Jochannan ben Sakai

Es stürmt der Feind schon vor den Mauern,
Der Aufruhr in Jerusalem;
Bald sinkt sein Strahlendiadem
Für alle Zeit in dunkles Trauern.
Von Pfeilen sind die Köcher leer,
Verzweiflung hält nur Gegenwehr;
Kein Gottesglanz im Tempel mehr —
Den Gram will Keiner überdauern.

Nur Einer rät der weisen Väter:
„Die Waffen streckt, hier siegt kein Mut!“
Ihn schmerzt es tief, dass so viel Blut
Vergebens dampft zum blauen Äther.
Sie aber hören nicht sein Wort,
Sie rufen: „Wo ist Zions Hort?“
Sich rettend eilt ben Sakai fort,
Sie stein'gen sonst ihn als Verräter.


Und durch das Rasen der Zeloten
Zieht mit Gebet ein Männerchor,
Im Sarge tragen sie vor's Tor
Ben Sakai, als Lebendigtoten.
Gerettet, in der Römer Kreis
Steht vor dem Feldherrn bang der Greis.
„Zum Frieden rietest Du, ich weiß.
Sie wählen glücklich ihren Boten!“

,,O Herr! sie bitten nicht um Gnade,
Legionen Gottes, treu dem Schwur,
Sie lassen untergehend nur
Jehovas heil'ge Bundeslade.
Was auch Empörerzorn beginnt,
Da sie, o Herr! doch Helden sind —
Die Mutter schone und das Kind
Auf deinem blut'gen Siegespfade.“

„Ein Römer, töt ich, die sich wehren:
Beim Zeus! ich bin Herodes nicht!
Doch weil du sie gemahnt zur Pflicht,
Darfst eine Gnade du begehren.“
„Herr! wenn dein Blitzstrahl niederfuhr
Und du vertilgt des Tempels Spur,
In Jabneh lass mich gründen nur
Ein Haus, die Jugend drin zu lehren.“

Der Feldherr, lächelnd, winkt Gewährung,
Wie töricht ihm die Bitte scheint;
Und ahnend nicht, gewährt der Feind:
Des Volkes ewige Verklärung.
Das ehr'ne Rom wird untergeh'n,
Der Völker viel der Sturm verweh'n,
Doch Juda's Geist wird aufersteh'n,
Ein Adler über der Verheerung.

Es forscht und lehrt der Gottesstreiter,
Die Jugend mehrt, was sie erwarb;
Wenn ein Geschlecht von Weisen starb,
Geschlechter erben's mutig weiter,
Bis, ob umdroht von Tod und Nacht,
In tausendjähr'ger Geisterschlacht
Der Bau des neuen Reichs vollbracht,
Ein für die Ewigkeit gefeiter.

O Königin Jeruschalaim!
Thu' ab der Witwe schwarz Gewand,
Es krönten neu mit goldnem Band
Dich die Geschlechter der Tanaim.
Unsterblich, wird dir nie ein Grab,
Wie Mosen keins die Erde gab,
Der mit dem wundervollen Stab
Dein Volk geführt hat aus Mizraim.

Noch ziehen deines Geist's Gebete,
O Königin des Zedernthrons,
Empor gleich Adlern Libanons!
Ein Dichter sang es, kein Prophete:
„Die Taube hat ihr Nest, der Fuchs die Kluft,
Der Mensch die Heimat, Juda nur die Gruft.“
Du bleibst der grüne Strauch voll Duft,
Wenn ihn die Flamme auch umwehte.

Und wenn in Zeiten, die verschollen,
Der Holzstoß flammend dich umloht,
Da sangen sie dich in den Tod
Mit Psalmenklang, die Mitleidvollen!
O, schön're Rache ward dir nie:
Der Psalmen heil'ge Melodie,
Von deinem Dichter borgen sie
Die Hymnen, wenn sie beten wollen.

Die Sänger aller Völker dichten
An deiner ew'gen Elegie,
In Stein und Farben formen sie
Die ewig heiligen Geschichten.
Es ist unsterblich nur allein,
Wen sanft umfließt der Mythe Schein
Und ist die Gegenwart nicht dein,
Es muss sich deine Zukunft lichten.

O Volk auf deinen Dornenpfaden!
Du hast der Denker bleichen Ruhm,
Du Hast purpurnes Märtirthum,
Und einen Bund mit Gottes Gnaden!
Zerstreut auf deiner Erde hier,
Wir beten, ew'ger Gott, zu dir;
Gedankenscharen weiden wir,
Jehovas heilige Nomaden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1