Capitel 6 - Leben an Bord.

„Aber um Gottes Willen, was geht denn hier vor?“ frug Herr von Hopfgarten, auf's Aeusserste erstaunt einen der Naechststehenden -- „was macht denn der Mensch da oben?“

„Maulbeere?“ sagte dieser, es war der polnische Jude der sich mit dem vergnuegtesten Gesicht von der Welt nach ihm umdrehte -- „Maulbeere? -- Gottes Wunder er predigt, und was vor a Predigt -- es is a Traktement ihn zu heren, und sind'er zwa ihn zu sehn.“


Der Pole hatte allerdings recht; es war der Muehe werth Maulbeere zu sehn wie er da oben, im vollen Triumph einer ihm zujauchzenden Menge, unbeweglich und fest wie ein Fels im Meer stand, und gerade so that, als ob ihn die ganze Sache auch nicht das Mindeste anginge oder kuemmerte. Er trug seinen gewoehnlichen abgebleicht gruenen, langschoessigen Rock mit dem schmalen Kragen, die gesprenkelte Weste und die schmutzig grauen, etwas kurzen Hosen, aber den Hut hatte er neben sich auf der Back, und vor sich einen kleinen niederen Tisch stehn, der dem polnischen Juden gehoerte, und auf dem ein dickes aufgeschlagenes Buch mit einer Brille, wie seine Dose lag, waehrend er in der linken Hand -- die rechte hatte er in die Seite gestemmt -- sein roth- und gelbgemustertes baumwollenes Taschentuch gefasst und zusammengedrueckt hielt.

Er machte eben eine kurze Pause, zu der ihn der Jubel der ueberraschten und immer noch mehr herbeidraengenden Zuschauer gezwungen hatte, und schien in voller Gemuethsruhe das endliche Schweigen des stuermischen Publikums zu erwarten.

„Aber was ist denn hier los?“ riefen Einzelne dazwischen, die eben erst von unten heraufpressten, zu sehn was es gaebe; „wie kommt denn Maulbeere da oben hin -- Zachaeus als Prediger -- hat die ganze Reise den Mund noch nicht aufgethan und faengt auf die Art an?“ -- „Er ist uebergeschnappt“ jubelten Andere -- „und giebt uns jetzt die Nutzniessung seines verschobenen Gehirns“ -- „Ruhe -- lasst ihn sprechen -- still da -- Ruhe -- Zachaeus hat das Wort!“ hiess es dazwischen.

Die Passagiere hatten uebrigens Ursache erstaunt zu sein, denn Maulbeere, der in der That die ganze bisherige Reise ueber noch mit keinen drei Menschen auch nur ein Wort gewechselt, und still und muerrisch vor sich hingebruetet hatte Tage lang, war auf einmal mit dem kleinen Tisch, den er im Zwischendeck gefunden und mitgenommen, an Deck und auf die Back gestiegen, wo er, ohne weitere vorherige Warnung, ganz im Styl einer wirklichen Predigt, aber diese parodirend, mit Thema und Einleitung und citirten Spruechen nach Capiteln und Versen, dem Schnaps (ueber dessen schlechtere Qualitaet die Zwischendeckspassagiere seit drei Tagen etwa Ursache zu haben glaubten sich zu beklagen) eine Lobrede hielt.

„Ruhe -- gebt Frieden -- Zachaeus fahr fort!“ schrieen indess die Stimmen durcheinander, und als sich der Laerm ein klein wenig gelegt, der indess so arg geworden war dass der Capitain an Deck kam, zu sehn was es gebe, begann Maulbeere wieder:

„Wir haben drittens gesehn dass der Schnaps auch in seinen Wirkungen das Gemueth des Menschen saenftiget, und ihm die zum Guten noethige Kraft verleiht auf der Bahn der Gerechten zu wallen! Schnaps -- geliebte Zuhoerer, welcher Wohllaut liegt schon in dem einen kleinen Wort. Wie sanft und feurig zugleich durchstroemt er uns die Adern, kitzelt uns den Gaumen und vertreibt die boesen Duenste. Er auch war es, der schon vor tausenden von Jahren viele jener merkwuerdigen Wunder vollbracht, die eine thoerichte Welt jetzt, und irrthuemliche, oft boeswillige Uebertragungen, anderen Wirkungen zugeschrieben haben. Schnaps ist Geist -- wer aber brachte den Geist ueber die Propheten, die mit fremden Zungen redeten und nachher in alle Welt gingen alle Voelker zu lehren? -- wer anders als jener heilige Geist --“

„Das ist Gotteslaesterung!“ schrie da eine Stimme aus der Menge -- „herunter von dort Du nichtswuerdiger Mensch dass Dich nicht der Arm dessen trifft, den Du verhoehnst.“

Es war der Weber aus Zurschtel, der sich mit Muehe zwischen die Menschenmasse gedraengt hatte, zu sehn was da vorgehe, und jetzt in ehrlicher Entruestung etwas entweihen hoerte, an dem seine ganze Seele mit glaeubiger Ehrfurcht hing.

„Ruhe da -- Frieden! lasst den Mann ausreden!“ rief aber mit Donnerstimme der Gesell mit den kurzgeschnittenen Haaren, der sich selber Meier genannt hatte -- „halt's Maul Weber bis Du gefragt wirst!“

„Nein, er hat recht, das geht nicht -- das duerfen wir nicht leiden!“ riefen aber jetzt auch Andere dazwischen.

„Hurrah Maulbeere soll leben! fahr fort Maulbeere, lass Dich nicht irre machen!“ jubelten ihm wieder Andere zu -- „fort mit den Stoerenfrieden, steckt sie in's Zwischendeck hinunter.“

Der einzige Ruhige bei dem ganzen Sturm blieb Zachaeus, der, ohne auch nur eine Miene zu verziehn, oder mit einer Muskel zu zucken, dem Toben geduldig zuhoerte, langsam eine Prise nahm, sich schnaubte, und dann sein Taschentuch wieder wie einen Ball zusammendrehte. Sobald aber ein Augenblick Ruhe eintrat, fuhr er auch eben so unverwuestlich in seiner Predigt fort, sang, mit naeselndem Ton, als er diese beendet hatte, die Litanei ab, die Worte dabei so verdrehend dass sie ein Lob des Schnapses bildeten, und schloss dann seine Predigt, unter dem wiehernden Gelaechter der Passagiere, mit dem „Es sind auch noch einige Personen vorhanden, welche Willens sind in den Stand der heiligen Ehe zu treten,“ wobei er eine Reihe unanstaendiger Namen von einem Papier ablas, und dann zum Gebet schreiten wollte, als der Steuermann von dem Capitain, bei dem sich Einzelne ueber den Unfug beschwert hatten, nach vorne geschickt wurde demselben zu wehren.

„Avast da!“ rief er dem parodirenden Prediger auf seine derbe Art zu -- „avast da mein Bursche und herunter von der Kanzel; der Unsinn hat jetzt lange genug gedauert, und die Leute da unten, die ihre Wacht zur Coye haben, wollen schlafen. Verstehst Du Hochdeutsch, oder soll ich platt mit Dir sprechen?“

„Lasst den Mann seine Rede halten, so lang's ihm gefaellt“ nahm hier wieder Meier seine Parthie -- „wir reden Euch auch nicht hinein wenn Ihr sprecht.“

„Wenn Du einmal gefragt wirst mein Bursch, darfst Du antworten!“ rief ihm aber der Seemann keck und zornig entgegen -- „wenn ich hier befehle er soll herunterkommen, so kommt er oder -- ich lasse ihn holen.“

„Fasst Einen von uns hier an!“ schrie aber der, ueber Anrede wie Ausdruck gereizte Mann -- „legt Hand an Einen von uns, und seht dann was aus Euch und dem Schiff wird. Gott verdamm mich!“

Die drei letztgekommenen Passagiere, die hoechst aufmerksame und vergnuegte Zuhoerer der Predigt gewesen waren, standen dicht hinter ihm, und ihre Blicke begegneten ebenfalls in finsterem stoerrischem Trotz denen des Steuermanns; dieser aber, ohne sich im mindesten irre machen zu lassen, griff eine, gerad' auf der Ankerwinde liegende Handspeiche auf, und waehrend die an Deck befindlichen Matrosen, die recht gut wussten wie nothwendig es fuer sie war in einem solchen Augenblick zusammenzuhalten, sich rasch und geraeuschlos neben und hinter ihren Oberen draengten, und ebenfalls schon in der Eile Alles aufgefasst hatten was ihnen bei einem moeglichen Handgemenge von Nutzen sein konnte, rief der Steuermann, die Handspeiche zum Schlag fertig, und das Gesicht von Zorn und Wuth fast dunkelroth gefaerbt.

„Hinunter mit Euch sag ich -- und Ihr drei da besonders mit Euren grauen Kitteln, hinunter von Deck wohin Ihr gehoert, oder der Erste, bei Gott, der mir noch mit einem Wort widerspricht, oder die Hand aufhebt gegen mich ist eine Leiche.“

Meier warf einen wilden tueckischen Blick im Kreis umher, zu sehn auf wen von der Schaar er sich wohl allenfalls noch verlassen konnte, aber die drei Grauroecke hatten wohl ihre ganz besonderen Ursachen es nicht zum Aeussersten kommen zu lassen, noch dazu solcher Lappalie wegen, und von den Anderen bezeugte ebenfalls Niemand Lust mit dem wilden Burschen, dem Steuermann, so aus freier Faust anzubinden.

„Wir haben ein Recht hier an Deck zu stehn und dafuer bezahlt“ murrte er da, als er sah wie er nicht hoffen durfte Schutz und Beistand bei den Anderen zu finden gegen die Schiffsmannschaft.

„Das koennt Ihr auch“ sagte der Steuermann, veraechtlich seine Handspeiche neben sich zu Boden werfend -- er wusste dass er jetzt keine weitere Widersetzlichkeit mehr zu fuerchten hatte -- „Niemand wehrt's Euch, so lange Ihr nicht im Wege seid, wer aber dann nicht geht wird gestossen, und darf sich nachher beklagen, wenn es ihn freut. So also herunter jetzt mit dem Prediger -- na, wo ist der Mosje denn auf einmal hingekommen?“

Zachaeus war allerdings verschwunden; sobald naemlich der Wortstreit einen ernsten Charakter anzunehmen schien, hatte er sich, keineswegs gewillt daran Theil zu nehmen, seitab von der Back hinunter und nach hinten gedrueckt, wo er jetzt schon wieder auf seiner Lieblingsstelle am grossen Mast kauerte, und den Dampf seiner Pfeife in die blaue Luft hineinqualmte.

Herr von Hopfgarten stattete indessen in der Cajuete Bericht ueber das Gehoerte und Gesehene ab, freute sich aber ebenfalls dass solch gemeiner Blasphemie an Bord gesteuert worden, und erzaehlte nun den Damen in seiner komischen und lebendigen Art, wie der Steuermann dazwischen gesprungen sei und die Debatte mit der Handspeiche aufgenommen habe.

„Und was hatten Sie dazwischen zu thun, cher ami?“ frug Herr von Benkendroff ueber ein Buch weg das er in der Hand hielt (wahrscheinlich mehr der Hand als des Buches wegen) -- „was haben Sie davon sich zwischen die Canaille zu mischen; wenn es nun wirklich zu Thaetlichkeiten kam?“

„Ich hatte die stille Hoffnung“ schmunzelte der kleine Mann -- „alle Wetter, ein Seegefecht, Baron, das waer ein famoses Abenteuer gewesen, und ein praechtiger Beginn fuer meine Fahrt. Sie wissen noch gar nicht dass ich nur auf Abenteuer reise?“

„Auf Abenteuer -- bah“ sagte Herr von Benkendroff achselzuckend -- „ich hoffe dass Sie vernuenftiger sind; es giebt nichts Ungentileres als ein Abenteuer, ein galantes vielleicht ausgenommen, und ich hasse selbst diese, weil sie den Menschen unnoethig aufregen, und aus seiner gewohnten Ruhe bringen.“

„Aber was fuer Abenteuer wollen Sie erleben?“ frug lachend Marie.

„Was fuer Abenteuer?“ wiederholte der kleine Mann, sich rasch nach ihr herumdrehend -- „alle -- jedes nur erdenkliche -- Raeuber, Platzen eines Dampfbootes, Zusammenstoss mit einer Lokomotive, Ueberfall von Indianern, selbst unter Gefahr meines Scalpes,“ und er nahm dabei seine Muetze ab, und zeigte seinen etwas kahlen Kopf -- „naechtliche Attaque von Baeren und Panthern, Entfuehrungen, Verhaftungen, Lynchgesetz und wie all jene tausend und tausend interessanten vorherzusehenden und unvorhergesehenen Faelle heissen, denen man in dem Lande unserer Sehnsucht ausgesetzt ist, oder die man, wenn sie Einem nicht gleich gutwillig aufstossen, mit Leichtigkeit aller Orten und Enden aufsuchen kann.“

„Dann reis' ich gewiss nicht mit Ihnen“ rief Clara rasch und lachend -- „Sie waeren im Stande solche Dinge vom lieben Gott, als ganz besondere Zeichen von Wohlwollen zu erbitten.“

„Allerdings“ sagte Herr von Hopfgarten mit groesstem Ernst, „und ich schwankte lange zwischen einer Reise in das Innere von Afrika und den Vereinigten Staaten, aber allen gelesenen Beschreibungen nach halte ich die Union doch noch fuer das passendste Land dazu, und freue mich unendlich darauf seine werthe Bekanntschaft zu machen.“

„Sie koennten Einem die Lust zur Auswanderung verleiden“ sagte laechelnd Professor Lobenstein, sich in das Gespraech mischend, „wenn man eben noch eine Wahl behalten haette. Jedenfalls ist es ein interessantes Factum Sie, mit diesen Ansichten, an Bord eines Auswandererschiffes zu haben, dessen saemmtliche Passagiere, mit Ihrer alleinigen Ausnahme, gerade hinuebergehn um Ruhe und Frieden zu finden, und sich eine, nicht so leicht von aeusseren Einfluessen gefaehrdete Existenz zu gruenden.“

„Ich die alleinige Ausnahme?“ rief aber der kleine Mann rasch und lebhaft aus -- „lieber Professor, da schwimmen Sie in einem gewaltigen Irrthum herum. Gehn Sie einmal durch das ganze Schiff und sehen Sie sich die einzelnen Physiognomien, die einzelnen Gestalten der Leute an, wie ich es wieder und wieder gethan habe, und wenn Sie dann nur irgend in den Zuegen eines Menschen zu lesen verstehn, dann sagen Sie mir nachher, ob sich alle die Leute nach einer ruhigen Existenz sehnen, und ob ueberhaupt nur die Haelfte von ihnen weiss, was sie dort mit sich anfangen soll.“

„In mancher Hinsicht moegen Sie recht haben“ sagte der Professor laechelnd, „aber derartigen extraordinaeren Faellen sollte man dann doch eher aus dem Wege gehn, als sie gerade muthwillig aufsuchen.“

„Nein“ sagte der kleine gemuethliche Mann, dem sich ein wunderliches Behagen ueber die runden Zuege legte, und sie mit einer eigenthuemlichen Gluth und Freude ueberstrahlte, indem er vor seinem fruchtbaren inneren Geist wahrscheinlich schon einige der erhofften Scenen heraufbeschwor -- „nein lieber Professor, an aus dem Wege gehn ist nun einmal schon gar kein Gedanke -- wird auch nicht gut moeglich sein“ setzte er sich, wie in innerem Behagen die Haende reibend, hinzu -- „man muesste denn wie eine Schlange dazwischen durchschluepfen koennen. Vor allen Dingen befahre ich den Mississippi auf den dortigen Dampfbooten, und lasse mich erst zwei- oder dreimal in die Luft blasen, oder in den Grund rennen; dann existirt dort noch, wie ich aus ganz sicheren Quellen weiss, die Morrelsche Bande, die mit allen Pferdedieben und falschen Spielern der Union in Verbindung steht, und in der That ueber die ganzen Vereinigten Staaten ihre Auszweigungen hat. Wenn ich nur irgend Glueck habe falle ich denen in die Haende. Dort finde ich ebenfalls die beste Gelegenheit einer Baerenjagd beizuwohnen, und in den Sclavenstaaten muesste es mit dem Boesen zugehn, wenn man nicht wenigstens die Woche einmal, so einem armen Teufel von Schwarzen zur Flucht verhelfen, und durch das Interessante der Situation manche muessige Stunde ausfuellen koennte.“

„Sie bauen darauf, lieber Hopfgarten“ sagte hier, waehrend die Anderen lachten, Herr von Benkendroff, wieder ueber sein Buch hinueber nach seinem kleinen Freund sehend, „dass Sie gar keinen Hals haben an dem man Sie aufhaengen kann -- sonst scheinen Sie mir auf dem besten Wege dazu.“

„Bah, aufhaengen“ rief Herr von Hopfgarten veraechtlich -- „darin bewaehrt sich gerade der Mann, den Kopf in schwierigen Situationen aus der Schlinge zu halten.“

„Jedenfalls sollten Sie sich dann den langen Menschen aus dem Zwischendeck, ich glaube es ist ein Schneider“ sagte Herr von Benkendroff ruhig „zum Begleiter, gewissermassen als Sancho Pansa mitnehmen; Ihr Zug wuerde dadurch einen gewissen historischen Werth bekommen.“

„Spotten Sie nur“ laechelte aber Herr von Hopfgarten gutmuethig -- „Jeder sucht sein Vergnuegen auf seine eigene Weise, und Don Quixote, einige verrueckte Marotten abgerechnet, war ein ganz achtungswerther Charakter -- seine Kurzsichtigkeit muss uebrigens Vieles bei ihm entschuldigen, und ich habe ein Auge wie ein Falke.“

„Im Zwischendeck ist allerdings ein Mann der fuer Sie passen wuerde Herr von Hopfgarten,“ fiel aber hier das Fraeulein von Seebald ein, „ein junger Dichter, der ebenfalls noch nicht in dem Alltagsleben der Welt zu Grunde gegangen, und keineswegs daran zu zweifeln scheint, dem Leben auch noch eine poetische Seite abzugewinnen. Nur in der That bewaehrt sich der maennliche Charakter;“ setzte sie mit einem Seitenblick auf Herrn von Benkendroff hinzu, der aber an diesem vollkommen abprallte.

„Vortrefflich!“ rief da die muntere Clara -- „Herr von Hopfgarten kann dann die amerikanischen Riesen und Ungeheuer bekaempfen, und sein Begleiter gleich die Thaten besingen; ich subscribire von vornherein auf ein Exemplar.“

„Ihnen, meine gnaedige Frau“ lachte aber der kleine Mann, „dedicire ich das Werk, und werde mir von Ihnen noch ganz besonders eine Schleife oder einen Handschuh ausbitten, nach aechter Ritterart am Hut zu tragen.“

„Ein Wort ein Mann“ rief die junge Frau, ihren linken Handschuh lachend abziehend und dem neuen Ritter zuwerfend -- „hier ist das Pfand, und bedenken Sie, dass ich es nur mit dem Blut der Feinde getraenkt zurueckerwarte.“

„Gnaedige Frau!“ rief da der kleine Mann, begeistert von seinem Stuhle aufspringend -- „nur mit meinem Leben trenne ich mich wieder von dieser Gabe, bis ich sie in wuerdiger Weise zurueckerstatten kann, und hier unser bequemer Freund Benkendroff selber --“

Seine weitere Rede wurde durch das Heraufstuermen der Matrosen auf das Quarterdeck unterbrochen, die, so ehrerbietig sie sonst dasselbe betraten, jetzt ohne weiteres Ceremoniell und in groesster Eile anfingen die aufgerollten Falle von den Naegeln herunter auf Deck zu werfen, wobei sie den ueberrascht aufspringenden Passagieren sehr ungenirt die Sessel aus dem Weg rueckten. Zu gleicher Zeit sahen diese wie ein Theil der Mannschaft, gelenk wie Katzen, an den Wanten(9) hinauflief; die leichteren Segel flatterten dabei aus, und wurden eingeholt und befestigt, die leeren Raaen(10) queer gebrasst, und auf den Marsraaen, dessen Segel in der frischer werdenden Brise schlug und flappte, lagen die Leute mit der Brust auf, die Fuesse gegen das scharfangespannte Lauftau gepresst und mit dem Oberkoerper in freier Luft haengend, das ausschlagende schwere Segeltuch zu fassen und einzuziehen, um es in die Reefbaender zu schlagen, und kleinere Flaeche der Leinwand einem jedenfalls erwarteten Sturm zu bieten.

Die Passagiere sahen allerdings im Anfang erstaunt auf und umher, denn das Wetter war, bei fast voelliger Windstille, mild und warm gewesen, und eine leichte Brise, die sich nach und nach erhoben und das Schiff wieder langsam durch die klare, fast spiegelglatte Fluth trieb, von ihnen wohl freudig begruesst worden, aber keinem als irgend Gefahr drohend erschienen. Der erste ueberraschte Blick umher ueberzeugte aber bald alle, selbst die groessten Laien in der Wetterkunde, dass der sonnige Morgen einem stuermischen Mittag werde weichen muessen. In Nord-Westen stiegen schwere dunkle Wolkenmassen auf, die dem Wasser schon ihren fahlen Bleiglanz mitzutheilen begannen, ueber die See zog es in dunkelstreifigen, fluechtigen Kraeuselwellen, wie die Vorboten des nahenden Wetters, und als die schwache Brise endlich wieder vollstaendig erstarb, die duestere Wolkenmasse aber, die bis jetzt fast auf dem Horizont gelegen, mit rasender Schnelle hoeher und hoeher stieg, da bat der Capitain, der bis dahin an Nichts anderes gedacht hatte, als sein Schiff auf das kommende Wetter vorzubereiten und seine Segel zu bergen, die Passagiere dringend, hinunter in die Cajuete und dem Unwetter aus dem Wege zu gehn, dass sich die Mannschaft frei bewegen koenne. Fast alle fuegten sich auch dem Wunsch nur zu bereitwillig, die meisten selber froh unter dem schuetzenden Dach der Cajuete den Ausbruch des Sturmes erwarten zu duerfen; nur Herr von Hopfgarten holte sich rasch seine geoelten Seemannskleider, die er sich zu diesem Zweck besonders angeschafft, hervor, zog sie an, setzte seinen Suedwester(11) auf, und stieg, die Haende in die Taschen schiebend, wieder an Deck, dem Sturm „die Wetterseite zu bieten.“

Diese unheimliche, und einem heftigen Orkan sehr oft vorhergehende Stille dauerte aber nicht lange; im Nord-Westen nahm der Meeresspiegel eine vollkommen dunkle Faerbung an, wie sich die Kraeuselwellen da vor der heranbrausenden Windsbraut hoben, und als die Windsbraut herankam und das Schiff fasste, durch die Bloecke und Taue pfiff und ueber die nackten Raaen heulte, fegte sie auch schon die oberen Tropfen von den aufspritzenden, wie aengstlich zuckenden Wellen, und lehnte sich jetzt hinein in das Meer, das ruhige aufzuruetteln aus seinem Schlaf.

Hui wie es da draengte und bohrte und die Segel fasste und schuettelte, die es noch wagten ihm Trotz zu bieten, waehrend es dem stoehnenden Schiff pfeilschnell die baeumenden Wogen entgegenjagte; wie die Masten aechzten und sich elastisch der furchtbaren Kraft beugten, und die schweren Raaen in ihren Ketten klirrten und die Falle, und Taue zum Zerspringen spannten. Aber machtlos griff der Sturm in das kuenstliche Gebaeu, das des kecken Menschen Hand, selbst seinen Schrecken zum Trotz, muthig und sicher ueber die brausenden Wogen fuehrte; zur rechten Zeit waren alle ueberfluessigen Segel geborgen und die noethigsten dicht gereeft, dem Orkan so kleine Flaeche als moeglich zu bieten, und was noch stand, an dem konnte er ruetteln und reissen und seine Kraft versuchen; die Leinwand war stark und neu und die Taue hielten seinem wildesten Sprung und Drang.

Aber die Passagiere hatte er ueberrascht, denn sie waren bis jetzt an ruhiges Wetter und ziemlich gleichmaessigen Wind gewoehnt, der es den Leuten erlaubte ihre Segel in Ruhe zu setzen oder einzunehmen. Die noethigen Befehle waren dabei auch natuerlich in aller Ruhe gegeben, und von den Leuten eben so ausgefuehrt worden; das aber aenderte sich jetzt wie mit einem Zauberschlag, und in dem wuesten Laerm der Seeleute, dem sich das Toben der Elemente gesellte, schien dem Laien jede Ordnung im Schiff gerade in dem Moment geloest und aufgehoben, wo die Gefahr zum ersten Mal mit eiserner Faust an ihre Planken schlug. Die Offiziere schrieen ihre Befehle, jedem Ohr unverstaendlich und in dem Heulen des Sturmes wild und aengstlich klingend, ueber Deck, die Matrosen selber stuerzten herueber und hinueber, die Segel hingen eine Zeitlang geloest und schlugen an die Masten, die Taue fuhren wirr durcheinander, und die Hast, mit der die zum Reefen aufgeschickten Leute nach oben eilten, nach rasch ausgefuehrtem Befehl wieder an den Pardunen niederglitten, und die Raaen dann unter dem schrillen Ruf des Steuermanns und dem ihnen so aengstlich klingenden Taktsang der Matrosen aufgezogen wurden, bestaetigten bei Vielen den schlimmsten Verdacht, und machte ihre Herzen rascher klopfen.

Die Cajuete konnte sich da noch eher Raths erholen; besorgte, an die Steuerleute oder den Capitain gerichtete Fragen der Damen, wurden beruhigend beantwortet, und die Gewissheit gerade, mit der die Offiziere den Sturm vorausgesehn, und die noethigen Vorkehrungen dagegen getroffen, hatte schon an sich etwas Trost und Vertrauen Erweckendes. Schlimmer sah es dagegen im Zwischendeck aus, wo eine Menge Frauen und Kinder, in den engen dunklen Raum gebannt, ueber dem sie nur das unheimlich rasche Laufen der Seeleute und das Heulen des Sturmes hoerten, durch ihr Jammern und Stoehnen und Wehklagen die Verwirrung, die ueberdiess schon unten herrschte, noch arg vermehrten.

Wie dabei der Wind ueber die See tobte, hoben sich die Wellen hoeher und hoeher, das Schiff fing an zu stampfen und in den anstuermenden Wogen herueber und hinueber zu schlingern, dass in dem dumpfigen Raum hie und da schon wieder die Seekrankheit ihren Arm nach einzelnen ungluecklichen Opfern ausstreckte. Die um die Mittelstuetzen des Zwischendecks befestigten Koffer und Kisten schurrten dabei, so weit es ihnen die nach und nach locker gewordenen Taue gestatteten, mit der Bewegung des Schiffes bald nach dieser bald nach jener Seite, und drohten in der That sich nach und nach voellig loszuarbeiten aus ihren Banden, wie einzelne Schachteln mit unvorsichtig dort aufgespeicherten Vorraethen, Stuecken Fleisch und Zwieback, Zwiebeln und Kartoffeln, oder auch nachlaessig aufbewahrte Gefaesse und Flaschen, ploetzlich laut wurden und hervorpolterten, den Passagieren dadurch einen ungefaehren Begriff gebend, was sie zu erwarten haetten, wenn sich das schwere Gepaeck losscheuere und mit seinem Gewicht und den scharfen Ecken und Kanten ueber sie hereinbreche und herueber und hinueber schleudere.

Einige der Zwischendeckspassagiere machten sich nun zwar bereitwillig daran, einer solchen Fatalitaet durch festes Schnueren der Taue in Zeiten vorzubeugen; bei dem immer staerkeren Schaukeln des Schiffs wurde das aber mehr, als sie auszufuehren vermochten; das Arbeiten in dem niederen dumpfen Raum machte sie schwindlich und uebel, und Matrosen mussten zuletzt zu Huelfe gerufen werden, die geloesten und nicht wieder ordentlich befestigten Taue, die jetzt hie und da nachgaben, auf's Neue zu verbinden und Unglueck zu verhueten.

Was uebrigens im Anfang selbst dem Capitain nur als ein eben so rasch wie es gekommen, voruebergehendes Gewitter geschienen, artete zuletzt wider Erwarten in einen ordentlichen Sturm aus, der mit der untergehenden Sonne neue Kraft gewann. Die Segel blieben dicht gereeft, die Luken wurden, des niederstroemenden Regens wegen, mit getheerter Leinwand ueberhangen, und die Wellen wuchsen natuerlich, durch ihre eigene Schwere von Stunde zu Stunde, bis sie die weisgekroenten Kaemme, wie funkelnde Maehnen, im Ansturm gegen den starken Bug des Schiffes trugen, und ihre Stirnen wild und droehnend, immer und immer wieder vergebens, dagegen schmetterten.

Die Haidschnucke kaempfte sich indessen still und unverdrossen ihre Bahn, waehrend der Widderkopf, den sie als Brustbild auf der Gallion vorn trug, ihr alle Ehre machte. Den starken Nacken gebogen, einem wirklichen Widder gleich, setzte er zum Stoss ein, den anprallenden Wogen gegenueber, und wenn sich die hochaufbaeumenden an ihm brachen, und schaeumend und brausend ihre Sturzseen ueber Deck warfen, stieg er fest und trotzig, von dem gluehenden Meeresschaum hell erleuchtet, daraus empor, den wilden wuesten Schlachtplan ueberblickend, und es war fast, als ob er sich einen neuen Gegner herausfordernd suche, zum Kampf auf Leben und Tod.

In der Nacht gab es wieder viele Kranke an Bord, und Stoehnen und Aechzen, Beten und Fluchen toente aus dem niederen dunklen und dumpfigen Raum empor, dem nur manche mal eine bleiche, sich ueberall krampfhaft anhaltende Gestalt entstieg, den Schiffsbord zu suchen, sich daran festzuklammern, und was sie drueckte, hinueber zu werfen in die boshafte tueckische See. Wehe dem Armen dann, wenn er mit schwindelndem Hirn, und von dem ihn umrasenden Sturm betaeubt, die Leeseite, nach der er sich zu wenden hatte, mit der Luvseite verwechselte, und gegen den Wind seinem Leiden Luft machen wollte; der boshafte Sturm warf ihm das dann gewiss erbarmungslos wieder zurueck und entgegen, und eine nachstuerzende See spuehlte den Armen vielleicht mitleidig dem nach, nach Lee hinueber, von wo er sich triefend und betaeubt die Bahn wieder nach unten suchen musste, seiner dunklen Coye zu.

Oh wie lang, wie entsetzlich lang dauerte die Nacht, in der selbst den Gesunden das Kreischen der Kinder, das Jammern der Frauen, das Stoehnen und Aechzen der Seekranken, wie das Werfen der Falle und das Stampfen der Matrosen an Deck, jeden Augenblick Schlaf raubte oder verkuemmerte. Dabei peitschte draussen die Fluth, die schwachen Planken, die sie allein von der Unendlichkeit trennten, und die furchtbaren Stoesse, mit denen der scharfe Bug des Schiffes den anprallenden Wogen begegnete, waehrend ganze Fluthen von vorn nach aft ueber Deck stroemten, machten den maechtigen Bau bis in den Kiel hinab erzittern, und fuellten oft die Herzen selbst der Unerschrockensten mit jenem eigenthuemlich unbehaglichen Gefuehl, dass Holz und Eisen doch am Ende nicht auf die Laenge der Zeit solchen unermuedlichen, unausgesetzten Anprallen werde widerstehen koennen. Und wenn es brach? -- wenn sich die tolle Fluth die Bahn erzwang in die jetzt Leben gefuellten Raeume, wenn die gierigen, donnernden Wogen nur einen Zollbreit Raum gewannen, nur dass sie Halt bekamen an dem Mark des Schiffs, was dann? -- ein wilder Todeskampf, ein Angstgeschrei, der den inneren Raum erfuellte, und mit den Wogen machtlos kaempfend rangen hunderte von Wesen, deren Herzen jetzt noch warm und hoffend schlugen -- rangen und versanken, der naechsten Sonne nur in wenig einzeln treibenden Hoelzern den Ort verrathend, an dem die Tiefe sie verschlang.

Mit vollkommen ruhigem und kaltem Blut betrachtet indessen der Seemann den Aufruhr der Elemente. An das Schiff denkt er dabei, dass er es sicher und unbeschaedigt durch die Wogen fuehre, nicht an sein Leben, das dem Schiff gehoert. Gewohnheit stumpft den Menschen auch zuletzt gegen eine wieder und immer wieder kehrende Gefahr ab, sei sie noch so gross; und fast mechanisch thut er Alles, was ihm der Augenblick eben zu thun gebietet. Sind dann die Segel dicht gereeft, ist Alles an Deck so gut befestigt wie es geht, jede Luke geschlossen und keine drohende Kueste in Lee, von der abzukreuzen, sonst alle Kraefte angespannt werden muessten, dann hat der Schiffer gethan was eben in seinen Kraeften steht, und auf gutem, seetuechtigem Schiff, vertraut er das und sein Leben ruhig dem Schutz des Hoechsten.

Auf offener See ist die Gefahr auch lange nicht so gross; es muss da ordentlich wehn, und eine furchtbare See muss stehn wenn es dem wirklich guten Schiff verderblich werden soll. Reissen die Wellen auch dann und wann einmal ein paar Ellen Schanzkleidung(12) ueber Bord, oder waschen sie gar das Deck rein von Kambuese(13) und Wasserfaessern, trotz ihren Tauen und eisernen Klammern, der Sturm kann nicht ewig waehren, und ein paar Stunden ruhigen Wetters geben dem unerschrockenen Seemann bald wieder Zeit, den gehabten Schaden, so gut das eben auf offener See geht, auszubessern. Nur wenn er Land in Lee weiss, das bedraengte Schiff kaum im Stande ist, sich gegen den Anprall von Wind und Wellen zu halten und die Stroemung vielleicht gar noch dem Sturm die Hand bietet; wenn er wieder und wieder ueber Stag(14) muss dem Wind in die Zaehne hinein zu segeln und trotz dem das daemmernde Land immer deutlicher, immer furchtbarer zu ihm herueberstarrt, die Brandung immer drohender, immer furchtbarer an sein Ohr schlaegt, dann mag ihm das Herz pochen, und das Auge aengstlich am Horizont nach Rettung suchen, ob sich die Wolken nicht lichten, die wilden Boeen nicht legen wollen, dann allerdings lauert der Tod in den dunklen starrenden Klippen, die gierig die Haeupter herausstrecken aus der schaeumenden Brandung, denn das Land ist des Seemanns Feind, nicht das Meer.

In dieser Nacht legte sich der Sturm aber nicht, und wenn er auch gegen Morgen etwas in seinem Grimm nachzulassen schien, nahm er vor Sonnenaufgang auf's Neue die Backen voll und tobte toller als vorher. „S'ist eine frische Hand am Blasbalg“ sagen in dem Fall scherzhafter Weise die Matrosen, denen „eine Muetze voll Wind mehr oder weniger“ nicht viel verschlaegt. Im Gegentheil; der Lohn geht fort; haelt sie der Sturm ein paar Tage laenger auf See, gut, desto mehr Geld haben sie zu fordern, wenn sie das Land betreten, und koennen desto mehr verthun; ja bei schwerem Wetter fallen sogar die laestigen Arbeiten, wie Schiemanns-Garn drehen und Werg zupfen fort, mit denen sie in ruhiger Zeit doch ausserdem genug geaergert werden. Die Leute sitzen dann auch meist -- mag das Wetter toben so arg es will -- ganz ruhig und vergnuegt im Lee vom grossen Boot und erzaehlen sich Geschichten und Anekdoten. Sind die Segel dicht gereeft, und haben die Leute genug Taback, dann verlangen sie keine bessere Zeit und sind munter und vergnuegt. Nur bei Windstille flucht der Matrose, denn das ist die Zeit, in der er am meisten beschaeftigt ist.

Nur wenige von den Passagieren hatten sich aber die Nacht ueber hinauf getraut an Deck, dem Sturm und den noch fataleren Sturzseeen kuehn die Stirn zu bieten. Die aber, die es gewagt, waren auch reichlich durch den wundervollen grossartigen Anblick der zuernenden See entschaedigt worden. Zischend und schaeumend waelzten die phosphorgluehenden Wogenmassen herum, mit ihrem geisterhaften Licht die Masten hellend, bis hinauf zu den nackten tanzenden Spieren. Wie von silberblitzenden Adern durchzogen, quollen die maechtigen Wellen am Schiff vorbei, das traege und stoerrisch nur hindurchzudringen schien, und die See, die sich zu windwaerts ueber dem Buge brach, goss tausend und tausend glimmende Funken ueber das nasse Deck und schmueckte es wie mit blitzenden Edelsteinen. Die Windsbraut hatte dabei den Himmel rein gefegt; mit der Tiefe wetteifernd funkelten die Sterne ihr flammendes Licht herab, und als der Mond dem Horizont endlich entstieg, sandte er seine zuckenden Strahlen wie matte Blitze ueber die erregte Fluth.

Die Noth im Zwischendeck hatte indess ihren hoechsten Grad erreicht, denn die ueberstuerzenden Seeen, die ihre plaetschernde Fluth um die Vorderluke spuehlten, schlugen einmal sogar die Leinwand fort, und gossen einen Strom hinab in den unteren Raum. Die Matrosen sprangen allerdings gleich zu und schlossen die Luke mit den Lukenklappen, weiterem Eindringen des Seewassers, weniger der Passagiere, als der unter ihnen eingestauten Fracht wegen, zu wehren, aber der Angstruf der Zaghaftesten, „das Schiff hat einen Leck -- wir sinken -- wir sind verloren“ zuckte mit dem Nothschrei von Lippe zu Lippe, und Alles, was sich noch auf den Fuessen halten konnte, draengte jetzt wild zurueck, der hinteren Luke zu, den Weg von da an Deck zu finden. Ein gewisser Instinkt trieb die Schaar an die freie Luft, wo eben so wenig Rettung fuer sie war, als dort unten, waere ihr furchtbarer Verdacht wirklich begruendet gewesen -- aber sie wollten nicht im Dunklen sterben.

„Na nu setz mich mal an Land!“ rief der Steuermann verwundert, als die Passagiere ploetzlich, wie Bienen aus ihrem gestoerten Haus, an Deck quollen, und nach dem Boot und um Huelfe schrieen, „Doeskoeppe, seid Ihr verrueckt geworden oder was faellt Euch ein? -- wollt Ihr machen, dass Ihr wieder hinunter kommt, oder ich lass' Euch hier oben noch einmal begiessen!“

Die Drohung half aber Nichts, Andere pressten nach, von unten herauf, den Erstgekommenen den Rueckzug abschneidend, und eine gerade wieder ueber das Schiff herueberschlagende See vermehrte die furchtbare Verwirrung der zum Tod Erschrockenen.

Unten im Zwischendeck schrie eine einzelne Frauenstimme mit markdurchschneidenden Toenen nach Huelfe, und unheimlich klang der gellende Laut selbst durch das Gewirr von Stimmen und das Toben der Elemente.

„Aber so nehmt doch nur um Gottes Willen Vernunft an -- zurueck da mit Euch oder ich lasse die Luke hier ebenfalls dicht machen und keiner Mutter Sohn wieder an Deck herauf“ -- bat und fluchte der Seemann -- aber Alles umsonst; ein panischer Schrecken hatte sich der unglueckseligen Passagiere bemaechtigt und Einzelne, die von der ueberstuerzenden See fortgewaschen an Deck herumschwammen, und wie sie nur den Mund wieder frei bekamen, nach Rettung bruellten, setzten der heillosen Verwirrung die Krone auf, und trieben jetzt auch die Cajuetspassagiere in Todesangst aus ihren Coyen.

Es bedurfte wohl einer halben Stunde Zeit, in der die Matrosen die, die am meisten schrieen, und sich am unsinnigsten geberdeten, anfassen, schuetteln und erst wieder zur Vernunft stossen mussten, bis die Leute nur anfingen zu begreifen, dass ihnen keineswegs eine unmittelbare Gefahr drohe, und der Sturm eben nicht aerger das noch vollkommen tuechtige und dichte Schiff umtobe, als am Abend, wo sie sich ruhig in ihre Coyen zum Schlafen niedergelegt. Die Vernuenftigsten der Schaar, die sich doch auch ihres Kleinmuths wegen zu schaemen begannen, wollten deshalb eben wieder hinunter in das Zwischendeck steigen, wo der Laerm noch aerger als vorher tobte, auch dahin die troestliche Nachricht zu bringen, und die Verzweifelnden zu beruhigen, als sich von dort herauf der Tischler Leupold wild und aengstlich die Bahn brach, und nach dem Arzt -- dem Doktor schrie, um Gottes und des Heilandes Willen seiner Frau zu Huelfe zu kommen.

„Was ist -- was giebts?“ riefen die Leute durcheinander, und der Steuermann fasste den halb Rasenden und frug ihn, was geschehen sei; dieser aber riss sich los und bat und flehte, nur den Arzt aus der Cajuete zu holen, damit dieser der Ungluecklichen beistehn koennte, die ploetzlich wahnsinnig geworden waere.

Wahnsinnig, es ist ein furchtbares Wort, und der Sturm heulte seine tolle Weise darein, die Masten knarrten und aechzten und durch die Bloecke pfiff es wie in wilder unheimlicher Luft.

„Der Arzt -- wo ist der Doktor!“ riefen die Leute jetzt durcheinander, den Sturm fast vergessend ueber die augenblickliche, dringendere Noth des Mitpassagiers -- „der Doktor!“ und selbst der Steuermann, der sich sonst wahrlich nicht beeilte, wenn ein Zwischendeckspassagier oder ein Passagier ueberhaupt, einen Wunsch aussprach, sprang in die Cajuete hinein, den „Doktor“ herauszuklopfen, damit er helfen koenne, wenn hier ueberhaupt menschliche Huelfe noch moeglich war.

Der Doktor lag angezogen in seiner Cajuete auf dem Bett, und sprang bei dem ersten Ruf schon rasch und bereitwillig auf, aber er sah selber todtenbleich aus, und ein neuer Angriff der Seekrankheit, mit der Angst um das eigene Leben, hatte ihm jeden Blutstropfen zum Herzen zurueckgejagt.

„Doktor machen Sie rasch -- eine Frau ist im Zwischendeck wahnsinnig geworden -- Sie muessen helfen!“ rief der Steuermann.

„Eine Frau wahnsinnig?“ stoehnte der unglueckliche Sohn Aesculaps -- „das ist ja entsetzlich, das ist ja gar zu traurig -- was werden -- was werden wir ihr denn da gleich eingeben --“

„Sehn Sie sich die Kranke nur erst einmal an“ rief aber der Steuermann ungeduldig, als der Doktor in allen seinen Taschen nach seinem Besteck an zu suchen fing -- „bis Sie hinunterkommen kann sie todt sein, wenn Sie so lange machen.“

„Ja wenn das aber so schnell geht“ sagte der arme Hueckler in Verzweiflung, „dann werde ich ihr mit meinem Besuch auch nicht mehr viel helfen koennen -- das ist eine verzweifelte Geschichte und indessen der Sturm“ -- murmelte er vor sich hin, als er die niedere halbe Treppe an Deck hinaufstieg und sich oben gleich anhalten musste, auf dem spiegelglatten Deck, nicht nach Lee zu geworfen zu werden -- „heilige Dreifaltigkeit, Steuermann, das Deck geht Einem ja unter den Fuessen fort -- das Schiff ist zu schwer auf der einen Seite.“

„Haette bald was gesagt,“ murmelte aber der alte Seebaer zwischen den Zaehnen durch, waehrend er ihn auf der linken Seite stuetzte, dass er nur rascher vorwaerts kam.

Unter Deck hatte sich indessen eine Gruppe von Frauen meist um die unglueckliche Tischlersfrau gesammelt, die sich den Haenden der sie haltenden Maenner fortwaehrend zu entwinden suchte, und dabei laut lachte und schrie, und wunderliche, verslose Lieder sang. Der junge Donner, waehrend er sich mit der linken Hand selber fest an der naechsten Coye hielt und seinen linken Fuss zwischen die dort befestigten Kisten eingeklemmt hatte, hielt sie mit dem rechten Arme umschlungen, dass sie sich nicht selber von ihrem Stand herunterstuerzte, und Leupold, mit Herrn Mehlmeiers Huelfe, suchte sie auf der anderen Seite zu stuetzen und zu beruhigen und sie nur zu bewegen, dass sie sich erst einmal wieder in ihre Coye lege.

Ueber dieser von einer gewoehnlichen Schiffslaterne beleuchteten Gruppe, oben an der steilen, in das Zwischendeck niederfuehrenden Treppenleiter, erschien jetzt der Doktor, und musste mit Gewalt den Ekel bezwingen, der ihm bei dem furchtbaren Schaukeln des Schiffs, und dem warmen, von unten zu ihm aufstroemenden Dunst des inneren Decks zu erfassen drohte. Gerade aber, als er sich umdrehte um niederzusteigen, sah und erkannte ihn die Frau und schrie auf, als ob sie einen Geist erblickt „Er will mich wuergen -- er will mich wuergen.“ Der arme Doktor, ueberdiess nicht auf festen Fuessen, drehte sich bei dem Schrei halb um, rutschte auf seinem schluepfrigen Stand aus und glitt halb, halb fiel er mitten zwischen die Gruppe hinein.

„Hahahaha!“ lachte da die Unglueckliche hell und laut auf -- „hahahaha, er hat den Hals gebrochen, er hat den Hals gebrochen“ und sank besinnungslos zurueck in Georg Donners Arm, waehrend ihr Mann kaum noch Zeit behielt, sie mit zu unterstuetzen.

Hueckler hatte sich indessen rasch und erschreckt wieder erhoben, und waehrend er sich an der Treppe und den Kisten zu der Patientin hinfuehlte, riss Hedwig ihre Matratze aus dem eigenen Bett, sie der Frau vor der Coye unterzubereiten, und kauerte dann neben ihr nieder, ihren Kopf zu unterstuetzen. Dem Doktor wurde indessen mit kurzen Umrissen die moegliche Ursache des Ungluecks mitgetheilt, das der arme Tischler von einem Sturz herruehrend glaubte, den die Frau an dem Morgen gethan. Sie war dabei mit dem Hinterkopf gegen eine Kistenecke geschlagen, und trotzdem, dass sich kein Zeichen aeusserer Verletzung deutlich machte, viele Minuten lang bewusstlos liegen geblieben; hatte auch nachher, als sie wieder zu sich kam, ueber Kopfschmerz geklagt, sich jedoch sonst wohl befunden, bis der Sturm an dem Abend ueberhand nahm, und nun die Angst, vielleicht das Uebel verschlimmernd, die fruehere Verletzung des Hirns zum Ausbruch draengte.

Dr. Hueckler hatte indessen den Puls der Kranken in seiner Hand gehalten, und befand sich in groesster Verlegenheit, was ihm in diesem Fall zu thun oder zu lassen bliebe. Der Wahnsinn, weder in seinem Ursprung, noch seiner Wirkung, stand nicht in dem Medicinbuch mit angegeben, und so viel und sorgsam er sich auf fast alle uebrigen Krankheiten und Zustaende vorbereitet, so wenig hatte er einen solchen Fall fuer moeglich gehalten, ja in der That nicht einmal daran gedacht. Aderlassen! das blieb das Einzige -- er hatte auch eine wirkliche Schwaeche fuer Aderlassen, und es befand sich nicht eine Person an Bord, die seine Huelfe in Anspruch genommen, sei es fuer was auch immer, und ohne einen Aderlass davongekommen waere. Keinenfalls konnte der schaden. Sein Besteck also, das er, als er die eigene Coye verliess, fast instinktartig zu sich gesteckt, herausnehmend, ging er auch ohne weiteres daran, die Operation mit gewohnter Fertigkeit vorzunehmen. Georg Donner unterstuetzte ihn dabei nach besten Kraeften und Doktor Hueckler, der dadurch wieder seine ganze fruehere Zuversichtlichkeit erlangt hatte, verordnete noch, ehe er das Zwischendeck verliess, und als die Kranke wieder Zeichen zurueckkehrenden Bewusstseins gab, sie jetzt fest in ihre Coye zu packen, mit Kissen wohl zu verwahren, damit sie nicht herausfallen koenne, und sie die Nacht durch ordentlich und fest schwitzen zu lassen.

Georg Donner wollte hiergegen Einspruch thun, Doktor Hueckler aber, dem durch den langen Aufenthalt im Zwischendeck selber wieder der Schweiss auf die Stirn trat, und dem es wuest und unbehaglich zu Muthe wurde, hatte seine Instrumente schon zusammengepackt, und verliess rasch den dumpfigen Raum. Donner aber stieg, ohne weiter ein Wort zu verlieren, ebenfalls an Deck, holte einen Eimer voll Seewasser herunter, den er an einen der in den Queerbalken befestigten Haken hing, liess sich dann von Leupold ein reines Handtuch geben, das er mit dem kalten Wasser netzte, und rieth ihm, die Frau vor der Coye auf der Matratze liegen zu lassen, und ihr fortwaehrend kalte Umschlaege auf die fiebergluehende Stirn zu legen, die Hitze daraus zu bannen. Hedwig, die nicht von der Seite der Kranken wich, uebernahm das Amt, die Umschlaege zu erneuern, und trotz dem furchtbaren Stampfen des Schiffes, das gegen die mit jeder Stunde hoeher wachsende See fortwaehrend anzukaempfen hatte, wurde endlich Ruhe im Zwischendeck. -- Die Passagiere fanden, dass die Gefahr nicht so nah sei wie sie geglaubt, und ergaben sich endlich -- was sie haetten gleich von Anfang an thun sollen -- ruhig in ihr Schicksal.

Der naechste Morgen brach trueb und eben noch so stuermisch an; mit der ersten Daemmerung war es fast, als ob sich der Wind etwas legen wollte, wie aber die Sonne roth und flammend aus dem schaeumenden Wogenkessel sich hob, gewann der Sturm neue Kraft und heulend und rasend fegte er die See. Hei wie er die maechtigen, mit durchsichtigen Kronen ueberworfenen Wogen fasste, die Schulter dagegen stemmte, und die baeumenden Kaemme aufgriff und in Silberperlen ueber die grollende See hinaus streute; wie er sich in die fliegenden Berge wuehlte und ihnen den Boden unter den Fuessen wegriss, neue zu bauen mit einem maechtigen Hauch; wie er sie tanzen liess die gewaltigen Rosse der See, die in unabsehbaren Reihen sich stuerzend und draengend, vor ihm flohen, und seine starke Faust doch immer und immer wieder im Nacken fuehlten, wie Sporn und Peitsche, sie zu wilderem Lauf zu treiben, zu rascherem Sturz. Ha wie das kochte und gohr in den Kesseln und Schluchten, und die Schaumesadern zu wirbelnden Trichtern in die Tiefe zog. Schlag auf Schlag donnerte dabei der Wogen Schaar gegen den zerpeitschten Bug des wackeren Schiffes an, doch Stoss um Stoss erwiedernd hob sich das wie mit wachsendem Muth, als der grimme Feind ihm wuchs, auf dessen Nacken, die klare perlende Fluth von den Schultern schuettelnd, dem neuen Gegner keck die Stirn zu bieten. Wie die Wolken ueber den mattblauen Himmel jagten, als ob sie die Sonne verscheuchen wollten in ihr tobendes Bett und die Moeve mit schrillem Ruf ihre Kreise zog in Lee des Schiffs, ein boeses Zeichen fuer den Seemann, der dann wohl sicher weiss dass er noch schweres Wetter zu ueberstehen hat, trotz Sonnenschein und Licht.

Die Kranke im Zwischendeck hatte die Nacht indessen ziemlich ruhig verbracht; der starke Blutverlust, wie die kalten Umschlaege um Stirn und Schlaefe, die Hedwig ihr ununterbrochen aufgelegt (denn Leupolds eigene Mutter war selber so seekrank dass sie den Kopf nicht in ihrer Coye heben konnte) schienen ihren Zustand, wenn auch noch nicht ganz gehoben, doch wesentlich verbessert zu haben. Auch die uebrigen Passagiere, mit Ausnahme vielleicht von sechs oder acht, wurden das Schaukeln nach und nach gewoehnt, und aengstigten sich nicht weiter ueber die Sturzseeen, die ihnen wohl ein paar Tons Wasser ueber Deck schleuderten, aber weiter eben keinen grossen Schaden thaten, viel weniger denn die Sicherheit des Schiffes selbst gefaehrdeten.

Am wackersten hielt sich bei diesem Unwetter die Cajuete, deren Passagiere aber auch luftigere und geraeumigere Lager und bessere und leichtere Kost hatten, der Seekrankheit zu begegnen. Nur Fraeulein von Seebald huetete an dem Tage noch ihr Bett, heftiger Kopfschmerzen wegen wie sie sich entschuldigen liess, sonst waren Alle munter und auf den Fuessen, und selbst der Mittagtisch versammelte sie heute, wie in stiller Zeit.

Boese Arbeit aber gab es dabei fuer den Steward und Cajuetenwaerter, Geschirr und Speisen nicht allein gluecklich von der Cambuese ueber Deck in die Cajuete zu schaffen, sondern auch dort so zu stellen und zu befestigen, dass sie durch das tolle Springen des Schiffs nicht vom Tisch heruntergeworfen wurden. Ein eigenes Gestell, das Herr von Benkendroff gerade nicht unpassend das Marterholz nannte, da es sich nur bei unruhigem Wetter zeigte, und eine Masse fuer ihn fataler Unbequemlichkeiten mit sich brachte, wurde ueber dem, auf dem Tisch ausgebreiteten, nicht uebermaessig reinlichen Tischtuch festgemacht. Dieses, durch etwa drei Zoll hohe Querhoelzer verbunden und in Quadrate getheilt, schloss durch seinen hohen Rand den Tisch vollkommen ein, und hielt Teller und Schuesseln so ziemlich fest, dass sie wenigstens nicht hinunterrutschen konnten, war aber natuerlich nicht im Stande das Ueberlaufen der Schuesseln und gefuellten Teller zu verhindern, wenn man sie haette vor sich auf den Tisch stellen wollen. Diese forderten deshalb auch gebieterisch die ungeteilte Aufmerksamkeit der Essenden, und die geringste Unachtsamkeit blieb gewiss nicht ungestraft.

Herr von Hopfgarten hatte indess von dem Krankheitsfall im Zwischendeck gehoert, war gleich hinuntergegangen sich selber zu ueberzeugen, und erfuhr dort was Doktor Hueckler der Kranken nach dem Aderlass verordnet habe, und wie diese gerade durch das Gegentheil wenigstens so weit hergestellt worden, sie fuer jetzt ausser Gefahr zu halten. In die Cajuete zurueckgekehrt hatte er dann aber auch nichts Eiligeres zu thun, als die Damen davon in Kenntniss zu setzen, und waehrend diese der Leidenden Eau de Cologne zum Einreiben und leichten Zwieback fuer eine mehr passende Nahrung als die schwere Schiffskost, hinunterschickten, nahm Herr von Hopfgarten den Doktor bei einem Knopf, zog ihn in die naechste Ecke und machte ihm hier die ungeheuersten Elogen wegen der fabelhaften Kur die er in dieser Nacht vollbracht, und womit er jedenfalls das Leben der Frau auf die eclatanteste Weise gerettet habe. Der arme Teufel von „Doktor“ wusste freilich im Anfang nicht wohin er aus Verlegenheit sehen sollte, war auch von dem kleinen Mann schon so oft zum Besten gehalten worden, um ihm in diesem Fall gleich zu trauen, dass er es wirklich ehrlich meine; Herr von Hopfgarten verzog aber keine Miene dabei, ja rief zuletzt selbst den Capitain und die uebrigen Cajuetspassagiere herbei, und gratulirte sich und ihnen einen so wackeren Arzt an Bord zu haben, der mit Kopf und Herz auf der rechten Stelle, eine grosse Beruhigung fuer eine, von jeder weiteren Huelfe abgeschnittene Schiffsgesellschaft sein muesste.

Dem Chirurgen Hueckler that aber das Lob, das so offen gespendet auch aufrichtig gemeint sein musste, nicht allein unendlich wohl, sondern er bekam sich auch wirklich selber in Verdacht, in letzter Nacht eine hoechst schwierige Kur mit seltener Geistesgegenwart und richtigem Urtheil aufgefasst und behandelt zu haben, und doch am Ende von der Medicin mehr zu verstehen, als er sich selber zugetraut. Durch dieses Selbstvertrauen aber fuehlte er sich gehoben, wurde gespraechig, und fing nun an, wie das leider ueberhaupt seine Gewohnheit war, einzelne andere, mitunter hoechst merkwuerdige Kuren zu erzaehlen, die er in frueheren Zeiten gemacht, und wodurch er das Leben schon von anderen Aerzten aufgegebener Patienten mehrmals gerettet haben wollte. Herr von Hopfgarten ging darauf ein sich das Alles aufbinden zu lassen, und Hueckler schwamm in einem Meer von Wonne.

Die Suppe wurde indessen aufgetragen, und der Steward, in der linken Hand die Klingel schwingend, mit der er die Passagiere herbeirief Platz zu nehmen, hielt mit der rechten die auf den Tisch gestellte Terrine, in der die heisse Huehnersuppe qualmte, sie vor dem Ueberschwappen zu bewahren. Des Doktors Geschaeft war es uebrigens bei Tisch die Suppe auszutheilen, und ueberhaupt vorzulegen, ein Amt das sich der Capitain, mit seinen unangenehmen Consequenzen bei einem stark besetzten Passagierschiff, gern vom Hals geschafft; er sass dabei zu Starbord an der Mitte des Tisches, neben ihm zur Rechten Eduard Lobenstein, und zur Linken Herr von Hopfgarten, waehrend ihm gegenueber Frau von Kaulitz mit Herrn von Benkendroff die Sitze inne hatten. Professor Lobenstein mit Frau und den juengsten Kindern nahm den vorderen Theil des Tisches ein, und die jungen Damen hatte der Capitain so placirt, dass sie gerade um ihn selber herum zu sitzen kamen. Das Schiff lag dabei fast vollstaendig auf der Larbordseite, den an diesem Bord bei Tische Sitzenden eine keineswegs bequeme Stellung gewaehrend, obgleich die Mahagony- und mit geflochtenem Rohr ueberzogenen Baenke, auf denen sie sassen, wohl befestigt waren, und nicht wanken und weichen konnten.

So wie Doktor Hueckler am Tische Platz genommen, und die Terrine mit der linken Hand gefasst hatte, liess der Steward sie los, um weitere Beduerfnisse der Tischgaeste herbeizuholen, und waehrend sich die uebrigen Passagiere ebenfalls setzten, fuellte der Doktor jedem seine Portion auf den dargereichten Teller. Das Schiff schwankte dabei nach allen moeglichen Richtungen hin, und die Damen besonders hatten im Anfang beide Haende voll zu thun, nur ihren Teller mit der Suppe zu balanciren, dass er nicht bald da bald dort ueberlaufe. Es gehoerte auch erst in der That einige Uebung dazu, dies Geschaeft der linken Hand allein anzuvertrauen, und, mit den Augen fest auf den Tellerrand geheftet, der geringsten Bewegung augenblicklich zu begegnen, mit der rechten Hand indessen nach dem Loeffel herumzufuehlen, bis man den gluecklich fand, und nun mit aeusserster Vorsicht daran zu gehen sein Theil dem Munde zuzufuehren. An ein Hinsetzen des Tellers auf den Tisch durfte, ehe abgegessen war, gar nicht gedacht werden. Die einzige Schwierigkeit fuer den Doktor selber war indessen, dass er, als er Allen ausgefuellt hatte, seinen eigenen Teller nicht bedenken konnte, ohne die Terrine preiszugeben, das Schwanken des Schiffes hatte jedoch fuer den Augenblick ein wenig nachgelassen, die Terrine selber war auch fast ganz geleert, und sie deshalb zwischen eine Schuessel mit Kartoffeln und das Querbret so fest als moeglich einzwaengend, dass sie ziemlich sicher stand, begann er seine eigene Portion, denn Huehnersuppe war ein Leibgericht von ihm, zu verzehren.

„Herr Capitain“ sagte er dabei, „Sie erlauben mir wohl dass ich nachher der Kranken einen Teller von dieser Suppe in's Zwischendeck schicke; die wird ihr gut thun.“

„Ja woll Doktor, man tau“ sagte Capitain Siebelt, der mit dem Doktor, sehr zu dessen Aerger, am liebsten platt sprach -- „wo geiht et denn?“

„Oh gut, Capitain, ich denke wir sollen sie durchbringen, und heute Abend will ich ihr wieder eine Portion Schroepfkoepfe setzen. Das Blut gestern sah dick und truebe aus, und kam faul und schleimig aus den Adern, aber ich denke wir bringen sie durch.“

Herr von Benkendroff sah den Sprecher, der ihm durch solche Beschreibung das Essen zu verderben drohte, mit einem hoechst missvergnuegten Blicke an, sagte aber kein Wort, und der Doktor, dem das heraufbeschworene Bild andere, aehnliche seiner frueheren Praxis vor die Seele rief, fuhr in dem vergeblichen Versuch ein Huehnerbein zu bewegen auf dem Loeffel liegen zu bleiben, schmunzelnd fort:

„Wissen Sie Capitain, in Bremerhafen der Matrose, der im vorigen Sommer an Bord des Gellert von der Raanocke herunter und auf den Anker des daneben liegenden „Alexander White“ fiel, und sich auch den Hinterkopf so boes dabei verletzte, der brach zwei Stunden lang die reine Galle, und lag drei volle Tage besinnungslos, ehe er wieder zu sich kam. An dem haben wir was herumgeschroepft und Adergelassen.“

„Aber ich bitte Sie um Gottes Willen Doktor, schweigen Sie doch nur ein einziges Mal, wenigstens ueber Tisch, von ihren abscheulichen Operationen und Krankheiten“ bat ihn da Henkels junge Frau, „Sie verderben uns jedes Mal das Essen.“

„Aber beste Madame Henkel“ entschuldigte sich der Geschaeftseifrige -- „es sind das so natuerliche Sachen, und was mit unserem eigenen Koerper in Verbindung steht, sollte uns eigentlich nie Ekel verursachen -- Hautkrankheiten vielleicht ausgenommen, besonders mit feuchten --“

„Ich verlasse den Tisch, wenn Sie nicht aufhoeren!“ rief aber die junge Frau, jetzt ernstlich boese gemacht.

„Sie thaeten ueberhaupt besser sich mehr mit Ihrem Teller zu beschaeftigen“ bemerkte jetzt auch Herr von Benkendroff, „Sie haben schon zweimal uebergegossen, und die ganze Geschichte kommt hier nach uns herueber.“

„Halten Sie die Terrine!“ schrie in demselben Augenblick der Capitain, halb von seinem Sitze emporfahrend, als das Schiff ploetzlich scharf nach Starbord ueberlegte; der Tisch stand in dem Moment fast ganz gerade, ja lehnte eher noch etwas nach rechts hinueber, trotzdem dass das Schiff auf der Larbordseite lag. Der Doktor sah sich deshalb, so von allen Seiten zugleich ermahnt, auch bestuerzt nach dem Capitain um, aber kaum wandte er den Blick von dem eigenen Teller, als dieser seinen Inhalt auch auf das Tischtuch ausleerte, und wie er ihn rasch und erschreckt, wenn gleich etwas zu spaet, auskippte, holte das Schiff zurueck.

„Die Terrine!“ schrie nochmals der Capitain, aber das donnernde Getoese einer ueber Bord schlagenden See, die das Schiff bis in seine innersten Rippen erzittern machte, und an Deck prasselte, als ob sie Breter und Planken in Atome schmettern muesste, liess seine Warnung, mit der Verwirrung die ihr folgte, ungehoert verhallen. Die ganze Tischplatte stand in dem furchtbaren Wurf fast senkrecht, und die Terrine mit allem was sie noch an heisser Huehnerbruehe enthielt, mit Kartoffeln und Erbsen, und saemmtlichen Messern und Gabeln wie saemmtlichen Suppentellern der Starbordlinie kam in dem Augenblick, wo sich die Passagiere nur an den Baenken halten mussten nicht selber fortgeworfen zu werden, nach Lee hinueber, und zwar erhielt Frau von Kaulitz, die nie ausser in einem seidenen Kleide bei Tische erschien, den Vortheil der ganzen Suppe, von der nur noch hoechstens ein Teller voll der Weste und den Beinkleidern des Herrn von Benkendroff zu Gute kam, waehrend die Erbsen und Kartoffeln ziemlich gleichmaessig ueber die anderen beiden Flanken vertheilt wurden. Selbst der Tisch, gegen den sich der Doktor mit seinem ganzen Gewicht warf, drohte aus seinen Klammern und Schrauben herausgerissen zu werden, und waere auch richtig gefolgt, haette der eben in die Cajuete kommende Steward nicht mit vieler Geistesgegenwart die Sauce der Frau Professorin in den Schooss, und sich selbst, indem er die Fuesse gegen die Wand stemmte, mit der Schulter gegen die Tischplatte geworfen, wenigstens das noch daraufstehende Geschirr zu retten, das jetzt in den Querhoelzern des Aufsatzes haengen blieb.

Ueberall in der ganzen Cajuete klirrte und klapperte es dabei, in dem Vorrathsspintge fielen die auf solchen Wurf nicht vorbereiteten Flaschen und Glaeser durcheinander, in den verschiedenen Coyen stuerzten Buecher, Cigarrenkisten und andere Sachen zu Boden nieder, und schurrten dort, mit der spaeteren Bewegung des Schiffes herueber und hinueber, und in der Coye des Fraeulein von Seebald klirrte es und brach's, und das Fraeulein stiess einen durchdringenden Schrei aus.

Der Doktor trug uebrigens die ganze Schuld, und kaum hatten sich die Passagiere nur wieder in etwas zusammengelesen und das Schiff einen ruhigeren, wenigstens nicht mehr so kopfueberen Gang angenommen, als Alle ueber den armen Teufel herfielen und ihm die bittersten Vorwuerfe machten die Terrine nicht gehalten, den Tisch nach vorne uebergestossen, und mit beiden Ellbogen noch saemmtliches anderes Geschirr nachgeworfen zu haben. Frau von Kaulitz war dabei ausser sich, und gerieth noch in groesseren Zorn, als sie sich in ihre Cajuete zurueckziehen wollte, und deren Thuere verschlossen fand. Die Mitbesitzerin weigerte sich dabei sogar hartnaeckig zu oeffnen, und fuegte sich erst nach langem Parlamentiren, der gerechten Forderung, waehrend sie im Inneren den erlittenen Schaden wahrscheinlich wieder so gut das eben anging zu verbessern suchte. Herr von Benkendroff verliess ebenfalls den Tisch, oder vielmehr die Truemmern desselben, und nur Henkels junge Frau, trotz den Flecken die auch ihr Kleid von Wein und Erbsen bekommen, wollte sich todtlachen ueber die Scene, wie die darauf folgende Confusion, und hoerte nicht auf den armen Doktor, als gerechte Strafe fuer seine ewigen und entsetzlichen Krankheitsbeschreibungen, zu necken und zum Besten zu haben.

An dem Nachmittag legte sich der Sturm. Die See ging allerdings noch hohl, und wie der Druck nachliess, den der Wind selber auf das Schiff ausgeuebt, dass dieses sich mehr emporrichten konnte, wurde auch die Bewegung desselben, das Schlingern und Stampfen, eher noch heftiger; aber die Wogen selber beruhigten sich doch mehr, wenn es auch laengere Zeit bedurfte ehe diese riesigen Wasserberge, die sich jetzt nur noch durch die eigene Schwere hoben, und mit zerfliessendem Kamm in sich zusammenbrachen, vollstaendig in ihr altes Bett zurueckkehren konnten.

Der bis dahin so unguenstig gewesene Wind, der das Schiff mehr zurueckgeworfen, als in seinem Cours vorwaerts gebucht hatte, raeumte mehr und mehr auf(15), die Reefen wurden ausgeschuettelt, die Raaen aufgebrasst, die leichteren Segel wieder gesetzt, und am naechsten Morgen flog das wackere Fahrzeug fast vor dem Wind, und nur noch etwas gegen die schwere See ankaempfend, rasch und fluechtig seine Bahn entlang, dem fernen Ziel entgegen.




7) Heinrich Schmidt hat eine reizende kleine Erzaehlung „the man of war“ in seinen „Seemannssagen und Schiffermaerchen“ darueber geschrieben.

8) Das „laufende Tauwerk“ im Gegensatz zu dem „stehenden“ (Pardunen und Stagen) werden die Taue genannt, mit denen die Raaen und Segel gerichtet und gestellt, und aus- und eingezogen werden. Haengt man, und den Passagieren auf Auswandererschiffen kann da in der That nicht streng genug aufgepasst werden, Waesche an diesem „laufenden Tauwerk“, und kommt ploetzlich einmal eine Boe auf, bei der es davon abhaengt dass die Segel rasch geborgen werden, wenn sie nicht zerreissen, ja in einzelnen Faellen den Mast, oder doch wenigstens eine Stenge mit ueber Bord nehmen, so klemmen sich Hemden und Struempfe in die Bloecke ein, die Taue koennen nicht arbeiten, und die gefaehrlichsten Folgen allerdings dadurch entstehn.

9) Wanten ist das, was der Landmann im gewoehnlichen Leben und sehr unrichtig Strickleitern nennt, und sie bestehen aus den Pardunen welche die Maste fest und unbeweglich auf ihrer Stelle halten, dass sie nicht nach Starbord oder Larbord hinueberschwanken koennen, und sind durch duenne Seile „Wevelien“ genannt, mit einander leiterartig verbunden. Jeder Mast hat seine Wanten zu Starbord und Larbord.

10) Raaen sind die Querbalken an den Masten an welchen die Segel befestigt werden.

11) Suedwester heissen die aus Leinwand gemachten und steif getheerten Seemannskappen, deren breites und langes Schild im Nacken sitzt, diesen gegen den Regen zu schuetzen.

12) Die Schutzwand, die das Deck rings umgiebt.

13) Kueche

14) Ueber Stag gehn, wenden, kreuzen.

15) Man sagt auf See, wenn der Wind guenstiger wird, „er raeumt auf“, im entgegengesetzten Falle aber „er schrahlt weg!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Amerika! - Ein Volksbuch - 2. Band