Capitel 6 - Die Weberfamilie.

Nicht weit von Heilingen, und in Hörweite der Domglocke selbst, in ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem Land, lag ein kleines armes Dorf, dessen Bewohner, da ihre Felder gerade nicht zu den besten gehörten, sich kümmerlich, aber meist ehrlich, mit verschiedenen Handwerken und Gewerben, mit Holzschnitzen wie auch hie und da mit dem Webstuhl, ernährten. Das Dorf hieß eigentlich „Zur Stelle“, welchen Namen aber die Bewohner im Laufe der Zeit, und mit Hülfe ihres Dialekts, zu dem von Zurschtel umgearbeitet hatten, und mochte etwa dreißig Häuser und Hütten, mit der doppelten Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von Kindern zählen. Es ist eine wunderliche Thatsache, daß man in den ärmlichsten Distrikten stets die meisten Kinder findet.

Mitten im Dorf lag eins der besseren Häuser; es war weiß getüncht, und hinter den sauber gehaltenen Fenstern hingen weiße, reinliche Gardinen. Vor dem Hause, über dessen Thüre ein frommer Spruch mit rothen und grünen Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Röhrtrog, und ein kleiner Koven an der Seite desselben, zeigte in der nach außen befestigten Klappe des Futterkastens dann und wann den schmuzigen Rüssel eines seine Kartoffelschalen kauenden Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket umgab das Haus wie den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach sehr zu ihrem Vortheil gegen manche der Nachbarhäuser ab.


Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber nichtsdestoweniger sehr ärmlich aus. In der einen Ecke stand ein großer, viereckiger, sauber gescheuerter Tisch aus Tannenholz, an zweien der Wände waren Bänke aus dem nämlichen Material befestigt, und um den großen viereckigen Kachelofen, der fast den achten Theil der Stube einnahm, hingen verschiedene Kochgeräthschaften, während auf darüber angebrachten Regalen die braunen Kaffeekannen und geblümten Tassen gewissermaßen mit als Zierrath zur Schau ausstanden. Die dritte Ecke füllte der Webstuhl des Mannes aus, und dem gegenüber stand eine riesengroße, braunangestrichene Kommode, mit Messinghenkeln und Griffen und fünf Schiebladen, die, mit wirklich rührender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt, zwei mit bunten Blumen bemalte Henkelgläser, eine vergoldete Tasse mit der Aufschrift „der guten Mutter“ - ein Geschenk aus früherer Zeit - und ein gelb irdenes aber allerdings sehr wenig benutztes Dintenfaß trug, während dahinter, in zwei ordinairen Stangengläsern, in dem einen Schilfblüthenbüschel, und in dem anderen große stattliche Aehren von Roggen, Waizen, Gerste und Hafer standen, zur Erinnerung an eine frühere segensreiche Erndte.

Die Bewohner der kleinen Stube paßten genau in ihre Umgebung; es war eine, nicht mehr ganz junge aber doch rüstige Frau, in die nicht unschöne Bauertracht der dortigen Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad saß und eifrig das Rädchen schnurren ließ, während die rechte Hand manchmal eine neben ihr stehende Wiege berührte, den darin ruhenden kleinen Säugling, der immer wieder die großen dunklen Augen zu ihr aufschlug, endlich in Schlaf zu bringen. Sie war reinlich, aber in die gröbsten Stoffe gekleidet, ebenso der Bube von etwa vier Jahren, der ihr zu Füßen mit einer kleinen Mulde auf dem über die Diele gestreuten Sand „Schiff“ spielte.

Außerdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die alte Mutter der Frau, eine Greisin von nahe an siebzig Jahren, die auch noch ihr Spinnrad drehte, sich aber mit dem hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil ihr das heutige naßkalte, unfreundliche Wetter fröstelnd durch die alten Glieder zog. Es war eine gutmüthige, aber mürrische alte Frau, selten zufrieden mit dem was sich ihr gerade bot, und unermüdlich darin, sich und ihren Kindern die Last vorzuwerfen die sie ihnen mache, und den lieben Gott täglich zu bitten daß er sie doch bald zu sich nähme. Nur eine kleine, ganz kurze Frist erbat sie sich immer noch - dann wollte sie gerne sterben. Erst; wie das Aelteste geboren war, wollte sie das noch gerne laufen sehn; dann hätte sie gern erlebt wie es zum ersten Mal in die Schule ging; dann war es Frühjahr geworden und sie hoffte nur noch einmal neue Kartoffeln zu essen, zu Jacobi aber wollte sie noch einmal von dem Pflaumenbaum die Früchte kosten, den ihr „Seliger“ noch gepflanzt. Wie der Herbst kam wünschte sie im Frühjahr begraben zu werden, und die knospenden Maiblumen weckten den Wunsch nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von denen sie sich eigenhändig ein schmales Beet in den kleinen Garten dicht am Hause gepflanzt. So lebt und webt die Hoffnung in unseren Herzen mit immer neuer, nie sterbender Kraft, und je älter wir werden, desto mehr lernen wir die schöne Erde lieb gewinnen, desto mehr klammern wir uns an sie, und wollen uns gar nicht mehr von ihr trennen.

Der Tag neigte sich dem Abend zu; der Mann war in die Stadt gegangen seine Steuern zu zahlen, und Manches einzukaufen was sie nothwendig im Hause brauchten - zum Ersatz dafür hatte er das zweite Schwein, das sie bis dahin gehalten, hineingetrieben, und der Erlös sollte seine Ausgaben bestreiten.

Der Regen wurde jetzt wieder heftiger, die großen schweren Tropfen schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde vollständig munter und fing an zu schreien. Die Mutter schob ihr Spinnrad zurück, nahm das Kleine aus der Wiege, und ging damit trällernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann indeß ruhig weiter, und suchte mit zitternder leiser Stimme ein geistliches Lied zu singen, und mit dem Rad trat sie den Takt dazu. Sonst sprach keine ein Wort.

Endlich wurde die Hausthür geöffnet, Jemand kam von draußen herein, und strich sich die Füße auf den Steinen und der Strohdecke ab, und sie hörten gleich darauf wie der zurückkehrende Vater und Gatte seinen großen rothblauwollenen Schirm auf die Steine stieß, das Wasser so viel wie möglich davon abzuschütteln, und den Mantel auszog und über den großen Schleifstein hing der draußen im Flur stand, wie er das gewöhnlich that. Die Frau öffnete rasch die Thür den Mann zu begrüßen, der den Hut abnahm, sich die nassen Haare aus der Stirn strich, und das Kind küßte, das sie ihm entgegenhielt.

„Jesus ist das ein Wetter, Gottlieb,“ sagte sie dabei, als sie ihm den Hut aus der Hand nahm und neben den Ofen an den Nagel hing, „komm nur herein, daß Du ‘was Trockenes auf den Leib bekommst; wo hast Du denn den Jungen? - ist er nicht bei Dir?“ setzte sie, fast ängstlich, hinzu.

„Er ist draußen bei Lehmann’s hineingegangen, denen wir ein paar Sachen aus der Stadt mitgebracht,“ sagte der Mann - „wird wohl gleich kommen - wie geht’s Frau? - wie geht’s Mutter? - ha, das regnet einmal heute was vom Himmel herunter will; was nur d’raus werden soll wenn das Wetter so fort bleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir gehabt, und jetzt wieder Guß auf Guß - Guß auf Guß, als ob sie uns unsere paar Stücken Feld noch hinunter in die Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die Saat schon halb fortgespült - wenn dasmal das Korn misräth, weiß ich nicht wo der arme Mann das Brod hernehmen soll.“

„Klag nicht, Gottlieb,“ sagte aber die Frau freundlich - „es geht noch Vielen schlechter wie uns, und was sollen da die ganz armen Leute sagen. Lieber Gott, es ist viel Noth in der Welt, und wer heut zu Tage eben sein Auskommen und ein Dach über dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht versündigen.“

Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den Topf aus der Röhre, in der, trotz der vorgerückten Jahreszeit, noch ein Feuer brannte, der alten, fröstelnden Mutter wegen, und goß den darin heiß gehaltenen Kaffee - sie nannten das braune Getränk von gebrannten gelben Rüben und Gerste wenigstens so - in die eine braune Kanne, damit sich der Mann, der den ganzen Tag draußen im Regen herumgezogen war, daran erquicken könne. Zugleich auch deckte sie ein weißes Tuch über den Tisch, auf den sie noch Butter und Brod stellte, die versäumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas nachzuholen. Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goß, und schnitt sich ein großes Stück Brod ab, das er mit Butter bestrich und verzehrte. Er sprach kein Wort dabei, und beendete still seine Mahlzeit, schob dann die Tasse und den Butterteller zurück, nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die Erde gesetzt hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf gegen die Wand gelehnt, regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach dem Fenster hinüber, an das die Regentropfen immer noch, vom Wind draußen gepeitscht, hohl und heftig anschlugen.

Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem Blick betrachtet; es war irgend etwas vorgefallen, aber sie wagte nicht zu fragen, denn Gottlieb, so seelensgut er auch sonst sein mochte, hatte doch auch seine „verdrießlichen Stunden“ und war dann, wenn gestört, oft rauh und unfreundlich; aber eine eigene Angst überkam sie plötzlich. Ihr ältester Sohn - der Hans - war nicht mit zu Hause gekommen - konnte dem - heiliger Gott, wie ein Stich traf es sie in’s Herz und sie sprang erschreckt von ihrem Stuhl auf und auf den Mann zu.

„Gottlieb - um aller Heiligen Willen wo ist der Hans? - es ist - es ist ihm doch nicht etwa ein Unglück geschehn?“

„Der Hans?“ sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt zu ihr auf, „was fällt Dir denn ein? was soll denn dem Hans zugestoßen sein? ich habe Dir ja gesagt daß er bei Lehmann’s etwas abgegeben hat, und dort wahrscheinlich das Wetter abwarten wird.“

„Ich weiß nicht,“ sagte die Frau, der dadurch allerdings eine Centnerlast von der Seele gewälzt wurde - „aber Du bist so sonderbar heut Abend, so still und ernst, und da schlugs mir wie ein Schreck in die Glieder, über den Hans. Ist etwas vorgefallen Gottlieb?“

Gottlieb schüttelte den Kopf langsam und sagte. - „Nicht daß ich wüßte - nichts Besonderes wenigstens, oder nichts Anderes, als was jetzt alle Tage vorfällt - Geld zahlen.“

„War es denn so viel?“ sagte die Frau leise und schüchtern.

Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor sich nieder; endlich erwiederte er seufzend:

„Das Schwein ist d’rauf gegangen, und vier Thaler Siebzehn Groschen sind immer noch mit Gerichtskosten und der alten Proceßgeschichte mit der Brückenplanke, mit der ich eigentlich gar Nichts mehr zu thun hatte, stehen geblieben, und ich muß sie bis zum ersten Juli nachzahlen, unter Androhung von Pfändung.“

„Nun lieber Gott,“ sagte die Frau tröstend - „wenn das das Schlimmste ist, läßt sich’s noch ertragen; da verkaufen wir eben das andere Schwein und behelfen uns so. Wie wenig Leute im Dorf haben überhaupt eins zu schlachten, und leben doch; warum sollen wir nicht eben so gut ohne eins leben können als die.“

„Ja,“ sagte der Mann leise und still vor sich hin brütend - „verkaufen und immer nur verkaufen, ein Stück nach dem anderen, und während wo anders die Leute mit jedem Jahr ihr kleines Besitzthum vergrößern, und für ihre Kinder etwas zurücklegen können, sieht man es hier mehr und mehr zusammenschmelzen, unter Müh und Plack das ganze Jahr lang.“

„Aber kannst Du’s ändern?“ sagte die Frau leise und fuhr, wie der Mann schwieg und mit der Faust die Stirn stützend vor sich nieder starrte, schüchtern fort - „arbeitest Du nicht von früh bis spät fleißig und unverdrossen? gönnst Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgend eine nöthige Beschäftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste vorzuwerfen?“

„Nein,“ sagte der Mann, während er die Hand auf den Tisch sinken ließ und die Frau voll und fest ansah - „nein, aber das ist es ja eben, was mir am Leben frißt. Wir können nicht mehr arbeiten, nicht mehr verdienen wie wir jetzt thun, und jetzt sind wir noch jung und kräftig, unsere Kinder noch klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr zurück, wird es mit jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie nun soll das werden, wenn uns erst einmal Krankheit heimsuchte, wenn die Kinder heranwachsen und mehr brauchen, wenn wir selber älter werden und nicht mehr so zugreifen können wie jetzt? - Schon jetzt können wir uns nicht mehr in der theueren Zeit oben halten - das eine Schwein ist verkauft, das andere wird noch fort müssen; unser Acker ist kleiner geworden in den letzten zehn Jahren, unsere Bedürfnisse aber sind gewachsen - wie soll das enden?“

„Aber Gottlieb,“ sagte die Frau freundlich - „wie kommen Dir jetzt doch nur solche Grillen? haben Dir die paar Thaler Steuern den Kopf verdreht? Mann, Mann, Du bist doch sonst so ruhig, und hast immer vertrauungsvoll in die Zukunft gesehn, wie sind Dir auf einmal solche schwarze Gedanken durch den Sinn gefahren?“

Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die Beiden mit einander gesprochen, ihr Spinnrad ruhen lassen, und dem Gespräch aufmerksam zugehört; dabei schüttelte sie fortwährend mit dem Kopf, und sagte endlich mit ihrer schrillen, scharf klingenden Stimme:

„Ja wohl, ja wohl - das Geld wird rar und das Brod theuer, und mehr Mäuler kommen - mehr Mäuler sind da zum Verzehren, wie zum Verdienen. Schlagt mich todt; schlagt mich todt daß ich weg komme aus dem Weg und Euch Platz mache - schlagt mich todt.“

„Mutter,“ bat die Frau, in Todesangst daß sie dem Manne mit solcher Rede wehe thun würde, denn er gerade hatte sie immer auf das Freundlichste behandelt, und Alles gethan was in seinen Kräften stand, ihr jede Erleichterung, die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen - „wie dürft Ihr nur so etwas reden; versündigt Ihr Euch denn nicht?“

„Wir haben noch genug für uns Alle Mutter,“ sagte aber der Mann freundlich, der ihre Launen kannte und der alten Frau nicht wehe thun mochte - „nur für spätere Zeit ist mir bange; Sie aber wären die Letzte die darunter leiden sollte. Wir werden Alle alt, und wenn wir unsere Schuldigkeit in unserer Jugend gethan, wie Sie, dann ist es nicht mehr wie Pflicht und Schuldigkeit der Jüngeren für ihre Eltern zu sorgen - wenn sie nicht auch einmal wieder von ihren Kindern wollen verlassen werden.“

Die Alte war wieder still geworden, sah noch eine Zeit lang vor sich nieder, und begann dann auf’s Neue ihre Arbeit, aber die Frau fuhr fort und sagte, fast mit einem leisen Vorwurf im Ton zu ihrem Mann.

„Siehst Du Gottlieb, das hast Du nun davon mit Deinen trüben und traurigen Ideen; Du machst Dir und mir und der Mutter nur das Herz schwer, und nützest und hilfst doch Nichts. Der liebe Herr Gott da oben wird’s schon machen und lenken; Er hat die Welt so viele Jahrhunderte hindurch in ihrer Bahn gehalten, und die Menschen darauf geschirmt und gepflegt, wie unser Herr Pastor sagt, Er wird’s auch schon weiter thun, und wir dürfen uns eigentlich gar nicht sorgen und kümmern um den „nächsten Tag.“

„Doch, doch Frau,“ sagte aber der Mann, aufstehend und jetzt, die Hände in den Hosentaschen, in der Stube auf und ab gehend - „doch Frau, der Mann muß , denn wenn er’s nicht thäte, wär er ein schlechter Hausvater, und ihm allein fielen dann all die schweren Folgen zur Last, die daraus entständen. Ich kann Dir das nicht so mit Worten deutlich machen, wie mir’s neulich der Schulmeister, mit dem ich darüber sprach, erklärte, aber der meinte es wäre etwa so wie wenn Einer im Wasser wäre. Da sei es auch nicht genug daß man sich oben hielte an der Luft, und im Kreis herum schwämme eben nur nicht zu ertrinken, das thäte nicht einmal ein unvernünftiges Stück Vieh; nein des Menschen, des verständigen Menschen Pflicht sei es sich schon im Wasser nach dem festen Lande umzusehn, ob man das nirgends erreichen könne, denn zuletzt würde man da im Wasser, man möchte noch so tapfer schwimmen, doch müde, und ließen erst einmal die Kräfte nach, dann hülfe auch zuletzt das Schwimmen Nichts mehr, und man sänke eben langsam zu Boden.“

„Ich verstehe nicht recht was Du damit meinst,“ sagte die Frau, „aber Du siehst mich so sonderbar dabei an - hast Du noch ‘was anderes dahinter?“

„Nein und Ja,“ sagte der Mann nach kleiner Pause, indem er sich mit dem Rücken an den Ofen lehnte, und langsam dazu mit dem Kopfe nickte, „eigentlich nicht, denn Gott da oben weiß daß es wahr ist, und weiß wie, und ob’s einmal enden kann; aber dann - dann hab’ ich allerdings noch was dahinter, denn ich meine - ich meine-“

Er schwieg und es war augenscheinlich, er hatte etwas auf dem Herzen, das er sich scheue so mit blanken klaren Worten heraus zu sagen, die Frau aber, die eben damit beschäftigt war das Geschirr hinaus zu räumen, setzte die Kanne wieder auf den Tisch, sah den Mann erstaunt an, ging dann langsam zu ihm an den Ofen und sagte leise, vor ihm stehen bleibend:

„Geh her, Gottlieb - Du hast ‘was, was Dich drückt und willst nicht mit der Sprache heraus - es ist irgend noch etwas vorgefallen in der Stadt, was Du nicht sagen magst. Du darfst doch nicht sitzen?“

„Sitzen? - weshalb?“ lächelte der Mann kopfschüttelnd - „ich habe nie etwas Böses gethan.“

„Nun was ist’s denn, so sprich doch nur, denn Du ängstigst mich ja mehr mit Deinem Schweigen, als wenn Du mir das Schlimmste gleich vornheraus erzählst - dem Hans fehlt doch Nichts?“

„Was soll dem Hans fehlen, närrische Frau - wenn’s aufhört zu gießen wird er schon kommen.“

„Und was ist’s denn? - gelt, Du sagst mir’s?“

„Ich muß Dir’s wohl sagen;“ seufzte der Mann, „nun sieh Hanne, ich meine - ich habe so darüber nachgedacht, daß es jetzt hier in Deutschland immer schlechter wird mit uns - und daß wir’s zu Nichts mehr bringen können, trotz aller Arbeit, trotz allem Fleiß, und daß jetzt - daß jetzt doch so viele Menschen hinüber ziehen.“

„Hinüber ziehen?“ frug die Frau erstaunt, fast erschreckt, und legte die Hand fest auf’s Herz, als ob sie die aufsteigende Angst und Ahnung über etwas Großes, Schreckliches da hinunter und zurückdrücken wolle, eh sie zu Tage käme - „wo hinüber Gottlieb?“

„Nach Amerika;“ sagte der Mann leise - so leise daß sie das Wort wohl nicht einmal verstand, und nur an der Bewegung der Lippen es sah und errieth. Wie ein Schlag aber traf sie die Wirklichkeit ihres Verdachts, und ohne ein Wort zu erwiedern, ohne eine Sylbe weiter zu sagen, setzte sie sich auf den, dicht am Ofen stehenden Stuhl, deckte ihr Gesicht mit der Schürze zu und saß eine lange, lange Weile still und regungslos. Auch der Mann wagte nicht zu sprechen - er hatte den Gedanken wohl schon eine Zeit lang mit sich herumgetragen, aber sich immer davor gefürchtet ihm Worte zu geben, sogar gegen sich selbst, wie viel weniger denn gegen die Frau. Jetzt war es heraus, und er betrachtete nur scheu die Wirkung die er hervorgebracht.

Auch die alte Mutter saß, mit der Hand auf dem Rad das sie im Drehen aufgehalten, und horchte nach den Beiden hinüber, was sie mitsammen hatten, und wie die so still waren und kein Wort mehr sprachen, mochte es ihr auch unheimlich vorkommen und sie sagte laut und mürrisch:

„Nun Gottlieb was giebt’s - was hast wieder Du mit der Hanne - was habt Ihr denn daß Ihr so still und heimlich thut - macht Einem nicht auch noch Angst unnützer Weise - was ist nun wieder los?“

„Ja Mutter,“ sagte der Mann jetzt, der sich gewaltsam Muth faßte über das, was nun doch nicht länger mehr verschwiegen bleiben konnte und besprochen werden mußte , auch laut zu reden, daß er’s vom Herzen herunter bekam - „es geht mit uns hier den Krebsgang, und ich habe eben zu Hannen gesagt daß uns zuletzt nichts anderes übrig bleiben würde als - als es eben auch wie andere zu machen, und-“

„Und? - und was zu machen?“ frug die alte Frau gespannt.

„Als auszuwandern ,“ sagte der Mann mit einem plötzlichen Ruck und seufzte dann tief auf, als ob er selber froh wäre es los zu sein.

„Herr Du meine Güte!“ rief die alte Frau, ließ die Hände erschreckt in den Schooß sinken und lehnte sich in ihren Stuhl zurück, während ihr alle Glieder am Leibe flogen - „Herr Du meine Güte!“ wiederholte sie noch einmal, und die Finger falteten sich unwillkürlich zusammen, so hatte sie der Schreck getroffen.

„Auswandern,“ sagte aber auch jetzt Gottliebs Frau mit tonloser Stimme, und ließ die Schürze vom Gesicht herunterfallen - „auswandern, das ist ein schweres - schweres Wort Gottlieb - hast Du Dir das auch recht - recht reiflich überlegt?“

„Tag und Nacht die ganze letzte Woche hindurch,“ rief aber der Mann, der jetzt, da das Eis einmal gebrochen war, wieder Leben und Wärme gewann. „Wie ein Mühlstein hat’s mir auf der Seele gelegen, und ich habe lange und tapfer dagegen angekämpft, aber es wäre das Beste für uns, was wir auf der weiten Gotteswelt thun könnten; und wenn auch nicht einmal für uns, wenn wir selber auch schwere und bittere Zeiten durchzumachen hätten, doch für die Kinder, die einmal den Segen erndten, den wir mit unserem Schweiß, unseren Thränen gesäet.“

„Auswandern? ja,“ sagte aber jetzt die Großmutter, mit dem Kopfe nickend und schüttelnd, als ob sie den schrecklichen Gedanken wieder von sich abwerfen wollte - „ja wohin es euch lüstet, aber erst wenn ich todt bin. Die paar Tage müßt Ihr noch hier bleiben die ich noch zu leben habe, oder sonst schlagt mich todt, werft mich in’s Wasser, oder schlagt mich mit dem Beil auf den Kopf daß ich fortkomme, und hier auf dem Kirchhof unter der alten Linde liegen kann, wo der Leberecht liegt. In der Welt könnt Ihr mich doch nicht mehr umherschleppen, und nutz bin ich auch Nichts mehr, wie das mit zu verzehren was andere verdienen. Wenn Ihr jetzt fort wollt schlagt mich vorher todt.“

„Ach Mutter wenn Sie nur nicht gar so häßlich reden wollten,“ sagte die Frau traurig, während der Mann wieder zum Tisch ging, sich dort auf den Stuhl setzte, und den Kopf in die Hand stützte - „Sie sind noch wohl und rüstig und werden, will’s Gott, noch manches Jahr leben und sich Ihrer Kinder freuen. Wo die dann hin ziehen und sich ihr Brod suchen müssen, da gehören Sie auch hin, und was die verdienen, das haben Sie auch verdient mit Mühe und Noth und banger Sorge schon vor langen Jahren, wie wir noch klein und unbehülflich waren, wie unsere Kinder jetzt.“

„Wozu mich mitnehmen,“ sagte aber die Frau, störrisch dabei mit dem Oberkörper herüber und hinüber schwankend, „unterwegs müßtet Ihr mich doch aus dem großen Schiff hinaus in’s Wasser werfen, die Fische zu füttern. Bleibe im Lande und nähre Dich redlich, das ist mein Spruch und meines Leberecht Spruch von alter Zeit her gewesen, und wir haben uns wohl dabei befunden, aber das junge Volk jetzt will immer alles anders haben, will oben zur Decke ‘naus und fliegen und schwimmen, anstatt hübsch auf der Erde und im alten Gleis zu bleiben. Warum ist’s denn früher gegangen? - nein Gott bewahre, jetzt soll Alles mit Eisenbahnen und Dampf gehen und keine Geduld, keine Ausdauer mehr; nur fort, immer gleich fort, in die Welt hinein und mit dem Kopf gegen die Wand - schlagt mich todt, dann seid Ihr mich los und könnt hingehn wohin Ihr wollt.“

Und die alte Mutter stand auf, rückte ihr Spinnrad bei Seite, und humpelte, noch immer vor sich hin murmelnd und grollend, aus der Stube hinaus.

„Sie meint es nicht so bös, Gottlieb,“ sagte die Frau zu dem Mann tretend und ihre Hand auf seine Schulter legend, „es ist eine alte Frau die an ihrer Heimath mit ganzem Herzen hängt und sich vor der Reise fürchtet.“

„Und Du nicht, Hanne?“ rief der Mann sich rasch nach ihr umdrehend, und ihre Hand ergreifend - „Du nicht? Du würdest Dich dazu entschließen können unsere Heimath hier, unser Häuschen, unser Feld zu verlassen, und mit mir und den Kindern über das weite Meer zu fahren, in eine fremde Welt?“

Die Frau schwieg und ihre Hand zitterte in der des Mannes - endlich sagte sie leise

- „So weit fort? - und muß es denn sein, ist es denn gar nicht möglich mehr, daß wir hier gut und ehrlich durchkommen durch die Welt, wenn wir uns auch ein Bischen knapper einrichten wie bisher? Ach Gottlieb, es ist gar hart so von zu Hause fortzugehn, die Thür zuzuschließen und zu denken daß man nun nie und nimmer wieder dahin zurückkom.“

Der Mann nickte traurig mit dem Kopf und sagte endlich:

„Du hast recht Hanne; es ist ein schwerer, recht schwerer Schritt, und man sollte ihn sich wohl vorher überlegen ehe man ihn thut, denn zurück kann man nicht wieder, wenn man nicht wenigstens Alles opfern will, was Einem bis dahin noch zu eigen gehört hat. Thun wir aber recht nur allein an uns zu denken? - Sieh, wir schleppen uns vielleicht noch wenn auch kümmerlich, doch ehrlich, durch, bis wir einmal sterben, und wenn es auch hart ist, daß es Einem nachher im Alter schlechter gehn soll wie in der Jugend, brauchten wir doch gerade keine Furcht zu haben daß wir verhungerten; aber die Kinder - die Kinder - was wird aus denen? Unser kleines Grundstück ist die Jahre über kleiner und kleiner geworden; mit dem Geschäft geht’s auch kümmerlicher wie bisher - neue, geschicktere Arbeiter, junge Burschen die noch keine Familie haben und weniger brauchen, sitzen in den Dörfern herum, und die Fabriken und Maschinen geben uns ohnedies den Todesstoß. Stahl und Holz braucht Nichts zu essen und arbeitet unermüdet Tag und Nacht durch, und die Räder und Walzen und Hämmer klopfen und drehen und schwingen ununterbrochen fort gegen den Schweiß des armen Arbeiters der darüber zu Grunde geht. Ich murre auch nicht darüber, es muß wohl schon so recht sein, denn Gott hat’s den Menschen selber gelehrt und die Welt muß vorwärts gehn - wir älteren Leute können uns aber eben nicht mehr darein schicken, können nichts Anderes mehr ergreifen, und wieder von vorne anfangen, wenigstens hier im Lande nicht wo Einem die Hände nach allen Seiten hin gebunden sind, und darum ist mir der Gedanke gekommen auszuwandern. Da drüben über dem Weltmeere hat der liebe Herr Gott noch einen großen gewaltigen Fleck Erde liegen, für uns arme Leute bestimmt, den Maschinen und Räderwerken zu entgehn; dort haben wir Platz uns zu bewegen, und wer nur da ordentlich arbeiten will hat nicht allein zu leben, sondern kann auch vielleicht für sich und die Kinder was vorwärts bringen und braucht sich nicht mehr vor der Zukunft zu fürchten und vor Hunger und Noth. Wenn wir nicht auswandern, was bleibt unsern Kindern da einmal anders übrig, als in Dienst zu gehn und sich bei fremden Leuten doch herumzuschlagen ihr Lebelang.“

„Und die Mutter?“ sagte die Frau, sich ängstlich nach der Thüre umsehend - „was würde aus der alten Frau auf dem Meere?“

„Was aus so vielen alten Frauen da wird, liebes Herz,“ sagte aber der Mann, augenscheinlich mit froherem, freudigeren Herzen, als er bei dem eigenen Weib nicht den Widerstand fand, den er vielleicht gefürchtet - „sie gewöhnen sich an das neue Leben, sobald sie das alte nicht mehr um sich sehen, und die Seeluft soll kräftigen und stärken.“

„Aber sie wird nicht mit uns wollen.“

„Sie wird ihre Kinder nicht verlassen,“ tröstete sie der Mann, „und ohne sie dürften wir ja auch gar nicht fort.“

Die Frau reichte ihm schweigend die Hand, die er herzlich drückte, und wandte sich dann, und wollte eben das Zimmer verlassen, als draußen Jemand die Thür aufriß und in das Haus trat. Das Unwetter hatte jetzt seinen höchsten Grad erreicht, und der Regen schlug in ordentlichen Güssen gegen die Fenster an, während der Wind die Wipfel der Bäume herüber und hinüber schüttelte und die Blüthen von den Zweigen riß mit rauher Hand.

„Schönen Gruß mit einander,“ sagte dabei eine rauhe Stimme, während die Stubenthür halb geöffnet wurde - „darf man hinein kommen?“

„Gott grüß Euch,“ sagte die Frau - „kommt nur herein, bei dem Wetter ist’s bös draußen sein - es tobt ja, als ob der letzte Tag hereinbrechen sollte.“

Der Fremde hing seinen Hut und Mantel draußen ab und trat mit nochmaligem Gruß in die Stube.

„Gott grüß Euch,“ sagte auch Gottlieb - „da, nehmt Euch einen Stuhl und setzt Euch zum Ofen; es ist heut unfreundlich draußen, und man kann ein Bischen Feuer brauchen.“

„Sauwetter verdammtes,“ fluchte der Mann, als er der Einladung Folge geleitet und sich die nassen Haare aus der Stirne strich - „ich wollte erst sehen daß ich die Schenke erreichte; hier um die Ecke herum kam der Wind aber so gepfiffen daß er mich bald von den Füßen hob, und es war gerade als ob sie Einem von da oben einen Eimer voll Wasser nach dem andern entgegen gossen. Schönes Wetter für Enten, aber für keine Menschen.“

Es war eine rauhe, kräftige Gestalt, der Mann, mit krausem dicken schwarzen Bart und ein paar tiefliegenden unstäten Augen, in einen groben braunen Tuchrock gekleidet, wie ihn die Fleischer nicht selten auf dem Lande tragen. Die ebenfalls braunen Hosen hatte er dabei heraufgekrempelt, bis fast unter das Knie, mit seinen derben Wasserstiefeln besser durch alle Pfützen und Schlammwege hindurch zu können; die aus ungeborenem Kalbfell gemachte Weste war ihm bis an den Hals hinauf zugeknöpft, und eine lange silberne Kette, an der die in der Westentasche steckende Uhr befindlich war, hing ihm darüber hin.

„Ihr seid wohl weit von hier zu Haus?“ frug Gottlieb nach einer längeren Pause, in der er den Mann und dessen Aeußeres flüchtig nur betrachtet hatte - „hab’ Euch wenigstens noch nicht hier bei uns gesehen.“

„Zehn Stunden etwa,“ sagte der Fremde, seine Pfeife jetzt aus der Brusttasche seines Rockes nehmend und mit Stahl und Schwamm, den er bei sich führte, entzündend - „wie weit ist’s noch bis Heilingen.“

„Eine tüchtige Stunde - wenn der Weg jetzt nicht so schrecklich wäre, könnte man’s recht bequem in kürzerer Zeit gehn.“

„Hm - ist noch verdammt weit, puh wie das draußen stürmt; und die Pflaumenblüthen pflückt’s beim Armvoll herunter - Pflaumenmuß wird theuer werden nächsten Herbst.“

„Das weiß Gott,“ sagte Gottlieb - „es wird Alles theuer, immer mehr jedes Jahr, langsam aber Sicher.“

„Bah, es geschieht denen recht die hier bleiben, wenn sie nicht hier bleiben müssen; ‘s giebt Plätze die besser sind.“

„Wollt Ihr auch auswandern?“ sagte Gottlieb rasch.

„Auswandern? - nach Amerika? - hm - ich weiß noch nicht,“ brummte der Fremde, sich den Bart streichend - „es wäre aber möglich daß sie Einen noch dazu trieben. Sind das Euere Kinder?“

„Ja.“

„Habt Ihr noch mehr?“

„Noch einen Jungen von elf und ein halb Jahr.“

„Und Ihr seid ein Weber?“ sagte der Fremde mit einem Blick auf den Webstuhl - „auch schwere Zeiten für derlei Arbeit, mit einer Familie durchzukommen.“

„Ja wohl, schwere Zeiten,“ seufzte Gottlieb, als in diesem Augenblick die Thür draußen wieder aufging und die Mutter laut ausrief:

„Der Hans, lieber Himmel kommt der in dem Wetter.“

Es war Hans, der älteste Sohn des Webers, durch und durch naß, aber mit frischem gesunden Gesicht und rothen Backen, auf denen das Regenwasser in großen Perlen stand.

„Guten Tag mit einander,“ sagte er, als er in’s Zimmer trat und die triefende Mütze vom Kopf riß - „guten Tag Mutter.“

„Guten Tag Hans, aber wo um Gottes Willen kommst Du in dem Regen her; warum hast Du das Wetter nicht bei Lehmann’s abgewartet?“

„Es wurde mir zu spät Mutter und ich war hungrig geworden; habe auch noch heute Abend dem Vater etwas zu helfen.“

„Ein derber Junge,“ sagte der Fremde, der sich den Knaben indeß mit finsterem Blick betrachtet hatte - „kann wohl schon ordentlich mit arbeiten.“

„Ach ja, er packt tüchtig mit zu,“ sagte der Vater - „lieber Gott in jetziger Zeit muß Alles mit Brod verdienen helfen.“

„Die Kinder fressen Einen arm,“ sagte der Fremde.

„Habt Ihr Kinder?“ frug Gottlieb.

„Ich? - hm, ja,“ sagte der Fremde nach einer Pause - „könnte noch Jemandem abgeben davon.“

„Ich möchte keins hergeben,“ sagte die Frau rasch, und küßte das Jüngste, das sie eben wieder aufgenommen hatte um es zu füttern, „Kinder sind ein Segen Gottes.“

„Ja - so sprechen die Leute wenigstens,“ sagte der Fremde trocken, „aber ich glaube es läßt nach mit Regnen; ich werde die Schenke wohl jetzt erreichen können.“

„Wollt Ihr nicht vielleicht erst eine heiße Tasse Kaffee trinken?“ frug die Frau, das Kind auf dem linken Arm, zum Ofen gehend, die dort warmgestellte Kanne wieder vorzuholen.

„Danke, danke,“ sagte aber der Fremde abwehrend - „kann das warme Zeug nicht vertragen; ein Glas Branntwein ist mir lieber.“

„Das thut mir leid,“ sagte der Mann, „den kann ich Euch nicht anbieten; ich habe keinen im Hause.“

„Thut auch Nichts,“ lachte der Fremde; „so lange halt ich’s schon noch aus. Sind doch hülflose Dinger so junge Menschen, ehe sie die Kinderschuh ausgetreten haben,“ setzte er dann hinzu, als das Jüngste das Mäulchen nach dem schon einmal gereichten Löffel vorstreckte - „was machte nun so ein jung Ding, wenn man es hinsetzte und sich selber überließe.“

„Ach Du lieber Gott,“ sagte die Frau bedauernd - „so ein armer Wurm müßte ja elendiglich umkommen.“

„Bis den Nachbarn das Geschrei zu arg würde und sie kämen und es fütterten,“ lachte der Andere.

„Dafür haben die Kinder Eltern,“ sagte die Frau, das kleine, die Aermchen zu ihr ausstreckende Mädchen liebkosend und küssend, „die sorgen schon dafür daß kein Nachbar danach zu sehen braucht.“

„Wenn die aber einmal plötzlich stürben, wie dann?“ frug der Fremde, mit einem Seitenblick auf die Frau, indem er seinen Rock wieder zuknöpfte und sich zum Gehen rüstete.

„Dann ist Gott im Himmel,“ sagte Hanne, mit einem frommen vertrauungsvollen Blick nach oben.

„Ja, das ist wahr;“ sagte der Fremde mit einem leichtfertigen Lächeln, „der hat allerdings die große Kinderbewahranstalt. Aber es hat wirklich aufgehört mit Gießen,“ unterbrach er sich rasch, „den Augenblick will ich doch lieber benutzen. So schön Dank für gegebenes Quartier Ihr Leute, und gut Glück.“

„Bitte, Ihr habt für Nichts zu danken, behüt’ Euch Gott,“ sagte Gottlieb freundlich.

„Behüt’ Euch Gott;“ sagte auch die Frau, und der Mann, ihnen noch einmal zunickend, nahm draußen wieder den nassen Mantel um, drückte sich den breiträndigen Hut in die Stirn, griff einen derben Knotenstock, der daneben in der Ecke lehnte, auf, und verließ rasch das Haus, die Richtung nach der Schenke einschlagend.

„Mich freut’s daß er fort ist,“ sagte die Frau, die dem Knaben gerade das Essen auf den Tisch setzte und den Kaffee einschenkte - „bewahr uns Gott, was hatte der Mann für ein finstres Gesicht und ein barsches Wesen; nicht schlafen könnt’ ich die Nacht, wenn ich den unter einem Dach mit mir wüßte. In dem Gesicht liegt auch nichts Gutes - und wie er fluchte und über die Kinder sprach - ob er nur wirklich selber welche hat.“

„Er sagt’s ja,“ bestätigte Gottlieb - „aber mir schien’s ein Fleischer zu sein, seinem Gewerbe nach, und die sind immer rauh und derb, meinen’s aber nicht immer so bös.“

„So bess’re ihn Gott,“ sagte die Frau mit einem Seufzer, „und je seltener er unseren Weg kreuzt, desto besser.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Amerika! - Ein Volksbuch - 1. Band