist, um das beabsichtigte Werk zu gründen und dem Giebel entgegenzubauen. Ich habe denn einen Bevollmächtigten in der geehrten Person des Dr. meck. Herrn Ludwig August Frankl gefunden und habe volles Vertrauen zu ihm. Er sagte mir zu, der Arbeit und der Gefahr der Reise in den Orient sich zu unterziehen.

Menschliches Wollen aber, kaum mächtig in der Gegenwart, ist stets vermessen, wenn es in eine ferne Zukunft und, wie es zu heißen pflegt, für ewige Zeiten wirken will. Wolle der Himmel ein Schicksal abwenden, dass durch unberechenbare, der menschlichen Vorsicht sich entziehende Weltereignisse die Existenz des dargestellten Institutes in Jerusalem in künftigen Zeiten unmöglich würde. Weil aber dies bei der Vergänglichkeit aller menschlichen Einrichtungen möglich ist, so bestimme ich, wie folgt:

Wenn die Anstalt in Jerusalem jemals durch unvorhergesehene Ereignisse zu sein aufhören müsste, soll das ganze in Wien für die Kinderbewahr-Anstalt in Jerusalem sichergestellte 4 ½ prozentige Stiftungskapital in Staatsschuldverschreibungen zu zwei Stiftungen, die wieder ihrer ursprünglichen Widmung gemäß dem Unterrichte der Jugend zu Gute kommen sollen, geteilt werden, und zwar soll die Hälfte: 25.000 Gulden zu einer Unterrichtsstiftung in der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, die andere Hälfte: 25.000 Gulden, zu einer gleichen in Prag verwendet werden.

Die Herren Kuratoren der Simon Edlen von Lämels Stiftung in Jerusalem zahlen sodann die genannte Hälfte des Stiftungskapitales an den Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde in Prag, welcher, sowie der in Wien, das Stiftungskapital unter hoher Genehmigung der kaiserlich österreichischen Regierung sicherzustellen verpflichtet ist, und zwar, wie sie dann heißen soll, für die

Simon Edlen von Lämels Unterrichtsstiftung in Wien und Prag.

„Die Verwendung der 4 ½ prozentigen Zinsen beider Stiftungskapitalien à 25.000 Gulden bestimme ich für Wien und Prag wie folgt:

Nachdem sich das Kapital à 4 ½ Prozent mit 1.125 Gulden jährlich verzinst, so teile ich diese Summe in fünfzehn Stipendien à 70 Gulden, und zwar:

Für zwei Hörer der Medizin zwei Stipendien à 70 fl.
Für zwei Hörer der Jurisprudenz zwei Stipendien à 70 fl.
Für zwei Schüler der bildenden Künste
(Architekten, Bildhauer, Maler) zwei Stipendien à 70 fl.
Für zwei Hörer der Technik zwei Stipendien à 70 fl.
Für zwei Hörer der jüdischen Theologie
(Rabbinatskandidaten) zwei Stipendien à 70 fl.
Für zwei Lehramtskandidaten zwei Stipendien à 70 fl
Für zwei Lehramtskandidatinnen zwei Stipendien à 70 fl.
Für einen israelitischen Kantor ein Stipendium à 70 fl.

Auf diese Stipendien sollen zunächst diejenigen Anspruch haben, die aus der Verwandtschaft meiner seligen Eltern stammen, und zwar aus den Familien Lämel, Duschenes, Knina und Blau.
Die Nennung des Namens meines seligen Vaters bei der Totengedächtnisfeier in der Synagoge zu Jerusalem und in der Altneuschule zu Prag, wie dies bereits im Tempel in Wien durch die Anordnung des Vorstandes geübt wird, ferner das Anzünden eines Seelenlichtes an seinem Sterbetage, am 18. April 1845, wird mir nicht als Bedingung, aber doch als frommer Wunsch nicht versagt werden.

Der Himmel verleihe meinem Wollen seinen Segen!“

Der Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde in Wien erwiderte unterm 27. August 1855:

„Hochgeehrte Frau!

„Ihre Zuschrift vom 18. dieses Monats, in welcher Sie uns Ihren Beschluss mitteilen, zum Andenken Ihres seligen Herrn Vaters Simon Edlen von Lämel mit 50.000 Gulden in 4 l/2 prozentigen Staatsschuldverschreibungen eine Kinder-Bewahranstalt in Jerusalem zu begründen, ist uns zugekommen.

Erlauben Sie, hochgeehrte Frau! dass wir vor Allem diesen, von edelster Pietät getragenen Akt einer menschenfreundlichen Gesinnung, diese Tat eines frommen Herzens und eines für Erziehung und Bildung der Jugend begeisterten Gedankens im Namen aller Derer dankbar begrüßen, die jetzt und in künftigen Zeiten der großmütigen Wohltat teilhaftig sein werden. Sie segnen fortan das Andenken einer Frau, deren Name bereits durch vielfach wohltätige Handlungen in den Annalen der Städte Wien und Prag glänzend eingezeichnet steht und die wir mit Stolz ein Mitglied der Kultusgemeinde nennen, die wir zu vertreten die Ehre haben. Es ist ein unvergängliches Denkmal, das Sie auf einer durch historische und religiöse Erinnerungen uns teuren Erde Ihrem seligen Herrn Vater und sich selbst errichten, zur Verherrlichung des heiligen Namens unseres Gottes, zur Wohlfahrt für die gegenwärtigen und zukünftigen Geschlechter. Ihrem Wunsche gemäß, in welchem wir ein Zeichen Ihres besondern Vertrauens erkennen, und in Anbetracht einer unseren Glaubensgenossen für alle Zeit zu Gute kommenden Wohltat nehmen wir das Ehrenamt der Kuratoren Ihrer Stiftung an.

Indem wir für das Gedeihen Ihrer humanen großmütigen Stiftung die glücklichste Gründung und erfolgreichen Segen wünschen, zeichnen wir mit dem Ausdrucke wahrer Verehrung.

Leopold v. Wertheimstein, Joseph Wertheimer, Heinrich Sichrovsky, Moritz Goldschmiedt, Joseph Biedermann.“


Die Vertreter der israelitischen Kultusgemeinde in Wien brachten am 12. September 1855 die Stiftung zur Kenntnis Sr. Exzellenz des Herrn Statthalters von Österreich unter der Enns mit der Bitte um Sanktionierung derselben. Zugleich wurde dem Vorstande der israelitischen Kultusgemeinde in Prag der Stiftungsbrief in Abschrift mitgeteilt, worauf am 14. Oktober 1855 dieser an Frau Elise von Herz-Lämel folgende Zuschrift richtete:

„Hochwohlgeborene Frau!

Wir sind von der Stiftung in Kenntnis gesetzt, welche Sie, hochwohlgeborene Frau! für Jerusalem begründen.

Da Sie hierbei auch die Prager israelitische Kultusgemeinde mit der eventuellen Zuwendung des halben Stiftungsgenusses bedacht haben, so erfüllen wir nur eine dringende Pflicht, indem wir Ihnen den tiefgefühlten Dank für diesen neuen Beweis der Großmut, der Anhänglichkeit und der werktätigen Erinnerung an Ihre frühere Gemeindegenossenschaft aussprechen. Erlauben Sie, hochwohlgeborene Frau! aber auch, dass wir zugleich die bewundernde Anerkennung an den Tag legen, die Ihr unermüdlicher Wohltätigkeitseifer und Ihr neuerliches, großartiges Werk verdienen und allenthalben finden. Aus dieser Ihrer Schöpfung leuchten gleich glänzend Ihre Religiosität und Menschenliebe, Ihr Patriotismus und frommes Kindesgefühl hervor, und wie Sie damit die Absicht erreichen, dem gesegneten Andenken an einen ausgezeichneten Mann, Ihren seligen Herrn Vater, ein unvergängliches Denkmal zu errichten, so tragen Sie damit zugleich zur Ehre unseres Vaterlandes und unserer Glaubensgenossen bei. Aber auch Ihnen selbst wird aus dieser Saat eine reiche immer sich erneuernde Ernte von Segnungen erblühen, die der Allgütige Sie noch lange auf Erden genießen lasse!

Genehmigen Sie, hochwohlgeborene Frau, die Versicherung unserer aufrichtigsten Hochachtung.

Der Vorsitzende des Vorstandes
Ernst Wehli.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1