Der Dichter Alexander Rizos Rangabé

Der k. Minister des Auswärtigen. — Uhland und Rückert. — Das deutsche und das wirkliche Athen. — Schlacht von Lepanto. — Der Volksverführer. — Der Vladika von Montenegro. — Goethe und Schiller neugriechisch. — Prosodiekampf. — Nazionale Dichter. — Theater. — Biografisches.

Herr Kavtanzoglou hatte die Freundlichkeit, mich dem Dichter Alexander Rizos Rangabé vorzustellen.


Unfern des Palastes auf einem freien Platze traten wir in ein Haus, das wie alle neuen Häuser Athens, wenn man sie von der Straße aus betritt, einen Garten, oder sonst verzierten Vorplatz hat. Es führte eine mäßig hohe, freie Treppe empor in ein Vorzimmer, aus welchem wir in einen kleinen Saal gelangten, der durch die einfachste Einrichtung ausgezeichnet war. Ein Diener, der sich hier aufhielt, meldete uns und öffnete die Türe eines Kabinettes, das, ebenso einfach wie der Saal eingerichtet, auf einem Tische Papiere und Bücher und einen Schreibtisch mit gleichen Gegenständen sehen ließ.

Herr Kavtanzoglou trat, da es kühles Wetter war, im Mantel ein; ich selbst, seinem Beispiele folgend, ohne den Überrock abzulegen. So einfach und ohne Zeremonie war der Besuch.

Hinter dem Schreibtische hervor trat ein kleiner hagerer Mann mit blondgrauen Haaren und hellen blauen Augen.

Ich stand vor Sr. Exzellenz, dem Minister des k. Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten.

Nachdem Herr Kavtanzoglou mich mit einigen griechischen Worten vorgestellt hatte, reichte mir Herr Rangabe freundlich die Rechte und redete mich gewandt in deutscher Sprache an:

„Sie kommen aus dem Vaterlande Uhlands und Rückerts; seien Sie mir herzlich willkommen!“

Ich freue mich, eine Erscheinung im wirklichen Athen wieder zu sehen, die uns im deutschen an der Ilm erfreute: ein Dichter, der Minister ist und den Spruch Schillers verwirklicht: Es soll der König mit dem Dichter gehen.

„Sie huldigen der epischen Muse? Meines Wissens hat, außer Ihnen noch kein Dichter die große Schlacht mit den kleinen Folgen in unserem Golfe von Lepanto besungen.“

„Doch Exzellenz, der —„

„Sagen Sie Herr Rangabé, da ich gern voraussetze, dass Sie den Dichter und nicht den Minister zu besuchen gekommen sind.“

„Der spanische Dichter der „Aurakana“ widmet der Schlacht einen ganzen Gesang.“

„Sie lieben die Helden zur See und schildern das Meer mit Vorliebe. War es dankbar und Ihnen günstig?“

„Bis zum Kap Matapan. Doch als ich Europa verließ, begann sein Zorn. Sie sehen, ich spreche schon, wie die Athenienser, die sich nicht mehr zu den Europäern zählen.“

„Die frühere morgenländische Herrschaft brachte so viele Sitten und Gebräuche in unser Land, dass wir uns außer Europa fühlen mochten. Sagen Sie nicht auch in Österreich „draußen“, wenn von Deutschland die Rede ist?“

„Ich staune über Ihre Kenntnis dieses lächerlichen Ausdrucks.“

„Ich studierte in München und da machte ich die Bekanntschaft manches Österreichers.“

„Ich habe es zu beklagen, nicht der neugriechischen Sprache kundig zu sein, und so kenne ich nur eines Ihrer Werke, die Satire: „Die Hochzeit des Kutrulis“, die Sanders verdeutscht hat.“

„Ich habe so eben die Mitteilung erhalten, dass auch einer Novelle von mir, „der Fürst von Morea“, die Ehre zu Teil wird, in die Sprache Lessings übertragen zu werden.“

„Was Sie bescheiden als eine Gunst ansehen, scheint mir nur eine erwiedernde Dankbarkeit, nachdem Ihre griechischen Übersetzungen vieler Gedichte von Goethe und Schiller berühmt geworden sind.

„Es ging mir damit leichter, als mit der Übersetzung des Euripides und des Homer, wenigstens kampfloser. Ich wagte es, die Odyssee in Hexametern zu übersetzen, die aber nicht der antiken Prosodie huldigen, sondern dem Akzente der neugriechischen die Quantität der alten Sprache opfern. Es entstand ein literarischer Kampf darüber, der noch nicht ausgefochten ist, wiewohl mein Beispiel immer mehr Nachahmung findet.“

Herr Rangabé holte aus einer Büchersammlung, die neben seinem Schreibtische stand, zwei Bände seiner Dichtungen hervor, die vor zwei Jahrzehnten unter dem Titel: „Diaphora poiemata“ erschienen sind. Seinen Namen einschreibend, verehrte er sie mir zum Andenken.

„Wenn Sie einen Freund haben, der griechisch und deutsch liest, so lassen Sie sich, da Sie das Epische mehr angeht, mit dem Gange und einigen Stellen meines Gedichtes: „Der Volksverführer“ bekannt machen. Der Held gehört der neueren Geschichte an, es ist der montenegrinische Mönch, der unter Katharina II. lange die Rolle des Zaren Peter III. spielte.“

„Denselben Stoff behandelte der verstorbene Vladika von Montenegro, aber dramatisch. Sein Trauerspiel, über das ich von ihm einen charakteristischen Brief besitze, ist von erschütternder Wirkung. Es liefert mir diese Tatsache wieder den Beweis, dass es keinen vorbestimmt epischen, oder dramatischen Stoff gebe. Das Genie des Dichters entscheidet. Wir wissen, dass Goethe lange Zeit in Gedanken den Wilhelm Tell episch formte, bis er ihn Schiller überließ, der ihn zum Helden eines unsterblichen Dramas machte.

„Wir müssen es in allen Formen versuchen, das Nationalgefühl zu wecken, das erwachte lebhaft zu erhalten. Nur der nationale Dichter kann gelten, er verhöhne, wenn er nur vaterländisch fühlt, wie unser Sutzos, Helden und Volk, oder er begeistere es, wie Solomos durch seinen Freiheitsgesang.“

„Wäre darum und vor Allem ein griechisches Theater nicht zu schaffen?“

„Vor Allem! Aber das Nationalgefühl, um es redlich zu sagen: die Unbildung sträubt sich noch dagegen. Ich gehe seit lange mit dem Gedanken um.“

Ein eintretender Diener berief den Minister zu Hofe; unser Gespräch musste unterbrochen werden. Es wurde mir der geistige Gewinn zu Teil, mit dieser im Leben und in der Kunst bedeutenden Persönlichkeit noch in wiederholte, freundliche Berührung zu kommen.

Neueren Nachrichten zufolge ist ein griechisches Theater in Athen mit Schillers Trauerspiel: „Kabale und Liebe“, übersetzt von Rangabe, eröffnet worden.

Rangabé ist der Sohn eines Gelehrten, der sich durch eine Statistik Griechenlands einen literarischen Ruf begründet hat. Der Dichter war bis zu seiner Berufung in das k. Kabinett Professor der Archäologie in Athen.

Die von ihm begründete „archäologische Zeitschrift“ in griechischer Sprache, seine französischen „Antiquitées Helléniques“ haben ihm ebenso den Ruhm eines geistvollen Forschers erworben, wie seine Dichtungen die Begeisterung der Nation. Kühnheit des Gedankens, Glanz der Sprache, vor Allem ein in beiden schlagendes Herz fürs Vaterland zeichnen die Poesien dieses Dichters aus. Er singt: „Alle Griechen müssen nur ein Herz, eine Seele, ein Ziel und einen Feind haben.“

Das Ziel ist vielleicht der erneute Thron von Byzanz!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1