Dwa Nulla

Dwa Nulla ist russisch. Es heißt zwei Nullen, zweimal null, doppelnull.

Jetzt brauchte ich nur noch zu sagen: Moskauer Brot. Mehr brauchte ich nicht zu sagen: Moskauer Brot und dann Dwa Nulla. Oder den Tag dreimal Moskauer Brot und sechsmal Dwa Nulla. Oder den Tag dreimal Moskauer Brot und zwölfmal Dwa Nulla.


In unserem Hause wohnten zwölf bis sechzehn Menschen. Das machte mindestens 72 Dwa Nulla. An heißen Tagen mindestens 144 Dwa Nulla.

Es gab zwei Türen mit Dwa Nulla in unserem Hause. Man berechne danach.

Zwei weiße Türen, hinter denen zwei weiße Baderäume liegen mit zwei weißen . . .

Aber die Rechnung stimmt noch nicht, denn in unserem Hause wohnte ein Tatar.

Ein langes Reck, ein Riesenstreichholz, ein Mastbaum. Er hatte eine Lammfellmütze auf dem Kopf und erwartete die Proklamierung der tatarischen Republik.

Wo erwartete er die Proklamierung der tatarischen Republik? Von morgens um 9 Uhr bis morgens um 9 Uhr war er auf dem Wege nach Dwa Nulla und auf dem Wege von Dwa Nulla nach seinem Bau.

Bei ihm war es nicht das Moskauer Brot, bei ihm war es die Freiheitserwartung, die Proklamationserwartung. Er wollte sich von dem alten Regime säubern, er wollte das alte Regime wegspülen: In Dwa Nulla mit dem alten Regime! Die Republik sollte keinen Speichel des alten Regimes mehr bei ihm finden.

Von morgens 9 Uhr bis abends 9 Uhr wandelte dieser Mastbaum aus dem Osten. Mit asiatischer Ruhe wandelte er. Gar nicht eilig, wie wir in solchen Fällen wandeln, sondern asiatisch gleichmäßig, in einem von oben nach unten schwarzweiß gestreiften Anzug und in langen Stiefeln.

Unser Delegationshäuptling verdarb ihm die Rechnung. Er rächte die Genossen , die Damen und Herren. Denn schon war eine Dwa-Nulla-Katastrophe ausgebrochen. Die Stimmung drohte bei den Journalisten umzuschlagen, gegen Moskau. Das musste verhindert werden.

Unser Delegationshäuptling also legte sich in die Badewanne, an einem Heißwassertag.

Der Tatar kam mit asiatischen Schritten. Er klopfte, er rüttelte, er stieß, er sprach sogar. Nie zuvor hatte er gesprochen, jetzt sprach er sogar.

Er ratterte, er stampfte mit den asiatischen Gleichmäßigkeitsstelzen. Noch war allzuviel altes Regime in ihm.

Aber der Delegationshäuptling badete. Er badete eine halbe Stunde, drei Viertelstunden, eine ganze Stunde.

Die tatarische Gleichmäßigkeit wurde Ungleichmäßigkeit, höchst untatarische Ungleichmäßigkeit. Sie wurde ein unsymmetrisches Geschmetter, ein Pauken ohne Intervallempfindung. Es war eben noch das alte Regime.

Aber die Stimmung für Moskau war gerettet. Der Tatar war wütend, er schloss sich noch mehr ab, er verhärtete sich sozusagen. Er pendelte nicht mehr von 9 bis 9 zwischen seinem Bau und Dwa Nulla. Ich bin sicher: als die Republik Tatarien proklamiert wurde, war noch nicht alles weggespült. Es war noch altes Regime in ihm, verhärtet und daher doppelt gefährlich.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moskau 1920 - Tagebuchblätter