Persönliche Vorstellung

Austausch von Visitkarten. — Biblische Studien. — Der neunte Ab. — Im künftigen Jahre in Jerusalem. — Hammer-Purgstalls Anregung. — Sagen ans dem Morgenlande. — Der Libanon — Jochannan ben Sakai.

Es möge mir gegönnt sein, einige Worte über meine eigene Stimmung und Beziehung zu der Reise im Orient zu sagen; indem ich auf meinen Bildungsgang ein betrachtendes Auge zurückwende. Der Leser, der die freundliche Ausdauer hat, mich auf meiner weiten Reise, reich an ernsten Erlebnissen und heiteren Abenteuern zu begleiten, wird die nähere Bekanntschaft des Reisenden nicht ungern machen. Dieses Blatt mag wie eine Visitkarte sein, die Reisende, wenn sie zu Schiffe gehen, oder eine Eisenbahn besteigen, gegenseitig austauschen; ohne dass es ihnen einsiele, damit Unbescheidenes zu tun.


Das Erste, was ich in frühester Jugend lesen und verstehen lernte, waren die heiligen fünf Bücher in der Ursprache. Die jugendliche Fantaste wurde mit den von heiliger Legende und Geschichte verklärten Szenen näher vertraut, als mit den sie umgebenden Bildern und Gestalten. Gewiss erschienen ihr die letzteren im Abstich zu dem glanzvollen Morgenlande kalt, kahl und gleichgültig. Allmählich bevölkerte sich die heimisch gewordene, ferne Szene mit den Gestalten der Profeten und ihre am Tage erlernten, begeisternden Worte hallten in den Träumen des Knaben nach. Eine Sehnsucht nach dem gelobten Lande erwachte und tausend Fragen, wie man dahin gelangen könne, wie es jetzt aussehe, quälten meine fromme Mutter, den nicht immer Bescheid wissenden Lehrer. Und wenn der neunte Ab, der Tag der Zerstörung Jerusalems, in der Synagoge gefeiert wurde, und die Klagelieder des Profeten erklangen, weinte ich aus kindlichem Herzen. Der am Schluss des Passahfestes gesungene Vers: „Im kommenden Jahre werden wir in Jerusalem sein!“ wirkte jedes mal, weil ich ihn von den Eltern und allen Hausgenossen inbrünstig aussprechen hörte. Tage und Wochen in mir nach, denn ich glaubte an die Erfüllung.

Wie spät, wie unerwartet und in welch anderem Sinne sollte die Sehnsucht nach Jerusalem in Erfüllung gehen!

Andere Studien beschäftigten mich später als Jüngling, andere Kreise hatten mich aufgenommen und die eigentümliche Melodie, mit der die Sehnsucht nach Jerusalem so wehmütig meine Jugend umrauscht hatte, war fast völlig verklungen. Ein günstiges Geschick brachte mich in Wien in vertrauteste Beziehung zu dem mir unvergesslichen, väterlichen Freunde Hammer-Purgstall. Er erschloss mir den Orient mit seinen brennenden Farben und Lichtern, indem er mir durch Wort und Schrift die engen Kreise des Vaterlandes meiner Väter weiter zog und die Fantasie von einer kleinen Erde, der ganzen großen des Morgenlandes zuführte. Herder, Goethe, Rückert vollendeten, was Hammer-Purgstall mächtig in mir anregte.

Weil aber eine Fantasie, welche die Lust des Gestaltens in sich spürt, nicht ins Allgemeine streben darf und sich einem Bestimmten, einem sicheren Punkte zuwenden muss, von dem aus sie wirken soll; so suchte ich die frühesten geistigen Jugendeindrücke zu verkörpern. Ich schrieb Sagen aus dem Morgenlande, deren Gestalten aber zumeist dem kleinen Lande der Urväter angehörten, während der ganze glanzvolle Orient ihr großartiger Hintergrund war. Einige derselben sind an der entsprechenden Stelle diesen Blättern eingefügt.

Das praktische Leben ergriff und brachte mich, durch eine seltsame Fügung mit den politischen und sozialen Einrichtungen meiner Glaubensgenossen in unmittelbaren amtlichen Verkehr. Die poetischen Stimmen, die nach Jerusalem riefen, waren darüber völlig verklungen und noch andere mit ihnen. Und doch sollte selbst dieser in meinen ganzen Lebensgang greifende Umstand nur eine Vorbereitung sein, um dereinst eine nationale Aufgabe zu lösen. Ich beobachtete einmal die bekannte, sich schön mit blauen, roten und violetten Blumen schmückende Winde; damit sie das ganze Fenster mir grün beschatte, bog ich ihre Spitzen bald herab, bald zur Seite hin. Die gebundene Pflanze musste sich fügen. Wenn sie aber eine Weile so hinwuchs und sie aus sich neue Spitzen trieb, so richteten sie sich immer empor, um nach oben zu wachsen.

Es konnten meine Lebensverhältnisse den mir innewohnenden Trieb wohl umbiegen, hemmen, aber niemals vernichten. Vielmehr entwickelten sich aus jenem selbst Zustände und Bedürfnisse, an denen er sich festklammern und immer wieder grün und frisch emporschießen konnte. Ich schrieb einen Beitrag zur Geschichte der Juden in Wien, ich durfte die fromme Brüderschaft zur Erhaltung ihrer alten Denkmale veranlassen und beschreibend herausgeben. Ich sammelte alle poetischen Stimmen der Völker, welche die Mythe, die Legende, die Geschichte, das Familienleben des jüdischen Volkes verklären. Die lesende Welt kennt das Buch für Familie und Schule unter dem Titel „Libanon.“

Als ich diesen Namen wählte, hatte ich auch nicht die entfernteste Ahnung, dass ich ein Jahr später unter dem Schatten der Zedern des Libanons wandeln sollte.

Als einen neuen Beweis, dass die Fantasie mit ihren Fühlhörnern oft merkwürdig vortastet und profetisch weiß, was geschehen werde, wenn auch alle Lebensbedingungen gegen die Tatsache sprechen, mag noch ein inneres Erlebnis hier mitgeteilt werden. Mir tauchte plötzlich einmal die Gestalt des Mannes auf, der, als Jerusalem zu Grunde gegangen war, vom Feldherrn sich nur die Gnade erbat, eine Schule gründen zu dürfen. Der Stoff formte sich mir zum Gedichte, das sich mit seiner Sehnsucht und seinem Vertrauen hier anschließen mag. Einige Wochen später, wie vom Himmel herab, fiel mir die Aufgabe zu, nach Jerusalem zu gehen um auf seinen Ruinen ein Lehrhaus zu gründen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1