Zante
Ein ungarischer Flüchtling. — Ein griechischer Räuber. — Bunte Nachtszene. — Hungertod für Wissensdurst. — Ugo Foseolo. — Solomos. — Ein Freiheitshymnus. — Rächende Totenklage. — Seltene Bescheidenheit. — Lampros, kniend befreit. — Todesfeier.
Unsere Gesellschaft auf dem Schiffe wurde durch den k. großbritannischen Obersten Dirk, den ungarischen Flüchtling vermehrt, dessen Gefangennehmung durch einen kaiserlich österreichischen Kommandanten seiner Zeit ein nicht unbedeutendes Aufsehen erregt hatte. Ein anderer Reisender, den wir nach der Ausfahrt aus dem Hafen frei auf dem Verdecke herumwandeln sahen, und dem zwei österreichische Gensd'armen fort und fort zur Seite gingen, war ein griechischer Räuber, der sich auf österreichischen Boden geflüchtet hatte, von der griechischen Regierung wegen Blutschuld zurückgefordert, ihr nun ausgeliefert wurde. Er war sehr lebhaft, sprach jeden Einzelnen an, und wurde uns Allen, trotz der natürlichen Scheu vor ihm, dadurch angenehm, dass er, an den Inseln vorüberfahrend, uns jede Bergspitze, jede Schlucht zwischen den Felsen zu nennen, und die besondersten Eigentümlichkeiten zu schildern wusste, wie sie nur einem Manne bekannt sein konnten, der eben angewohnt ist, in den Bergen flüchtig zu hausen, wenn er seinen Handschar rot gefärbt hat.
Wir hatten spiegelglatte See, und die Sonne ging, die fernen Gebirge der Inseln verklärend, rot unter. Es folgte eine sternenhelle Nacht. Spät nach Mitternacht wurde ich durch einen heftigen Lärm geweckt, das Schiff stand ruhig, und die immer störend laute Arbeit der Schraube war nicht vernehmbar. Ich sprang rasch vom Lager, kleidete mich an, und eilte aufs Verdeck. Wir ankerten in der Bai von Zante. Der halbe Mond hing, dem Untergange nahe, weiß und klar über einem dunklen Gebirgskamme. Sein schwaches Licht und das der Sterne beleuchtete nur matt einen Häuser-Halbkreis, der sich der Bai anschmiegt. Zwischen ihm und unserem Schiffe wogte eine Anzahl von Barken, die grell von Fackeln beleuchtet, weiße Turbane von Türken, hellschimmernde Gewänder von Albanesen mit dem Feß, mächtig rudernde, halbnackte Menschen sehen ließen. Die Barken suchten sich an Eile zu überbieten und um nicht an einander zu stoßen, und Menschen und Waaren, die sie führten, untergehen zu machen, schrieen die Ruderer so laut, und um besser gehört zu werden, die letzte Silbe so stark und gedehnt betonend, dass das Rauschen der See darüber unvernehmbar wurde. Die Schiffstreppe empor war ein gewagtes Drängen und Klettern, ein Rufen und Toben, als wäre Zante ein wüstes Eiland, von dem Gestrandete, Jahrelang auf Erlösung harrend, sich auf ein plötzlich vorübersegelndes Schiff retten wollten. Es bedurfte einer Stunde, bis alle Warenballen und Kisten, von der Schiffsmannschaft eben so lärmend in Empfang genommen waren, und die leeren Barken wieder nach der Stadt zurückruderten, wo in einzelnen Häusern Lichter brannten, um die rückkehrenden Barkenführer zu erwarten, uns aber die unsicheren Umrisse der Stadt mehr erkennen zu lassen.
Um die vierte Morgenstunde wurde der Anker wieder gelichtet, zu früh, um die schöne fruchtbare Insel, welche man „die Blume der Levante“ nennt, sehen und das Grab eines Märtyrers der Wissenschaft und die Geburtsstätte zweier Freiheitsdichter begrüßen zu können.
Als der Schöpfer der anatomischen Wissenschaft, der aus deutscher Familie stammende Arzt Vesalius, wegen heimlicher Leichendurchforschung von der Inquisition in Madrid zum Tode verurteilt wurde, rettete ihn der König, dessen Leibarzt er war, durch seine Fürsprache. Das Todesurteil wurde zu einer Büßerfahrt ins gelobte Land umgewandelt. Vor Zante scheiterte das Schiff, auf dem sich der unfreiwillige Pilger nach Jerusalem befand; er wurde allein an einen einsamen Strand geworfen, auf dem er dem Hungertode erlag. Es geschah dies am 55. Oktober 1564.
Zweihundertvierzehn Jahre später fuhr eine edle Venezianerin, die ihren Gatten verloren hatte, trauernd nach Zante, und gebar auf dem Schiffe, Andere erzählen schon auf der Insel angelangt, einen Knaben. Auch sein Los war es, geistig zu ringen, und ebenfalls, aber auf einem belebtesten Strande der Zivilisation, im Elend des Exils und der Armut unterzugehen.
Zwischen der Wiege und dem Sarge dieses auf schwankenden Wogen Geborenen lag ein kampfvolles Leben, voll Liebe für die Menschheit, voll Sehnsucht für die Freiheit, der purpurne Ruhm eines unsterblichen Dichters, der, wenn er in der Sprache seiner Geburtstätte geschrieben hätte, der erste Dichter des neuen Hellas geworden wäre. Er zog es vor, sein unsterbliches „Lied von den Gräbern“ in den süßen Lauten zu dichten, mit denen die zärtliche Mutter ihr Kind in den Schlummer sang. Ugo Foscolo sang Gesänge, die in den Seelen seines Vaterlandes Begeisterung, in den Herzen der Mächtigen die Ahnung weckten, es könnten die Zäume der Herrschaft, wenn sie bei den Gesängen einschlummerten, aus ihren Händen fallen. Ugo Foseolo musste fliehen; er ging in das Geburtsland seines lorbeergekrönten Genossen Byron, zu einer Zeit, wo dieser auf der alten Stätte der Freiheit weilte, und Hellas aus unwürdigen Banden mit befreien half. Foscolo verhungerte am Strande der Themse, wohin er sich aus London zurückgezogen hatte. An seinem Sterbetage besuchte ihn der edle Capodistria, der eben als Präsident nach Griechenland ging. Der Herzog von Devonshire, Lord Holland, Hudson Churrey und andere ausgezeichnete Personen folgten dem Sarge des Dichters, der in seinen „Sepolcri“ sang:
„Ist denn ein Stein Ersatz verlorner Tage.
Der meine Knochen sondert aus der Unzahl,
Welche der Tod in Meer und Erde säet?“
Sein Grab bezeichnet die von ihm selbst geschriebene Inschrift:
„Foscolos Leben, Tugend, Gebein fing an, hier auszuruhen.“
Glücklicher war ein anderer Dichter, der das Licht der Welt in Zante erblickte. Graf Dionisos Solomos begeisterte sich an den Taten und Gesängen des alten Hellas und war noch ein Jüngling, als die Griechen bewiesen, dass die Schar des Leonidas nicht die letzte gewesen ist, die den Tod der Knechtschaft vorzog. Er dichtete im Jahre 1823 einen „Hymnus auf die Freiheit.“ Es sind nur 632 Verse, jeder von ihnen aber ein blanker Stahl, eine blitzende Lanze, die im Sonnenlichte des Gedankens funkelnd, an einander klirren. Die Seelen, die diese, kriegerische Musik hören, werden zu Taten, zu Siegen, zu Opfertoden begeistert! Der Dichter sang seine erhabenen Gesänge, die mit denen Pindars und Byrons wetteifern, in jonischem Dialekte. Wenn ihn dies, nicht auch in der Form, den Heroen der Dichtkunst gleichstellt, so trug er doch dadurch bei, dass ihn das Volk hörte und verstand und dass es diesen Helden begeisterte und vor dem Siege schon, innerlich frei machte.
Dem Dichter wurde aber nicht allein das beneidenswerte Glück zu Teil, unsterblich in den Herzen seines Volkes zu werden; er durfte es ungestraft werden, er durfte die erhabenen Gedanken seiner Seele seinem Vaterlande sagen, er, durfte der moderne Tyrtäos seines Vaterlandes sein. Ihm wehrte keine Macht, den Gott in seinem Geiste zu offenbaren und sich den unsterblichen Dichtern seines Volkes anzureihen.
Nicht so berühmt in weiten Kreisen, wie sein Freiheitshymnus ist ein anderes Lied des Dichters, das seiner tiefbewegten Seele durch ein tragisches Familienereignis entrissen wurde; aber es tönt rührend und melancholisch von den Lippen aller griechischen Jünglinge und Jungfrauen, und bewegt ihre Herzen. Der Dichter liebte verschwiegen eine schöne griechische Jungfrau, deren Gestalt an die unsterblichen Gebilde der antiken Meister mahnte, und die eine Seele hatte, welche von dem Gefühle der Schönheit und von den Gedanken der Dichter mittönend erbebte. Sie sprach und sang die Lieder des Solomos so schön, wie Niemand sonst auf Erden. Ein italienischer Maler rührte ihr zartes Herz zu Liebe und verriet sie. Die Jungfrau konnte den Schmerz der Seele nicht ertragen, und machte mit Gift ihrem Leben ein Ende. Solomos war sprachlos, als ihm die Kunde wurde und verstummte lange für die Welt und seine Freunde. Erst als er vernahm, dass man den Tod der Jungfrau aus entehrenden Ursachen erkläre, da erwachte sein Geist und in ihm der rhythmische Zorn. Er rächte den Tod der Jungfrau durch ein unsterblich rührendes Lied, das schönste, das jemals Hellas hörte, und das mit den Worten beginnt: „Du sangest alle meine Lieder; dieses Lied aber, das ich jetzt dir anstimme, du wirst es nicht mehr hören! Ein Stein bedeckt dein Grab!“
Solomos lebte in Corfu. Ich fragte nach ihm, um ihn zu besuchen und ihm meine Huldigung darzubringen. Ich erhielt eine eigentümliche Auskunft. „Er lebt“ sagte man mir, „in tiefer Zurückgezogenheit. Der unerwartete Glanz, der sich um seinen Namen verbreitete, als sein Hymnus erscholl, erschreckte ihn. Ihm erschienen die seinem Genius dargebrachten Huldigungen als Abgöttereien. Der edle Jonier glaubte, wie Plato, der die jonische Musik aus seiner Republik verbannte, dass eine Nation, die so sehr den Gesängen lauscht, verweichliche. Er hielt aber für sein Vaterland den Moment gekommen, wo spartanischer Ernst und mutige Tat das Schicksal der Nation allein entscheiden könne. Er ließ fortan kein Gedicht mehr drucken, bis ihm die rührende weiche Totenklage um die geliebte Freundin entströmte.
Sein Genius ruhte aber nicht, und das trotz seines Vorsatzes dennoch veröffentlichte Fragment eines Gedichtes „Lampros“ hatte die Welt der geistvollen Lady Douglas, der Gattin des Lord-Oberkommissärs der jonischen Inseln zu danken, die davon so hingerissen ward, dass sie den Dichter — kniend bat, es seinem Volke nicht vorzuenthalten. Dieses teilte die Begeisterung der fein fühlenden Britin.
Am 21. Februar 1857 schloss der jonische Senat seine Sitzung, weil in den Versammlungssaal plötzlich die Kunde gelangte: „Solomos ist verschieden!“ Die Bevölkerungen der Inseln strömten herbei, um ein nationales Trauerfest zu begehen. König Otto schickte einen Gesandten, um im Namen Griechenlands dem Toten die letzte Ehre zu erweisen, und seinen Verwandten den Schmerz des Vaterlandes auszudrücken. An den schmerzlichen Tod des größten, neugriechischen Dichters, der noch nicht das sechzigste Lebensjahr erreicht hatte, knüpft sich die freudige, wehmütige Hoffnung, dass nunmehr alle seine Dichtungen auferstehen werden!
Unsere Gesellschaft auf dem Schiffe wurde durch den k. großbritannischen Obersten Dirk, den ungarischen Flüchtling vermehrt, dessen Gefangennehmung durch einen kaiserlich österreichischen Kommandanten seiner Zeit ein nicht unbedeutendes Aufsehen erregt hatte. Ein anderer Reisender, den wir nach der Ausfahrt aus dem Hafen frei auf dem Verdecke herumwandeln sahen, und dem zwei österreichische Gensd'armen fort und fort zur Seite gingen, war ein griechischer Räuber, der sich auf österreichischen Boden geflüchtet hatte, von der griechischen Regierung wegen Blutschuld zurückgefordert, ihr nun ausgeliefert wurde. Er war sehr lebhaft, sprach jeden Einzelnen an, und wurde uns Allen, trotz der natürlichen Scheu vor ihm, dadurch angenehm, dass er, an den Inseln vorüberfahrend, uns jede Bergspitze, jede Schlucht zwischen den Felsen zu nennen, und die besondersten Eigentümlichkeiten zu schildern wusste, wie sie nur einem Manne bekannt sein konnten, der eben angewohnt ist, in den Bergen flüchtig zu hausen, wenn er seinen Handschar rot gefärbt hat.
Wir hatten spiegelglatte See, und die Sonne ging, die fernen Gebirge der Inseln verklärend, rot unter. Es folgte eine sternenhelle Nacht. Spät nach Mitternacht wurde ich durch einen heftigen Lärm geweckt, das Schiff stand ruhig, und die immer störend laute Arbeit der Schraube war nicht vernehmbar. Ich sprang rasch vom Lager, kleidete mich an, und eilte aufs Verdeck. Wir ankerten in der Bai von Zante. Der halbe Mond hing, dem Untergange nahe, weiß und klar über einem dunklen Gebirgskamme. Sein schwaches Licht und das der Sterne beleuchtete nur matt einen Häuser-Halbkreis, der sich der Bai anschmiegt. Zwischen ihm und unserem Schiffe wogte eine Anzahl von Barken, die grell von Fackeln beleuchtet, weiße Turbane von Türken, hellschimmernde Gewänder von Albanesen mit dem Feß, mächtig rudernde, halbnackte Menschen sehen ließen. Die Barken suchten sich an Eile zu überbieten und um nicht an einander zu stoßen, und Menschen und Waaren, die sie führten, untergehen zu machen, schrieen die Ruderer so laut, und um besser gehört zu werden, die letzte Silbe so stark und gedehnt betonend, dass das Rauschen der See darüber unvernehmbar wurde. Die Schiffstreppe empor war ein gewagtes Drängen und Klettern, ein Rufen und Toben, als wäre Zante ein wüstes Eiland, von dem Gestrandete, Jahrelang auf Erlösung harrend, sich auf ein plötzlich vorübersegelndes Schiff retten wollten. Es bedurfte einer Stunde, bis alle Warenballen und Kisten, von der Schiffsmannschaft eben so lärmend in Empfang genommen waren, und die leeren Barken wieder nach der Stadt zurückruderten, wo in einzelnen Häusern Lichter brannten, um die rückkehrenden Barkenführer zu erwarten, uns aber die unsicheren Umrisse der Stadt mehr erkennen zu lassen.
Um die vierte Morgenstunde wurde der Anker wieder gelichtet, zu früh, um die schöne fruchtbare Insel, welche man „die Blume der Levante“ nennt, sehen und das Grab eines Märtyrers der Wissenschaft und die Geburtsstätte zweier Freiheitsdichter begrüßen zu können.
Als der Schöpfer der anatomischen Wissenschaft, der aus deutscher Familie stammende Arzt Vesalius, wegen heimlicher Leichendurchforschung von der Inquisition in Madrid zum Tode verurteilt wurde, rettete ihn der König, dessen Leibarzt er war, durch seine Fürsprache. Das Todesurteil wurde zu einer Büßerfahrt ins gelobte Land umgewandelt. Vor Zante scheiterte das Schiff, auf dem sich der unfreiwillige Pilger nach Jerusalem befand; er wurde allein an einen einsamen Strand geworfen, auf dem er dem Hungertode erlag. Es geschah dies am 55. Oktober 1564.
Zweihundertvierzehn Jahre später fuhr eine edle Venezianerin, die ihren Gatten verloren hatte, trauernd nach Zante, und gebar auf dem Schiffe, Andere erzählen schon auf der Insel angelangt, einen Knaben. Auch sein Los war es, geistig zu ringen, und ebenfalls, aber auf einem belebtesten Strande der Zivilisation, im Elend des Exils und der Armut unterzugehen.
Zwischen der Wiege und dem Sarge dieses auf schwankenden Wogen Geborenen lag ein kampfvolles Leben, voll Liebe für die Menschheit, voll Sehnsucht für die Freiheit, der purpurne Ruhm eines unsterblichen Dichters, der, wenn er in der Sprache seiner Geburtstätte geschrieben hätte, der erste Dichter des neuen Hellas geworden wäre. Er zog es vor, sein unsterbliches „Lied von den Gräbern“ in den süßen Lauten zu dichten, mit denen die zärtliche Mutter ihr Kind in den Schlummer sang. Ugo Foscolo sang Gesänge, die in den Seelen seines Vaterlandes Begeisterung, in den Herzen der Mächtigen die Ahnung weckten, es könnten die Zäume der Herrschaft, wenn sie bei den Gesängen einschlummerten, aus ihren Händen fallen. Ugo Foseolo musste fliehen; er ging in das Geburtsland seines lorbeergekrönten Genossen Byron, zu einer Zeit, wo dieser auf der alten Stätte der Freiheit weilte, und Hellas aus unwürdigen Banden mit befreien half. Foscolo verhungerte am Strande der Themse, wohin er sich aus London zurückgezogen hatte. An seinem Sterbetage besuchte ihn der edle Capodistria, der eben als Präsident nach Griechenland ging. Der Herzog von Devonshire, Lord Holland, Hudson Churrey und andere ausgezeichnete Personen folgten dem Sarge des Dichters, der in seinen „Sepolcri“ sang:
„Ist denn ein Stein Ersatz verlorner Tage.
Der meine Knochen sondert aus der Unzahl,
Welche der Tod in Meer und Erde säet?“
Sein Grab bezeichnet die von ihm selbst geschriebene Inschrift:
„Foscolos Leben, Tugend, Gebein fing an, hier auszuruhen.“
Glücklicher war ein anderer Dichter, der das Licht der Welt in Zante erblickte. Graf Dionisos Solomos begeisterte sich an den Taten und Gesängen des alten Hellas und war noch ein Jüngling, als die Griechen bewiesen, dass die Schar des Leonidas nicht die letzte gewesen ist, die den Tod der Knechtschaft vorzog. Er dichtete im Jahre 1823 einen „Hymnus auf die Freiheit.“ Es sind nur 632 Verse, jeder von ihnen aber ein blanker Stahl, eine blitzende Lanze, die im Sonnenlichte des Gedankens funkelnd, an einander klirren. Die Seelen, die diese, kriegerische Musik hören, werden zu Taten, zu Siegen, zu Opfertoden begeistert! Der Dichter sang seine erhabenen Gesänge, die mit denen Pindars und Byrons wetteifern, in jonischem Dialekte. Wenn ihn dies, nicht auch in der Form, den Heroen der Dichtkunst gleichstellt, so trug er doch dadurch bei, dass ihn das Volk hörte und verstand und dass es diesen Helden begeisterte und vor dem Siege schon, innerlich frei machte.
Dem Dichter wurde aber nicht allein das beneidenswerte Glück zu Teil, unsterblich in den Herzen seines Volkes zu werden; er durfte es ungestraft werden, er durfte die erhabenen Gedanken seiner Seele seinem Vaterlande sagen, er, durfte der moderne Tyrtäos seines Vaterlandes sein. Ihm wehrte keine Macht, den Gott in seinem Geiste zu offenbaren und sich den unsterblichen Dichtern seines Volkes anzureihen.
Nicht so berühmt in weiten Kreisen, wie sein Freiheitshymnus ist ein anderes Lied des Dichters, das seiner tiefbewegten Seele durch ein tragisches Familienereignis entrissen wurde; aber es tönt rührend und melancholisch von den Lippen aller griechischen Jünglinge und Jungfrauen, und bewegt ihre Herzen. Der Dichter liebte verschwiegen eine schöne griechische Jungfrau, deren Gestalt an die unsterblichen Gebilde der antiken Meister mahnte, und die eine Seele hatte, welche von dem Gefühle der Schönheit und von den Gedanken der Dichter mittönend erbebte. Sie sprach und sang die Lieder des Solomos so schön, wie Niemand sonst auf Erden. Ein italienischer Maler rührte ihr zartes Herz zu Liebe und verriet sie. Die Jungfrau konnte den Schmerz der Seele nicht ertragen, und machte mit Gift ihrem Leben ein Ende. Solomos war sprachlos, als ihm die Kunde wurde und verstummte lange für die Welt und seine Freunde. Erst als er vernahm, dass man den Tod der Jungfrau aus entehrenden Ursachen erkläre, da erwachte sein Geist und in ihm der rhythmische Zorn. Er rächte den Tod der Jungfrau durch ein unsterblich rührendes Lied, das schönste, das jemals Hellas hörte, und das mit den Worten beginnt: „Du sangest alle meine Lieder; dieses Lied aber, das ich jetzt dir anstimme, du wirst es nicht mehr hören! Ein Stein bedeckt dein Grab!“
Solomos lebte in Corfu. Ich fragte nach ihm, um ihn zu besuchen und ihm meine Huldigung darzubringen. Ich erhielt eine eigentümliche Auskunft. „Er lebt“ sagte man mir, „in tiefer Zurückgezogenheit. Der unerwartete Glanz, der sich um seinen Namen verbreitete, als sein Hymnus erscholl, erschreckte ihn. Ihm erschienen die seinem Genius dargebrachten Huldigungen als Abgöttereien. Der edle Jonier glaubte, wie Plato, der die jonische Musik aus seiner Republik verbannte, dass eine Nation, die so sehr den Gesängen lauscht, verweichliche. Er hielt aber für sein Vaterland den Moment gekommen, wo spartanischer Ernst und mutige Tat das Schicksal der Nation allein entscheiden könne. Er ließ fortan kein Gedicht mehr drucken, bis ihm die rührende weiche Totenklage um die geliebte Freundin entströmte.
Sein Genius ruhte aber nicht, und das trotz seines Vorsatzes dennoch veröffentlichte Fragment eines Gedichtes „Lampros“ hatte die Welt der geistvollen Lady Douglas, der Gattin des Lord-Oberkommissärs der jonischen Inseln zu danken, die davon so hingerissen ward, dass sie den Dichter — kniend bat, es seinem Volke nicht vorzuenthalten. Dieses teilte die Begeisterung der fein fühlenden Britin.
Am 21. Februar 1857 schloss der jonische Senat seine Sitzung, weil in den Versammlungssaal plötzlich die Kunde gelangte: „Solomos ist verschieden!“ Die Bevölkerungen der Inseln strömten herbei, um ein nationales Trauerfest zu begehen. König Otto schickte einen Gesandten, um im Namen Griechenlands dem Toten die letzte Ehre zu erweisen, und seinen Verwandten den Schmerz des Vaterlandes auszudrücken. An den schmerzlichen Tod des größten, neugriechischen Dichters, der noch nicht das sechzigste Lebensjahr erreicht hatte, knüpft sich die freudige, wehmütige Hoffnung, dass nunmehr alle seine Dichtungen auferstehen werden!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1