Capitel 7 - Leben an Bord.

Vierzehn Tage waren nach dem, im vorigen Capitel beschriebenen Sturm verflossen, und nichts Besonderes in der Zeit an Bord der Haidschnucke vorgefallen. Der Wind blieb ihnen aber, wenn auch nicht besonders stark, doch ziemlich guenstig, dass sie wenigstens fortwaehrend Cours anliegen oder steuern konnten(16), und bei dem herrlichen und schoensten Wetter den ruhigen Passat benutzen durften. In jenen Breiten weht die Luft so gleichmaessig, dass sogar eine Veraenderung an den Segeln nur selten noethig war, und die Passagiere, die auch wohl sahen dass sie tuechtig dabei vorwaerts rueckten, fingen schon an ungeduldig zu werden, frugen unaufhoerlich die Steuerleute und Matrosen wann sie wohl „nach Amerika“ kommen wuerden, und kramten den ganzen ausgeschlagenen Tag in ihren Kisten und Kasten herum ihre „Uferkleider“ wieder vorzusuchen, Stiefeln und Schuhwerk von Schimmel zu reinigen, Waesche auszuwaschen, und Tuchroecke und Hosen an die Luft zu haengen und auszusonnen.

Eine eigenthuemliche Veraenderung war aber doch mit manchem der Passagiere, waehrend der langen Seereise, vorgegangen. Besonders die Maenner, die sich im Anfang noch, als ihnen das Schiffsleben fremd und ungewohnt vorkam, wenigstens sauber und reinlich gehalten, und regelmaessig ihre gewoehnliche Kleidung angelegt hatten, als ob sie an Land gehen wollten, fingen an nachlaessig zu werden, und liessen ihrer Bequemlichkeit in dem Schmutz des Zwischendecks den Zuegel schiessen. Diesen voran waren Steinert, und selbst Mehlmeier, die schon lange ihre Tuchkleider in die Kisten gepackt, und nur noch in den ersten Wochen angefangen hatten zwei und drei Hemden woechentlich auszuwaschen. Das machte ihnen aber bald auch zu viel Mueh'; wozu sich vor den Anderen geniren? -- mit der Cajuete, so oft sie das auch versucht, kamen sie doch in keine Beruehrung, denn das nicht unbegruendete Geruecht dass sich Ungeziefer im Zwischendeck gezeigt, hielt jetzt selbst Herrn von Hopfgarten ab sich noch zwischen die Leute zu mischen, und fuer ihre gewoehnliche und alltaegliche Gesellschaft waren sie auch so gut und reinlich genug. In zertretenen Pantoffeln und abgerissenen Staubhemden und Hosen, Steinert ein rothgesticktes sehr schmutziges Sammetkaeppchen, Mehlmeier eine einfachere aber nicht reinlichere oestreichische Muetze auf (wobei der vergoldete Knopf vorn, wie der gelbe Streifen darum ihm das Ansehn eines heruntergekommenen Beamten gaben) trieben sie sich den Tag ueber an Deck herum, und warfen sich den Abend meist unausgezogen auf ihr Lager. Steinert trank dabei; aber der Wein, den er sowohl wie Mehlmeier zu ihrer Staerkung unterwegs mitgenommen, war lange verbraucht, und der Weinreisende sah sich genoethigt seiner durstigen Kehle den leichter zu bekommenden aber auch gefaehrlicheren Branntwein zu goennen. Er betrank sich allerdings nicht, aber er wurde sehr lustig und laut, und Mehlmeier, der ihm gerade nicht regelmaessig, aber doch sehr haeufig Gesellschaft dabei leistete, setzte sich dann zu ihm und sang mit ihm, bis sie gewoehnlich Abends von dem wachthabenden Steuermann zur Ruhe verwiesen wurden, weil die zur Coye gegangenen Matrosen nicht schlafen konnten.


Noch immer der Alte war und blieb Zachaeus Maulbeere, der Exprediger des Zwischendecks, der aber nichtsdestoweniger, und trotzdem dass es ihm an Deck verboten worden, im unteren Raum noch mehrmals Reden, und zwar meist in der angefangenen Art gehalten, und immer eine bereitwillige Schaar Zuhoerer gefunden hatte. Die Bessergesinnten wollten es freilich auch unten nicht dulden, und der fromme Weber meinte der damalige Sturm sei unmittelbar der Gotteslaesterung gefolgt, ja ihr ganzes Schiff wuerde noch dem Zorn des Allmaechtigen verfallen, wenn sie den schlechten Menschen seine nichtsnutzigen und teuflischen Reden unter sich halten liessen, die Mehrzahl war aber gegen ihn, und die Steuerleute mochten sich nicht in das mischen was unter Deck vorging, so lange es nicht das Schiff selber betraf und schaedigte. Uebrigens trug er noch -- und kein Mensch an Bord hatte ihn je ohne den gesehn -- denselben verblichenen gruenen Oberrock mit den glatt und glaenzend gescheuerten Schultern, den er an dem Morgen getragen, als er den Weserkahn zuerst betrat. Selbst Nachts that er ihn nicht von sich, und anstatt sich ueberhaupt vor Schlafengehn, wie man es im gewoehnlichen Leben doch eigentlich thut, zu entkleiden, zog er im Gegentheil zu dieser Zeit noch einen alten einmal blau gewesenen Mantel mit drei oder vier Kragen, ueber seinen Rock, brachte die Kragen dann durch einen ploetzlichen Ruck nach oben unter den Kopf, schob sich mit einem der naegelbeschlagenen Schuhe, die er ebenfalls nie von den Fuessen that, die wollene Decke zur Hand, zog sie bis an sein Kinn, und war dann meistens schon nach wenigen Minuten fest und schnarchfaehig eingeschlafen. Die Waesche hatte ihn dabei noch Niemand an Bord wechseln sehen, und war es, so musste es heimlich in der Nacht geschehen sein, wie eine Sache wegen der man sich zu schaemen haette. Den Rock trug er uebrigens seit den letzten 14 Tagen bis oben an den Hals hinauf zugeknoepft, oder vielmehr mit Bindfaden zugebunden, da der oberste Knopf der ununterbrochenen anstrengenden Beschaeftigung erlegen war. Nicht einmal die gesprenkelte Weste kam mehr zu Tage.

Die einzige Person auf dem ganzen Schiff, mit der Maulbeere je verkehrte und sich manchmal unterhielt -- wenn das Gespraech der Beiden ueberhaupt eine Unterhaltung genannt werden konnte, -- war der Mann mit den kurzgeschnittenen Haaren, der sich selber Meier genannt, seine Frisur aber keineswegs beibehalten, sondern der Natur, seit er auf dem Schiffe war, voellige Freiheit gelassen hatte, ihm Kopf, Kinn und Oberlippe wieder nach Herzenslust mit schwarzen struppigen dichten Haaren zu ueberziehen. Er sah auch aeusserlich dadurch ganz anders aus, als wie er vor so viel Wochen das Schiff betreten hatte, in seinem Betragen aenderte das aber Nichts, und fest und verschlossen gegen Alle, blieb der eben so schweigsame Scheerenschleifer wirklich der Einzige an Bord, den er fuer wuerdig hielt manchmal eine oder die andere seiner Bemerkungen hingeworfen zu bekommen, wonach es diesem dann vollkommen frei stand, irgend etwas darauf zu erwiedern oder nicht. Seine Frau, eine schlanke, nicht unschoene aber etwas abgelebte Gestalt, schien am allermeisten von saemmtlichen Passagieren des ganzen Schiffes an der Seekrankheit gelitten zu haben, die sie wirklich nur in den windstillen Tagen gaenzlich verlassen hatte. In der uebrigen Zeit lag sie in ihrer Coye fest eingehuellt und zugedeckt, froestelnd und gegen den unerbittlichen Feind ankaempfend, und liess sich fast nur in der Daemmerung auf Deck sehn. In der Zeit ging sie etwa eine Stunde oben zwischen dem Haupt- und Fockmast ganz allein auf und ab, und sprach und verkehrte mit Niemandem. Nur mit den Kindern gab sie sich gern und viel ab, redete sie freundlich an, gab ihnen Zucker und Zwieback, und nahm wohl auch eins der kleineren, wenn sie es sich gefallen liessen, auf den Schooss, und haetschelte und kuesste es dann, und wollte es fast nicht wieder aus den Armen lassen. Aber die Kinder fuerchteten sich, sonderbarer Weise vor ihr, und nur selten, hoechst selten konnte ein oder das andere einmal bewogen werden die Liebkosungen der fremden Frau standhaft zu ertragen. War es aber wirklich geschehn und hatten sie ihren Zwieback oder Zucker bekommen, dann schossen die kleinen Dinger auch gewiss so rasch sie konnten zu den Eltern zurueck, drueckten sich in deren Naehe, und es war fast als ob sie nun dort das unheimliche Gefuehl erst abschuetteln muessten, das ihnen bis jetzt die Kindesbrust beengt.

Am besten jedenfalls von allen Zwischendeckspassagieren hatte sich bis jetzt die Weberfamilie in das Schiffsleben hineingefunden. Er wie sie waren auch nicht einen Augenblick muessig an Bord, so lange die Sonne schien, und waehrend die Frau fuer die Cajuetspassagiere wusch und naehte, und besonders von Lobensteins eine Menge Arbeit bekam, die sie mit groesster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ausfuehrte, dann nebenbei auch noch ihre Kinder beaufsichtigte und, ein Muster den Uebrigen, sauber und reinlich hielt, half er dem Koch in der Kueche das Geschirr auswaschen und scheuern, und wenn das beendet war, dem Zimmermann an Bord die verschiedenen noethigen Arbeiten verrichten. Besonders eifrig zeigte er sich bei dem letzteren, die verschiedenen kleinen Handgriffe seines Geschaefts zu erlernen, und mit gutem Willen, von dem Zimmermann selber gern dabei unterstuetzt, gelang ihm das auch bald fast ueber Erwarten.

Wenig oder gar nicht mit seinen Mitpassagieren verkehrte der junge Donner, der still und abgeschlossen sich die meiste Zeit mit Lesen beschaeftigte, oder auch wohl hinauf in die Marsen stieg, und Stunden lang hinaussah auf das weite wogende Meer. Nichtsdestoweniger war er von Allen gern gelitten, und wie Einzelne der Passagiere nach und nach erkrankten zeigte er sich vielen auch als wahrer Freund, verabreichte ihnen kleine Mittel und stellte sie wieder her. Das wurde dabei um so dankbarer angenommen, als es sich gar bald herausstellte dass der eigentliche „Doktor“ an Bord wenig mehr von seinem Geschaeft verstand als eben Aderlassen und Schroepfen, und die Zwischendeckspassagiere nannten ihn schon gar nicht mehr anders als den „Blutegel“. Der Frau des Tischlermeister Leupold hatte sich Donner ganz besonders freundlich angenommen, ohne freilich ihren Zustand wesentlich verbessern zu koennen. Der Fall an dem Tag, mit den Schrecken der Nacht, hatte gleich boes auf ihr Gehirn wie ihre Nerven gewirkt, und wenn ihr Leiden auch nicht gerade wieder in Tobsucht, wie an jenem furchtbaren Abend, ausbrach, lag sie doch jetzt in theilnahmloser Stumpfsinnigkeit, ohne sich um Mutter oder Gatten zu kuemmern oder auch nur nach ihnen zu fragen, auf ihrem Lager, und hielt Stunden lang die Haende fest gegen die fiebrische Stirn gepresst. Leupolds Mutter, so wie sich diese nur in etwas von dem erneuten Anfall der Seekrankheit erholt, und Hedwig, die sich jeden Augenblick Zeit abstahl bei der Kranken zu sein, pflegten sie unermuedlich, und thaten Alles was in ihren Kraeften stand, ihren Zustand zu erleichtern, aber auch das war nur sehr wenig, und dieser selbst von dem jungen Donner -- denn Hueckler hatte ihn lange aufgegeben -- fuer hoffnungslos erklaert. Uebrigens bekam sie, auf Georg Donners ernstliche Vorstellungen an den Capitain, der im Anfang nicht darauf eingehen wollte, ihre Kost jetzt einzig und allein aus der Cajuete. Lieber Gott, es war wenig genug was sie davon geniessen konnte.

Leupold selber hatte bis jetzt das Unglueck das ihn betroffen mit grosser Standhaftigkeit ertragen, und war nicht von dem Lager der Kranken gewichen Tag und Nacht; hatte er ja doch noch immer eine Hoffnung, dass sich sein Weib erholen koenne, und ihm erhalten bliebe. Als aber auch diese ihn zuletzt verliess, und sich ihm die Gewissheit des unersetzlichen Verlustes endlich aufzwang, da brach die Kraft des starken, besonnenen Mannes auch zusammen, und er weinte wie ein Kind. Vergebens blieben alle Troestungen der uebrigen Passagiere, die, mit wenigen Ausnahmen, innigen Antheil an seinem Schmerze nahmen; was er sich selber vorzuwerfen hatte, oder zu haben glaubte, fuehlte er auch allein und am schaerfsten, und vermochte dem ueber ihn hereingebrochenen Unglueck nicht die Stirn zu bieten. Laut klagte er sich jetzt selber an, leichtsinnig und thoericht sein Glueck in der Heimath von sich geworfen und mit Fuessen getreten, ja durch seinen Leichtsinn die eigene Frau die ihm nur mit Widerstreben gefolgt, getoedtet zu haben, und sass dann wieder halbe Tage lang dumpf vor sich hinbruetend an Deck, den Kopf auf die Reiling gelehnt, und ass und trank nicht, antwortete nicht wenn man ihn fragte, und schaute stier und unverwandt in's Meer.

Am gluecklichsten von allen Zwischendeckspassagieren schien der junge Dichter und „Schriftgelehrte“ Theobald -- wie ihn Steinert nannte -- die Zeit an Bord zu verleben. Seinem eigenen Ausdruck nach flog er wirklich wie eine Biene von Blume zu Blume Honig einzusammeln, d. h. er machte sich nach der Reihe an alle verschiedene Mitpassagiere, die im Bereiche seines Armes waren, und suchte ihre Lebensverhaeltnisse und Schicksale zu erfahren, die er sich dann unverweilt in sein Taschenbuch unter verschiedene Rubriken eintrug und im Stillen zugleich bestimmte, was davon zu Prosa, was zu poetischen Erguessen benutzt werden sollte. Manche fand er nun allerdings hoechst bereitwillig ihm alles das zu erzaehlen was sie von sich eben wussten, bei denen lohnte es sich dann aber auch selten der Muehe, denn sie hatten gewoehnlich nur Alltaegliches mitzutheilen, und Theobald bekam von ihnen nicht einmal Wachs. Die aber, die wirklich etwas des Erzaehlens Werthes erlebt, rueckten nie gern mit der Sprache heraus, ja die interessantesten Persoenlichkeiten an Bord, unter ihnen Maulbeere, Meier und zwei der letztgekommenen Passagiere wiesen ihn sogar schnoede und grob genug ab, und sagten ihm, mit noch einigen anderen, schwer wieder zu gebenden Bekraeftigungen, er solle sich zum Teufel scheeren und andere ehrliche Leute mit seinen langweiligen und naseweisen Fragen in Ruhe lassen.

Maulbeere besonders, der ihm die fruehere Charakteristik noch nicht vergessen und ihn ausserdem im Verdacht hatte dass er ihn zeichnen wolle (etwas Schlimmeres haette Maulbeere gar nicht passiren koennen) fertigte ihn am groebsten ab. Sobald deshalb Theobald, oft nur zufaellig ihm gegenueber Platz und sein unausweichliches Buch zur Hand nahm, veraenderte er stets die Stellung, drehte den Kopf von ihm fort und ihm den Ruecken zu, und schnitt ihm dabei von Zeit zu Zeit ueber die Schulter hin die grimmigsten Gesichter. Er brachte es auch in der That zuletzt dahin dass ihm Theobald wie einen boesgemachten Kettenhund, aus dem Wege ging, und jede weitere Annaeherung an ihn, als total erfolglos, aufgeben musste.

Humoristischer fasste der aelteste von den drei geheimnissvollen Passagieren die Sache auf, denn dieser kam einer Annaeherung Theobalds, von der er bald den wahren Grund vermuthete, auf halbem Wege entgegen, liess sich mit ihm, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, in ein wirklich vertrauliches Gespraech ein, und willfahrte auch zuletzt sogar dessen Wunsch, ihm einige Daten aus seiner eigenen Lebensgeschichte mitzutheilen. Theobald vertraute ihm dabei, wahrscheinlich um sein Vertrauen zu erwecken, dass er an einer Biographie beruehmter Charaktere arbeite, und, natuerlich unter strenger Verschweigung des Namens, wirklich erlebte Scenen interessanter Persoenlichkeiten zu sammeln suche. Der Alte straeubte sich, nach dieser offenen Erklaerung, allerdings ein wenig, aber Theobalds Ueberredungskunst wusste seine letzten Zweifel und Bedenklichkeiten endlich zu beseitigen, und er begann jetzt dem staunenden Dichter eine Kette von Schicksalen zu erzaehlen, deren erster Beginn schon diesen mit Staunen und Bewunderung erfuellte, und ihm ganze Schaetze von Material fuer spaetere Arbeiten versprach.

Der Mann war, seiner eigenen Aussage nach, der natuerliche Sohn eines Fuersten, dessen Namen zu geben er sich hartnaeckig weigerte, in seiner Jugend ganz wie Caspar Hauser auf einer wuesten Insel in der Nordsee erzogen worden, und dann spaeter nach Afrika geschafft, dort wahrscheinlich dem, Europaeern so verderblichen Klima zu erliegen. Seine gute Natur hatte ihn aber nicht allein gesund und am Leben gehalten, sondern seine persoenliche Tapferkeit wie die mitgebrachten Feuerwaffen, ihn auch bald dem Koenig des dortigen Reiches so unentbehrlich gemacht, dass er die Hand dessen einziger Tochter mit der Bestaetigung erhielt, einstens, nach dem Ableben des alten Fuersten die Regierung zu uebernehmen, als eine Palastrevolution seiner Heirath wie seinen gluecklichen Aussichten ein rasches und grausames Ende machte. Der alte Fuerst wurde von einem nahen Verwandten, ermordet, und waehrend dieser die Prinzessin selber heirathete naehte man den Fremden, den man beschuldigte durch schaendliche Zaubermittel das Vertrauen des alten wackeren Koenigs erschlichen zu haben, in einen gewoehnlichen Kaffeesack, und warf ihn in's Meer. Wunderbarer Weise lag dort gerade ein europaeisches Schiff vor Anker, das aus Furcht mit in die politischen Wirren verwickelt zu werden, seinen Anker lichtete, und mit diesem zu gleicher Zeit den ungluecklich Gerichteten, eben noch am Leben, heraufzog. Er blieb jetzt eine Zeit lang an Bord des englischen Schiffs, das bestimmt war den Sklavenhandel an der afrikanischen Kueste zu ueberwachen, bis dieses mehre reiche brasilianische Prisen genommen hatte und nach Hause zurueckkehrte.

Unverhofft und wohl auch unerwuenscht wurde sein Wiedererscheinen in Europa von seinem unnatuerlichen Vater begruesst, der aber doch jetzt nicht umhin konnte fuer den Sohn zu sorgen. Er verschaffte ihm also eine Stelle an der Baerenburger Staats-Eisenbahn, wo er ein sehr ruhiges und zufriedenes Leben haette fuehren koennen, wenn sich nicht eine junge russische Graefin auf der Durchreise in ihn verliebt, und ihn zu dem thoerichten Schritt verleitet haette sie zu entfuehren, oder sich vielmehr von ihr entfuehren zu lassen. Der Telegraph war schneller als ein genommener Extrazug, sie wurden eingeholt, die Graefin kam, allem Vermuthen nach in ein sibirisches Kloster, und er selber auf die Festung nach Torgau wo er drei Jahre lang in Einzelhaft schmachtete. Seine Drohung endlich, wichtige Familiengeheimnisse eines deutschen Koenigshauses zu verrathen, verschaffte ihm die Freiheit wieder, und er ging jetzt als geheimer oestreichischer Consul nach den Vereinigten Staaten dort -- doch er durfte nicht indiscret sein, und wollte von seinen Instructionen Nichts verrathen.

Theobald war dem Beginn der Erzaehlung in freudiger, man koennte fast sagen gieriger Aufregung gefolgt; je weiter sich der Bursche aber in seine romantische Schilderung verlor, desto stutziger wurde er, hoerte auch auf, sich die einzelnen Daten zu notiren, und betrachtete den Erzaehler mit einem allerdings noch immer aufmerksamen, doch etwas misstrauisch gewordenen Blick, der offenem Missmuth Raum gab, als Jener ihm auch noch den oestreichischen Consul aufbinden wollte.

„Lieber Freund“ sagte er dabei, waehrend er von dem Wasserfass auf dem er gesessen, aufstand, und sein kleines Notizbuch in die Tasche zurueckschob -- „Sie glauben vielleicht dass Sie sich einen Spass mit mir erlauben koennen --“

Furchtbares Gelaechter unterbrach ihn aber in jeder weiteren Protestation, denn oben in der, mitten auf Deck aufgestellten Berkasse, hatten von ihm ganz unbemerkt die beiden Kameraden des Burschen gelegen, und der ganzen Erzaehlung mit unbeschreiblichem Behagen zugehoert, dem sie erst jetzt Luft machten, als sie merkten dass der „Langhaarige“ wie er auf dem Schiffe hiess, doch nicht laenger anbeissen wollte.

„Hahahaha!“ schrie dabei der Juengste -- „ob er sich nicht Alles dabei aufgeschrieben hat wie ein Polizeispion --“

„Dass ich ein afrikanischer Prinz waere hat er geglaubt“ lachte nun auch der Alte -- „aber der oestreichische Consul blieb ihm in der Kehle stecken.“

Theobald war entruestet, und eben im Begriff dem profanen Menschen in voller Verachtung zu erwiedern, besann sich aber noch eines Besseren, drehte sich scharf auf dem Absatz herum, und verliess mit einem durchbohrenden Blick auf die Gruppe, der von einem lauten Hurrah der Uebrigen erwiedert wurde, rasch den Platz.

„Guten Morgen Herr Theobald“ sagte in diesem Augenblick Meier der jedenfalls auch ein heimlicher Zeuge der Scene gewesen sein musste, zu dem entruesteten Dichter, dem er auf dem anderen Gangweg begegnete -- „wuenschten Sie nicht vielleicht jetzt auch meine Lebensgeschichte in Ihr kleines gruenes Buechelchen zu notiren? -- ich stuende Ihnen mit Vergnuegen zu Diensten.“

„Gehn Sie zum Teufel!“ rief aber Theobald, der den in dem Anerbieten enthaltenen Hohn nicht missverstehen konnte, in voller Entruestung, und warf beinah den Waschtrog ueber den Haufen, an dem des Webers Frau beschaeftigt war, nur um dem fatalen Menschen so rasch als moeglich aus dem Weg zu kommen. Meier blieb aber stehn, sah ihm erst laechelnd eine Weile nach, und dann sich zu dem Weber wendend, der unsern davon an des Zimmermanns Hobelbank stand und arbeitete sagte er, waehrend er mit dem Daumen seiner rechten Hand ueber die Achsel hinter dem Fortstuermenden her deutete:

„Ein liebenswuerdiger junger Mann das, Kamerad; den muessen wir uns zum Freunde halten, oder er streicht uns rabenschwarz an, wenn er einmal in Amerika unsere Reise beschreibt,“ und sich vor heimlichem Lachen ordentlich schuettelnd, ohne dass jedoch sein Gesicht einen freundlicheren Ausdruck dadurch bekommen haette, stieg er durch die hintere Luke in's Zwischendeck hinab.

Der Weber sah ihn an waehrend er sprach, und hobelte dann eine Zeit lang ruhig weiter; endlich aber, als ob er mit seinen Gedanken doch nicht recht einig werden koenne, legte er den Hobel hin, ging die paar Schritte zu seiner Frau hinueber und sagte, sich das Kinn mit der linken Hand streichend, und nachdenklich in die Luke hinab hinter dem Manne herschauend:

„Wenn ich nur wuesste wo ich das Gesicht von dem da schon frueher einmal gesehen habe -- vorgekommen ist mir's schon, darauf wollt' ich das heilige Abendmahl nehmen, und jetzt zerbrech ich mir schon seit drei Tagen den Kopf wo ich ihn hinthun soll.“

„Wen? -- den finsteren schwarzen Burschen, der sich jetzt den grossen schwarzen Bart stehn laesst seit er auf dem Schiff ist?“ sagte die Frau, ebenfalls in ihrer Arbeit ruhend -- „das ist ein muerrischer Gesell, und je weniger man mit ihm zu thun hat, desto besser.“

„Vater“ sagte da Hans, des Webers aeltester Junge, der fuer die Mutter die Waesche ausgerungen und in einen trockenen Kuebel gelegt hatte -- „der hat beinah so ein Gesicht wie der Fleischer, der an dem Tage bei uns war als es so furchtbar stuermte und regnete.“

„Gott sei mir gnaedig ob der Junge nicht recht hat!“ schrie die Mutter da, und liess vor Schrecken die Seife fallen. „Das ist der rohe Mensch der so haesslich von den Kindern sprach; darum ist mir das finstere Gesicht auch immer so fatal und unheimlich gewesen. Herr Du mein Gott, ist mir der Schreck doch ordentlich in die Glieder gefahren“ -- setzte sie nach einer kleinen Pause tief aufseufzend hinzu -- „wo er nur herkommt und weshalb er von daheim fort sein mag?“

„Wegen was Gutem nicht“ sagte der Mann mit dem Kopfe nickend, und umsonst hat er sich nicht den dicken Bart und die langen schwarzen Haare kurz abgeschnitten gehabt, wie er von zu Hause fort ist, der Patron. Aber Ihr habt recht, es ist wahrhaftig der Gesell, der damals in dem Unwetter zu uns kam und dann nach der Schenke hinaufging, sich einen Schnaps zu holen. Nun was kuemmert's uns -- er hat uns nicht wieder kennen wollen, die wir uns nicht entstellt haben, und das koennen wir ihm nur Dank wissen -- ich werde mich ihm nicht aufdringen, davor ist er sicher, aber wissen moecht' ich schon was mit ihm los ist.“

„Das ist also seine Frau, die lange huebsche Person, die immer krank in der Coye liegt?“ frug die Frau.

„Er sagt's wenigstens“ meinte der Weber -- „und sie gilt dafuer.“

„Aber wo sind denn seine Kinder?“ fuhr die Frau rascher fort -- „weisst Du nicht dass er uns damals sagte er haette so viel -- zum Abgeben? -- ich hab' es nicht vergessen, denn das gerade hat mir den Mann gleich von allem Anfang an so verhasst gemacht.“

„S'war wohl auch nur eine Prahlerei“ brummte der Weber achselzuckend -- „und er that sich gross mit seiner Gleichgueltigkeit. Leider Gottes ruehmen sich die meisten Menschen nur gewoehnlich etwas, dessen sie sich eher schaemen sollten, wenn sie Verstand wie Herz auf dem rechten Fleck haetten. Ich bin uebrigens nur froh dass ich herausbekommen habe wohin ich des Burschen Gesicht thun sollte -- der Hans hat doch ein gutes Gedaechtniss --“

Und damit ging er zurueck zu seiner Hobelbank, wo er gleich darauf die hingelegte Arbeit wieder aufnahm, und ruestig daran fortarbeitete, bis der Koch zum „Schaffen“ rief, und der Zimmermann kam, sein Handwerkszeug fuer die Nacht fortzupacken.




16 Es laesst sich denken, dass auf See nicht immer ein guenstiger Wind weht, den Schiffer gerade dahin zu treiben, wohin er eben will. Wenn die Schiffe also nicht ihren gewuenschten Cours steuern, oder (auf dem Compass) „anliegen“ koennen, so muessen sie eben laviren oder gegen den Wind aufkreuzen. Dies ist aber nur durch die verschiedene Stellung der Segel moeglich und der Raaen, an denen die Segel festsitzen koennen deshalb nach den verschiedenen Seiten hin angeholt (gebrasst) werden. Das Princip des Segelns, unter diesen Verhaeltnissen, ist ungefaehr das der schraeggestellten Windmuehlenfluegel; die Windmuehle steht aber fest, und das Schiff wuerde durch einen Seitenwind zu viel abgetrieben werden (Abdrift machen) wenn es eben nicht so tief im Wasser ginge, und der scharfe Kiel so stark wiederhielte. Das Steuer hilft dabei ebenfalls mit, das Schiff trotz unguenstigem Winde gegen diesen anzuhalten, und den Segeln Gelegenheit zu geben es vorwaerts zu treiben, was selbst geschehen kann, wenn der Wind nicht einmal mehr blos von der Seite, sondern sogar mehr von vorn kommt. Der Compass ist in 32 Striche getheilt, und es wird angenommen dass ein mit Querraaen versehenes Schiff mit sechs Strichen in den Wind liegen kann d. h. wenn der Wind z. B. von Norden weht, im Stande ist nach West-Nord-West oder nach Ost-Nord-Ost zu liegen. Das, bald nach der einen bald nach der anderen Richtung hinueberhalten nennt man eben laviren oder aufkreuzen; das Schiff gewinnt dabei jedesmal etwas in seinem Fortgang nach Norden, und was es ueber den einen Bug zu viel nach Osten hinueberkommt, macht es, wenn es ueber den anderen Bug nach Westen liegt, wieder gut. Es ist klar dass ein Schiff, je dichter es im Stande ist am Wind zu liegen, auch desto leichter und erfolgreicher laviren und sich zu luv- oder windwaerts hinaufarbeiten wird.

Das Wenden des Schiffes geschieht dadurch, dass man die, z. B. erst zu Backbord scharf angebrassten Segel loest, und nach Starbord oder auf die andere Seite hinueberbrasst, oder anzieht -- und umgekehrt. Mit dem Steuer wird dann nachgeholfen, und die Segel, welche den Wind erst von der einen Seite fassten, fassen ihn nun von der anderen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Amerika! - Ein Volksbuch - 2. Band