Ein Sturm

Mythische und geschichtliche Erinnerungen. — Sturm. — Seekrankheit. — Piräus. — Die Sprache der homerischen Helden. — Nach Athen.

Es leuchtete ein heller, freudiger Morgen. Wir begrüßten, rauschend dahinfahrend, die himmelanstrebend, schneebedeckten Berge von Albanien und Epirus. Wir hatten die Felsenufer von Ithaka gesehen, die Echynaden durchschifft, grüßten erinnerungsvoll den Leukadischen Felsen und die verhängnisvolle Bucht von Navarin. Es war ein glückliches Fahren, und ein elegisch poetisches Schauen, das nicht müde wurde. Die Fantasie dachte alle Mythe und Geschichte, Herrlichkeit und Untergang wie im Fluge durch, und Götter und Heroen bevölkerten wieder den Olympos und die Erde. Die Wogen erschienen mir, was sie von Rechtswegen seit alten Zeiten eigentlich sind, als bläuliche Töchter des Nereus und — „Wir bekommen Sturm!“ sprach eine Stimme neben mir, es war der Kapitain des Schiffes, der mich aus meinen antikisierenden Träumen weckte. „Wir umschiffen in einer Stunde das Cap Matapan, wo uns stärkere Strömung aufnimmt, und aus dem jonischen Meere, zwischen Griechenland und Candia, zu den Kikladen in den Archipelagus bringt.“


Die Glocke gab das Signal zum Frühstück. Wir saßen nicht lange, und es fing das Schiff heftig zu schwanken an und warf Tassen und Gläser, Rum und Zwieback wild durcheinander.

Ich flüchtete mich in meine Kabine, um sie nicht wieder, bis wir den Hafen erreicht hatten, verlassen zu können. Ich fühlte mich, mit Ausnahme einiger Stunden des Schlafes, entsetzlich krank. Das Knarren der heftig arbeitenden Maschine, die an die Schiffswand brausend schlagende See, das Toben des Sturmes, die den hohen Wogen sich heftig anbeugenden Bewegungen des Schiffes, das nach vor und rückwärts und wieder nach den Seiten gestoßen in allen Bohlen erzitterte, — all dies erzeugte eine Stimmung in mir, die da sagte:

„Nun so sei's!“

Die Nacht währte entsetzlich lang, nur bleigrau schaute der Morgen durch das runde und kleine Kabinenfenster, das ich, um frische Luft zu atmen, mühsam mich heranwälzend, öffnete. Ich sah die Wogen, plumpe Riesenweiber mit gewaltigen Silberschaum-Kronen bei der tollen Musik, die aus den Wolken herabscholl, rasende Tänze aufführen. Der Gischt schlug durch das Fenster über mein Bett hin; ich schloss es schnell und versuchte aufzustehen. Vergebens! Und so musste ich einen heftigen Sturm erleben, und mich von ihm durchschauern lassen, ohne die Befriedigung, ihn zu sehen. Der freundliche Schiffsarzt besuchte mich, und machte mich auf die Insel Cerigo aufmerksam, das alte Kythere, den Geburtsort der Helena, um derenwillen der trojanische Krieg ausbrach. „Was ist mir Helena, lieber Herr College! Was mir der Zorn des Peleïden Achilleus, wenn Sie mir kein Mittel gegen die Seekrankheit wissen!“

Am 19. März, nach fünftägiger Fahrt, langten wir Abends um 6 Uhr in Piräus an. Der Sturm ließ uns um vierundzwanzig Stunden später den Hafen erreichen. Das Schiff hatte Anker geworfen; ein von zwei jungen Männern heranruderndes Boot nahm mich auf, und ich gelangte, glücklich die feste Erde unter meinen Füßen zu empfinden, vor dem Amtsgebäude des österreichischen L'loyd an. Ich zahlte den bedungenen Lohn. Einer der jungen Hellenen aber warf mir das Geld vor die Füße. Der Kanzlist der Agenzia, durch das Schreien des jungen Menschen aufmerksam, trat aus dem Amtsgebäude heraus, und fragte mich: ob ich den Lohn ausdrücklich bedungen habe? Als ich ihm dies bejahte, fing ein heftiges Zanken zwischen ihm und dem Bootsführer an. Ich hörte zum ersten Male in ihrer Heimat, im Hafen des Themistokles die Sprache der homerischen Helden. Der Kanzlist übergab mir das Geld: „Nehmen Sie es nur zurück! Der junge Mensch leugnet nicht, mit dem bedungenen Lohne einverstanden gewesen zu sein. Es ist eben nur ein Versuch von ihm, Sie zu prellen. Der Schlingel sagt, es sei ihm eine Ehre gewesen, einen so großen und reichen Herrn umsonst ans Land gebracht zu haben. Nehmen Sie diese Großmut nur an, und kommen Sie zu uns herein; er wird bald kommen und betteln, ihm seinen Ruderlohn zu geben.“ So geschah es auch.

Ein griechisch schön gekleideter Mann, der sich als Besitzer des Hotels 1'Orient ankündigte, und dessen Ehrenhaftigkeit mir von der L'loydagenzia empfohlen wurde, nahm mich in einem der Kälte wegen geschlossenen Wagen auf. Wir fuhren eine Stunde lang nach Athen, durch eine Landschaft, die mondbeschienen, eingeschneite Höhen zeigte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1