Im Glawk-Textil

Eines Tages führte mich Plawnik in seine Kanzlei, um mir den Kanzleigeschäftsgang zu zeigen. Von hier aus machten wir einen Rundgang durch das Glawkgebäude. Es ist ein ungeheures Haus, ein früheres Textilienlager. Es war das Haus eines der Textilkönige, eines der Baumwollkönige Russlands.

Wir gehen in die Verrechnungszentrale. Sie macht den Eindruck einer Bank. Über 2 Milliarden Rubel monatlich werden hier ausbezahlt oder verrechnet. Die meisten Zahlungen erfolgen per Scheck auf die Staatsbank. Eine Buchhalterin zeigt mir das Hauptbuch, die Scheckformulare, den Zahlungs- und Verrechnungsvorgang. Es ist alles normal, es geht alles am Schnürchen, fix und prompt. Ich glaube, der ,,bargeldlose Verkehr“ kreist hier schneller als in Deutschland. Die deutschen Banken, die deutschen Depositenkassen sind von einer Schecklangweiligkeit, daß einem der Essig hochkommt. Ein plumper Schematismus herrscht hier, eine dumme Formelängstlichkeit. Kein Mut, keine Telephongeistesgegenwart, sondern nur ein schmierseifiger Buchungsturnus. Die Beamten können nicht anders, sie sind angeseilt. So eine kapitalistische Bank ist ungefähr der dümmste Apparat, der überhaupt denkbar ist. Ein blöder technischer Ablauf, eine magnetische Gewalt, die die Geschäfte heranzieht und nicht sucht und ein Direktorium, das Unterschriften macht und Tantiemen bezieht. Dabei eine Wichtigtuerei, Automobilherumsauserei, Dickbauchschnoddrigkeit und Marmortreppen, Herrenschnauze und Klubsessel, dass es nach was aussieht.


Diese Gesellschaft ist in Russland wegnationalisiert. Es wird nicht mehr herrengeschnauzt, klubsesselgeflezt, nicht mehr wichtiggetan und Tantieme geschluckt. Man ist nicht mehr geschäftig und unproduktiv, man blufft nicht mehr auf Bankiertagungen mit Morallügen. Man muss arbeiten, man muss sich einfügen, man ist jetzt Rädchen und nicht demokratische Fanfare. Das ging sehr schnell. Es dauerte nur einen Tag und weg waren die Schnauzen. Einen größeren Volksschwindel, eine ekelhaftere Beschwindelung hat die Welt nie gesehen, als die Beschwindelung per Großbank. Per Depositengroßbank, per Saugerbank, per Schluckerbank, per Zinswucherbank. Deutschland kann erst atmen, wenn diese verstohlenen Portemonnaies geschlossen sind. Herrlich sind die leeren Bankgebäude Russlands, wundervoll ist der Staub auf den Spiegelscheiben der russischen Großbankgebäude. Es sind schon Schreckenskammern aus dem Mittelalter, Folterkammern zur Erinnerungsansicht. Ehe ihr nicht in Deutschland die Portemonnaieschnauze geschlossen habt, werdet ihr nicht glücklich sein. Ehe ihr nicht diesen schleichenden Betrug, diesen technisch verfeinerten Betrug, diesen Zirkulationsbetrug, diesen gesetzlich geschützten Betrug beseitigt habt, werdet ihr nicht glücklich sein.

Doch das nebenbei. Die Schwefelsäure kam mir auf. Ich musste aufstoßen, es ging nicht anders.

Auch in Russland, in Sowjetrussland gibt es noch viele Blödigkeiten, Dummheiten und Schiefheiten, aber Großbanken gibt es nicht mehr. Denkt euch ein Land ohne Großbanken, ohne Privatgroßbanken, ohne Schnauzen, ohne den leisen Betrug, ohne die pestende Papierraschelei mit Zinsschwindel, ohne die kartothekisierte Wichtigtuerei mit Provisionsschwindel. Wenn nichts herrlich ist, das ist herrlich.

Noch einmal musste ich es sagen. Wieder kam mir der Essig auf, wieder ging die Schwefelsäure hoch.

Plawnik führte mich durch alle Bureaus. Durch das Rohstoffverteilungsbureau, durch die statistische Abteilung, in der einer der bekanntesten Statistiker Russlands sitzt (Gott strafe die Statistiker). Durch die Präsidialbureaus, das Großpräsidialbureau und das Kleinpräsidialbuream Durch die Textilausstellung, die im Glawkgebäude untergebracht und sehr reichhaltig ist. Er führte mich an die Tür der Fachschule. Die besten Textillehrkräfte Russlands dozieren hier vor Textilarbeitern, vor Leitungsaspiranten, Männern und Frauen. Ganz Russland soll mit Technik, mit technischen Kenntnissen durchsetzt werden. Überall sind technische Schulen. Der Oberste Volkswirtschaftsrat hat eine technisch-wissenschaftliche Abteilung. Eine Zentralabteilung, die in das Land ausstrahlt mit Erfindungsausstellungen in Moskau, mit Ausstellungen der Produktionsmöglichkeiten Russlands und mit vielen Instituten in Moskau und im Lande. Es ist erst ein Anfang wie fast alles in Sowjetrussland, aber es ist doch ein Anfang. Ich sah dort russische Erden, russische Säuren, Mineralien, Fabrikate, Ersatzstoffe. Alles erst ein Anfang, aber einmal muss man anfangen.

Dann führte mich Plawnik durch die Gewerkschaftsbureaus. Ich hatte eine Besprechung mit den Führern der Textilgewerkschaft. Man erklärte mir die Tarifpolitik, besonders die Prämienlohnpolitik. Es gibt eine langgestreckte Prämienstaffel. Die Tüchtigkeiten werden sozusagen taylorisiert.

In einer agronomischen Abteilung der Textilgewerkschaft wird die Bearbeitung des Fabrikackers geregelt.

In der Prochörow-Fabrik sah ich und hörte ich eine agronomische Versammlung. Ein Fachmann hielt dort Frauen und Männern kurz vor dem Landgang Vortrag über Kartoffelbau. Die Leute hatten die Geräte schon in der Hand. In einem großen Schuppen lag Saatgut. Es sollte gleich losgehen, vorher aber sollte noch Belehrung gegeben werden.

Plawnik führte mich weiter in die Redaktion der Gewerkschaftszeitschrift, des ,,Textilarbeiters“ , von da in eine Sonderabteilung für Arbeiterbekleidung. Die Kleider werden Arbeitern gegeben, die eine kleidungszerschleißende Beschäftigung haben.

Es ist Ordnung hier, Zirkelei, Abgegrenztheit, Ordnungswille, Regelungswille. Das ist nicht zu bestreiten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moskau 1920 - Tagebuchblätter