Im Deutschen Rat

Es gibt in Moskau einen Ungarischen Rat, einen Österreichischen Rat, einen Deutschen Rat usw. Sie erledigen hauptsächlich die Kriegsgefangenenangelegenheiten, die Heimkehrerangelegenheiten.

Der Deutsche Rat hat ein sauberes Bureauhaus und ein sauberes Wohnhaus. Depeschen, Statistiken, Bilder hängen im Treppengang des Bureauhauses. Oben ist ein großer Saal, in dem Schreibmaschinistinnen arbeiten, daneben ein breites Leitungszimmer.


Hier wird den ganzen Tag geschuftet. Es ist viel zu tun. Fortwährend ziehen jetzt die Heimkehrer durch Moskau, sammeln sich im Deutschen Rat, werden dort registriert, verpflegt, im Lazarett des Deutschen Rates behandelt.

Es ist sehr sauber im Deutschen Rat. Das Essen ist gut. Ich habe dort viermal gegessen. Mit Wonne denke ich an ein Linsengericht, ein dickes Linsengericht, ein herrliches Linsengericht, und mit gleicher Wonne an Stampfkartoffeln mit brauner Sauce und Bratfleisch.

Mit Dankbarkeit denke ich an das Automobil des Deutschen Rates, das mich durch die Stadt raste, wenn meine Ischiasstelzen nicht mehr wollten. Es ist ein promptes Automobil, ein pünktliches Automobil, ein deutsches Automobil.

Das muss man dem Deutschen Rat in Moskau lassen: Ordnung hat er im Bau. Es kommt nichts weg, es wird nichts geklaut, aus den Bureauräumen nicht und nicht aus dem Wohnhause. Die Arbeitszeiten werden innegehalten und Arbeitsbeispiele werden gegeben. Die russischen Arbeiter können Beispiele gebrauchen. Im vorigen Winter gab der Deutsche Rat den Russen ein Holzhackebeispiel, von dem noch jetzt gesungen wird. In fernen Tagen wird man dieses Holzhackebeispiel, dieses Baumfällebeispiel noch besingen. Hier können die Russen lernen, wie man Geräte spart, wie man Werkzeug spart, wie man rationell arbeitet. Deutsche Arbeit ist deutsche Arbeit. Ich sage das nicht nationalistisch. Die Russen sagen es selbst. Die russische Arbeit muss sozusagen germanisiert werden. Sie braucht das dringend. Die Wirtschaftsführer in Russland wissen das genau. Sie loben die deutsche Arbeit, sie sehnen sich nach der deutschen Arbeit. Deutsche Arbeit ist, geldwirtschaftlich gesprochen, Gold für Russland.

Man gab mir außer den herrlichen Linsen, den Stampfkartoffeln, der braunen Sauce und dem Bratfleisch eines Abends Pfirsiche, eingemachte Pfirsiche aus dem fernen Stechsonnenosten. Es war ein unvergessbarer Augenblick. Besten Dank für die Pfirsiche. Ich werde sie nie vergessen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moskau 1920 - Tagebuchblätter