Der Mehltransport

An der Kitaimauer vorbei fahren 18 Lastwagen. 18 Lastwagen mit Mehl in Säcken. Mit je 15 Säcken Mehl zu je 2 Zentnern. Das macht 18 mal 30 Zentner oder 540 Zentner Mehl.

Die Kutscher dösen auf den Böcken. Kein Soldat begleitet den Transport. Langsam gehen die Pferde. Es ist heiß. Ein Galopp, ein Trab in dieser Hitze ist ungemütlich.


540 Zentner weißes Mehl, Getreidemehl, kein Kartoffelmehl. 540 Zentner weißes Mehl werden langsam durch Moskau gefahren.

Es gibt kein Qualitätsbrot in Moskau, wenigstens kein rationiertes Qualitätsbrot. Es gibt kleiiges Brot, klobig, ins Rötliche spielend. Der Magen sehnt sich nach Weißbrot, nach frischem Weißbrot, nach krumigem Weißbrot mit hellgelber Butter.

Es gibt auch Hungrige in Moskau, für die weißes Mehl beinahe eine Lebensrettung ist.

Aber kein Mensch kümmert sich um den Mehltransport. Keiner stört ihn, keiner stiert ihn gierig an. Die Wagen fahren ganz unbehelligt, völlig ungestört an der Kitaimauer vorüber, über den breiten Platz an der Kremlstadt. Keiner denkt daran, die Wagen zu stürmen, von den Wagen zu stehlen, einen Sack aufzuschlitzen, während der Kutscher schläft.

Völlig unbehelligt fahren die 18 Mehlwagen durch die Straße, über den Platz.

Es wird auch noch gestohlen in Moskau, geräubert wird auch noch in Moskau. So schnell flieht der Diebstahl nicht, so schnell werden die Seelen nicht entwöhnt.

Aber der Mehltransport, 18 Wagen mit je 30 Zentnern weißem Mehl, 540 Zentner insgesamt, eine Magenfreude, eine Belebung, fast eine Lebensrettung, fährt ungestört durch Moskau.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moskau 1920 - Tagebuchblätter