Der Rubel

Einst hatte der Rubel Geltung in der Welt. 2,16 M. galt er in der Welt. Es war eine große Mogelei dabei, eine Wittesche und Kokowzowsche Goldwährungsmogelei. Denn Russland hat niemals eine Goldwährung besessen, sondern nur eine Goldzentralisation, zur Anlockung der Auslandsgläubiger. Im Lande war von der Goldwährung nicht viel zu merken. Dort flatterte der Papierrubel, das Rubelchen, das knechtende, prostituierende, bestechende Rubelchen. Gift flatterte das Rubelchen in russische Beamtenseelen, und auch heute sind noch keineswegs sämtliche Russenseelen rubelentgiftet.

Schon im Frieden gab es in Russland eine Rubelfarbenpsychologie, eine lokale Agiotage nach dem Rubelalter, der Rubelfärbung, der Rubelgröße. Auch die Räterepublik Sowjetrussland muss mit dieser Psychologie rechnen. Romanowrubel, Zarenrubel sind erheblich kaufkräftiger als Bolschewistenrubel. Im Mai 1920 zahlte der Spekulant für 1000 Romanowrubel 20 — 22.000 Bolschewistenrubel. Der Spekulant, der Staat tauscht al pari.


Das russische Geld, das bolschewistische Geld ist kein Geld im europäischen Sinne. Es ist nur Abflussgeld und kein Rückflussgeld. Es gibt keine Institution in Russland, die Bolschewistengeld einlöst, wie etwa die Bank von England Sterlingnoten einlöst. Allerdings ist die Einlösungspflicht in vielen Ländern Europas heute auch nichts anderes als ein Bolschewistenrubel. Es wird nicht eingelöst. Die Deutsche Reichsbank beispielsweise kann nicht einlösen. Sie kann Noten gegen Noten tauschen, oder Noten gegen Darlehnskassenscheine. Das aber ist keine Einlösung. Es ist vielleicht eine Lösung (weiterhin gesehen), aber keine Einlösung. Vorläufig ist es ein Schwindel, den man nicht eingesteht. Der Bolschewistenrubel ist dagegen ein Schwindeleingeständnis. Das ist der Unterschied. Der Bolschewistenrubel ist wirklich ein aufgelegter Schwindel, die europäische Banknote ist ein verschleierter Schwindel. Hier ist das Problem. Man muss aufgelegt schwindeln, unverschleiert muss man schwindeln, wenn man die Geldwirtschaft zu Tode schwindeln will. Dann allerdings kann man gar nicht genug schwindeln. Die Sowjetrepublik hat bis heute erst 600 bis 700 Milliarden Rubel ins Land hineingeschwindelt. Sie kann nicht drucken, wie viel sie drucken möchte. Nur einige Milliarden pro Tag. Das ist noch viel zu wenig, wenn man die Geldwirtschaft zu Tode schwindeln will. Aber man muss sie zu Tode schwindeln, da man sie nicht mit einem Ruck entwurzeln oder mit einem Hieb enthaupten kann. Sie will es so, die Menschen wollen es so. Sie wollen keine Enthauptung, sondern eine Beschwindelung, und sie merken nicht, daß sie sich selbst betrügen. Das ist ein interessantes, ein reizendes Kapitel, ein Leckerbissen für den Finanzkritiker. Je grandioser der Schwindel, desto leckerer ist der Bissen für den Finanzkritiker.

Die Räterepublik hat jetzt Revolutionsscheine herausgegeben, Propagandascheine. In allen Machtsprachen, in allen Weltgebietssprachen heißt es darauf: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! Die Scheine sind kleiner als die alten Bolschewistenscheine. Ich sah davon Fünfhundertrubelscheine und Tausendrubelscheine. Der Sammelruf des kommunistischen Manifestes, der Marx-Engelsruf, steht oben in deutscher Sprache und führt sich dann in französischer Sprache, in englischer Sprache, in türkischer Sprache, in russischer Sprache usw. um und durch den Schein.

Dieser Propagandaschein, dieser Tendenzrubelschein wird niedriger bewertet als der alte Sowjetschein, der rote Schein. 10.000 rote Sowjetscheine gelten in Moskau oder galten zu meiner Zeit 11.000 Manifestscheine. Es gibt auch rote alte Zehntausender, die man jedoch nur selten antrifft.

Man druckt kleine Scheine, beinahe Briefmarkenscheine von grüner, gelber, brauner Farbe. Auch sie sind teilweise Manifestscheine, aber der Sammelruf tönt von ihnen nur in russischer Sprache. Es gibt noch Kerenskischeine, deren Kaufkraft zwischen den Romanowscheinen und den Bolschewistenscheinen liegt. Scheine, Scheine, Scheine. Rubelscheinhaufen, zerknitterte Scheine, geflickte Scheine, verlorene Scheine. Der kleine Markenschein wird kaum beachtet. Er gilt fast gar nichts. Mit Perforierbogen aus kleinen Scheinen wird bezahlt. Der einzelne kleine Schein ist kaum noch Papier, er ist Dreck. Er ist sozusagen eine Karikatur, ein Geldwitz, eine Bescherzung der kapitalistischen Geldwirtschaft. Wäre er größer, so könnte man sonst was mit ihm unternehmen. Er ist ein Dreck.

Man rechnet in Moskau nicht mehr nach Rubeln, sondern nach Brot. Man sagt zwar, man fragt zwar: Wieviel Brot erhalte ich für wieviel Rubel, oder wieviel Rubel bezahle ich für wieviel Brot? Aber der Ton liegt nicht auf Rubel, sondern auf Brot. Brot ist das Maß, Brot ist die Währung, nicht Papier. Das ist ein tiefer Sinn, das ist ein sozialistischer Sinn. Es ist schon ein Erfolg des systematischen Riesenschwindels, des grandiosen Geldabschubs, der gehetzten Massenfabrikation.

Der Rubel ist demnach eine Farben- und Größenpsychologie, eine Bewertungsstaffelung nach Farbe und Größe. Ein Rubel ist es nicht mehr, Geld ist es nicht mehr. Es ist Geldkatastrophe, rasende Schöpfung zusätzlicher Kaufkraft. Würde das Volk (sozialistisch gesprochen) nicht stehlen, so wäre der ganze Schwindel überflüssig. Aber es muss beschwindelt werden, weil es stiehlt. Das ist das Wesen dieser Papierbedruckung.

Im Auslande gilt der Bolschewistenrubel nichts. Das ist auch nicht notwendig. Denn der russische Außenhandel wird anders finanziert. Mit Gold, Auslandsnoten, Konzessionen und Produkten. Die Lieferanten brauchen sich nicht zu sorgen. Die Räterepublik zahlt prompt und mit echtem Gelde oder echtem Geldeswerte. Nach außen schwindelt sie nicht. Sie hat es nicht nötig. Sie hat genügend Zahlungsmittel. Sie hat eine unterwertige Währung (wenn man von Währung sprechen will) im Innern, aber nach außen hat sie eine hochwertige Währung, eine höchstwertige Währung. Kein Land der Welt hat eine höherwertige Währung, auch Amerika nicht.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moskau 1920 - Tagebuchblätter