Capitel 5 - Die Auswanderungs-Agentur.

Am Marktplatz zu Heilingen, und an der Ecke eines kleinen, auf diesen auslaufenden Gäßchens, stand ein ziemlich großes, grün gemaltes und gewiß sehr altes Erkerhaus, dessen Giebel und Stützbalken geschnitzt, und mit wunderlichen Köpfen und Gesichtern verziert, und braun angestrichen waren, und sich so weit dabei nach vorn überneigten, daß es ordentlich aussah, als ob der ganze Bau mit dem spitzen, wettergrauen Dach nächstens einmal ohne weitere Meldung nach vorn über, und gerade mitten zwischen die Töpfer und Fleischer hineinspringen würde, die an Markttagen dort unten ihre Waare feil hielten.

Nichtsdestoweniger wurde es noch immer, bis fast unter das Dach hinauf bewohnt, und der untere Theil desselben ganz besonders zu kleinen Waarenständen und Läden benutzt. Die Ecke desselben nun, hatte seit langen Jahren ein Kaufmann oder Krämer in Besitz, der sich zu seinen Materialwaaren, Kaffee, Zucker, Tabak, Lichten, Grütze &c. auch noch in der letzten Zeit die Agentur mehrer Bremer und Hamburger Schiffsmakler zu verschaffen gewußt, und damit bald in einer Zeit, wo die Auswanderungslust so überhand nahm, solch brillante Geschäfte machte, daß er die Materialwaarenhandlung seiner Frau, wie seinem ältesten Sohn übertrug, und für sich selber nur ein kleines Stübchen, ebenfalls nach dem Markt hinaus, behielt, über dessen Thüre ein riesiges, sehr buntgemaltes Schild jetzt prangte. Dies Schild verdient übrigens mit einigen Worten beschrieben zu werden, da die Heilinger in den ersten Tagen - als es eben erst aufgehangen worden - in wirklichen Schaaren davor stehen blieben und es anstaunten.


Es war ein breites, länglich viereckiges Gemälde, ein großes, dreimastiges Schiff vorstellend, wie es sich unter vollen Segeln der fremden, ersehnten Küste näherte. Die See selber war hellgrün gemalt, mit einer Unmasse von sichtbar darin herumschwimmenden Fischen, die den Beschauer wirklich etwas besorgt um die Sicherheit des Fahrzeugs selber machen konnten. Dessen wackerer Kiel schäumte aber mitten hindurch, und der, dem Anschein nach vollkommen runde, nur nach hinten zu etwas länglich auslaufende Rumpf, preßte eine große grün und weiß gestreifte Welle vorne auf, die sich wie eine breite Falte quer vor seinen Bug legte. Die Segel standen dazu fast ein wenig zu sackartig, und nur an den vier Zipfeln festgehalten, stramm und steif von den Raaen ab, und die langen blutrothen Wimpel mit roth und weißer Bremer Flagge hinten an der Gaffel, strömten und flatterten lustig nach hinten aus, wahrscheinlich den raschen Durchgang des Schiffes durch das Wasser anzuzeigen, das derart, durch den Wind getrieben, selbst diesen überflügelte. Ueber Deck war aber auch die Mannschaft, und Kopf an Kopf eine volle Reihe bunter Passagiere sichtbar, mit sehr dicken rothen Gesichtern, die Gesundheit an Bord des Schiffes bestätigend, und mit sehr hellgelben und sehr breiträndigen, rothbebänderten Strohhüten auf, während hinten auf Deck der Capitain des Schiffes mit einem dreieckigen Hut, wie einem Fernglas in der einen und einem Dreizack in der andern Hand stand. Was der Maler mit dem Dreizack andeuten wollte weiß nur er und Gott; er müßte denn gemeint haben daß der Capitain, wie früher Neptun, das Meer beherrsche. Uebrigens war es auch möglich daß er fischen wolle, und sich mit dem Fernrohr nur eben den stärksten und fettesten der ihn reichlich umschwimmenden Fische ausgesucht habe.

Den Hintergrund dieses prachtvollen Seestücks bildete ein schmaler Streifen mit einzelnen Palmen bedeckter Küste, an der eine Anzahl pechschwarzer, nackter Männer standen, die nur einen gelb und blauen Schurz um die Hüfte und einen grünen Busch in der Hand trugen. - Diese sahen übrigens gerade so aus, als ob sie die Ankunft des Schiffes schon sehnsüchtig und vielleicht sehr lange Zeit erhofft hätten, und nun die Zeit nicht erwarten könnten daß die Fremden an Land stiegen, damit sie geschwind für sie arbeiten, und ihnen den Boden urbar machen dürften.

Neben dem Bild, und zu beiden Seiten der Thür, wie sogar noch an dem innern Theile des Fensterschalters, hingen lange Listen der verschiedenen anzupreisenden Plätze für Auswanderung. Obenan New-York, Philadelphia und Boston, dann Quebeck und New-Orleans, Galveston; in Brasilien, Rio de Janeiro und Rio Grande; in Australien Adelaide, dann Chile, Valdivia und Valparaiso, und Buenos Ayres mit einer Menge neu entdeckter verschiedener Kolonien und Ansiedlungen, wohin überall die besten kupferfesten Schiffe A¹, in unglaublich kurzer Zeit und mit Allem versehen ausliefen, was dem glücklichen Passagier das Leben an Bord eines solchen Schiffes nur in der That zu einer Vergnügungsfahrt machen müsse und würde.

Weigel, wie der Eigentümer dieser „ausländischen Versorgungsanstalt“ (ein Spottname den die Heilinger der Weigelschen Agentur gaben) hieß, war ein dicker, vollgenährt und blühend aussehender Mann, ungefähr sechs bis achtunddreißig Jahr alt, mit ein wenig fest umgeschnürter Cravatte, was seinen Augen etwas Stieres gab, und sonst einem leisen Anflug von Grau in den sonst braunen, widerspenstigen Haaren. Die Augen waren groß, blau und ziemlich ausdruckslos; ein fast mitleidiges Lächeln aber, das oft, und besonders dann wenn er irgend Jemandes Meinung bestritt, um seine Mundwinkel spielte, gab dem Ausdruck seiner Züge jene scheinbare Ueberlegenheit, die sich zuversichtliche Menschen oft über Andere, wenn mann es ihnen gestattet, anzumaßen wissen. Ganz vorzüglich wußte er diese Miene anzunehmen, wenn er über Amerika, oder irgend einen überseeischen Fleck Landes sprach, über dem für ihn ein gewisser heiliger und unantastbarer Zauber schwamm, und Jemand dann irgend einen Zweifel gegen das Gesagte zu hegen wagte. Er schwärmte besonders für Amerika, und es gab deshalb auch, seiner Aussage nach, keinen größeren Lügner in der Stadt, als den Redacteur des Tageblatts, den Advokaten und Doctor Hayde in Heilingen. Dieser und er waren denn auch, wie das sich leicht denken läßt, grimme und erbitterte Feinde und Gegner, woselbst sich nur irgend eine Gelegenheit dazu fand.

Weigel bekam, wie das gewöhnlich bei den Agenturen der Schiffsbeförderung üblich und der Fall ist, für jede Person die er einem Bremer oder Hamburger Rheder sicher an Bord lieferte, einen Thaler, kurzweg genannt „für den Kopf“ und er theilte deshalb die Leute - seine Mitbürger sowohl wie sämmtliche übrige Bewohner Deutschland’s, in solche ein „die Energie hatten,“ d. h. zu ihm kamen und sich bei ihm einen „Platz nach Amerika“ besorgen ließen, wo sie nachher drüben selber sehn konnten wie sie fertig wurden, und in solche, die „im alten Schlendrian hinkrochen, und hier lieber verfaulten, ehe sie einen männlichen entscheidenden Schritt thaten, ihrer Existenz auf die Beine zu helfen.“ Jeder der hier blieb betrog ihn aber wissentlich und mit kaltem Blut um seinen, ihm in ehrlichem Verdienst zustehenden Thaler, und es verstand sich von selbst, daß er vor einem solchen Menschen keine Achtung haben konnte.

Er selber kannte die Verhältnisse Amerika’s nur aus Büchern die das Land lobten, denn andere las er gar nicht, und bekam er sie einmal zufällig in die Hand, so warf er sie auch gewiß mit einem Kernfluch über den „nichtswürdigen Literaten, der wieder einmal einen ganzen Band voll Lügen zusammengeschmiert“ in die Ecke. Sein größter Aerger war aber jedenfalls - und so regelmäßig wie die Uhr Morgens acht schlug - das Tageblatt, das er der häufigen Annoncen wegen halten mußte , und das ebenso regelmäßig kleine gehässige und schmutzige Artikel gegen Amerika wie überhaupt gegen Alles brachte, was sich frei und selbstständig bewegte.

Zehnmal hatte er sich schon vorgenommen den „kleinen erbärmlichen Doctor“ zu prügeln, und sehr vielen Leuten würde er dadurch ein großes Vergnügen bereitet haben; aber er unterließ es doch jedesmal auch wieder, wenn sich ihm gleich oft genug die Gelegenheit dazu bot; Beide mußten jedenfalls schon einmal früher etwas mit einander gehabt haben, vielleicht mehr von einander wissen als Beiden zuträglich war, und ein solcher Bruch wäre da nicht räthlich gewesen.

Sonst lebte Weigel still, und anscheinend als ein vollkommen guter und achtbarer Bürger, vor sich hin, aber im Stillen wirkte und wühlte er seinem Ziel entgegen, und richtete in der That viel Unheil an. Seine Beschreibungen Amerika’s, die er sich selber in kleinen Brochüren aus anderen Büchern zusammentrug, und um ein Billiges verkaufte, waren ein langsames Gift, das er in manche friedliche und glückliche Familie warf, ein Saatkorn das dort wucherte und Wurzel schlug, und während es die Leser anreizte nur gleich ohne weiteres ihr Bündel zu schnüren und jenen herrlichen Länderstrichen zuzueilen, wo von da an ihr Leben nur einem murmelnden Bache gleichen würde, der zwischen Blumen dahin fließt, füllte er ihre Köpfe mit falschen Ideen und Begriffen von dem Land, das ihre neue Heimath werden sollte, und machte viele, viele Menschen unglücklich. In der neuen Heimath dann angekommen, die ihnen, mit mäßigen Ansprüchen, wirklich Manches geboten haben würde was ihre Lage, im Vergleich mit dem alten Vaterland gebessert haben könnte, fanden sie sich jetzt plötzlich in all den wilden extravaganten Ideen, die sie durch solche Lectüre eingesogen, enttäuscht, fanden die Hoffnungen nicht realisirt, die man ihnen gemacht, hielten sich für schlecht behandelt und unglücklich, und verfielen nun oft in das Extrem trostloser und eben so unbegründeter Verzweiflung, wobei sie den Mann verwünschten, der sie hierverlockt, und sie verleitet hatte, Heimath und eigenen Heerd zu verlassen, einem Phantom zu folgen. Weigel aber hatte seinen Thaler für den richtig abgelieferten „Kopf“ bekommen, und dachte schon gar nicht mehr an die früher Beförderten, die seiner Meinung nach jetzt in einem Meer von Behagen schwammen und „unter Palmen wandelten.“

Herr Weigel war allein in seinem kleinen Bureau, einem niederen, etwas dumpfen und nicht überhellen Stübchen, dessen eines breites Fenster mit durch Zeit und Rauch arg mitgenommenen Gardinen verziert war, während die Wände durch Karten und statistische Tabellen-Anzeigen von Schiffen und Gasthäusern, Plänen von neuangelegten Städten oder zu verkaufenden Farmen fast völlig bedeckt hingen. Er saß an einem hohen, ziemlich breiten Pult, das einen mächtigen Kamm von Gefachen und Schiebladen trug und las, mit einer Tasse Kaffee neben sich, eben seinen täglichen Aerger, das Tageblatt, als es an die Thür klopfte, und auf sein lautes „Herein“ ein junger, sehr anständig, aber trotzdem etwas ärmlich gekleideter Mann das Zimmer betrat.

„Herr Weigel?“ sagte der Fremde mit einer leichten Verbeugung.

„Bitte - ja wohl,“ sagte Herr Weigel, seine Brille rasch in die Höhe schiebend und auf seinem Drehstuhl herumfahrend, seinen Besuch besser in’s Auge zu fassen - „womit kann ich Ihnen dienen?“

„Sie befördern Passagiere nach Amerika?“

„Nach Amerika? - denke so, hehehe,“ lachte Herr Weigel, sich vergnügt die Händ reibend, „habe schon ganze Colonien hinüber geschafft, Männer und Frauen, Weiber und Kinder; sitzen jetzt drüben in der Wolle und schreiben einen Brief über den andern an mich, wie gut es ihnen geht - da nur den einen hier, den ich vor ein paar Tagen bekommen habe - der Mann ist blos mit zwei tausend Dollarn hinübergegangen und hat schon eine eigene Farm, achtzig Acker Land, vierundzwanzig Stück Rindvieh, einige sechzig Schweine, fünf Pferde und will jetzt eine Schäferei anlegen - schreibt an mich ich soll ihm einen Schäfer hinüber schicken, aber einen der die Sache aus dem Grund versteht, kommt ihm auf ein paar Dollar Lohn nicht dabei an - bitte lesen Sie einmal den Brief.“

„Sie sind sehr freundlich Herr Weigel,“ sagte der junge Fremde mit einem verlegenen wie schmerzhaften Zug um den Mund - „aber der Brief würde gerade nicht maßgebend für mich sein, da ich mich gegenwärtig nicht in den Verhältnissen befinde, gleich einen Platz zu kaufen . Sind die Passagierpreise jetzt theuer?“

„Theuer? spottbillig,“ lachte Herr Weigel, den Brief offen wieder zurück auf sein Pult, und seine Brille darauf legend, ihn zu weiterem Gebrauch bereit zu haben; „spottbillig sag’ ich Ihnen, man könnte wahrhaftig auf dem festen Land nicht einmal dafür leben - so nicht; und unter uns - ich weiß wahrhaftig nicht wie die Leute dabei auskommen, aber es muß eben die rasende Menge von Passagieren machen, die sie jetzt wöchentlich, ja fast täglich hinüber spediren. Es ist fabelhaft was jetzt für Menschen auswandern; auf einmal werden sie Alle gescheidt, und merken endlich was sie hier haben, und was sie dort erwartet - ist doch ein famoses Land, das Amerika.“

Und wie viel beträgt die Passage nach dem nächsten Hafen der Vereinigten Staaten, wenn ich fragen darf, für - für eine erwachsene Person und ein Kind?“

„Nächsten Hafen? - hehehe, fürchten sich wohl vor der Seekrankheit? lieber Gott, daran gewöhnt man sich bald; ist auch gar nicht so arg wie’s eigentlich gemacht wird. Der Mensch, der Doctor Hayde hier im Tageblatt, hat neulich einen Artikel über die Seekrankheit gebracht den er wahrscheinlich auch selber geschrieben, und wonach Einem gleich ach und weh zu Muthe werden müßte; der ist aber nur dazu bezweckt den Leuten das Auswandern zu verleiden. Sie möchten sie gern hier behalten, damit sie sie nur recht ordentlich plagen und schinden können, weiter Nichts; davor braucht sich kein Mensch zu fürchten.“

„Sie wollten mir aber den Preis der Passage nennen.“

„Den Preis? - ja so - warten Sie einmal“ - sein Blick fiel auf die Glacéhandschuhe und die schneeweiße Wäsche des Fremden, dessen etwas abgetragene Kleider er in dem halbdunklen Raum nicht so leicht erkennen konnte, oder auch übersah - „der Preis - Dampfschiff oder Segelschiff?“

„Segelschiff.“

„Segelschiff - wird - sein - Preis in erster Cajüte vier und achtzig Thaler Gold.“

„Und die - die billigeren Plätze?“

„Billigeren Plätze - zweite Cajüte oder Steerage fünfundsechzig Thaler Gold.“

„Und Zwischendeck?“ sagte der Fremde leise und verlegen.

„Zwischendeck würde ich Ihnen nicht rathen,“ meinte Herr Weigel, seine Brille jetzt abwischend und wieder aufsetzend; „besonders wenn man eine Frau und ein Kind bei sich hat und es nur irgend ermachen kann, sollte man nie Zwischendeck gehn, man ruinirt sich’s und den Seinigen an der Gesundheit herunter, was die paar Thaler mehr kosten.“

„Aber Sie können mir wohl den Preis des Zwischendecks sagen?“

„Ja wohl, mit dem größten Vergnügen - Zwischendeck nach New-York kostet - warten Sie einmal, ich habe ja hier die letzten Briefe von meinen Häusern. Zwischendeck nach New-York kostet vierundvierzig Thaler Gold.“

„Vierundvierzig Thaler?“

„Ja es ist seit ein paar Tagen erst wieder um vier Thaler aufgeschlagen, weil die Leute eben nicht Schiffe genug anschaffen können für die Auswanderer. Ist fabelhaft was besonders dieses Jahr für Leute übersiedeln. Soll ich Sie vielleicht einschreiben? es trifft sich jetzt gerade glücklich, denn am 15ten geht ein ganz vortreffliches Schiff ab, die Diana , Dreimaster, gut gekupfert, mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten versehn und einem Capitain, ich sage Ihnen ein wahrer Schentelmann, wie er sich gerade nicht immer auf den Schiffen findet.“

„Ich danke Ihnen für jetzt noch bestens, lieber Herr Weigel,“ sagte der junge Mann - „ich muß doch nun erst mit meiner Frau Rücksprache über dieß nehmen, denn erst seit gestern ist mir die Idee überhaupt gekommen auszuwandern; aber - noch eine Bitte hätte ich an Sie,“ und er drehte dabei den Hut den er in der Hand hielt, fast wie verlegen zwischen den Fingern.“

„Ja? womit könnte ich Ihnen dienen?“ frug Herr Weigel.

„Könnten Sie mir wohl sagen, ob die Capitaine der Segelschiffe - ich habe einmal irgendwo gelesen daß das manchmal geschähe - auch Leute - Passagiere mitnähmen, die unterwegs ihre Passage - abarbeiten dürften und also - auch keine Ueberfahrt zu bezahlen brauchten?“

„Keine Passage zahlen?“ sagte Herr Weigel, die Lippen vordrückend und die Augenbrauen in die Höhe ziehend, während er langsam und halb lächelnd mit dem Kopfe schüttelte - „keine Passage bezahlen? - ne lieber Herr - ja so wie heißen Sie denn gleich.“

„Eltrich,“ sagte der junge Mann etwas zögernd.

„So? - ne mein lieber Herr Eltrich, davon steht Nichts in unseren Verzeichnissen und Contracten; im Gegentheil, da kommen wir zusammen; das ist der Hauptpunkt, der Nervum Rehrum, der die ganze Geschichte eigentlich zusammenhält, Amerika und Europa und die umliegenden Dorfschaften, heh, heh, heh.“

„Aber wenn nun irgend ein armer Teufel,“ fuhr der Fremde etwas lauter, fast wie ängstlich fort - „irgend ein armer Teufel sein ganzes Hoffen eben auf eine Reise nach Amerika gesetzt hätte, und bestimmt wüßte daß er dort, wenn auch nicht gerade sein Glück machen, doch sein Auskommen finden würde?“

„Nun dann soll er gehn - um Gottes Willen gehn, und am 15ten dieses wird wieder das neue, kupferfeste - ja so, aber er muß bezahlen,“ unterbrach er sich rasch als ihm einfiel von was sie vor erst wenigen Secunden gesprochen, „er muß bezahlen, sonst nimmt ihn kein Capitain der Welt mit über See.“

„Und Sie glauben nicht daß da jemals eine Ausnahme stattfinden dürfte?“ sagte Herr Eltrich - „es werden doch Leute auf See gebraucht zu den nothwendigsten sowohl, wie den geringeren Arbeiten, und die Capitaine müssen gewiß dafür bezahlen . Wenn sich also nun Jemand erböte alle diese Verrichtungen ganz umsonst , nur um Passage und die einfachste Matrosenkost zu machen, sollte das nicht möglich sein zu erlangen?“

„Lieber Herr,“ sagte der Herr Weigel, dem es jetzt so vorkommen mochte als ob er mit dem Fremden da kein besonders großes Geschäft machen würde, und der anfing ungeduldig zu werden, „zu den Arbeiten an Bord eines Schiffes werden Matrosen gebraucht, und wer kein Matrose ist, kann die auch nicht verrichten. Das ist keine kleine Kunst, lieber Herr Schelbig, in den Tauen den ganzen Tag herumzuklettern und zwischen den Segeln, wenn das Schiff bald so herüberschlenkert und bald so“ - und er begleitete dabei seine Erklärung mit einer entsprechenden Bewegung der vor sich gerade aufgehaltenen Hand - „da müssen die Leute fest stehen können wie die Mauern, sonst kann man sie nicht gebrauchen.“

„Aber glauben Sie nicht, wenn man einmal an einen Capitain schriebe, ob er sich doch nicht am Ende bewegen ließ; oder“ - setzte er rasch hinzu, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, „wenn man sich nun verbindlich machte die Passage nach einer bestimmten Zeit in Amerika nachzuzahlen - sie dort abzuverdienen?“

„Ja da könnte Jeder kommen,“ sagte Herr Weigel kopfschüttelnd, „wenn die Leute erst einmal drüben sind, thun sie was sie wollen. Das ist ein freies Land da drüben, Herr Wellrich, und da könnte man nachher jedem Einzelnen nachlaufen, und sehen daß man sein Geld wieder kriegte. Ne, damit ist’s faul, und ich nun einmal vor allen Dingen, möchte mich nicht auf solch eine Quängelei einlassen; daran hat man keine Freude, und das ist auch kein rundes Geschäft.“

„Es ist nur ein armer Verwandter, der sich auf solche Weise gern forthelfen würde,“ sagte Herr Eltrich erröthend - „er ist sehr fleißig und würde arbeiten wie ein Sclave, die Zeit über.“

„Ja das glaub’ ich,“ meinte Herr Weigel gleichgültig - „versprechen thun die Art Herren gewöhnlich Alles was man von ihnen haben will.“

„Könnten Sie mir denn vielleicht die Adresse irgend eines Schiffes oder Rheders geben, der bald ein Schiff hinüberschickt,“ sagte der junge Fremde, sich schon wieder zum Gehen rüstend - „wenn ich vielleicht selber einmal dorthin schriebe, um Sie nicht weiter mit der Sache zu belästigen.“

„Ja, schreiben können Sie,“ sagte Herr Weigel, „hehehe; aber Sie werden keine Antwort bekommen; darauf können Sie sich verlassen. Die Leute da haben mehr zu thun, als sich eines Passagiers wegen, für den sie noch umsonst die Kost hergeben müßten, in eine Correspondenz einzulassen; kann ich ihnen auch gar nicht so sehr verdenken.“

„Und die Adresse?“

„Die Adresse? - da, hier liegt die neueste Auswanderer-Zeitung; wenn Sie wollen, können Sie sich da ein oder zwei Adressen herausschreiben. Da hinten, auf der letzten Seite stehen sie.“

Herr Weigel sah nach der Uhr, drehte sich wieder auf seinem Drehstuhl, der beim Aufschrauben etwas quietschte, herum, schob das Tageblatt zur Seite und rückte sich einen Bogen Papier zurecht, als ob er irgend einen nothwendigen Brief zu schreiben hätte.

Wieder klopfte es da an die Thür, und dießmal, ohne ein ermunterndes „Herein“ zu erwarten, öffnete sie sich, und drei Bauern, denen die großen silbernen Knöpfe auf Weste und Rock und das feine Tuch der letzteren, die jedoch ganz nach ihrem alten bäurischen Schnitt gemacht waren, etwas ungemein solides gaben, traten, die Hüte erst unter der Thür und schon im Zimmer abziehend, herein, und grüßten die beiden Leute die sie hier beisammen fanden, mit einem herzlichen „Guten Morgen miteinander.“

Das waren die Leute die Herr Weigel gern kommen sah, die wußten weßhalb sie die eine Hand immer in der Tasche trugen, denn sie hatten dort etwas zu verlieren, und waren nicht selten dabei die Vorboten eines größern Trupps, oft einer ganzen „Schiffsladung voll“ die aus ein und derselben Gegend auswandern wollte, und ein paar der Angesehensten indeß vorausgeschickt hatte, Platz für sie zu bestellen. Wie der Blitz war er denn auch von seinem Stuhle herunter, schüttelte ihnen nacheinander die Hand, und frug sie wie es ihnen ginge und was sie hier zu ihm geführt.

„Seid Ihr der Mensch der die Leute nach Amerika schickt?“ sagte da der Eine von ihnen, eine breitkräftige, sonngebräunte Gestalt mit vollkommen lichtblonden Haaren und Augenbrauen, aber dabei gutmüthigen vollen und frischen Zügen, dem das Ganze übrigens etwas fremd und unheimlich vorkommen mochte, denn er warf den Blick während er sprach wie scheu von einer der Schiffszeichnungen zur anderen, und schien sich ordentlich dazu zwingen zu müssen das zu sagen, was er eben hier zu sagen hatte.

„Nun nach Amerika schicken thu’ ich sie gerade nicht,“ lächelte Herr Weigel, die Anderen dabei ansehend, und etwas verlegen über die vielleicht ein wenig plumpe Anrede.

„Nicht?“ sagte der Bauer rasch und erstaunt - „aber hier hängen doch all die vielen Schiffe.“

„Nun ja, ich besorge den Leuten Schiffsgelegenheit die hinüber wollen ,“ sagte Herr Weigel, jetzt geradezu herauslachend, weil er glaubte daß sich der Mann mit ihm einen Scherz gemacht, auf den er natürlich einzugehen wünschte.“

„Ja aber wir wollen eigentlich noch nicht hinüber,“ sagte der zweite von den Bauern, seinen Hut auf seinen langen Stock stellend, und sich dabei verlegen hinter den Ohren kratzend - „wir wollten uns nur erst einmal hier erkundigen ob denn das auch wirklich da drüben so ist, wie es jetzt immer in den Auswanderungszeitungen steht, und ob man blos hinüberzugehn und zuzulangen braucht, wenn man eine gut eingerichtete Farm mit ein paar hundert Morgen Land haben will.“

„Ja wenn man Geld hat,“ lachte Herr Weigel.

„I nu - Geld hätten wir,“ sagte der Bauer, und sah seine Nachbarn an.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar,“ unterbrach den Sprecher hier der junge Mann, der indessen die Zeitung nachgesehn, und sich Einzelnes daraus notirt hatte. „Bitte,“ sagte Herr Weigel, und nahm ihm das Blatt, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, aus der Hand, und wandte sich wieder zu den Bauern, als der junge Fremde sich mit einem artigen:

„Guten Morgen meine Herren“ empfahl.

„Adje Herr - Herr Schnellig,“ rief der Agent ziemlich laut hinter ihm her, ohne sich weiter nach ihm umzudrehen, während die Bauern freundlich den Gruß in ihrer Art erwiederten.

„Wer war der junge Herr?“ frug der erste Sprecher aber, als er die Thür rasch hinter sich in’s Schloß gedrückt.

„Ach, ein armer Teufel, der gern mit umsonst nach Amerika hinüber möchte,“ sagte Herr Weigel - „er thut zwar als wär’ es nur für einen armen Verwandten, aber, hehehe, derlei Ausreden kennen wir schon - kommen alle Wochen vor.“

„Umsonst mit nach Amerika?“ sagte der erste Sprecher verwundert, „ der sieht doch nicht aus als ob er etwas umsonst haben wollte, der ging ja so fein gekleidet; Donnerwetter - mit Handschuhen und allem.“

„Ja auswendig sind die Leute in der Stadt meist alle schwarz und sauber angestrichen,“ lachte Herr Weigel, „aber inwendig, in den Taschen, da hapert’s nachher. Wer aber ein Bischen Uebung darin hat, kann auch schon oben auf erkennen, ob der Lack ächt, oder blos nachgemacht ist, hehehe.“

„Bei dem war er wohl nachgemacht?“ sagte der zweite Bauer, dem Anschein nach gerade nicht unzufrieden damit, daß der „glatte Stadtmensch“ nicht so viel galt wie sie, und daß der Auswanderungsmann das sogleich durchschaut hatte. Herr Weigel nickte, seine Zeit war ihm aber kostbarer, als sie noch länger an Jemanden zu verschwenden, bei dem er doch voraussah, daß er von ihm keinen Nutzen haben würde, und er suchte das Gespräch wieder dem mehr praktischen Anliegen der drei Bauern zuzulenken.

„Also Sie wollten mitsammen nach Amerika gehn und sich eine ordentliche Farm, gleich mit Land, Vieh, Häusern und was dazu gehört, ankaufen heh? - ‘wär keine so schlechte Idee.“

„Ja erst möchten wir aber einmal wissen wie die Sache steht;“ sagte der Erste wieder, der Menzel hieß, „wenn man über einen Zaun springen will, ist es viel vernünftiger daß man erst einmal hinüber guckt was drüben ist, und wenn man das nicht kann, daß man Jemanden fragt der es genau weiß. Sind denn die Farmen da drüben wirklich so billig? - ist das wahr, daß man dort noch gutes frisches Land für ein und einen Viertel Thaler kaufen kann?“

„Thaler? - nein,“ sagte Herr Weigel, „ Dollar .“ „Ja nun, das ist aber auch nicht viel mehr,“ meinte der Zweite, Müller.

„Nun ein Dollar ist ungefähr ein Speciesthaler,“ sagte Herr Weigel - „lassen Sie mich einmal sehn - die stehn jetzt - stehn jetzt 1 Thlr. 12½ Silber- oder Neugroschen.“

„Nu ja,“ sagte Menzel wieder, „das ist aber immer kein Geld - und für tausend Dollar kauft man da eine fix und fertig eingerichtete Farm, wie sie’s glaub’ ich nennen? mit Allem was dazu gehört?“

„Ich habe hier gerade,“ sagte Herr Weigel in seinen Papieren suchend, „ein paar Anerbietungen von höchst achtbaren Leuten - wirklichen Amerikanern - die mir Farmen zu höchst mäßigen Bedingungen offeriren. - Die Leute wissen da drüben daß hier Viele zu mir kommen und sich nach solchen Plätzen erkundigen, und wenn sie dann ‘was Gutes haben, schicken sie’s mir. - Wo hab’ ich denn die verwünschten Pläne jetzt hingelegt - ah, hier ist der eine - sehn Sie, Gebäude und Alles sind darauf angegeben - und der andere kann nun auch nicht weit sein; ich habe sie erst vorgestern meinem Bruder gezeigt, der gar nicht übel Lust hatte eine davon für sich zu kaufen - da ist er.“

Die drei Bauern drängten sich um den kleinen Tisch herum auf dem Herr Weigel die Pläne jetzt ausbreitete, und suchten sich in den kreuz und quer laufenden Strichen zu orientiren, wie der Platz eigentlich liege, und was darauf stände.

„Ja aber wo ist denn das nun eigentlich, und wie sieht’s dort aus?“ sagte Menzel endlich, nach einigen vergeblichen Versuchen deshalb - „aus der Geschichte hier wird man nicht klug.“

„Ja sehn Sie,“ sagte Weigel, mit seinem Finger den Plan erklärend, und den angegebenen Zahlen folgend, „das hier, Nr. 1 ist das Wohnhaus, ein Doppelgebäude, der Zeichnung nach mit einer offenen Veranda dazwischen, des warmen Klima’s wegen, denn drum herum stehen „Baumwollenbäume“ angegeben; Nr. 2 da ist ein anderes Gebäude, bis jetzt zu Negerwohnungen benutzt, denn der bisherige Besitzer scheint Sclaven gehalten zu haben; Nr. 3 ist eine Scheune; Nr. 4 ist ein Rauchhaus, die Leute verschicken von dort aus viel getrocknetes Fleisch; Nr. 5 ist, wie es scheint, ein Waschhaus, und Nr. 6 ein anderes Wohnhaus, was dem ersten gegenübersteht, und wahrscheinlich den ganzen Hofraum, da die Front nach dem Flusse zu liegt, abschließt.

„Und welcher Fluß ist das?“

„Der Missouri, einer der größten Ströme Amerika’s, über eine englische Meile breit, und viel hundert Meilen hinauf schiffbar; alle Wetter meine Herren, von den dortigen Strömen können wir uns hier gar keinen Begriff machen.“

„Hm - und wieviel Land gehört dazu?“

„Dazu gehört ein „Died“ von 40 Acker, was früher als Congreßland gekauft und schon bezahlt ist, und natürlich mit übernommen wird, und um den Platz herum kann noch so viel Congreßland dazu genommen werden, wie man haben will - nur die vierzig Acker, von denen aber ein Theil schon urbar gemacht ist, müssen natürlich höher bezahlt werden.“

„Und was soll die ganze Geschichte kosten?“ frug Müller. - Der dritte, dessen Name Brauhede war, hatte noch kein einziges Wort zu der ganzen Verhandlung gesagt.

„Die ganze Geschichte,“ erwiederte Weigel, sich das Kinn streichend, „wie ich sie Ihnen hier gleich an Ort und Stelle überlassen kann, mit Häusern und Grundstück und dazu noch einem kleinen Viehstand von vielleicht einigen achtzig Stück Rindvieh, und fünfundfunfzig oder sechzig Schweinen, würde - etwa - ein tausend und einige sechzig spanische Dollar betragen.“

„Und das wäre nach unserem Geld?“ sagte Menzel, Müller dabei heimlich unter dem Tisch anstoßend.“

„Nach unserem Geld?“ wiederholte Herr Weigel, mit einem Stück dort liegender Kreide die Summen rasch auf dem Tisch selber aufaddirend - „würde es in einer runden Zahl etwa 1000 - 400 - eine Kleinigkeit über 1400 Thlr. Preuß. Courant betragen.“

„Wieviel Stück Rindvieh?“ sagte Müller.

„Einige achtzig Stück sind angegeben,“ sagte Weigel, „und müssen auch überliefert werden; aber gewöhnlich sind es noch mehr, denn das Vieh läuft draußen im Freien herum und bekommt Kälber und man weiß es oft nicht einmal - die Kälber werden überhaupt nie mitgezählt.“

„Und die Passage hinüber kostet?“ frug Menzel.

„Zwischendeck oder Cajüte?“

„Zwischendeck - immer wo’s am Billigten ist,“ lachte Menzel, und strich sich wohlgefällig über die silbernen Knöpfe.

„Ja, kann mir’s denken,“ rief Herr Weigel, auf den Scherz eingehend, und ihn leise gegen den Arm von sich stoßend - „Sie sehn mir auch gerade aus, als ob’s Ihnen auf ein paar Thaler ankäme.“

„Ja, wo man’s kann muß man’s zusammennehmen,“ betheuerte aber auch Müller - „also wieviel kostet’s im Zwischendeck à Person?“

„Vierundvierzig Thaler für die Person - Kinder zahlen die Hälfte.“

„Aber ganz kleine Kinder?“ sagte Müller.

„Nun Säuglinge gehen ein,“ lachte Herr Weigel, „das ist die Beilage, die doch auch nur vom Schiff aus indirecte Nahrung bekommen.“

„Leichten Zwieback?“ frug Menzel.

„Ja wohl,“ sagte Herr Weigel, etwas verlegen lächelnd, da er nicht wußte ob der Bauer das im Spaß oder Ernst gemeint - „wie viel Personen sind Sie denn aber wohl etwa?“

„Nu, so eine sechzig möchten wir immer zusammen herausbekommen,“ meinte Müller.

„Aber Alle auf ein Schiff müßtet Ihr uns bringen,“ sagte Menzel.

„Nun das versteht sich von selbst,“ rief Herr Weigel, und ein famoses Schiff geht gerade den funfzehnten ab - ich glaube das beste, das von Bremen und Hamburg überhaupt läuft - die Diana.“

„Ne das wär’ uns noch zu früh.“

„Am ersten nächsten Monats geht ein noch besseres,“ sagte Herr Weigel - „wenigstens geräumiger und ein besserer Segler.“

„Ne das wär’ uns auch noch zu früh,“ sagte Menzel.

„Gut, dann träfen Sie es gerade ausgezeichnet mit dem Meteor,“ versicherte Herr Weigel, keineswegs außer Fassung gebracht; „ich wollte Ihnen den im Anfang nicht anbieten, weil ich fürchtete daß Sie früher zu reisen wünschten, wenn Sie aber so lange Zeit haben, dann kann ich Ihnen allerdings die vorzüglichste Reisegelegenheit bieten, die sich nur überhaupt denken läßt.“

„So - na das paßte schon besser - „ sagte Müller - „wie hieß das Schiff gleich?“

„Meteor.“

„Hm - werd’ es mir merken - aber nicht wahr, beim Dutzend kriegen wir die Passage doch auch was billiger.“

„Ne, das geht nicht,“ lachte aber Herr Weigel da gerade heraus; „es ist ja nicht so, daß ein Schiff nur eben so viel Menschen an Bord nehmen kann wie darauf Platz haben, sondern es muß auch genug Raum, und über und über genug Essen und Trinken für sie dabei sein, wenn einmal die Reise, in einem unglücklichen Fall länger dauerte als gewöhnlich. So ein Schiff hat deshalb auch nur eine bestimmte Zahl von Auswanderern, die es an Bord nehmen kann, und nach Amerikanischen Gesetzen nehmen darf , und auf die ist Alles mit Kosten und Preis ausgerechnet, auf’s tz. Die kleinen Kinder werden eingegeben, aber die großen müßen bezahlen. Und wie war’s mit der Farm?“

„Wo ist denn der andere Platz - zu dem da der lange Zettel gehört?“ sagte Menzel, der sich diesen indessen genau betrachtet, und nach allen Ecken herum und herumgedreht hatte, ohne, wie er meinte, einen Handgriff dran bekommen zu können.

„Der hier? der ist in Wisconsin; auch ein guter Platz, aber kein so großer Strom dabei,“ sagte Herr Weigel - „ist aber auch billiger. Dort kann ich Ihnen eine Farm, allerdings nur mit einigen vierzig Kühen, für etwa siebenhundertundfunfzehn Dollar überlassen, und dann habe ich noch fünf andere von sechs, acht, elf, neun und ich glaube zwölfhundert Dollar - die letztere ist aber eine wirkliche Musterwirthschaft mit importirtem Schweizervieh, und Backsteingebäuden, und einer prachtvollen Lage Milch und Butter in die nicht zu entfernte Stadt zu bringen; wird Ihnen aber auch freilich wohl zu theuer sein?“

„Zu theuer? - warum?“ sagte Menzel - „wenn man sich einmal etwas kauft, soll man sich auch gleich ‘was ordentliches anschaffen. Ich habe mir übrigens die Sache immer viel schwieriger vorgestellt mit dem Ankaufen, und gedacht, daß man da erst lange in der Welt umher fahren und sein Geld verreisen müßte. Wenn man das gleich hier an Ort und Stelle abmachen kann, ist das ja weit bequemer.“

„Auf eins möchte ich Sie übrigens noch aufmerksam machen, meine Herren, was Sie ja nicht versäumen dürfen,“ sagte Herr Weigel - „nämlich sich hier gleich Ihre Billets zur Weiterfahrt in’s Innere, wohin Sie auch immer wollen, zu lösen.

„Von Neu-York aus?“ sagte Menzel verwundert.

„Ja wohl von Neu-York oder Philadelphia oder wohin Ihr Reiseziel liegt.“

„Ja aber kann man denn die hier bekommen?“ frug Müller.

„Gewiß kann man das,“ lächelte Herr Weigel, „und das ist gerade der ungeheure Vortheil unserer jetzigen Verbindung, die den Auswanderer von der Thür seiner alten Heimath fort, vor die seiner neuen setzt, ohne daß er ein einziges Mal in die Tasche zu greifen und mehr zu bezahlen braucht, als was er gleich von allem Anfang entrichtet hat. Das eben macht auch das Reisen jetzt so billig, daß man mit einem Blick im Stande ist sämmtliche Kosten zu übersehn; die Extra-Ausgaben fallen ganz weg.“

„Das wäre freilich ein Glück,“ sagte Müller, von dem erst vor einigen Monaten ein Bruder „hinüber“ gegangen war - „die Extra-Ausgaben fressen sonst das meiste Geld.“

„Ob sie’s fressen, bester Herr, ob sie’s fressen,“ sagte Herr Weigel, sich wieder vergnügt die Hände reibend.

„Und wo kann man die Billete also bekommen?“ frug Menzel.

„Bei mir hier, versteht sich,“ sagte Herr Weigel - „alle bei mir.“

„Und die gelten dann drüben?“

„Nun versteht sich doch von selbst,“ lachte der freundliche Agent, „ich würde sie ja Ihnen doch sonst nicht verkaufen. Sehn Sie, wenn die Deutschen hinüber kommen, dann sprechen sie gewöhnlich noch kein Englisch - oder haben Sie das etwa schon gelernt?“

„Ne.“

„Nun sehn Sie, und dann werden sie dort von ihren Landsleuten - denn der Amerikaner ist nicht halb so schlimm - die sich das richtig zu Nutze zu machen wissen, tüchtig über’s Ohr gehauen, und müssen gewöhnlich gerade noch einmal so viel bezahlen, als die Sachen eigentlich kosten.

„Aber es soll doch eine „Deutsche Gesellschaft“ drüben in Neu-York sein,“ sagte jetzt Brauhede, der zum ersten Mal bei der ganzen Verhandlung den Mund aufthat - „die sich eben der Deutschen annimmt und Nichts dafür verlangt.“

„Leben wollen wir Alle ,“ sagte Herr Weigel achselzuckend - „umsonst ist der Tod, und daß die Leute, wenn sie ihre Zeit darauf verwenden für die Deutschen zu sorgen, auch etwas dafür nehmen werden, läßt sich wohl an den fünf Fingern abzählen. Neu-York ist aber ein theures Pflaster, die Leute brauchen dort mehr wie wir hier, und wer es daher billiger thun kann ist auch wieder leicht einzusehn. Ich will mich auch keineswegs empfehlen; lieber Gott es giebt noch eine Menge Leute in Deutschland, die sich demselben schwierigen und undankbaren Geschäft unterzogen haben wie ich, und die es sich vielleicht eben so sauer werden lassen gerade und ehrlich durch die Welt zu kommen; aber Einen der es besser meint dabei, werden Sie wohl schwerlich finden, und ich überrede gewiß Niemanden nach Amerika auszuwandern. Jeder Mensch muß seinen freien Willen haben, und auch am Besten selber wissen was ihm gut ist.“

„Ne gewiß,“ sagte Menzel - „da habt Ihr ganz recht, das ist auch mein Grundsatz; aber das mit dem Amerika leuchtet mir auch ein, und umsonst thut da gewiß Niemand etwas - das sind verflixte Kerle da, hab’ ich mir sagen lassen, besonders die Deutschen, und wo die nicht wollen gucken sie nicht ‘raus.“

„Also die Billete kann man hier bei Euch kriegen?“ sagte Müller.

„Wohin Sie wollen, und ich stehe Ihnen dafür daß sie nicht allein ächt sind, sondern daß die hier in Deutschland gelösten Plätze auch noch den Vorrang haben vor allen in Amerika genommenen, wenn einmal Eisenbahn oder Dampfboote zu sehr besetzt sein sollten. Es ist ja hier gerade so mit der Post, wo Die, die sich zuerst, und auf der längsten Station haben einschreiben lassen, den Vorrang behalten müssen vor denen die nachher kommen.

„Ahem, das ist klar,“ sagte Menzel; „na also da dächt’ ich ließen wir uns gleich einmal Plätze belegen und gäben das D’raufgeld, damit wir die Sache richtig hätten, und nachher können wir ja einmal über die Farmen sprechen; ich habe verwünschte Lust.“

„Du, das hat noch Zeit,“ sagte aber jetzt Brauhede wieder, Menzel am Rocke zupfend; „erst müssen wir es uns doch einmal mit den Anderen zu Hause überlegen.“

„Wenn aber nachher die Plätze auf dem ganz guten Schiffe fort sind,“ sagte Müller mit einem sehr bedenklichen Gesicht.

„Ja, stehen kann ich Ihnen nicht dafür,“ versicherte Herr Weigel die Achseln zuckend, daß sie beinah seine Ohrläppchen berührten.

„Na mein’twegen,“ sagte Brauhede, der allerdings auch in der Absicht hierher gekommen war, ihre Passage fest zu accordiren, jetzt aber, da es dazu kam Geld zu zahlen, nur ungern damit herausrückte - „aber von wegen der Farm müssen wir noch erst mit den Anderen sprechen, und eine Farm kriegen wir auch noch immer.“

„Ja aber was für eine,“ sagte Herr Weigel.

Brauhede blieb übrigens bei seiner Meinung, und Menzel bestand jetzt nur wenigstens darauf die beiden Pläne einmal mitzunehmen, damit sie sich zu Hause ordentlich hinein denken könnten. Wenn auch Herr Weigel sie im Anfang nicht außer Händen geben mochte, ja sogar versicherte er habe nicht übel Lust die eine Farm für sich selber auf Spekulation zu kaufen, ließ er sich doch zuletzt überreden ihnen, aber allerdings nur auf zwei Tage, die Pläne zu überlassen, und dann das Weitere über den Ankauf mit einer zweiten Deputation der Gesellschaft zu besprechen.

Menzel bezahlte dann das Aufgeld auf ihre Passage im Meteor für siebenundfunfzig Personen und dreizehn Kinder, die sämmtlich aus einer Ortschaft auswandern wollten, und nahm dann auch noch, nach einer kurzen Berathung mit den beiden anderen, die nöthigen Billete auf der Eisenbahn von Neu-York aus, oder machte wenigstens eine Anzahlung darauf, daß sie ihnen der Agent aufbewahrte, da dieser sie versicherte er sei nur noch im Besitz einer sehr kleinen Anzahl, und wisse nicht, wann er gleich wieder andere bekommen würde, während die Anfrage darnach sehr stark wäre.

Außerdem kauften sie sich auch noch ein halbes Dutzend kleine Brochüren, die Herr Weigel, wie er sagte, gerade frisch aus der Druckerei als etwas ganz Neues bekommen hatte - ein Datum stand nicht darauf - und die drei Männer verließen dann wieder, von dem schmunzelnden Agenten bis an die auf den Markt führende Thür begleitet, das Haus.

„Höre Du,“ sagte aber Brauhede als sie wieder vor dem Haus und auf der Straße waren, und langsam über den Markt weggingen, „mit dem Landkaufen wollen wir uns doch lieber hier noch nicht einlassen, das ist eine wunderliche Geschichte und will mir nicht recht in den Kopf.“

„Nicht in den Kopf?“ rief aber Menzel - „und warum nicht? - der Mann bekommt alle Tage Briefe aus Amerika, warum soll der nicht wissen was dort zu verkaufen ist?“

„Wenn’s aber so gut und billig wäre, brauchten sie’s doch nicht hier herüberzuschicken,“ meinte Brauhede kopfschüttelnd.

„Das ist Alles was Du davon verstehst,“ sagte Müller, „Amerikaner könnten sie gewiß genug zu Käufern kriegen, aber deutsche Bauern wollen sie, die ihnen zeigen wie man das Land behandeln muß, und darum schicken sie herüber - die sind froh drüben, wenn unsereins hinüber kommt.

„Nun, mag sein,“ brummte Brauhede - „aber sicher ist doch sicher, und wenn ich mein Geld hier weggegeben habe, und kann das Land was mein sein soll nachher nicht finden, wie’s dem Niklas seinem Bruder gegangen ist, nachher wäre die Geschichte aber faul.“

„Dem Niklas sein Bruder war aber auch ein Esel,“ sagte der Andere, „der sich hier Land von einem herumziehenden Vagabunden gekauft; da sollt’ er nachher wohl suchen. Aber der Mann hier ist in der Stadt ansässig und hat ein Geschäft; was der verkauft das muß gut sein, sonst wär’ er ja gar nicht sicher daß man ihn einmal deshalb beim Kragen kriegte.“

„Ja krieg’ ihn einmal wenn Du drüben in Amerika bist,“ sagte Brauhede ruhig - „das ist ein verwünscht weiter und umständlicher Weg und - wenn man sich einmal hat anführen lassen, will man auch nicht gern noch dazu ausgelacht werden.“

„Papperlapapp!“ sagte Menzel - „dafür hat Jeder seine Augen daß er sie offen hält, und ehe ich ihm mein gutes Geld gebe, werd’ ich mich schon sicher stellen daß er mir Nichts aufbindet.“

Und die Männer schritten, Jeder von jetzt an mit seinen eigenen Gedanken über die nahe Auswanderung beschäftigt, langsam die Straße hinunter, während in seinem kleinen Bureau, vergnügt die Hände zusammenreibend, Herr Weigel auf und ab spazieren ging, und sich im Geist die nächst zu ziehenden Summen zusammenaddirte, die er in kurzer Zeit, nach eifriger Aussaat, einzuerndten hoffte. Die Geschäfte gingen vortrefflich; Lust zur Auswanderung hatte in der That ein Drittel der sämmtlichen Bevölkerung, und es bedurfte nur manchmal wirklich einer leisen Anregung, die Leute zu etwas zu bewegen, zu dem sie schon halb und halb selber entschlossen gewesen waren.

Herr Weigel war sehr guter Laune; er legte jetzt die Hände auf den Rücken und summte ein leises Lied vor sich hin, seinen Marsch dabei fortsetzend. Aber er sang falsch; er hatte keine Idee von irgend einer Melodie; doch das schadete nichts, er meinte wenigstens eine, und da er selber nicht hörte was er sang, genügte es ihm vollkommen.

Die Thür ging jetzt auf und der Tischler oder Schreiner kam herein, irgend etwas an dem Pult auszubessern - er hatte zweimal angeklopft ohne daß der vergnügte Agent darauf geantwortet hätte.

„Guten Morgen Herr Weigel.“

„Ah guten Morgen Meister - nun kommen Sie endlich? ich hatte schon ein paar Mal nach Ihnen hinübergeschickt.“

„Ja lieber Gott Herr Weigel, ich war gerade drüben beim Herrn Geheimen Rath Bärlich beschäftigt - die Leute sind so eigen wenn man von der Arbeit fort geht.“

„Sehn Sie, hier das Bein möcht’ ich gemacht haben; der Tisch wackelt da immer, und wenn man etwas darunter legt, verschiebt sich das doch jedesmal wieder. Können Sie es mir wohl bis heute Nachmittag in Ordnung bringen?“

„Ja gewiß,“ sagte der Mann, „das ist ja nur eine Kleinigkeit.“

„Und wie ist es mit den Auswandererkisten die ich bestellt habe? - werden die bis heute Abend fertig?

„Ja wohl Herr Weigel; sechs habe ich schon in das Gasthaus „Stadt Breslau,“ wie Sie mir sagten, abgeliefert.“

„Nun das ist gut, denn der ganze Zug wird noch heute Vormittag ankommen, und will morgen früh wieder fort - es sind doch noch keine Auswanderer heute Morgen hier eingetroffen?“

„Nicht daß ich gesehen hätte - aber gestern Abend zogen Viele durch.“

„Ja ich weiß - von Hessen herüber - die armen Teufel; denen wird’s einmal wohl drüben werden. Nun wie gehn denn bei Ihnen die Geschäfte jetzt?“

„Ih nu gut, Herr Weigel, ich kann gerade nicht klagen; das Brod wird freilich immer theuerer, aber man schlägt sich so durch - Kinder haben wir nicht, und was verdient wird reicht eben ordentlich aus.“

„Ich begreife nicht,“ sagte Herr Weigel da kopfschüttelnd vor dem Mann, der seine Mütze eben wieder aufgegriffen hatte und sich zum Fortgehen anschickte, stehen bleibend - „wie Ihr Leute Euch hier vom Morgen bis Abend plagt und schindet, eben nur das liebe Brod zu verdienen, wo Ihr in ein paar Wochen drüben sein könntet und so viel Dollare für Euere Arbeit bekämt, wie hier Groschen.

„Drüben, wo?“

„Nun in Amerika.“

„Hm, ja,“ sagte der Mann, sich nachdenkend das Kinn streichend, und einen leichten Seufzer unterdrückend - „gedacht hab’ ich auch schon ein paar Mal daran, aber - das geht nicht gut und - es ist auch so eine unsichere Sache mit da drüben. Hier weiß ich einmal was ich habe und daß ich auskomme, und wie mir’s da drüben geht weiß ich nicht .“

„Aber Freund,“ rief Herr Weigel verwundert - „ein Mann der fleißig arbeitet bringt es dort immer zu was. Wetter noch einmal, Meister, Amerika ist gerade der Platz für Euch, wo Ihr Euch rühren und ausbreiten könntet - wenn Ihr dort wäret, ein geschickter Arbeiter wie Ihr! in fünf Jahren hättet Ihr zwanzig Gesellen.“

„Meister Leupold nickte langsam mit dem Kopf, und sah ein paar Secunden still vor sich nieder, als ob das Bild mit der großen Werkstätte und dem regen Treiben sich vor seinem inneren Geist eben auszubreiten beginne, dann aber sagte er, jetzt herzhaft aufseufzend.“

„Und es geht doch nicht, Herr Weigel - ich habe die alte Mutter zu Hause, die ich unmöglich hier allein zurück lassen könnte.“

„Hierlassen? das fehlte auch noch,“ rief der Agent - „die nehmt Ihr mit, Mann - könnt Ihr der denn eine größere Freude machen, als wenn sie noch vor ihrem Ende sähe wie wohl es Euch geht auf der Welt, und wie sich Euer Zustand mit jeder Woche, mit jedem Tage fast bessert? - Muß sie hier nicht in Sorge und Kummer leben daß Ihr einmal krank werdet und Nichts verdienen könnt, und wie sieht’s dann aus?“

„Wenn ich aber nun dort drüben krank werde?“ sagte der Meister leise.

„Wenn das nur nicht gleich die ersten Monate geschieht und für ein Unglück kann Niemand“ - warf dagegen Herr Weigel ein, „so könnt Ihr Euch auch schon so viel gespart haben, das eine Weile mit ruhig anzusehn; und wenn Ihr nicht krank werdet, seid Ihr in ein paar Jahren ein wohlhabender Mann.“

„Es ist eine verwünschte Geschichte mit dem Amerika,“ seufzte der Mann wieder, sich hinter dem Ohr kratzend - „man hört so viel davon, und sieht eine solche Masse Menschen hinüberziehen, die alle voller Hoffnung sind daß es ihnen gut geht - und möchte am Ende ebenfalls gern mit - wenn man nur erst so einmal hinübergucken könnte wie es eigentlich aussieht.“

„Dazu ist es ein Bischen zu weit,“ meinte Herr Weigel.

„Ja nun eben,“ sagte der Tischler - „und so auf’s gerathewohl.“

„Das könnt Ihr aber nicht auf’s gerathewohl nennen, wo wir alle Tage Briefe von drüben herüber bekommen, von denen einer immer besser lautet als der andere. Da - hier liegt gleich einer, der letzte den ich bekommen habe, wo ein Deutscher, den ich selber hinüberbefördert, und dem es jetzt ausgezeichnet gut geht, an mich schreibt, und ein oder zwei gute gelernte Schaafknechte haben will; lesen Sie einmal den Brief.“

Leupold legte seine Mütze wieder hin, nahm den Brief und las ihn aufmerksam durch; er nickte dabei mehrmals mit dem Kopf, und sah dann wieder zu dem Agenten auf, der ihn indessen mit einem triumphirenden Lächeln betrachtet hatte.

„Nun?“ frug der Letztere, als Jener das Schreiben beendet und wieder zusammenfaltete - „wie klingt das?“

„Sehr gut“ sagte Leupold leise, „aber - es hilft mir doch Nichts. Wenn ich jetzt mein kleines Häuschen, das ich mir mit Mühe und Noth zusammengespart und aufgebaut, auch verkaufen wollte; fände ich erstlich keinen Käufer, und dann bekäm ich auch das nicht dafür wieder, was es mich selber gekostet; wie gesagt, der Sperling in der Hand ist doch wohl besser wie die Taube auf dem Dache.“

„Bah, Taube,“ sagte Herr Weigel mürrisch - „wenn die Taube auf dem Dach eben so fest und sicher sitzen bleibt bis man sie holen kann, wie Amerika ruhig liegt, und auf die wartet die hinüber kommen, so ist sie mir lieber wie ein erbärmlicher Sperling, zum Sterben zu viel, und zum Leben zu wenig; aber - überlegt’s Euch - ah da kommt der Briefträger - ‘was für mich?“

„Nun guten Morgen Herr Weigel,“ sagte der Tischler und wollte sich eben entfernen, während der Briefträger dem Agenten mehrere für ihn gekommene Briefe überreichte.

„Siebzehn Silbergroschen drei Pfennige“ sagte er dabei.

„ Siebzehn Silbergroschen?“ rief Herr Weigel verwundert - „aha da ist ein Amerikaner dabei - halt, wartet noch einmal einen Augenblick Leupold“ - da ist vielleicht gleich noch was für uns, und was ganz Neues - wollen gleich einmal sehn was die Leute schreiben. Wahrscheinlich wieder von Jemand den ich hinüber befördert habe, und der sich jetzt bedankt - das kostet aber viel Geld.“

„Apropos Neues,“ sagte Leupold, während der Agent den Briefträger bezahlt hatte und seine Papierscheere vom Tisch nahm, den Amerikanischen Brief aufzuschneiden - „haben Sie schon gehört daß gestern Nachmittag bei Herrn Dollinger eingebrochen und für sieben tausend Thaler Gold und Juwelen gestohlen sind?“

„Alle Wetter,“ rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt ausgehaltenen Scheere in der Hand - „gestern Nachmittag?“

„Am hellen Tage,“ bestätigte Leupold.

„Und weiß man nicht wer der Thäter ist?“

„Sie haben den einen Comptoirdiener in Verdacht und auch schon eingezogen,“ sagte der Tischler.

„Gewiß den Loßenwerder,“ rief Weigel.

„Ich glaube so heißt er - er ist ein wenig verwachsen.“

„Und schielt - derselbe, ich habe den Burschen von jeher nicht leiden können; hat mir auch schon ein paar Mal Kunden abspenstig gemacht, aus reinem Brodneid; ich wüßte wenigstens sonst nicht weshalb, und habe ihn dabei stark in Verdacht, daß er selber damit umgeht eine Agentur für Auswanderer zu errichten. Da könnte Jeder hergelaufen kommen, ohne Briefe, ohne Connexionen und ohne Kenntniß vom Land -

schickte nachher die Leute in’s Blaue hinein, daß sie dort säßen und nicht wüßten wo aus noch ein. Na nun, wird ihm das Handwerk wohl gelegt werden; ich gönne nicht gern einem Menschen etwas Uebles, aber bei dem freut mich’s daß sie’s wenigstens herausbekommen haben, und er seine Schurkerei nicht mehr heimlich forttreiben darf. Ist denn das Geld schon wieder gefunden?“

„So viel ich weiß nicht, einige hundert Thaler ausgenommen, von denen aber der Mann betheuert daß er sie sich gespart hätte; es ist übrigens Manches dabei zusammengekommen was ihn verdächtig macht; das Nähere weiß ich freilich nicht.“

„Hm, hm, hm,“ sagte Herr Weigel, kopfschüttelnd den Brief, den er noch immer in der Hand hielt, anschneidend - „böse Geschichten - böse Geschichten, was man nicht Alles hört auf der Welt. - Nun wollen wir also einmal sehen was der Herr da aus Amerika schreibt - hm - Washington County, Tennessee den siebenten Januar 18 - alle Wetter der Brief ist lange unterwegs gewesen - Herrn F. G. Weigel in Heilingen, Hauptagent der Central-Auswanderungs- und Colonisations-Gesellschaft in Deutschland - ahem - Sie nichtsw - hm - Sie haben - hm - vor allen Dingen - hm -

hm - hm - hm“ - Herrn Weigels Gesicht verlängerte sich immer mehr, je weiter er in seiner, wie es schien nicht eben angenehmen Lectüre vorrückte, aber er brach mit dem Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise höchst derber Art war, schon gleich nach den ersten Sylben ab, und murmelte, das Ganze nur flüchtig überfliegend, blos einzelne unzusammenhängende Worte, aus denen Leupold Nichts herausfinden konnte, vor sich hin.

„Nun, was schreiben sie?“ sagte dieser endlich lächelnd; er wäre schon lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurückgehalten hätte - „gute Neuigkeiten?“

„Bah!“ sagte Herr Weigel, den Brief zurück auf seinen Schreibtisch werfend - „Jemand der seine Geschwister will hinübergeschickt haben und mich ersucht das Geld für ihn auszulegen. Da müßt’ ich schöne Capitale herumstehn haben, wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie nachschicken. Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann suchen.“

„Ne, das ist ein Bischen viel verlangt,“ sagte der Meister, wieder nach der Klinke greifend - und dießmal hielt ihn Herr Weigel nicht zurück - „aber nun leben Sie auch recht wohl, und verlaßen Sie sich darauf ich besorge Ihnen das heute noch.“

„Sein Sie so gut,“ sagte der Agent - er war auf einmal ganz einsylbig geworden, und Meister Leupold verließ mit nochmaligem Gruß das Zimmer, in dem jetzt Herr Weigel mit in die Tasche geschobenen Händen, aber keineswegs mehr so guter Laune als vorher, raschen, heftigen Schrittes auf und ab ging.

„Und vierzehn Groschen bezahlt für den Wisch - es ist eine Frechheit wahrhaftig, die in’s Bodenlose geht. Lumpengesindel! glaubt die gebratenen Tauben sollen ihm da in’s Maul fliegen, so bald sie’s nur aufsperren.“ Und wieder riß er den Brief vom Pult, rückte sich die Brille zurecht, und las mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal, und zwar aufmerksamer durch als vorher.

„Sie nichtswürdiger Hallunke“ - wenn ich Dich nur hier hätte mein Bursche, dafür solltest Du mir brummen - „schändlich betrogen und angeführt“ - wozu hat Dir denn der liebe Gott die großen Glotzaugen gegeben, wenn Du sie nicht aufsperren willst - „Land eine Wüste“ - na versteht sich, ein Gewächshaus hab’ ich ihm nicht verkauft - „Hälfte gar nicht zu bekommen“ - Holzkopf - „kein Mensch wollte die Billete nehmen“ - bah, geschieht Dir recht - „Wohngebäude zu schlecht für einen Hund“ - für Dich noch immer viel zu gut, mein Schatz - „wenn Sie nur einmal herüber kämen, Sie miserabeler“ - bah“ - unterbrach sich Herr Weigel in dieser nichts weniger als schmeichelhaften Lectüre, indem er den Brief in zwei Hälften riß, und sich dann ein Streichhölzchen mit einem Gewaltstrich an der Thür entzündete „so viel für den Wisch!“ und das Papier anbrennend, warf er das auflodernde in den Ofen, und schloß die Klappe so heftig er konnte.

Allerdings wollte er sich nun über den Brief hinwegsetzen, aber geärgert hatte er sich doch, und Rock und Stiefeln anziehend drückte er sich seinen Hut in die Stirn, griff seinen Stock aus der Ecke, und verließ sein Bureau, das er sorgfältig hinter sich abschloß, und eine kleine Pappe mitten an die Thür hing, auf der die Worte standen.

„Kommt um elf Uhr wieder.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Amerika! - Ein Volksbuch - 1. Band