Beim österreichischen Gesandten

Der Bibliothekar des Eskurials.— Chemische Untersuchung von Tempelsäulen, — Ein französischer Offizier geraubt. — Ein abgesetzter Pfarrer. — Euböa. — Totenblumen zu Branntwein benutzt. — Griechische Zustände. — Rührendes Leichenbegängnis.

Ich hatte die Freude, zu Athen in der Person des österreichischen Gesandten, den Freiherrn von Walter zu begrüßen, dessen interessante Bekanntschaft ich viele Jahre früher in Neapel gemacht hatte. Leider war seine Stimmung durch andauernde Kränklichkeit niedergedrückt; nichtsdestoweniger versammelte er einen Kreis geistvoller Männer um sich, in welchem er seine Leiden zu vergessen schien und immer heiter mittheilsam wurde.


Wir waren eines Abends in seinem Salon und ließen uns von seinen Reisen, fast auf der ganzen gebildeten Erde erzählen. Ergreifend war die Schilderung seiner Besteigung des Piks von Teneriffa, anziehend die seiner Reise nach Rio Janeiro. Am meisten fesselten uns die Bilder des Eskurials, und merkwürdig war der Griff, den Baron Walter mit Bewilligung des ihn begleitenden Mönchs in der Bibliothek tat.

Als er in die weitläufigen Räume trat, standen fast alle Bücher mit den Schnitten nach außen. Auf die an den begleitenden Mönch gerichtete Frage, wie er ein Buch finde, gab er die naive Antwort: „Es hat seit den Jahren, die ich der Custode bin, noch niemals Jemand ein Buch verlangt.“ Und auf die Frage, ob er selbst nicht zuweilen läse? „Niemals, lieber Herr! Mein frommer Glaube, den die heilige Jungfrau mir rein bewahren möge, könnte irregeleitet werden.“

In einem der Säle lag auf der Erde ein kleiner Berg von Büchern und Papieren; Staub und Spinnen hatten ein schützendes Dach über dieselben gelegt. Baron Walter fragte, ob er etwas von den Büchern zum Andenken mitnehmen könnte? „Nehmt lieber Herr!“ Die Hand war eine glückliche; sie zog das Manuskript von Lopez de Vegas „der Stern von Sevilla“ und die Originalinstruktion für die Inquisition vom Kardinal Himenes hervor. Er vererbte Beides seinen Freunden: das Drama dem Dichter Zedlitz, die Instruktion dem Orientalisten Hammer-Purgstall.

Einen interessanten Gesprächstoff bot eine chemische Untersuchung des anwesenden Professors Herrn Landerer, die einen langen Kampf entschied. Die Archäologen wollten aus der braungoldenen Farbe der Tempelsäulen in Athen erkennen, dass die Alten nicht bloß die Kapitäle, sondern auch die Säulen polychromisch bemalten. Schon Faraday meinte, es könne die braune Färbung von Eisen herrühren. Die genaue Untersuchung Landerers stellt unwiderleglich diese Farbe für eine Oxydierung des Eisens, das in jedem Marmor vorhanden ist, dar. Er wiederholte die hier im Laufe der Zeiten sich langsam ergebende Tatsache durch ein einfaches Experiment, indem er weiße Marmorstücke mit Salpetersäure benetzte, die, einige Zeit der freien Luft ausgesetzt, dieselbe braune Färbung zeigten, wie die Säulen des Theseustempels. Die freiliegenden Marmorstücke am Pentelikon sollen dieselbe Farbe, wie die Säulen an den Tempeln zu Athen zeigen.

Als ich den Wunsch aussprach, die nur drei Stunden entfernten Marmorbrüche des Pentelikon zu besuchen, überhaupt einen Ausflug in das Innere des Landes zu machen, rieten mir die Herren ernstlich davon ab, indem ein solcher Ausflug für einen Einzelnen nicht sicher sei.

Es wurde erzählt, dass ein französischer Offizier, nur von einem Diener begleitet, sich vor Kurzem in die Berge entfernt habe und von Räubern entführt worden sei. Diese forderten in einem Briefe an den französischen Kommandanten in Piräus ein Lösegeld von 20.000 Fres., an einen bestimmten Ort hinterlegt, worauf sie den Gefangenen freigaben. Durch die in Griechenland mitempfundene Aufregung des türkisch-russischen Krieges war die Sicherheit des Landes für einige Zeit gefährdet, selbst in der Hauptstadt. Der Gesandte ließ mich jedesmal, wenn ich spät Nachts aus seinem Teezirkel heimkehrte, durch seinen Gensd'armen begleiten.

Die Absetzung des katholischen Pfarrers in Piräus durch den Bischof von Syra beschäftigte eben die Gesellschaft von Athen. Der französische Gesandte glaubte hinter eine Verschwörung in Athen gekommen zu sein: dass die Griechen nämlich in der Karfreitagnacht alle Katholiken erschlagen wollten. Um seinem Berichte Nachdruck zu geben, forderte er den Pfarrer, einen österreichischen Italiener, auf, ein die Tatsache bestätigendes Zeugnis zu geben. Padre Constantino, dem von einer Feindseligkeit zwischen Griechen und Katholiken nichts bekannt war, der vielmehr von dem guten und freundlichen Zusammenleben der Beiden zu sprechen wusste, verweigerte eine Aussage, die den diplomatischen Bericht bestätigen sollte. Kurze Zeit darauf wurde der Pfarrer von seinem Bischof, welcher der, die Katholiken besonders beschützenden Macht natürlich geneigt ist, abgesetzt und ein neuer an seine Stelle eingeführt. Der österreichische Gesandte verweigerte konsequent, den neuen willigeren Mann bei sich zu empfangen. Ohne Unterstützung von österreichischer Seite wäre Padre Constantino geradezu dem Hunger preisgegeben gewesen.

Dr. Lindemayer, der Leibarzt der Königin, lenkte das Gespräch vom politischen Gebiete ab durch eine Mitteilung seiner naturhistorischen Beobachtungen auf der Insel Euböa. Er beklagte im Allgemeinen, wie wenig noch das Land rücksichtlich seiner Boden- und Kulturzustände gekannt sei; griechischer Fleiß wäre aber nicht die Wünschelrute, um sich des möglichen Reichtums zu bemächtigen. Er meinte, durch eingehende Darstellungen könnten die Blicke der Industriellen „von Europa her“ auf Griechenland gelenkt werden, und wenn auch nicht abhold den archäologischen Forschungen und den großen Erinnerungen wäre es gut, wenn auch Reisende kämen, die, allenfalls um Mythe und Geschichte völlig unbekümmert, dem Grund und Boden ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden verstünden.

Es wurde mitgeteilt, dass eben eine sardinische Gesellschaft sich an die Kammer gewendet habe um das Recht, die bisher völlig unbenutzte Zwiebel des Asphodelos — der antiken Totenblume, die nach Homer selbst im Hades blühte — zur Liqueurfabrikation ausbeuten zu dürfen.

Als die Bemerkung aufgeworfen wurde, dass etwa dreißig in Athen erscheinende Zeitungen, Bücher und Broschüren hinlängliche Kunde über Land und Leute gäben, wurde dagegen eingewendet, dass diese Stimmen nicht weit über das Königreich selbst hinausdrängen, schon weil die Sprache derselben keine Weltsprache sei; dass es hingegen im Interesse Derer liege, die eine solche reden, oder in ihr schreiben, die allerdings noch in der Entwickelung liegenden Zustände bestens zu verleumden. Der Fortschritt ist überall hin erkennbar, und wenn er nicht so gewaltig und so rasch ist, wie ihn die Zivilisation wünschen muss, so läge die Schuld gerade an Denen, die diesen Vorwurf am Lautesten erheben. Griechenland ist zu klein und müsste wenigstens seine Grenzen so weit ausdehnen, als England sie dachte, so lange man einem Koburg das Königreich verleihen wollte.

Dr. Lindemayer, ein Schüler Okens, ist durch eine gelehrte Arbeit in der Isis über die Vögel Griechenlands bekannt geworden und teilte uns manchen interessanten Vergleich mit, den er zwischen den Vögeln des Aristoteles und den jetzt in Griechenland lebenden zieht. Die wissenschaftliche Welt wird dieser naturhistorischen Studie sich bald zu erfreuen haben.

Anziehend waren mir manche Mittheilungen aus dem Volksleben, umsomehr als ich von diesem, aus Unkenntnis der neugriechischen Sprache, völlig geschieden war.

Der Grieche begreift nicht, wie man Jemanden in seinen Rechten dem Andern nicht gleich halten könne. Im Himmel sei das freilich anders, da könne nur der Grieche selig werden. Die im Auslande reisend, sich Fürsten und Grafen nennen, führen diese Titel in der Heimat gar nicht, oder höchst selten. Der Grieche kennt noch von der türkischen Herrschaft her keinen Adel und keinen Ständeunterschied. Die einfachste und mäßigste Lebensweise ist ein charakteristisches Merkmal des griechischen Familienlebens.

Rührend war die Schilderung eines Leichenbegängnisses, das einer der Anwesenden in einem griechischen Dorfe mit angesehen hatte: Eine Mutter trug ihr totes Kind, weiß angetan, weinend zum Begräbnisplatze. Ein griechischer Pope folgte mit dem Kreuze in der Hand, mit dem er zuweilen einen neben ihm gehenden, mit einem Holzbündel beladenen Esel antrieb. Die Popen sind sehr arm und treiben, wie einst die Apostel, meist ein Handwerk neben ihrem heiligen Berufe. Der eben erwähnte war ein Tischler und verband so den heiligen und profanen Beruf in naivster Weise. Niemandem, wo die Gruppe vorüberzog, wandelte ein Lächeln an.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1