Die Dritte Internationale

Sie hat ihr Bureau im Gebäude der früheren Deutschen Botschaft. Déneshnyi 5. In einer Nebenstraße. Nicht weit davon, schräg gegenüber wohnt der Vorsitzende der Außerordentlichen Kommission.

Ein Tag nach meiner Ankunft in Moskau hatte ich ein Gespräch mit Radek in dem Arbeitszimmer des ermordeten Grafen Mirbach. Radek machte mich darauf aufmerksam.


Es ist ein schönes Gebäude. Mit einem luftigen, gobelinbehangenen Vestibül. Salon und Empfangszimmer der Botschaft sehen noch so aus wie zur Zeit Mirbachs. Wenigstens sagte man mir das. Man zeigte mir die Stelle, an der die Kugel Mirbach traf und den Weg, auf dem er bis zum Zusammenbrechen wankte. Man denkt nur sehr ungern an diesen Schrecken. Die Bolschewik! wollten mit Mirbach weiterarbeiten, sie bedauerten zähneknirschend die Ermordung. So sagte man mir in Moskau. Man schilderte mir den Ermordungshergang, das Automobil der Mörder, die Flucht der Mörder. Es war eine freche und nichtsnutzende Tat.

In einem Parterrezimmer, nicht weit vom Arbeitszimmer Radeks, sitzt Klinger, der Sekretär der Dritten Internationale. Vertreter der Wolga-Deutschen. Ein schmaler, bärtiger Mann mit vielen Nerven. Nicht robust und oft unter der Last gebeugt. Hier ist ein eigentümliches Gewimmel. Alle Rassen treffen sich hier, alle Moskau-Sehnsüchtigen. Aus Asien, Europa, Amerika kommen sie. Es ist hier ein Sprachgezwitscher, eine Heroenlandkarte. Die Geschichte der Dritten Internationale in Moskau ist vielleicht die interessanteste Geschichte auf Erden. Es ist eine großpolitische Geschichte, eine Opferungsgeschichte, eine Fernwirkungsgeschichte beinahe wie die Geschichte des Papsttums.

Ich weiß nicht, ob die Organisation dieser Weltumspannung klappt. Nur wenige Menschen arbeiten in dem Bureau. Es ist still dort, aber rote Fanfaren brausen von hier. Es ist sozusagen, gebäudlich genommen, ein kleiner Vatikan. Vielleicht ist jedoch der Einfluss nicht geringer als der Vatikaneinfluss auf die Welt. Es ist kein gemachter Einfluss, es ist nur eine Organisationszentrale, eine zentralisierte Organisation des schon Vorhandenen, des Sichentwickelnden. Revolutionen sind, wie Religionen, keine Gewaltsachen, keine Sachen des Hineintragens, sondern Entstehungssachen.

Hinter dem Gebäude liegt ein kleiner Park. Er ist vernachlässigt. Die Gräser stehen hoch und ungleich, der Springbrunnen arbeitet nicht mehr. Seine Figur ist verwittert. Während die Dritte Internationale baut, bröckelt der Park.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moskau 1920 - Tagebuchblätter