Verkündende Stimmen

Kol mebasser. — Sensation. — Zustimmende und Widersprechende. — Politische Auffassung. — Denunziation. — Weihegeschenke. — Empfehlungsbriefe. — Sieben Weise. — Ein auswärtiger Zelote.

Ich bereitete eine kleine Schrift vor, eine Ansprache an die jüdischen Bewohner Jerusalems, in welcher ich mich ihnen als Sendboten vorstellte, der eine geistige und materielle Wohltat ihnen zu überbringen so glücklich sei.


Im allgemeinsten Umrisse wurde die Geschichte, der Zweck, die Einrichtung und die Bedeutung des Institutes der Kinderbewahr-Anstalt auseinandergesetzt; wie sich dasselbe in allen gebildeten Staaten Europas des Schutzes der Regierungen und der Magistrate erfreue und wie auch die frommsten Rabbinen demselben ihre volle Zustimmung geben und in ihren Gemeinden gedeihen lassen. Unter den strengstgläubigen Rabbinen wurden auch der von Pesth, Herr Schwab, von Preßburg, Herr Sofer angeführt, in deren Gemeinden, ohne ihren Widerspruch Kinderbewahr-Anstalten eingeführt worden sind.

Dieser allgemeinen hebräischen Ansprache folgte eine Übersetzung der Stiftungsurkunde, der Antwort des Vorstandes der Kultusgemeinde von Wien und Prag, nebst einer kurzgefassten biografischen Skizze des seligen Herrn Simon Edlen von Lämel, damit die Bewobner Jerusalems den Mann kennen lernen, zu dessen Ehren von einer frommen Tochter ihnen eine außerordentliche Wohltat zu Teil werden sollte. Diese Schrift unter dem Titel „Kol mebasser“, verkündende Stimme, wurden nebst der österreichischen Volkshymne und einem Gebete für den Sultan in hebräischer Sprache auf fliegenden Blättern in Wien gedruckt und wird später über diese Drucksachen nicht Unwichtiges zu sagen sein.

Die beabsichtigte Stiftung wurde, da die Zeitungen von ihr Nachricht gaben, schnell in weiten Kreisen bekannt und erregte eine nicht geringe Sensation.

Es wurden, wie stets, wenn eine von den hergebrachten Anschauungen sich abscheidende Idee, ein der Alltäglichkeit entgegengesetzter poetischer Gedanke, ein der religiösen Gleichgültigkeit unbegreiflicher frommer Sinn auftauchen, Meinungen und Urteile der verschiedensten Art laut, welche auf Alles scharfsinnig gerieten, was dem Verstande daran zugänglich ist. Aber die jeder Berechnung sich entziehenden Regungen eines Gemütes, seine oft durch die wunderbarsten Erlebnisse wachgerufenen Bedürfnisse, die häufig verschämt verhüllten Motive einer nicht gewöhnlich erscheinenden Tat werden, von der Menge nie, von einzelnen Denkern nur geahnt.

Die frommen, von poetisch religiöser Sehnsucht nach dem gelobten Lande getragenen Gemüter begrüßten den Gedanken fast zweifelhaft und dann freudig erstaunt. Die Kulturfreundlichen fühlten sich der historisch geweihten Erde näher und dachten an geistige und sittliche Erfolge. Man war verwundert, wie plötzlich aus einem bewegt frivolen Residenzleben, aus einer, wenn auch treu, doch ohne orthodoxe Färbung dem mosaischen Glauben anhängenden Gemeinde unerwartet und aus einem Frauenherzen die fromme Absicht auftauchte, in der Jehova heiligen Stadt eine Anstalt zu begründen, die in menschenfreundlichster Weise Gesittung und Lehre zu verbreiten berufen sein sollte. Die Stiftung wurde wohl auch vom politisch sozialen Standpunkte betrachtet. Wie Amerika durch Turos Testament, England durch Sir Moses Montestore, Frankreich durch die Familie Rothschild auf heiligem Boden für mosaische Glaubensgenossen in Wohltätigkeit fördernder Weise vertreten sind, sollte nunmehr auch aus Österreich, dessen Monarch überwiegend mehr Untertanen mosaischen, als christlichen Glaubens in der heiligen Stadt zählt, eine materielle Wohltat, eine geistige Erhebung kommen.

Es fehlte aber auch nicht an Stimmen, welche die humanitäre Absicht eine exotische nannten, was sie rücksichtlich eines fernern Weltteils, in der glanzvollen Perspektive des Morgenlandes auch wirklich war. Es ließen sich Manche vernehmen, die da meinten, dass Gesittung und Lehre in uns näher liegenden Kreisen zu verbreiten eine größere Notwendigkeit und Wohltat wäre, und wie zu ihrer Anpflanzung und zu ihrem Wachstume ein noch gar großer Raum im Vaterlande selbst sich darböte.

Neben solcher wohlmeinenden Äußerung blieb auch die Gemeinheit mit der ihren nicht ferne. Eine angebliche Persönlichkeit, die sich in völlig unberechtigter, maßloser Selbstüberschätzung bei der Angelegenheit unbeachtet sah, stellte das Misslingen der Stiftung als unausbleiblich dar. Sie, konnte das, denn sie hatte Sache und Personen, bis ins innerste, unantastbare Leben derselben und ihrer Familie greifend, nach Jerusalem denunziert. Die dortigen Bewohner erfuhren so, von einer in dergleichen Dingen sehr geübten Feder zuerst in verleumderischer und entstellter Weise, was ihnen als Wohltat entgegengetragen werden sollte, was sie ohne diese Erbärmlichkeit mit dem tiefsten Dankgefühle schon damals aufgenommen haben würden. Statt eine edle, fromme, patriotische Tat, die unter allgemeiner Teilnahme vernommen, auch von den kaiserlichen Behörden mit lebhafter Gutheißung aufgenommen und unter den Allerhöchsten Schutz Sr. k. k. apostolischen Majestät gestellt wurde, statt sie pflichtschuldigst wenigstens nicht zu stören, statt eine Wohltat frommen Glaubensgenossen nicht zu entziehen, wurde eine förmliche Bewegung in Jerusalem künstlich vorbereitet und organisiert, um sie dann, als durch den mit der Aufgabe Betrauten hervorgerufen, verleumderisch darzustellen. Es wurden nicht allein Schreiben nach Jerusalem, sondern auch nach Amsterdam, nach London gerichtet und geradezu aufgefordert, die noch nicht vorhandene Anstalt mit dem Banne zu belegen.

Die Zahl der Zustimmenden und Teilnehmenden war jedoch die bei Weitem überwiegende. Deputationen, Briefe, poetische Zurufe und Grüße strömten aus nah und fern herbei, namentlich aber wurden die kostbarsten Weihegeschenke für die zu gründende Anstalt wie für die Synagogen der heiligen Stadt selbst eingesendet. Thorarollen, prächtig gestickte Umhüllungen von Samt und Seide, kostbare Vorhänge, silberne dem rituellen Gebrauche geweihte Geräte, Bücher und bildliche Darstellungen, Gemälde und Schulgegenstände — wie all dies zum Andenken an die frommen Spender in einem Verzeichnisse dieser Blätter beigegeben ist — häuften sich zu einem stattlichen Bazar an, der Tagelang von Besuchenden bewundert wurde. Immerhin mag dies als Zeugnis gelten, wie in vielen Gemütern und Geistern ein sittlich frommer Gedanke anklinge und wie ein tief geheimer Zug den Menschen im Abendlande nach dem Osten und besonders „Nach Jerusalem!“ innewohne.
Die kaiserliche Statthalterei von Österreich unter der Enns, der die Kuratoren die Stiftungsurkunde vorlegten, leitete den Akt an das kaiserliche Ministerium des Äußern, welches denselben sofort der kaiserlichen Internunziatur in Konstantinopel notifizierte, welche unterm 31. Januar 1856 die ins Leben zu rufende Anstalt dem kaiserlichen Konsulate in Jerusalem ankündigte und mit den Worten schloss: „Nachdem die kaiserliche Regierung der wohltätigen Absicht der Stifterin jede Nachhilfe um so mehr zu gewähren entschlossen ist, als auch Kinder österreichischer Untertanen in die zu gründende Anstalt aufgenommen werden sollen, so ist sie Ihrer besondern Sorgfalt empfohlen, und Sie werden gleichzeitig ersucht, Herrn Dr. Ludwig August Frankl, der als Bevollmächtigter der Stifterin in Absicht auf die Gründung der Anstalt nach Jerusalem geht, den zur Förderung seines Reisezweckes erwünschten Beistand in jeder Weise angedeihen zu lassen.“

Mit Empfehlungsschreiben des kaiserlichen Ministeriums des Äußern an die kaiserlichen Konsular-Ämter in Syrien und Ägypten, von Ihren Exzellenzen, dem kaiserlichen Finanzminister Freiherrn von Bruck, dem Präsidenten der obersten Justiz, Anton Ritter von Schmerling und noch hundertundsiebenzig anderen bedeutenden Persönlichkeiten versehen, rüstete ich mich zur Abreise.

So wichtig und erfolgreich diese Empfehlungen für mich waren, gewährten mir die vom Oberrabbiner der Gemeinde in Prag, Herrn Rappaport, der Kultusgemeinde in Wien, Herrn Horwitz und der sepharedischen Gemeinde, Herrn Baruch, eine besondere Zuversicht für das Gelingen der Stiftung. Sie stellten das zu gründende Institut vom strenggläubigen Standpunkte des Judentums mit allen jüdisch traditionellen und religiösen Anschauungen im vollen Sinne übereinstimmend dar. Und um nicht wieder auf diesen Gegenstand kommen zu müssen, ist zu bemerken, dass der nunmehr in Gott ruhende, strenggläubige Oberrabbiner des lombardisch-venetianischen Königreiches in Triest, Herr Treves, der Jerusalemitane, Herr Chazan, Oberrabbiner der jonischen Inseln in Korfu, der Chacham Baschi des türkischen Reiches und sein älterer Amtsgenosse im gleichen Sinne und auf Grundlage meiner erwähnten Ansprache: „Kol mebasser“ die Anstalt den jüdischen Glaubensgenossen empfahlen.

Sieben jüdische Chachamim — Weise — deren Gelehrsamkeit und strengreligiöse Observanz über allen Zweifel erhaben sind, haben somit das Unternehmen nicht nur gutgeheißen, sondern mit Schrift und Wort lebhaft unterstützt.

Diese Tatsache muss registriert werden, um sie rasch zur Hand zu haben, wenn später davon die Rede sein wird, wie ein auswärtiger Zelote sich anmaßte, in die inneren Gemeinde- und Gewissensangelegenheiten der Stadt Jerusalem zu greifen und es zu versuchen, die Gründung eines Institutes unmöglich zu machen, das unter den Allerhöchsten Schutz Sr. Majestät des erhabenen Kaisers von Österreich gestellt ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1