Modernes und Merkwürdiges in der Vergangenheit - Rechtspflege
Aus: Kultur-Kuriosa. Band 1.
Autor: Kemmerich, Max Dr. (1876-1932) Philosoph, Kunsthistoriker, Privatgelehrter, Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1910
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Eine Schadenersatzpflicht des Tierhalters, wie sie gegenwärtig die öffentliche Meinung beschäftigt und wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch ausgesprochen ist, kennt bereits Hammurabi. Die §§ 250 und 251 lauten: „Wenn ein Ochse beim Gehen auf der Straße (Markt) jemand stößt und tötet, so soll diese Rechtsfrage keinen Anspruch bieten. Wenn der stößige Ochse jemandes ihm seinen Fehler, dass er stößig ist, gezeigt hat, er seine Homer nicht umwunden, den Ochsen nicht gehemmt hat, und dieser Ochse stößt einen Freigeborenen und tötet ihn, so soll er 1/2 Mine Silber zahlen.“ Also nur bei grober Fahrlässigkeit des Tierhalters ist er verpflichtet, für den entstandenen Schaden aufzukommen. 1)
Das gilt auch dem Arzt gegenüber, wie aus §218 hervorgeht: „Wenn ein Arzt jemand eine schwere Wunde mit dem Operationsmesser aus Bronze macht und ihn tötet, oder jemand eine Geschwulst mit dem Operationsmesser aus Bronze öffnet und sein Auge zerstört, so soll man ihm die Hände abhauen.“ Dagegen ist aber auch das ärztliche Honorar festgesetzt: „Wenn ein Arzt jemandem eine schwere Wunde mit dem Operationsmesser aus Bronze macht und ihn heilt, oder wenn er jemand eine Geschwulst mit dem Operationsmesser aus Bronze öffnet und das Auge des Mannes erhält, so soll er 10 Sekel Silber erhalten“, heißt es im § 215. Immerhin war es unter diesen Umständen nicht immer angenehm, Operateur zu sein. 2)
Nach altdeutschem Rechte musste der Richter mit einem Stabe in der Hand auf seinem Sitze so bis zum Sonnenuntergang oder Abbruch des Dinges — unter Umständen in Wind und Wetter, Sonnenbrand oder Schneesturm — sitzen bleiben, wie er sich bei Beginn des Dings niedergelassen hatte, „Bein mit Bein“ deckend. Die Soester Rechtsordnung schreibt darüber: „Es soll der Richter auf seinem Richterstuhl sitzen als ein grisgrimmender Löwe, den rechten Fuß über den linken schlagen, und warm er aus der Sache nicht recht könne urteilen, soll er dieselbe ein-, zwei-, dreimal überlegen“*). Sein Aufstehen oder Niederlegen des Stabes hob die Rechtskraft der Sitzung auf 3).
Das vom Richter gefällte Todesurteil musste noch bei scheinender Sonne vollstreckt werden. Während der Verurteilte hingerichtet wurde, saßen Richter und Schöffen in nächster Nähe, um sich bei Speise und Trank von den Anstrengungen der Sitzung zu erholen 4).
*) So, nicht hundertdreiundzwanzigmal muss es heißen, wie Herr Rechtsanwalt Eichhold (München) mir mitzuteilen die Freundlichkeit hatte. Grimm, Rechtsaltertümer, korrigiert in der 4. Aufl., II. Bd., S. 375 selbst diesen Fehler der 1. Aufl. Vgl. auch A. v. Stölzel. Rechtslehre und Rechtsprechung, Berlin 1899. S. 6.
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Der Übermut der „heiligen Feme“ ging so weit, dass auf die Klage des Freischöffen Meister Steinmetz im Jahre 1495 durch Femspruch alle über 18 Jahre alten Mannspersonen des Hochgerichtes Waltersburg in Graubünden geächtet und der Rache des Gegners preisgegeben wurden. Im Jahre 1471 hatte es dieses westfälische Sondergericht sogar gewagt, den Kaiser zur Verantwortung zu ziehen 5).
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Die Folter drang in die deutsche Rechtspflege ein als Folge der kirchlichen Inquisition. Nach alt* germanischem Rechte hatte der Beklagte sich durch Eid und Eideshelfer befreien können, in seltenen Fällen durch Gottesurteil oder Zweikampf. Hier wird man also kaum behaupten können, die Kirche habe eine Milderung der Sitten herbeigeführt*).
Wie es noch im 17. Jahrhundert bei der Folterung zuging, lehrt ein Bericht über das Verfahren unter Bischof Julius Heinrich von Halberstadt-Braunschweig: „Sie (die in der Folterkammer anwesenden Glieder des peinlichen Gerichts) trunken einander fleißig zu, dass sie auch so toll und voll wurden, dass sie einesteils eingeschlafen . . . Etwan in die dritte Woche kamen sie wieder, und als sie nun in solcher Trunkenheit ihr gefasstes Mütlein ziemlichermaßen ausgeschüttet, sein sie für diesmal davongegangen . . . Zum dritten Male bin ich abermal in die peinliche Kammer gebracht usw. und Hans Saub war so trunken und voll, dass er beim Tisch einschlief, und wenn er hörte, dass ich etwas härter sprach, so wachte er auf und weisete mit den Fingern, sagend: Meister Peter, hinan, hinan mit dem Schelm und Stadtverräter, und wenn er solches gesagt, schlief er wieder ein vor Trunkenheit. Ingleichen soffen die andern tapfer auch herum Wein und Bier, und wurden aus Trunkenheit und sonsten so verbittert, dass nicht zu sagen“ 7).
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Im Mittelalter gehörte jeder zehnte der zum Tode Verurteilten dem Henker, der ihn — natürlich gegen entsprechende Entschädigung — frei lassen konnte. Der Kaiser bzw. römische König hatte nicht nur das Recht, jeden zu begnadigen, es genügte bereits, wenn der Missetäter vor Zeugen den fürstlichen Gewandsaum berührte und küsste. Die aus der Stadt Verbannten konnten, wenn es ihnen gelang, den Zügel des Königspferdes zu erfassen, mit dem Herrscher sicher und freien Fußes in die Stadt zurückkehren. Trotzdem hatte der Henker bisweilen alle Hände voll zu tun. So erzählt Felix Platter in seiner Selbstbiographie (S. 327) der von Basel habe im Bauernkriege über 500 köpfen müssen.
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Als eine vom Richter zu erbittende Gnade galt auch sein Verbot an den Scharfrichter, vor oder nach der Hinrichtung den Körper des Delinquenten zu berühren und damit die Schande der Familie nicht zu vergrößern.
Analog dem Seidenfaden, der nach altdeutschem Recht die Gerichtsstätte umzog, eine festere Schranke bildend als stehende Barrieren, wurden auch einzelne Gefangene auf diese Weise gebannt. So wurde vom Baseler Schultheiß ein bischöflicher Dienstmann im 13. Jahrhundert im roten St. Ulrichturm eingesperrt, indem er den Eingang des Gefängnisses mit einem Seidenfaden umspannte, dessen beide Enden mit Wachs versiegelt waren.
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Vor der Hinrichtung trat der Scharfrichter vor den armen Sünder, ihn um Verzeihung bittend für das Leid, das er ihm im Namen der Gerechtigkeit zufügen müsse. Die Carolina Karls V. bestimmt im
98. Artikel, dass der Scharfrichter nach vollzogenem Hauptschlage mit dem blutrauchenden Schwerte vom Schafott herab die Vertreter der Justiz zu begrüßen und zu fragen habe: „Habe ich recht gerichtet?“, worauf der Richter urteilte: „Du hast gerichtet, wie Urteil und Recht gegeben, und wie der arme Sünder es verschuldet hat.“ Darauf schloss der Scharfrichter mit dem Lobspruch: „Dafür danke ich Gott und meinem Meister, der mir diese Kunst gelehrt.“ Machte er einen „Kunstfehler“, dann konnte es ihn allerdings den Kragen kosten, denn das Volk verstand darin keinen Spaß 8).
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Der Gehenkte musste, eine nicht gerade hygienische Verordnung, über der Erde verwesen. Als zwei Brüder zu Freiburg in der Schweiz im 16. Jahrhundert es wagten, die Leiche des dritten Bruders in der Nacht vom Galgen zu nehmen, um sie zu bestatten, wurden sie vom Richterkollegium mit Ausstechen der Augen bestraft 9).
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Bei Tierplagen, hervorgerufen durch Maikäfer, Heuschrecken, Engerlinge usw. wurde mit Erlaubnis der Bischöfe ein Prozess nach kanonischem Recht eingeleitet. Von der Kirchenkanzel herunter verkündete der Priester unter dem Läuten der Glocken den Klageakt, das sündige Ungeziefer vor das geistliche Gericht ladend. Ein Advocatus diaboli wurde für die Tiere bestellt, hier ein Maikäferanwalt, dort ein Rattenfürsprecher. Klage und Gegenklage wurde vernommen und damit lange Seiten der noch erhaltenen Prozessakten gefüllt. Ein Verteidigungstermin wurde gestellt, ja nach dem Zeugnis des Züricher Chorherren Felix Hämmerlin ließ man in einem Maikäferprozess der Diözese Chur „in Anbetracht ihres jugendlichen Alters und ihrer Kleinheit“ die Vorladung dreimal ergehen. Endlich erfolgte das Kontumazialverfahren mit schwerem Bannfluch, den sich die Stadtbehörden jeweils aus den bischöflichen Kanzleien verschrieben.
Noch 1796 wurde in Schwaben ein Stier zur Abwehr gegen die Tierseuche lebendig begraben 10).
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Im Weistum von Wilzhut, zwischen Braunau und Salzburg, wird (um 1400) bestimmt, dass im Falle ein Bauer um Geld gestraft wurde, ohne dass er es zahlenkonnte, seine Frau geschändet werden sollte. Die Weisheit des Gesetzgebers hat aber sogar den Fall vorausgesehen, dass dem Gerichtspfleger die Frau nicht gefällt. Da aber ja nicht dieser, sondern der Bauer bestraft werden soll, so hat eintretenden Falles der Gerichtspfleger das Recht, dem Gerichtsschreiber die Exekution zu übertragen. Kann aber auch er den Reizen der Bäuerin keinen Geschmack abgewinnen, dann kann er dem Amtsdiener den Vollzug „auferladen“. Auf dessen Neigungen erstreckt sich die Fürsorge des Gesetzgebers nicht mehr 11).
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Felix Platter erzählt in seiner Selbstbiographie (S. 269), er habe im Jahre 1556 selbst gesehen, wie die Leichenteile einer anatomierten Kindsmörderin in Südfrankreich am Galgen gehenkt wurden.
Das preußische Justizkollegium erließ im Jahre 1709 eine Verordnung, laut welcher Galgen erbaut werden mussten, um diejenigen im Sarge daran zu hängen, die während der Pest gestorben seien, ohne Arznei eingenommen zu haben. Augenscheinlich gönnte man dem Volke nicht, zu beweisen, dass es auch ohne die Arzte ginge. Il est mort dans les règles sagt Molière so schön.
Noch im Jahre 1711 wurde in Preußen für Deserteure als Strafe bestimmt, dass ihnen die Nase und ein Ohr abgeschnitten werden sollte, ferner wurden sie an die Karre geschmiedet und mussten lebenslänglich auf Festung arbeiten. Friedrich Wilhelm I. bestätigte diese Strafen, ja er bestimmte, dass überführte Helfer von Deserteuren sogleich, ohne des Königs Genehmigung einzuholen, aufgeknüpft werden sollten 12).
Die Jesuiten waren, was außerordentlich viel sagen will, die Verworfensten der ganzen Geistlichkeit in moralischer Hinsicht. Was sie sich herausnehmen durften, lehrt die berühmte Skandalgeschichte des Jesuiten Girard. Dieser hatte als Rektor des Seminars und Schiffprediger in Toulon auch eine heimliche Bußanstalt für Frauen eingerichtet, in welche die schöne und fromme Katharina Cadière, Tochter eines reichen Kaufmanns, 1728 eintrat. Es gelang Girard, durch Anwendung der raffiniertesten sexuellen Mystik das unschuldige Mädchen zu verführen, und durch alle möglichen unzüchtigen Mittel brachte er es so weit, dass die Arme in schwere Hysterie verfiel. In diesem Zustande schwängerte er sie, wusste aber sofort nach jesuitischer Moral durch ein wirksames Abtreibungsmittel die Folgen zu verhindern. Im gegen ihn angestrengten Prozess wurde er freigesprochen!! 18)
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Im bayerischen Gesetzbuch, das Kreittmayr 1751 herausgab, ist die Tortur noch aufrecht erhalten. Sie soll zwar nicht mehr als dreimal wiederholt werden, aber bei Widerruf greift sie stets und so oft wieder Platz, als der Widerruf geschieht. Auch wird die gleich anfänglich zu zwei oder drei Malen eingeteilte oder wegen bezeigter Unempfindlichkeit repetierte Tortur nur für einmal gerechnet! Ergeben sich bei der Wiederholung neue Indizien, dann können die folgenden Grade noch verschärft werden. Auch Zeugen dürfen gefoltert werden. Und zwar waren Daumschrauben, Aufziehen, Spitzruten, Bock- und Leibgürtel, die 48 Stunden umgelegt blieben, gesetzliche Foltermittel! Dass man nicht allzu sanft — nach dem Vorbilde des Hexenhammers und den in der alleinseligmachenden Kirche geübten Praktiken — verfuhr, geht aus Kreittmayrs Bemerkung hervor, dass die Tortur dem Tode oder wenigstens dem Handabhauen gleich geschätzt werde! 14)
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Als erster deutscher Fürst schaffte der Freidenker Friedrich der Große von Preußen kurz nach seiner Thronbesteigung unterm 3. Juni 1740 die Tortur ab, allerdings 112 Jahre später, als dies in England geschehen war. Die Juristen leisteten dagegen — wie nicht anders zu erwarten — den heftigsten Widerstand und erhoben die lärmendsten Vorstellungen. Sie meinten, alle Diebesbanden von ganz Deutschland würden sich nun nach Preußen wenden. Da Friedrich aber kein Jurist, sondern ein genialer Mann mit gesundem Menschenverstand war, zudem frei von jeder kirchlichen Beeinflussung, so blieb es dabei 15).
Die völlige Aufhebung der Tortur in Bayern erfolgte erst 1806 16). in Hannover erst 1840 17). Der letzte vom preußischen Staat angezündete Scheiterhaufen brannte am 15. August 1786 18). In Eisenach wurde vor den Augen der zwangsweise herbeigeführten Schuldjugend am 20. Juli 1804 ein vierfacher Brandleger aus Hötzelsroda bei lebendigem Leibe eingeäschert. Ja, noch Ende des Jahres 1813 soll, wie ich, allerdings ohne Quellenangabe, erfahre, in Berlin ein Verbrecherpaar. Mann und Frau, wegen zahlreicher Brandstiftungen in gleicher Weise justifiziert worden sein.
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Könige und Hofrichter waren in gleicher Weise Schenkungen zugänglich. Ein Abgesandter der Stadt Frankfurt berichtet 1418 dem Rate, „er möge doch erwägen, wie wichtig es sei, dem König reiche Gaben zu senden; die Nürnberger schenkten immer mehr als andere und seien deshalb allmächtig“ 19).
Als der Rat der Stadt Frankfurt 1722 den späteren Schultheißen Ochs (von Ochsenstein) nach Wien schickte, um den Reichshofrat Grafen Stein für seine Sache zu gewinnen, erhielt er u. a. folgende Instruktion: er solle dem Grafen erklären, „dass wir, wenn derselbe alles dies erwirken und den Magistrat wieder in den Stand setzen werden, unsere reale Erkenntlichkeit erweisen zu können, gegen Se. Exzellenz für die viele gehabte Mühe uns nach und nach, längstens in Jahresfrist, mit einer Remuneration von 10.000 Talern i. e. 15.000 Gulden einstellen würde“.
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Auch der Kaiser war gegen Geld keineswegs unempfänglich. Ochs erhielt 1729 den Auftrag, dem Kaiser 100.000 fl. zu seinem Schlossbau — für ein Trinkgeld war die Summe doch zu hoch — anzubieten. Aber er erlebte eine Überraschung, über die er am 14. Januar 1730 folgendes schrieb: Er hätte vorsichtig dem Reichs-Vizekanzler das Angebot gemacht. „Er hörte mich genau an und sagte: es seye zwar gut, aber noch nicht de tempore; bürgerliche Deputierte hätten 200.000 fl. offeriert, und zwar quartaliter 25.000 . . .“ ein köstliches Wettschießen!
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Der Vizepräsident des Reichshofrates hatte Ochs klar gemacht, dass verschiedene Reichsstädte ihm etwas verehrt hatten. „Ich wolle also Magistratum ersuchet haben umb ein Stück extraordinari Hochheimer Wein vom 19er Jahr, und zwar vorher drei bis vier Proben, so in Krügen immediate an Vice-Präsidenten in einem Kästlein geschicket werden könnten. Ich habe es wie billig vor eine Gnade erkennen müssen, und sehe auch nicht, wie es zu dekliniren“. Also wohin Ochs auch kommt, überall am Kaiserhofe Bestechlichkeit! In derselben Tonart geht es weiter. Fast alle Personen, mit denen Ochs in Wien zu tun hat, müssen aus der Frankfurter Stadtkasse bestochen werden.
Kriegk stellt eine große Reihe von Bestechungsposten, die in den geheimen Ausgaben Frankfurts gebucht sind, zusammen, und dabei ist nur ein einziges Mal im Jahre 1771 angegeben, dass ein Herr eine ihm angebotene Summe von 200 Dukaten nicht angenommen habe. Ob es zu wenig war?
Bezeichnend für die Denkweise ist die Antwort des Baron von Vockel in Wien, dem man 1754 100 Dukaten als Referenten in einer Rechtsangelegenheit eingehändigt hatte: er habe das Geschenk „danknehmigst angenommen und sothaner Generosität bei einer anderweiten Gelegenheit justizmäßig (1) eingedenk zu sein angesichert“.
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Noch ein Beispiel für unzählige! Die Reformierten wollten den Bau einer Kirche durchsetzen und machten diesbezüglich auch beim kursächsischen Hof Anstrengungen. Im Jahre 1750 erhielt nun der Frankfurter Rat aus Dresden ein Schreiben, in dem es u. a. heißt: „Ihro Hoheit die Churprinzessin (eine Tochter Kaiser Karls VII.) haben auf den Ihnen geschehenen Vortrag sich dahin geäußert, wie Ihro die ganze Sache schon bekannt sei, und Sie Sich erinnerten, wie man in dieser Sache nicht nur Ihren Hrn. Vater, den höchstseligen Kaiser Karl VII. mit einer Summe Geldes gewinnen wollen, sondern auch Ihr einen schönen Beutel mit Dukaten, wenn Sie zu dem reformirten Anliegen behülflich sein würde, zu offeriren Gelegenheit genommen“. Die Bestechungsversuche wurden also ganz öffentlich unternommen 20)!
Heute verstößt es gegen den Ehrenkodex der Rechtsanwälte, also von Privatpersonen, ein höheres Honorar sich auszubedingen für den Fall, dass sie in einem Prozess gewinnen!
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Bezeichnend für die Rohheit des Mittelalters und die außerordentliche Mannigfaltigkeit der vollstreckten Todesstrafen ist, dass man zum Verbrennen verurteilte Personen begnadigte zum Sieden in einem Kessel, der gewöhnlich mit Öl oder Wein, manchmal mit Wasser gefüllt war 21)!
Im Jahre 1466 wurde in Frankfurt eine nicht genannte Todesstrafe in die des Ertränkens umgewandelt weil — der Delinquent krank war 22)!
Während des ganzen Mittelalters, besonders aber in dessen zweiter Hälfte, sind die Strafen im christlichen Abendlande gewiss nicht humaner, eher grausamer als vier Jahrtausende früher im Gesetzbuch Hammurabis, als in Indien, China, Persien oder sonstwo. Legale Strafen sind: Vierteilen, Rädern, Pfählen, Verbrennen, Ersäufen, Einmauern, Lebendigbegraben, Ausdärmen, Abschneiden der Zunge, Ausstechen der Augen, Sieden in Wasser oder Öl, Abziehen der Haut usw. usw. 23), und zwar zum großen Teil noch im 18. Jahrhundert. Dass die Kirche weit entfernt das Strafwesen zu mildern, durch das scheußliche Inquisitionsverfahren es noch grausiger machte, mindestens nicht auf Beseitigung der Tortur hinwirkte, ist bemerkenswert. Was ihr während der anderthalb Jahrtausende der Herrschaft nicht gelang, erreichten die Freigeister und Philosophen der Aufklärung in kürzester Zeit. Nicht die Kirche hat die Menschenrechte proklamiert und damit das Mittelalter mit seiner barbarischen Geringschätzung des Lebens beschlossen, sondern die große französische Revolution, deren Segnungen Deutschland dem ersten Napoleon verdankt. Zur Geburtstagsfeier des großen Korsen im Jahre 1806 musste die Stadt Frankfurt ihr Hochgericht abbrechen. Der Marschall Augereau brauchte den Platz für ein Feuerwerk, das aber nicht, wie bisher, der Verbrennung Unschuldiger, sondern der Befreiung von uralter Knechtschaft galt. Mit dem Code Napoleon ist die feudal-klerikale Periode des Mittelalters und der Barbarei begraben.
Die Humanität ist also erst seit wenig mehr als einem Jahrhundert Gemeingut des zivilisierten Europa und beginnt es zu werden mit dem Augenblick, wo das Christentum, dessen Existenzberechtigung nach dem Geiste seines erhabenen Stifters eben auf dieser Humanität basiert, wenigstens als Kirche, zu herrschen aufgehört hat
Genügt unser Recht allen Anforderungen der Vernunft und Menschlichkeit?
Nach unserm BGB. wird die Alimentationspflicht von väterlicher Seite verwirkt, wenn die Mutter in der kritischen Zeit mit mehreren Männern Umgang hatte. Das heißt, das sowieso rechtlich und sozial schwer geschädigte uneheliche Kind wird noch weiter gestraft, indem ihm jede väterliche Unterstützung entzogen wird.
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Die kontrollierte Prostituierte bleibt nach dem heute geltenden Recht nicht nur straflos, sondern der Staat sichert sich sogar durch Steuern einen Anteil an ihrem Verdienst. Dagegen kann aber jeder, der ihr Wohnung gibt, wegen Kuppelei belangt werden. Ihr Gewerbe ausüben und Steuer zahlen dürfen also die Prostituierten, wohnen aber nicht!
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Auch § 175, der die widernatürliche Unzucht zwischen Personen männlichen Geschlechtes mit Gefängnis, ev. noch mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte bedroht, ist als mittelalterliches Rudiment in Geltung. Der Gesetzgeber nahm weder Anstand an der Inkonsequenz, beim einen Geschlecht zu verbieten, was dem andern erlaubt ist, noch hielt ihn Scheu vor den intimsten Intimitäten des Privatlebens zurück, noch die Erwägung, damit einen Erpresserstand zu züchten. Ja, die Frage, ob es sich um Laster oder krankhafte Veranlagung handelt, wurde noch nicht einmal hinlänglich geprüft. Der Hauptgrund für Aufrechterhaltung des Paragraphen ist der Widerstand orthodoxer Kreise, die deutsche Verhältnisse des 20. Jahrhunderts unter dem Gesichtswinkel der vor 2 1/2 Jahrtausenden im Judenvolke bestehenden beurteilen und das gottgefällig nennen. Vielleicht sind diese auch der Ansicht, dass Prozesse wie Harden-Moltke und Harden-Eulenburg der öffentlichen Sittlichkeit förderlicher sind als Schmutzereien einzelner im stillen Kämmerlein.
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Auf der internationalen kriminalistischen Vereinigung des Jahres 1909 wurde festgestellt, dass in Deutschland jährlich 10 Millionen Polizeistrafen verhängt werden! Also jeder vierte straffähige Deutsche wird jährlich in wirksamer Weise an die segensreiche Tätigkeit der hl. Hermandad erinnert.
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Nach österreichischem Gesetz muss das „Allerheiligste“ der katholischen Kirche von jedermann, Jude, Freidenker, Protestant, gegrüßt werden. Ein Schwede, unkundig dieses Gesetzes, wurde vor einigen Jahren wegen Unterlassung des Grußes in Ischl zu Gefängnis verurteilt!
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Der Redakteur des „Bütower Anzeigers“ Hugo Röhl war auf Veranlassung des Konsistoriums der Provinz Pommern angeklagt worden, durch eine Artikelserie den Pastor und Lokalschulinspektor Pötter fortgesetzt öffentlich beleidigt und unwahre Tatsachen über ihn verbreitet zu haben. Der Tatbestand war folgender:
Pötter hatte den 42jährigen Lehrer Wockenfuß so lange gequält, bis er Selbstmord begehen wollte. Am zweiten Osterfeiertag sang Wockenfuß mit seinen Schülern zu einer Feier auf dem Gute. Bei einem deshalb ausbrechenden Wortwechsel wurde Wockenfuß von Pastor Pötter zu Boden gestoßen. Als die Wirtin des Pastors im Dezember 1902 einem Knaben das Leben schenkte, brachte der Mann Gottes den Lehrer in Verbindung mit den kursierenden Gerüchten, während in Wahrheit der Bruder Pötters Vater des Kindes war. Kurz nach Weihnachten erschien Pötter im Schulhause, ließ den Lehrer aus dem Bette unter den Weihnachtsbaum im Schulzimmer rufen, las ihm aus der Bibel ein langes Kapitel vor und sagte, als der verwunderte Lehrer ihn nach seinem Begehren frug: „Schweigen Sie, es kommt! Sie sind einer von denen wie der Abschaum der Menschheit, der Krupp ums Leben gebracht hat. Sie haben mich beleidigt! Mit diesem Stock schlage ich den auf das Lästermaul, der noch einmal so etwas sagt.“ Dabei erhob der Seelenhirte den Stock gegen Wockenfuß, der am Verlassen des Zimmers durch zwei Männer verhindert wird, die der Pastor mitgebracht und neben die Tür postiert hatte! Wockenfuß brach ohnmächtig zusammen.
Die Folge war eine Klage des Pastors gegen den Lehrer auf Überschreiten des Züchtigungsrechtes. Ohne Verhör wurde Wockenfuß mit Verweis, Ordnungsstrafe und schließlich mit Entziehung des Züchtigungsrechtes bestraft, endlich wurde er wegen vier einem Knaben erteilter leichter Hiebe seines Amtes entsetzt. Pötter hatte ihm nämlich pflichtwidrig nichts über den Entzug des Züchtigungsrechtes mitgeteilt!
So ähnlich hat der wackere Pastor alle seine Lehrer behandelt! Einer konnte sich nur mit der Dunggabel seiner erwehren! Einen anderen sucht Pötter zu einem für ihn günstigen Zeugnis in einer Strafsache gegen ihn zu bewegen. Soundso oft steht Pötters Eid gegen den der Lehrer.
Der Staatsanwalt erkannte an, dass in allen Fällen, in denen der „Bütower Anzeiger“ das Verhalten des Pastors zu Lehrer Wockenfuß scharf gegeiselt hatte, der Wahrheitsbeweis völlig geglückt sei!
Und das Urteil? Der Gerichtshof zu Stolp in Hinterpommern hielt den Wahrheitsbeweis in folgenden Punkten für erbracht: Pötter hat den Lehrer Halpap aus dem Lehramt vertrieben, er hat eine „Fertigkeit“ in Lehrerkränkungen, er hat die Unwahrheit gesprochen, er hat leichtfertig und aus Rachsucht Anzeigen gegen den Administrator des Grafen Schwerin, des Patronatsherrn, erstattet, er hat sich durch seine Handlungen in Gegensatz zu seinem Eide gestellt. Ferner wurden die edlen und selbstlosen Motive des Angeklagten Röhl vom Gerichtshof ausdrücklich anerkannt und — es will gar nicht aus der Feder — dieser selbe Röhl zu 500 Mark Geldstrafe oder 50 Tagen Gefängnis verurteilt!
Nach in ganz Deutschland geltendem Recht musste das Gericht so urteilen!
Und Pötter? Es wurde festgestellt, dass sämtliche Lehrer vor ihm die größte Angst hatten, aber eine Beschwerde hätte gar keinen Sinn gehabt, denn nach dem famosen, heute noch in Preußen gültigen Disziplinargesetz vom 21. Juli 1852 ist, wenn ein Lehrer sich über einen Vorgesetzten beschwert, die Behörde nicht verpflichtet, auch den Lehrer nach Vernehmung des Vorgesetzten nochmals zu hören, sondern die Aussagen des Vorgesetzten gelten für erwiesene Tatsachen. Ferner: Wenn ein Vorgesetzter über einen Lehrer Klage führt, so entscheidet die Behörde, ohne vorher den Lehrer oder seine Zeugen gehört zu haben. Diese Gesetze gelten heute noch, im 20. Jahrhundert, auch gegen Gymnasialprofessoren, und es gibt noch in Deutschland „Männer“, die solche Behandlung sich gefallen lassen 24)!
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Am 28. Juli 1905 nachts gegen 1 Uhr führte ein Ehepaar mit der Schwägerin ihren Hund auf die Straße. Ein angetrunkener Passant ärgerte sich über das Tier und äußerte zu einem in der Nähe stehenden Schutzmann — Beuche hieß das Auge des Gesetzes — dass der Hund ohne Maulkorb sei. Das war nun zwar nicht der Fall, aber pp. Beuche, der wohl die Gelegenheit für günstig hielt, seine „Schneid“ zu beweisen, brüllte den Eigentümer barsch an. Als dieser sich den Ton verbat, packte ihn der Hüter der öffentlichen Ordnung am Genick und stieß ihn vor sich her. Sein Protest dagegen wurde vom Beamten mit Faustschlägen auf den Kopf beantwortet. Sein Hinweis auf einen vom Polizeipräsidenten ausgestellten Jagdschein wurde vom Schutzmann zurückgewiesen mit der Bemerkung, der „Wisch“ genüge ihm nicht, zugleich bekam der Ehemann etliche Fußtritte. Seine Frau, die ihre Entrüstung in Worte kleidete, bekam Faustschläge auf die Brust, die, wie auch beim Ehemann, laut ärztlichen Attestes Spuren hinterließen. Darauf erstattete der Gatte gegen den Schutzmann Beuche Anzeige wegen Körperverletzung.
Soweit ist alles in Ordnung, und wir hätten keinen Grund von den Brutalitäten eines subalternen Rohlings an dieser Stelle Notiz zu nehmen, wenn das Verhalten der Behörde sie nicht in andere Beleuchtung rücken würde.
Die Staatsanwaltschaft lehnte nämlich ein Einschreiten gegen ihr Organ ab und erklärte, dass der Beamte so, wie er gehandelt habe, hätte handeln müssen! Nicht genug damit, drehte sie den Spieß um. Da im Falle des Stattgebens der Anklage die drei Misshandelten als Zeugen gegen Beuche vereidigt worden wären, war die einfachste und nördlich, der Mainlinie auch beliebteste Art dies zu verhüten die, aus Klägern bzw. Zeugen Angeklagte, die bekanntlich nicht schwören können, zu machen. Damit war ihnen die Möglichkeit des Beweises abgeschnitten. Der Gerichtshof glaubte — was er nach der Prozesslage ja auch bona fide tun konnte — dem als Zeugen vernommenen Schutzmann und verurteilte den Ehemann zu 50 Mark Geldstrafe, die eine Frau wegen versuchter Gefangenenbefreiung zu drei Tagen Gefängnis, die andere wegen des gleichen Reates zu einem Tage. Dabei handelte es sich um angesehene Personen aus dem Kaufmannsstande, die noch niemals mit der Polizei in Konflikt gekommen waren. Das Urteil wurde vom Schöffengericht I Berlin. Gefällt 25).
Da jedes Volk die Polizei hat, die es verdient, ist dem Vorkommnis Allgemeingültigkeit nicht abzusprechen. Immerhin erscheint es rätlich, noch einige ähnlich gelagerte Fälle, die zeigen, was der Reichsangehörige zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Subalternbeamten aushalten muss — das ist das wesentliche — anzuführen. Gleichzeitig sei aber konstatiert, dass wir nicht aus verbohrtem, uns völlig fernliegendem Partikularismus lediglich solche Vorkommnisse aus Norddeutschland registrieren, sondern nur deshalb weil uns aus Süddeutschland kaum ähnliche Fälle bekannt sind. Gewiss gibt es auch dort Rohlinge, aber Gerichte und Öffentlichkeit wissen mit ihnen fertig zu werden.
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Am 21. November 1906 wurde der Töpfer Marin in Zoppot wegen einer Schulstrafe von einer Mark von zwei Schutzleuten, denen er Zahlung anbot, am Bahnhof verhaftet und ins Gefängnis gebracht, aus dem er am nächsten Tage mehr tot als lebendig entlassen wurde. Der Arzt, der Marin zwei Tage später untersuchte, stellte ihm ein Attest aus, wonach er den Mann in einem „geradezu desolaten Zustande“ befunden hatte. Fast der ganze Körper war zerschunden, auch ließ die Untersuchung den Bruch einer oder mehrerer Rippen vermuten. Marin, war daraufhin sieben Wochen erwerbsunfähig. Vor Gericht wurde festgestellt, dass die Hüter der öffentlichen Ordnung zusammen mit dem Gefängniswärter Marin, der Zahlung auch im Gefängnis anbot, mit den Füßen und einem derben Stock misshandelt und in die Rippen getreten hatten. Außerdem nahm man ihm seinen Wochenlohn; von 22,70 M. ab. Als Marin sich in der Zelle auf die Pelerine des einen Schutzmannes — Kamin, hieß der Kavalier — setzte, schrie dieser ihn an: „Du roter Hund sitzt auf meiner Pelerine“ und schlug ihn mit dem Helm, den er an der Spitze hielt, ins Gesicht.
Marin erstattete Strafanzeige, und die Verhandlung fand vor dem Landgericht in Danzig statt. Der Staatsanwalt stellte zunächst mit großer Energie fest, dass Marin gewerkschaftlich organisiert, also Sozialdemokrat sei. Daraufhin wurde der Gefängniswärter und der Schutzmann zusammen zu einer Geldstrafe von 100 M. wegen Körperverletzung und Beleidigung verurteilt!
Dasselbe Gericht hat einige Tage später einen nicht vorbestraften 19jährigen Lehrling, der in angetrunkenem Zustande einen Arzt und seine Gattin mehrmals anrempelte und beleidigte, dann aber brieflich und vor Gericht seine Tat bereute, zu einem Jahr und einem Monat Gefängnis verurteilt 26).
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An einem Abend wartete Frau B. vor dem Stadtbahnhof Alexanderplatz in Berlin, als ein betrunkener Schutzmann mit den Worten auf sie zutrat: „Du Sau, was stehst du hier herum?“ Sie verbat sich das Duzen und sagte, dass sie auf ihren Mann warte. Auf weitere Flegeleien hin suchte sie ihm zu entrinnen, der Schutzmann lief ihr aber nach, zog, als die Menge gegen ihn Stellung nahm, den Säbel, hieb um sich und versetzte mit den Worten: „Du Sau, warte nur, wenn ich dich erst auf der Wache habe“, ihr zwei Hiebe mit dem Säbel über das Kreuz. Ein Arzt, der den Vorgang mit angesehen und beobachtet hatte, wie der Schutzmann die Frau sogar in schamloser Weise angriff, wollte als Zeuge mit auf die Wache kommen. Das war aber entschieden nicht im Sinne der Hüter des Gesetzes, denn man wollte ihn erst nicht hinein lassen. Ein Beamter nahm den Arzt beim Wickel und stieß ihn einfach in die Arrestzelle, aus der er erst durch die Intervention des Polizeihauptmannes befreit wurde. Dann erstattete man gegen ihn Anzeige wegen Hausfriedensbruches, der aber nicht stattgegeben wurde.
Da das Gericht annahm, dass der Angeklagte sich subjektiv nicht bewusst gewesen sei, in widerrechtlicher Weise gegen die Frau einzuschreiten, sie auch nicht vorsätzlich geschlagen, sondern sie nur beim Herumfuchteln mit dem Säbel getroffen habe, verurteilte es ihn lediglich wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 100 M.
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Ein Arbeiter, der einem Schutzmann gesagt hatte: „Sie haben uns gar keine Vorschriften zu machen, denn dazu sind Sie uns zu dumm; ich habe so viel Grütze in den Beinen, wie Sie im Kopf, wurde dagegen in Halle vom Gericht zu einer Gefängnisstrafe von 2 Monaten verurteilt! Ein Student, der eben* falls in Halle einen Folizeisergeanten mit dem Stocke derart über den Helm geschlagen hatte, dass der Stock in Stücke ging, die Helmspitze abbrach und der Helm sich verbog, dann im Wachtlokal spöttisch geäußert hatte: „Ach, bei der Halleschen Polizei braucht man nur zu fragen, was die Sache kostet, dann ist schon alles erledigt“, wurde zu einer Geldstrafe von 40 M. verurteilt.
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Der Referendar Morell war zusammen mit dem Kammergerichtsreferendar Tschepke am 20. November 1906 auf einem Berliner Polizeirevier erschienen, um einen Automobilführer, der sie falsch gefahren, feststellen zu lassen. Die nächtliche Störung gefiel den wackeren Männern der Ordnung augenscheinlich gar nicht; deshalb stellten sie zwar nicht den Autoführer fest, behielten aber die beiden Kläger auf der Wache! Als Morell dagegen protestierte, schrie der Wachthabende Korrhun dem Schutzmann Keppler zu: „Machen Sie den Mann ruhig.“ Keppler kam dieser Aufforderung gründlich nach, fasste Morell an beiden Schultern und schüttelte ihn gewaltsam so hin und her, dass er mit dem Kopf gegen die Wand flog. Sein Hinweis auf seine Eigenschaft als Referendar nützte gar nichts. Als Morell seinem sich entfernenden Freunde nachfolgen wollte, stürzten sich beide Schutzmänner auf ihn, hielten ihn mit Gewalt zurück, und während Keppler den Referendar Tschepke hinausbeförderte, würgte Korrhun, ein Hüne, den ersteren, schlug ihn auf den Kopf und ließ ihn schließlich in eine Zelle sperren, wo er ihn hinter einem eisernen Gitter halb bewusstlos bis 5 1/2 Uhr festhielt.
Auf die Anzeige Morells hin, lehnte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die Schutzleute ab, leitete dagegen das typische gegen Morell (11) wegen „Beleidigung“ der Schutzleute, „Widerstandes gegen die Staatsgewalt“ und „Hausfriedensbruch“ ein! Erst auf Anweisung des Oberstaatsanwalts wurde die Anklage auch gegen die Schutzleute wegen Beleidigung, Misshandlung und Freiheitsberaubung erhoben, so dass nunmehr neben Morell auch diese die Anklagebank zierten. Morell wurde freigesprochen, da seine Angaben sich als wahr, die beider Schutzleute als unwahr herausstellten. Korruhn erhielt 5 Monate Gefängnis, Keppler eine Geldstrafe von 100 M.
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Eine Frau wollte, wie ein konservativer Abgeordneter im preußischen Abgeordnetenhause 1908 ausführte, von Grünau nach Hirschberg fahren. Das Geld, das sie zur Bezahlung der Fahrkarte hinlegte, war schmutzig und wurde für falsch gehalten. Daraufhin sperrte man die Frau mit ihrem Kinde, einem dreieinhalbjährigen Knaben, ein. Eine Hausuntersuchung beim Ehemann, einem Arbeiter, verlief resultatlos. Die Frau blieb vier Tage eingesperrt, endlich kam das Geld zur Reichsbanknebenstelle, von da an die Filiale des Schlesischen Bankvereins und schließlich zu einem Goldarbeiter, aber es war und blieb absolut echt. Der Staatsanwalt schickte es darauf zur kgl. Münze, die den ganzen Betrag in funkelnagelneuen Stücken zurückzahlte. Daraufhin wurde die Frau entlassen und meldete sich beim Redner. Die Auslagen betrugen 17,90 M. Die Staatsanwaltschaft aber weigerte sich, diese zurückzuerstatten. Redner setzte daraufhin einen Brief an die Staatsanwaltschaft auf mit dem Hinweis, dass die Geschädigte sich im Falle einer Ablehnung an den Justizminister wenden und der Vermittlung eines Abgeordneten bedienen würde. Die Frau ließ diesen Brief von einem Nachbarn abschreiben. Die Staatsanwaltschaft ordnete nun eine Feststellung an — ob der Nachbar solche Briefe berufsmäßig abschreibe, und ob etwa eine Steuerkontravention vorliege! Auch wurde die Frau noch einmal darüber vernommen, ob sie etwa Quecksilber in der Wohnung hatte!! Nach etwa 14 Tagen wies der Justizminister 15 M, an, blieb also der armen Frau noch drei Mark schuldig!
Risum teneatis amici!
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Frau Marie Feuth, die Gattin eines jungen Architekten, der in unglücklichen Geschäften sein Vermögen verloren hatte und von den Gläubigern hart bedrängt ward, wurde im November 1906 in Berlin mit ihrem Mann auf offener Straße verhaftet und in ein Polizeirevier eingeliefert. Hier wurden beide in eine „Detentionszelle“ eingesperrt, wo sie von 1 1/2 Uhr mittags bis 8 Uhr abends sitzen mussten. Um diese Stunde wurde das Ehepaar in den „grünen Wagen“ verladen und nach dem Polizeipräsidium übergeführt.
Hatten sie den Wagen mit einigen Zuhältern geteilt, so trafen sie dort noch Verbrecher, Dirnen und betrunkene Rowdys. Anderen Tags gegen 11 Uhr wurde Frau Feuth in einem überfüllten Wagen voller Zuhälter und Dirnen, die durch Zoten und Handgreiflichkeiten sich die Zeit verkürzten, nach Moabit transportiert, dort zwei Weibern überwiesen, die sie — zum zweiten Male — bis auf die Haut entkleideten. Nach 10 Minuten kam die Oberin. Im Evakostüm musste die Dame den Raum durchschreiten und mit dem Gesicht gegen die Wand eine ganze Weile stehen, bis alle ihre Sachen ausreichend beschnüffelt und gebucht waren. Dann wurde sie vermessen, bis sie glücklich die Erlaubnis erhielt, sich wieder anzukleiden. Hierauf wurde sie in eine Zelle gesperrt, nach einer halben Stunde wieder herausgelassen, um sich mit schwarzer Schmierseife zu waschen und in einer keineswegs reinen Wanne zu baden. Ihre Leibwäsche wurde ihr genommen und sie erhielt die grobe Anstaltswäsche, ein grobes sackleinenes Hemd und ein Paar für ihre Schuhe viel zu dicke Strümpfe, so dass sie nur mit großen Schmerzen gehen konnte. Beinkleider wurden nicht verabfolgt. Endlich musste sie sich durch eine Strafgefangene auf Ungeziefer untersuchen lassen!
In die Zelle zurückgeführt, wurde sie in schroffer Weise auf die Obliegenheiten der Zellenreinigung usw. hingewiesen. Abends gab es eine Art von Wassersuppe und ein Stück Brot. Der Raum wimmelte von Ungeziefer, so dass die Dame angekleidet die Nacht über frierend und weinend auf dem Bettrand sitzen blieb, weil sie sich nicht von der Stelle zu rühren wagte. Sie wusste immer noch nicht, aus welchem Grunde sie verhaftet worden war! Auch die Oberin wusste keinen Grund anzugeben!
Frau Feuth blieb im Untersuchungsgefängnis 10 Tage, dann wurde sie entlassen und das Verfahren gegen sie eingestellt. Erst jetzt erfuhr sie den Grund ihrer Verhaftung: wegen des Verdachtes der Beihilfe zum Arrestbruch.
Ihr Mann wurde nach 2 1/2 Monaten von der Anklage der Urkundenfälschung und der Verschleppung von Pfandgegenständen freigesprochen und wegen Arrestbruches zu einem Monat Gefängnis verurteilt, der durch die Untersuchungshaft verbüßt war.
Mit diesem „Arrestbruch“ hatte es aber auch seine besondere Bewandtnis. Der Verteidiger hatte Herrn Feuth gesagt, er würde auch von dieser Anklage freigesprochen werden, müsse aber noch lange in Untersuchungshaft sitzen, denn bevor das Aktenmaterial geprüft sei, vergingen Monate. Daraufhin entschloss sich Herr Feuth, sich ohne Widerspruch wegen dieses Anklagepunktes verurteilen zu lassen, um nur die Freiheit wiederzugewinnen! Seine Frau saß nämlich mit 85 Pfennigen an diesem Tage auf dem Berliner Pflaster!
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Solche und ähnliche Fälle sind so zahlreich und wir könnten deren eine solche Reihe anführen, dass wir sie als typischen Missstand unseres Rechtswesens bezeichnen können.
Der Amtsrichter Emil Theisen war im Jahre 1894 am Amtsgericht in Frankfurt a. M. beschäftigt. Hier machte er alltäglich die Erfahrung, dass bei der Festnahme von Personen und deren Vorführung vor den Richter die zum Schutze der persönlichen Freiheit erlassenen gesetzlichen Bestimmungen von der Polizeibehörde nicht beachtet wurden. Als solche Gesetzwidrigkeiten sich mehrten und ein Bericht an die Justizverwaltung erfolglos blieb, machte er in der Überzeugung, dass der Tatbestand des § 341 St. G. B. vorliege, Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Wiewohl nun der Disziplinarsenat des Kammergerichtes als erwiesen ansah, dass die Vorführung der vorläufig festgenommenen Personen vor dem Amtsrichter in einer großen Anzahl von Fällen nicht dergestalt „ohne Verzug“ stattgefunden habe, als dies der Vorschrift der Strafprozessordnung entsprochen haben würde, erkannte er doch auf Zwangsversetzung in ein anderes richterliches Amt von gleichem Range wegen der beleidigenden Form der Anzeigen und Bruch des Amtsgeheimnisses. Letzteres Delikt wurde darin gesehen, dass Theisen der „Frankfurter Zeitung“, die den Fall gebracht hatte, zur Beseitigung einiger Schärfen und um falsche Lesarten zu verhindern, einige berichtigende Mitteilungen gemacht hatte. Der Oberstaatsanwalt hatte Theisen gedroht, er werde sein ganzes Leben lang darunter zu leiden haben, wenn er seine Strafanträge nicht zurückzöge! Darin sollte er auch recht behalten, denn Theisens Karriere war beendet, weil er nach Ansicht seiner Vorgesetzten „die Justiz zu sehr kompromittiert“ hätte. So geht es also einem preußischen Richter, der Ungesetzlichkeiten rügt 27)!
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Der Turmwächter König in Wasungen bei Jena hatte mehrere Jahre hintereinander die unheimliche Beobachtung gemacht, dass in der Silvesternacht um 12 Uhr ein Licht über den dortigen Friedhof wandle. Auf Grund einer Wette ging er nun am 31. Dezember 1906 mit seinem Freunde Bach, einem befreundeten Kellner und seinen beiden Schwestern zur geheimnisvollen Stunde dort hin. Tatsächlich tauchte das unheimliche Licht Punkt 12 Uhr auf. Während die Schwestern ausrissen, feuerte Bach seinen mitgebrachten Revolver auf das Gespenst und traktierte es dann mit Säbelhieben übel. Daraufhin lüftete das Gespenst sein Inkognito und entpuppte sich als Bernhard Günkel in Wasungen, der seit Jahren in der Neujahrsnacht vom Friedhof einen Kreuzdornzweig zu holen pflegte. Dieser, stillschweigend gebrochen, ist nämlich ein sicheres Mittel gegen Krankheiten bei Mensch und Vieh. Auf den Strafantrag des Gespenstes wurde Bach vom Wasunger Schöffengericht wegen Körperverletzung zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Meininger Strafkammer bestätigte diese Strafe, wiewohl Bach, dessen Mut jedenfalls größer war als seine Intelligenz, bekundete, er habe die feste Überzeugung gehabt, nicht auf einen Menschen, sondern auf ein Gespenst losgeschlagen zu haben.
Ob in diesem Falle der Staat nicht vielleicht besser getan hätte für entsprechenden Schulunterricht zu sorgen, statt einem armen unwissenden Menschen, der das glaubte, was die unfehlbare Kirche Jahrhunderte gelehrt und mit Gewalt eingebläut hatte, streng zu strafen? Immerhin ist die Tatsache ein wertvolles Kulturdokument, sowohl bezüglich der Volksbildung als der Strafrechtspflege 28).
Das gilt auch dem Arzt gegenüber, wie aus §218 hervorgeht: „Wenn ein Arzt jemand eine schwere Wunde mit dem Operationsmesser aus Bronze macht und ihn tötet, oder jemand eine Geschwulst mit dem Operationsmesser aus Bronze öffnet und sein Auge zerstört, so soll man ihm die Hände abhauen.“ Dagegen ist aber auch das ärztliche Honorar festgesetzt: „Wenn ein Arzt jemandem eine schwere Wunde mit dem Operationsmesser aus Bronze macht und ihn heilt, oder wenn er jemand eine Geschwulst mit dem Operationsmesser aus Bronze öffnet und das Auge des Mannes erhält, so soll er 10 Sekel Silber erhalten“, heißt es im § 215. Immerhin war es unter diesen Umständen nicht immer angenehm, Operateur zu sein. 2)
Nach altdeutschem Rechte musste der Richter mit einem Stabe in der Hand auf seinem Sitze so bis zum Sonnenuntergang oder Abbruch des Dinges — unter Umständen in Wind und Wetter, Sonnenbrand oder Schneesturm — sitzen bleiben, wie er sich bei Beginn des Dings niedergelassen hatte, „Bein mit Bein“ deckend. Die Soester Rechtsordnung schreibt darüber: „Es soll der Richter auf seinem Richterstuhl sitzen als ein grisgrimmender Löwe, den rechten Fuß über den linken schlagen, und warm er aus der Sache nicht recht könne urteilen, soll er dieselbe ein-, zwei-, dreimal überlegen“*). Sein Aufstehen oder Niederlegen des Stabes hob die Rechtskraft der Sitzung auf 3).
Das vom Richter gefällte Todesurteil musste noch bei scheinender Sonne vollstreckt werden. Während der Verurteilte hingerichtet wurde, saßen Richter und Schöffen in nächster Nähe, um sich bei Speise und Trank von den Anstrengungen der Sitzung zu erholen 4).
*) So, nicht hundertdreiundzwanzigmal muss es heißen, wie Herr Rechtsanwalt Eichhold (München) mir mitzuteilen die Freundlichkeit hatte. Grimm, Rechtsaltertümer, korrigiert in der 4. Aufl., II. Bd., S. 375 selbst diesen Fehler der 1. Aufl. Vgl. auch A. v. Stölzel. Rechtslehre und Rechtsprechung, Berlin 1899. S. 6.
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Der Übermut der „heiligen Feme“ ging so weit, dass auf die Klage des Freischöffen Meister Steinmetz im Jahre 1495 durch Femspruch alle über 18 Jahre alten Mannspersonen des Hochgerichtes Waltersburg in Graubünden geächtet und der Rache des Gegners preisgegeben wurden. Im Jahre 1471 hatte es dieses westfälische Sondergericht sogar gewagt, den Kaiser zur Verantwortung zu ziehen 5).
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Die Folter drang in die deutsche Rechtspflege ein als Folge der kirchlichen Inquisition. Nach alt* germanischem Rechte hatte der Beklagte sich durch Eid und Eideshelfer befreien können, in seltenen Fällen durch Gottesurteil oder Zweikampf. Hier wird man also kaum behaupten können, die Kirche habe eine Milderung der Sitten herbeigeführt*).
Wie es noch im 17. Jahrhundert bei der Folterung zuging, lehrt ein Bericht über das Verfahren unter Bischof Julius Heinrich von Halberstadt-Braunschweig: „Sie (die in der Folterkammer anwesenden Glieder des peinlichen Gerichts) trunken einander fleißig zu, dass sie auch so toll und voll wurden, dass sie einesteils eingeschlafen . . . Etwan in die dritte Woche kamen sie wieder, und als sie nun in solcher Trunkenheit ihr gefasstes Mütlein ziemlichermaßen ausgeschüttet, sein sie für diesmal davongegangen . . . Zum dritten Male bin ich abermal in die peinliche Kammer gebracht usw. und Hans Saub war so trunken und voll, dass er beim Tisch einschlief, und wenn er hörte, dass ich etwas härter sprach, so wachte er auf und weisete mit den Fingern, sagend: Meister Peter, hinan, hinan mit dem Schelm und Stadtverräter, und wenn er solches gesagt, schlief er wieder ein vor Trunkenheit. Ingleichen soffen die andern tapfer auch herum Wein und Bier, und wurden aus Trunkenheit und sonsten so verbittert, dass nicht zu sagen“ 7).
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Im Mittelalter gehörte jeder zehnte der zum Tode Verurteilten dem Henker, der ihn — natürlich gegen entsprechende Entschädigung — frei lassen konnte. Der Kaiser bzw. römische König hatte nicht nur das Recht, jeden zu begnadigen, es genügte bereits, wenn der Missetäter vor Zeugen den fürstlichen Gewandsaum berührte und küsste. Die aus der Stadt Verbannten konnten, wenn es ihnen gelang, den Zügel des Königspferdes zu erfassen, mit dem Herrscher sicher und freien Fußes in die Stadt zurückkehren. Trotzdem hatte der Henker bisweilen alle Hände voll zu tun. So erzählt Felix Platter in seiner Selbstbiographie (S. 327) der von Basel habe im Bauernkriege über 500 köpfen müssen.
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Als eine vom Richter zu erbittende Gnade galt auch sein Verbot an den Scharfrichter, vor oder nach der Hinrichtung den Körper des Delinquenten zu berühren und damit die Schande der Familie nicht zu vergrößern.
Analog dem Seidenfaden, der nach altdeutschem Recht die Gerichtsstätte umzog, eine festere Schranke bildend als stehende Barrieren, wurden auch einzelne Gefangene auf diese Weise gebannt. So wurde vom Baseler Schultheiß ein bischöflicher Dienstmann im 13. Jahrhundert im roten St. Ulrichturm eingesperrt, indem er den Eingang des Gefängnisses mit einem Seidenfaden umspannte, dessen beide Enden mit Wachs versiegelt waren.
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Vor der Hinrichtung trat der Scharfrichter vor den armen Sünder, ihn um Verzeihung bittend für das Leid, das er ihm im Namen der Gerechtigkeit zufügen müsse. Die Carolina Karls V. bestimmt im
98. Artikel, dass der Scharfrichter nach vollzogenem Hauptschlage mit dem blutrauchenden Schwerte vom Schafott herab die Vertreter der Justiz zu begrüßen und zu fragen habe: „Habe ich recht gerichtet?“, worauf der Richter urteilte: „Du hast gerichtet, wie Urteil und Recht gegeben, und wie der arme Sünder es verschuldet hat.“ Darauf schloss der Scharfrichter mit dem Lobspruch: „Dafür danke ich Gott und meinem Meister, der mir diese Kunst gelehrt.“ Machte er einen „Kunstfehler“, dann konnte es ihn allerdings den Kragen kosten, denn das Volk verstand darin keinen Spaß 8).
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Der Gehenkte musste, eine nicht gerade hygienische Verordnung, über der Erde verwesen. Als zwei Brüder zu Freiburg in der Schweiz im 16. Jahrhundert es wagten, die Leiche des dritten Bruders in der Nacht vom Galgen zu nehmen, um sie zu bestatten, wurden sie vom Richterkollegium mit Ausstechen der Augen bestraft 9).
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Bei Tierplagen, hervorgerufen durch Maikäfer, Heuschrecken, Engerlinge usw. wurde mit Erlaubnis der Bischöfe ein Prozess nach kanonischem Recht eingeleitet. Von der Kirchenkanzel herunter verkündete der Priester unter dem Läuten der Glocken den Klageakt, das sündige Ungeziefer vor das geistliche Gericht ladend. Ein Advocatus diaboli wurde für die Tiere bestellt, hier ein Maikäferanwalt, dort ein Rattenfürsprecher. Klage und Gegenklage wurde vernommen und damit lange Seiten der noch erhaltenen Prozessakten gefüllt. Ein Verteidigungstermin wurde gestellt, ja nach dem Zeugnis des Züricher Chorherren Felix Hämmerlin ließ man in einem Maikäferprozess der Diözese Chur „in Anbetracht ihres jugendlichen Alters und ihrer Kleinheit“ die Vorladung dreimal ergehen. Endlich erfolgte das Kontumazialverfahren mit schwerem Bannfluch, den sich die Stadtbehörden jeweils aus den bischöflichen Kanzleien verschrieben.
Noch 1796 wurde in Schwaben ein Stier zur Abwehr gegen die Tierseuche lebendig begraben 10).
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Im Weistum von Wilzhut, zwischen Braunau und Salzburg, wird (um 1400) bestimmt, dass im Falle ein Bauer um Geld gestraft wurde, ohne dass er es zahlenkonnte, seine Frau geschändet werden sollte. Die Weisheit des Gesetzgebers hat aber sogar den Fall vorausgesehen, dass dem Gerichtspfleger die Frau nicht gefällt. Da aber ja nicht dieser, sondern der Bauer bestraft werden soll, so hat eintretenden Falles der Gerichtspfleger das Recht, dem Gerichtsschreiber die Exekution zu übertragen. Kann aber auch er den Reizen der Bäuerin keinen Geschmack abgewinnen, dann kann er dem Amtsdiener den Vollzug „auferladen“. Auf dessen Neigungen erstreckt sich die Fürsorge des Gesetzgebers nicht mehr 11).
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Felix Platter erzählt in seiner Selbstbiographie (S. 269), er habe im Jahre 1556 selbst gesehen, wie die Leichenteile einer anatomierten Kindsmörderin in Südfrankreich am Galgen gehenkt wurden.
Das preußische Justizkollegium erließ im Jahre 1709 eine Verordnung, laut welcher Galgen erbaut werden mussten, um diejenigen im Sarge daran zu hängen, die während der Pest gestorben seien, ohne Arznei eingenommen zu haben. Augenscheinlich gönnte man dem Volke nicht, zu beweisen, dass es auch ohne die Arzte ginge. Il est mort dans les règles sagt Molière so schön.
Noch im Jahre 1711 wurde in Preußen für Deserteure als Strafe bestimmt, dass ihnen die Nase und ein Ohr abgeschnitten werden sollte, ferner wurden sie an die Karre geschmiedet und mussten lebenslänglich auf Festung arbeiten. Friedrich Wilhelm I. bestätigte diese Strafen, ja er bestimmte, dass überführte Helfer von Deserteuren sogleich, ohne des Königs Genehmigung einzuholen, aufgeknüpft werden sollten 12).
Die Jesuiten waren, was außerordentlich viel sagen will, die Verworfensten der ganzen Geistlichkeit in moralischer Hinsicht. Was sie sich herausnehmen durften, lehrt die berühmte Skandalgeschichte des Jesuiten Girard. Dieser hatte als Rektor des Seminars und Schiffprediger in Toulon auch eine heimliche Bußanstalt für Frauen eingerichtet, in welche die schöne und fromme Katharina Cadière, Tochter eines reichen Kaufmanns, 1728 eintrat. Es gelang Girard, durch Anwendung der raffiniertesten sexuellen Mystik das unschuldige Mädchen zu verführen, und durch alle möglichen unzüchtigen Mittel brachte er es so weit, dass die Arme in schwere Hysterie verfiel. In diesem Zustande schwängerte er sie, wusste aber sofort nach jesuitischer Moral durch ein wirksames Abtreibungsmittel die Folgen zu verhindern. Im gegen ihn angestrengten Prozess wurde er freigesprochen!! 18)
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Im bayerischen Gesetzbuch, das Kreittmayr 1751 herausgab, ist die Tortur noch aufrecht erhalten. Sie soll zwar nicht mehr als dreimal wiederholt werden, aber bei Widerruf greift sie stets und so oft wieder Platz, als der Widerruf geschieht. Auch wird die gleich anfänglich zu zwei oder drei Malen eingeteilte oder wegen bezeigter Unempfindlichkeit repetierte Tortur nur für einmal gerechnet! Ergeben sich bei der Wiederholung neue Indizien, dann können die folgenden Grade noch verschärft werden. Auch Zeugen dürfen gefoltert werden. Und zwar waren Daumschrauben, Aufziehen, Spitzruten, Bock- und Leibgürtel, die 48 Stunden umgelegt blieben, gesetzliche Foltermittel! Dass man nicht allzu sanft — nach dem Vorbilde des Hexenhammers und den in der alleinseligmachenden Kirche geübten Praktiken — verfuhr, geht aus Kreittmayrs Bemerkung hervor, dass die Tortur dem Tode oder wenigstens dem Handabhauen gleich geschätzt werde! 14)
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Als erster deutscher Fürst schaffte der Freidenker Friedrich der Große von Preußen kurz nach seiner Thronbesteigung unterm 3. Juni 1740 die Tortur ab, allerdings 112 Jahre später, als dies in England geschehen war. Die Juristen leisteten dagegen — wie nicht anders zu erwarten — den heftigsten Widerstand und erhoben die lärmendsten Vorstellungen. Sie meinten, alle Diebesbanden von ganz Deutschland würden sich nun nach Preußen wenden. Da Friedrich aber kein Jurist, sondern ein genialer Mann mit gesundem Menschenverstand war, zudem frei von jeder kirchlichen Beeinflussung, so blieb es dabei 15).
Die völlige Aufhebung der Tortur in Bayern erfolgte erst 1806 16). in Hannover erst 1840 17). Der letzte vom preußischen Staat angezündete Scheiterhaufen brannte am 15. August 1786 18). In Eisenach wurde vor den Augen der zwangsweise herbeigeführten Schuldjugend am 20. Juli 1804 ein vierfacher Brandleger aus Hötzelsroda bei lebendigem Leibe eingeäschert. Ja, noch Ende des Jahres 1813 soll, wie ich, allerdings ohne Quellenangabe, erfahre, in Berlin ein Verbrecherpaar. Mann und Frau, wegen zahlreicher Brandstiftungen in gleicher Weise justifiziert worden sein.
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Könige und Hofrichter waren in gleicher Weise Schenkungen zugänglich. Ein Abgesandter der Stadt Frankfurt berichtet 1418 dem Rate, „er möge doch erwägen, wie wichtig es sei, dem König reiche Gaben zu senden; die Nürnberger schenkten immer mehr als andere und seien deshalb allmächtig“ 19).
Als der Rat der Stadt Frankfurt 1722 den späteren Schultheißen Ochs (von Ochsenstein) nach Wien schickte, um den Reichshofrat Grafen Stein für seine Sache zu gewinnen, erhielt er u. a. folgende Instruktion: er solle dem Grafen erklären, „dass wir, wenn derselbe alles dies erwirken und den Magistrat wieder in den Stand setzen werden, unsere reale Erkenntlichkeit erweisen zu können, gegen Se. Exzellenz für die viele gehabte Mühe uns nach und nach, längstens in Jahresfrist, mit einer Remuneration von 10.000 Talern i. e. 15.000 Gulden einstellen würde“.
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Auch der Kaiser war gegen Geld keineswegs unempfänglich. Ochs erhielt 1729 den Auftrag, dem Kaiser 100.000 fl. zu seinem Schlossbau — für ein Trinkgeld war die Summe doch zu hoch — anzubieten. Aber er erlebte eine Überraschung, über die er am 14. Januar 1730 folgendes schrieb: Er hätte vorsichtig dem Reichs-Vizekanzler das Angebot gemacht. „Er hörte mich genau an und sagte: es seye zwar gut, aber noch nicht de tempore; bürgerliche Deputierte hätten 200.000 fl. offeriert, und zwar quartaliter 25.000 . . .“ ein köstliches Wettschießen!
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Der Vizepräsident des Reichshofrates hatte Ochs klar gemacht, dass verschiedene Reichsstädte ihm etwas verehrt hatten. „Ich wolle also Magistratum ersuchet haben umb ein Stück extraordinari Hochheimer Wein vom 19er Jahr, und zwar vorher drei bis vier Proben, so in Krügen immediate an Vice-Präsidenten in einem Kästlein geschicket werden könnten. Ich habe es wie billig vor eine Gnade erkennen müssen, und sehe auch nicht, wie es zu dekliniren“. Also wohin Ochs auch kommt, überall am Kaiserhofe Bestechlichkeit! In derselben Tonart geht es weiter. Fast alle Personen, mit denen Ochs in Wien zu tun hat, müssen aus der Frankfurter Stadtkasse bestochen werden.
Kriegk stellt eine große Reihe von Bestechungsposten, die in den geheimen Ausgaben Frankfurts gebucht sind, zusammen, und dabei ist nur ein einziges Mal im Jahre 1771 angegeben, dass ein Herr eine ihm angebotene Summe von 200 Dukaten nicht angenommen habe. Ob es zu wenig war?
Bezeichnend für die Denkweise ist die Antwort des Baron von Vockel in Wien, dem man 1754 100 Dukaten als Referenten in einer Rechtsangelegenheit eingehändigt hatte: er habe das Geschenk „danknehmigst angenommen und sothaner Generosität bei einer anderweiten Gelegenheit justizmäßig (1) eingedenk zu sein angesichert“.
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Noch ein Beispiel für unzählige! Die Reformierten wollten den Bau einer Kirche durchsetzen und machten diesbezüglich auch beim kursächsischen Hof Anstrengungen. Im Jahre 1750 erhielt nun der Frankfurter Rat aus Dresden ein Schreiben, in dem es u. a. heißt: „Ihro Hoheit die Churprinzessin (eine Tochter Kaiser Karls VII.) haben auf den Ihnen geschehenen Vortrag sich dahin geäußert, wie Ihro die ganze Sache schon bekannt sei, und Sie Sich erinnerten, wie man in dieser Sache nicht nur Ihren Hrn. Vater, den höchstseligen Kaiser Karl VII. mit einer Summe Geldes gewinnen wollen, sondern auch Ihr einen schönen Beutel mit Dukaten, wenn Sie zu dem reformirten Anliegen behülflich sein würde, zu offeriren Gelegenheit genommen“. Die Bestechungsversuche wurden also ganz öffentlich unternommen 20)!
Heute verstößt es gegen den Ehrenkodex der Rechtsanwälte, also von Privatpersonen, ein höheres Honorar sich auszubedingen für den Fall, dass sie in einem Prozess gewinnen!
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Bezeichnend für die Rohheit des Mittelalters und die außerordentliche Mannigfaltigkeit der vollstreckten Todesstrafen ist, dass man zum Verbrennen verurteilte Personen begnadigte zum Sieden in einem Kessel, der gewöhnlich mit Öl oder Wein, manchmal mit Wasser gefüllt war 21)!
Im Jahre 1466 wurde in Frankfurt eine nicht genannte Todesstrafe in die des Ertränkens umgewandelt weil — der Delinquent krank war 22)!
Während des ganzen Mittelalters, besonders aber in dessen zweiter Hälfte, sind die Strafen im christlichen Abendlande gewiss nicht humaner, eher grausamer als vier Jahrtausende früher im Gesetzbuch Hammurabis, als in Indien, China, Persien oder sonstwo. Legale Strafen sind: Vierteilen, Rädern, Pfählen, Verbrennen, Ersäufen, Einmauern, Lebendigbegraben, Ausdärmen, Abschneiden der Zunge, Ausstechen der Augen, Sieden in Wasser oder Öl, Abziehen der Haut usw. usw. 23), und zwar zum großen Teil noch im 18. Jahrhundert. Dass die Kirche weit entfernt das Strafwesen zu mildern, durch das scheußliche Inquisitionsverfahren es noch grausiger machte, mindestens nicht auf Beseitigung der Tortur hinwirkte, ist bemerkenswert. Was ihr während der anderthalb Jahrtausende der Herrschaft nicht gelang, erreichten die Freigeister und Philosophen der Aufklärung in kürzester Zeit. Nicht die Kirche hat die Menschenrechte proklamiert und damit das Mittelalter mit seiner barbarischen Geringschätzung des Lebens beschlossen, sondern die große französische Revolution, deren Segnungen Deutschland dem ersten Napoleon verdankt. Zur Geburtstagsfeier des großen Korsen im Jahre 1806 musste die Stadt Frankfurt ihr Hochgericht abbrechen. Der Marschall Augereau brauchte den Platz für ein Feuerwerk, das aber nicht, wie bisher, der Verbrennung Unschuldiger, sondern der Befreiung von uralter Knechtschaft galt. Mit dem Code Napoleon ist die feudal-klerikale Periode des Mittelalters und der Barbarei begraben.
Die Humanität ist also erst seit wenig mehr als einem Jahrhundert Gemeingut des zivilisierten Europa und beginnt es zu werden mit dem Augenblick, wo das Christentum, dessen Existenzberechtigung nach dem Geiste seines erhabenen Stifters eben auf dieser Humanität basiert, wenigstens als Kirche, zu herrschen aufgehört hat
Genügt unser Recht allen Anforderungen der Vernunft und Menschlichkeit?
Nach unserm BGB. wird die Alimentationspflicht von väterlicher Seite verwirkt, wenn die Mutter in der kritischen Zeit mit mehreren Männern Umgang hatte. Das heißt, das sowieso rechtlich und sozial schwer geschädigte uneheliche Kind wird noch weiter gestraft, indem ihm jede väterliche Unterstützung entzogen wird.
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Die kontrollierte Prostituierte bleibt nach dem heute geltenden Recht nicht nur straflos, sondern der Staat sichert sich sogar durch Steuern einen Anteil an ihrem Verdienst. Dagegen kann aber jeder, der ihr Wohnung gibt, wegen Kuppelei belangt werden. Ihr Gewerbe ausüben und Steuer zahlen dürfen also die Prostituierten, wohnen aber nicht!
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Auch § 175, der die widernatürliche Unzucht zwischen Personen männlichen Geschlechtes mit Gefängnis, ev. noch mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte bedroht, ist als mittelalterliches Rudiment in Geltung. Der Gesetzgeber nahm weder Anstand an der Inkonsequenz, beim einen Geschlecht zu verbieten, was dem andern erlaubt ist, noch hielt ihn Scheu vor den intimsten Intimitäten des Privatlebens zurück, noch die Erwägung, damit einen Erpresserstand zu züchten. Ja, die Frage, ob es sich um Laster oder krankhafte Veranlagung handelt, wurde noch nicht einmal hinlänglich geprüft. Der Hauptgrund für Aufrechterhaltung des Paragraphen ist der Widerstand orthodoxer Kreise, die deutsche Verhältnisse des 20. Jahrhunderts unter dem Gesichtswinkel der vor 2 1/2 Jahrtausenden im Judenvolke bestehenden beurteilen und das gottgefällig nennen. Vielleicht sind diese auch der Ansicht, dass Prozesse wie Harden-Moltke und Harden-Eulenburg der öffentlichen Sittlichkeit förderlicher sind als Schmutzereien einzelner im stillen Kämmerlein.
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Auf der internationalen kriminalistischen Vereinigung des Jahres 1909 wurde festgestellt, dass in Deutschland jährlich 10 Millionen Polizeistrafen verhängt werden! Also jeder vierte straffähige Deutsche wird jährlich in wirksamer Weise an die segensreiche Tätigkeit der hl. Hermandad erinnert.
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Nach österreichischem Gesetz muss das „Allerheiligste“ der katholischen Kirche von jedermann, Jude, Freidenker, Protestant, gegrüßt werden. Ein Schwede, unkundig dieses Gesetzes, wurde vor einigen Jahren wegen Unterlassung des Grußes in Ischl zu Gefängnis verurteilt!
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Der Redakteur des „Bütower Anzeigers“ Hugo Röhl war auf Veranlassung des Konsistoriums der Provinz Pommern angeklagt worden, durch eine Artikelserie den Pastor und Lokalschulinspektor Pötter fortgesetzt öffentlich beleidigt und unwahre Tatsachen über ihn verbreitet zu haben. Der Tatbestand war folgender:
Pötter hatte den 42jährigen Lehrer Wockenfuß so lange gequält, bis er Selbstmord begehen wollte. Am zweiten Osterfeiertag sang Wockenfuß mit seinen Schülern zu einer Feier auf dem Gute. Bei einem deshalb ausbrechenden Wortwechsel wurde Wockenfuß von Pastor Pötter zu Boden gestoßen. Als die Wirtin des Pastors im Dezember 1902 einem Knaben das Leben schenkte, brachte der Mann Gottes den Lehrer in Verbindung mit den kursierenden Gerüchten, während in Wahrheit der Bruder Pötters Vater des Kindes war. Kurz nach Weihnachten erschien Pötter im Schulhause, ließ den Lehrer aus dem Bette unter den Weihnachtsbaum im Schulzimmer rufen, las ihm aus der Bibel ein langes Kapitel vor und sagte, als der verwunderte Lehrer ihn nach seinem Begehren frug: „Schweigen Sie, es kommt! Sie sind einer von denen wie der Abschaum der Menschheit, der Krupp ums Leben gebracht hat. Sie haben mich beleidigt! Mit diesem Stock schlage ich den auf das Lästermaul, der noch einmal so etwas sagt.“ Dabei erhob der Seelenhirte den Stock gegen Wockenfuß, der am Verlassen des Zimmers durch zwei Männer verhindert wird, die der Pastor mitgebracht und neben die Tür postiert hatte! Wockenfuß brach ohnmächtig zusammen.
Die Folge war eine Klage des Pastors gegen den Lehrer auf Überschreiten des Züchtigungsrechtes. Ohne Verhör wurde Wockenfuß mit Verweis, Ordnungsstrafe und schließlich mit Entziehung des Züchtigungsrechtes bestraft, endlich wurde er wegen vier einem Knaben erteilter leichter Hiebe seines Amtes entsetzt. Pötter hatte ihm nämlich pflichtwidrig nichts über den Entzug des Züchtigungsrechtes mitgeteilt!
So ähnlich hat der wackere Pastor alle seine Lehrer behandelt! Einer konnte sich nur mit der Dunggabel seiner erwehren! Einen anderen sucht Pötter zu einem für ihn günstigen Zeugnis in einer Strafsache gegen ihn zu bewegen. Soundso oft steht Pötters Eid gegen den der Lehrer.
Der Staatsanwalt erkannte an, dass in allen Fällen, in denen der „Bütower Anzeiger“ das Verhalten des Pastors zu Lehrer Wockenfuß scharf gegeiselt hatte, der Wahrheitsbeweis völlig geglückt sei!
Und das Urteil? Der Gerichtshof zu Stolp in Hinterpommern hielt den Wahrheitsbeweis in folgenden Punkten für erbracht: Pötter hat den Lehrer Halpap aus dem Lehramt vertrieben, er hat eine „Fertigkeit“ in Lehrerkränkungen, er hat die Unwahrheit gesprochen, er hat leichtfertig und aus Rachsucht Anzeigen gegen den Administrator des Grafen Schwerin, des Patronatsherrn, erstattet, er hat sich durch seine Handlungen in Gegensatz zu seinem Eide gestellt. Ferner wurden die edlen und selbstlosen Motive des Angeklagten Röhl vom Gerichtshof ausdrücklich anerkannt und — es will gar nicht aus der Feder — dieser selbe Röhl zu 500 Mark Geldstrafe oder 50 Tagen Gefängnis verurteilt!
Nach in ganz Deutschland geltendem Recht musste das Gericht so urteilen!
Und Pötter? Es wurde festgestellt, dass sämtliche Lehrer vor ihm die größte Angst hatten, aber eine Beschwerde hätte gar keinen Sinn gehabt, denn nach dem famosen, heute noch in Preußen gültigen Disziplinargesetz vom 21. Juli 1852 ist, wenn ein Lehrer sich über einen Vorgesetzten beschwert, die Behörde nicht verpflichtet, auch den Lehrer nach Vernehmung des Vorgesetzten nochmals zu hören, sondern die Aussagen des Vorgesetzten gelten für erwiesene Tatsachen. Ferner: Wenn ein Vorgesetzter über einen Lehrer Klage führt, so entscheidet die Behörde, ohne vorher den Lehrer oder seine Zeugen gehört zu haben. Diese Gesetze gelten heute noch, im 20. Jahrhundert, auch gegen Gymnasialprofessoren, und es gibt noch in Deutschland „Männer“, die solche Behandlung sich gefallen lassen 24)!
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Am 28. Juli 1905 nachts gegen 1 Uhr führte ein Ehepaar mit der Schwägerin ihren Hund auf die Straße. Ein angetrunkener Passant ärgerte sich über das Tier und äußerte zu einem in der Nähe stehenden Schutzmann — Beuche hieß das Auge des Gesetzes — dass der Hund ohne Maulkorb sei. Das war nun zwar nicht der Fall, aber pp. Beuche, der wohl die Gelegenheit für günstig hielt, seine „Schneid“ zu beweisen, brüllte den Eigentümer barsch an. Als dieser sich den Ton verbat, packte ihn der Hüter der öffentlichen Ordnung am Genick und stieß ihn vor sich her. Sein Protest dagegen wurde vom Beamten mit Faustschlägen auf den Kopf beantwortet. Sein Hinweis auf einen vom Polizeipräsidenten ausgestellten Jagdschein wurde vom Schutzmann zurückgewiesen mit der Bemerkung, der „Wisch“ genüge ihm nicht, zugleich bekam der Ehemann etliche Fußtritte. Seine Frau, die ihre Entrüstung in Worte kleidete, bekam Faustschläge auf die Brust, die, wie auch beim Ehemann, laut ärztlichen Attestes Spuren hinterließen. Darauf erstattete der Gatte gegen den Schutzmann Beuche Anzeige wegen Körperverletzung.
Soweit ist alles in Ordnung, und wir hätten keinen Grund von den Brutalitäten eines subalternen Rohlings an dieser Stelle Notiz zu nehmen, wenn das Verhalten der Behörde sie nicht in andere Beleuchtung rücken würde.
Die Staatsanwaltschaft lehnte nämlich ein Einschreiten gegen ihr Organ ab und erklärte, dass der Beamte so, wie er gehandelt habe, hätte handeln müssen! Nicht genug damit, drehte sie den Spieß um. Da im Falle des Stattgebens der Anklage die drei Misshandelten als Zeugen gegen Beuche vereidigt worden wären, war die einfachste und nördlich, der Mainlinie auch beliebteste Art dies zu verhüten die, aus Klägern bzw. Zeugen Angeklagte, die bekanntlich nicht schwören können, zu machen. Damit war ihnen die Möglichkeit des Beweises abgeschnitten. Der Gerichtshof glaubte — was er nach der Prozesslage ja auch bona fide tun konnte — dem als Zeugen vernommenen Schutzmann und verurteilte den Ehemann zu 50 Mark Geldstrafe, die eine Frau wegen versuchter Gefangenenbefreiung zu drei Tagen Gefängnis, die andere wegen des gleichen Reates zu einem Tage. Dabei handelte es sich um angesehene Personen aus dem Kaufmannsstande, die noch niemals mit der Polizei in Konflikt gekommen waren. Das Urteil wurde vom Schöffengericht I Berlin. Gefällt 25).
Da jedes Volk die Polizei hat, die es verdient, ist dem Vorkommnis Allgemeingültigkeit nicht abzusprechen. Immerhin erscheint es rätlich, noch einige ähnlich gelagerte Fälle, die zeigen, was der Reichsangehörige zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Subalternbeamten aushalten muss — das ist das wesentliche — anzuführen. Gleichzeitig sei aber konstatiert, dass wir nicht aus verbohrtem, uns völlig fernliegendem Partikularismus lediglich solche Vorkommnisse aus Norddeutschland registrieren, sondern nur deshalb weil uns aus Süddeutschland kaum ähnliche Fälle bekannt sind. Gewiss gibt es auch dort Rohlinge, aber Gerichte und Öffentlichkeit wissen mit ihnen fertig zu werden.
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Am 21. November 1906 wurde der Töpfer Marin in Zoppot wegen einer Schulstrafe von einer Mark von zwei Schutzleuten, denen er Zahlung anbot, am Bahnhof verhaftet und ins Gefängnis gebracht, aus dem er am nächsten Tage mehr tot als lebendig entlassen wurde. Der Arzt, der Marin zwei Tage später untersuchte, stellte ihm ein Attest aus, wonach er den Mann in einem „geradezu desolaten Zustande“ befunden hatte. Fast der ganze Körper war zerschunden, auch ließ die Untersuchung den Bruch einer oder mehrerer Rippen vermuten. Marin, war daraufhin sieben Wochen erwerbsunfähig. Vor Gericht wurde festgestellt, dass die Hüter der öffentlichen Ordnung zusammen mit dem Gefängniswärter Marin, der Zahlung auch im Gefängnis anbot, mit den Füßen und einem derben Stock misshandelt und in die Rippen getreten hatten. Außerdem nahm man ihm seinen Wochenlohn; von 22,70 M. ab. Als Marin sich in der Zelle auf die Pelerine des einen Schutzmannes — Kamin, hieß der Kavalier — setzte, schrie dieser ihn an: „Du roter Hund sitzt auf meiner Pelerine“ und schlug ihn mit dem Helm, den er an der Spitze hielt, ins Gesicht.
Marin erstattete Strafanzeige, und die Verhandlung fand vor dem Landgericht in Danzig statt. Der Staatsanwalt stellte zunächst mit großer Energie fest, dass Marin gewerkschaftlich organisiert, also Sozialdemokrat sei. Daraufhin wurde der Gefängniswärter und der Schutzmann zusammen zu einer Geldstrafe von 100 M. wegen Körperverletzung und Beleidigung verurteilt!
Dasselbe Gericht hat einige Tage später einen nicht vorbestraften 19jährigen Lehrling, der in angetrunkenem Zustande einen Arzt und seine Gattin mehrmals anrempelte und beleidigte, dann aber brieflich und vor Gericht seine Tat bereute, zu einem Jahr und einem Monat Gefängnis verurteilt 26).
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An einem Abend wartete Frau B. vor dem Stadtbahnhof Alexanderplatz in Berlin, als ein betrunkener Schutzmann mit den Worten auf sie zutrat: „Du Sau, was stehst du hier herum?“ Sie verbat sich das Duzen und sagte, dass sie auf ihren Mann warte. Auf weitere Flegeleien hin suchte sie ihm zu entrinnen, der Schutzmann lief ihr aber nach, zog, als die Menge gegen ihn Stellung nahm, den Säbel, hieb um sich und versetzte mit den Worten: „Du Sau, warte nur, wenn ich dich erst auf der Wache habe“, ihr zwei Hiebe mit dem Säbel über das Kreuz. Ein Arzt, der den Vorgang mit angesehen und beobachtet hatte, wie der Schutzmann die Frau sogar in schamloser Weise angriff, wollte als Zeuge mit auf die Wache kommen. Das war aber entschieden nicht im Sinne der Hüter des Gesetzes, denn man wollte ihn erst nicht hinein lassen. Ein Beamter nahm den Arzt beim Wickel und stieß ihn einfach in die Arrestzelle, aus der er erst durch die Intervention des Polizeihauptmannes befreit wurde. Dann erstattete man gegen ihn Anzeige wegen Hausfriedensbruches, der aber nicht stattgegeben wurde.
Da das Gericht annahm, dass der Angeklagte sich subjektiv nicht bewusst gewesen sei, in widerrechtlicher Weise gegen die Frau einzuschreiten, sie auch nicht vorsätzlich geschlagen, sondern sie nur beim Herumfuchteln mit dem Säbel getroffen habe, verurteilte es ihn lediglich wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 100 M.
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Ein Arbeiter, der einem Schutzmann gesagt hatte: „Sie haben uns gar keine Vorschriften zu machen, denn dazu sind Sie uns zu dumm; ich habe so viel Grütze in den Beinen, wie Sie im Kopf, wurde dagegen in Halle vom Gericht zu einer Gefängnisstrafe von 2 Monaten verurteilt! Ein Student, der eben* falls in Halle einen Folizeisergeanten mit dem Stocke derart über den Helm geschlagen hatte, dass der Stock in Stücke ging, die Helmspitze abbrach und der Helm sich verbog, dann im Wachtlokal spöttisch geäußert hatte: „Ach, bei der Halleschen Polizei braucht man nur zu fragen, was die Sache kostet, dann ist schon alles erledigt“, wurde zu einer Geldstrafe von 40 M. verurteilt.
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Der Referendar Morell war zusammen mit dem Kammergerichtsreferendar Tschepke am 20. November 1906 auf einem Berliner Polizeirevier erschienen, um einen Automobilführer, der sie falsch gefahren, feststellen zu lassen. Die nächtliche Störung gefiel den wackeren Männern der Ordnung augenscheinlich gar nicht; deshalb stellten sie zwar nicht den Autoführer fest, behielten aber die beiden Kläger auf der Wache! Als Morell dagegen protestierte, schrie der Wachthabende Korrhun dem Schutzmann Keppler zu: „Machen Sie den Mann ruhig.“ Keppler kam dieser Aufforderung gründlich nach, fasste Morell an beiden Schultern und schüttelte ihn gewaltsam so hin und her, dass er mit dem Kopf gegen die Wand flog. Sein Hinweis auf seine Eigenschaft als Referendar nützte gar nichts. Als Morell seinem sich entfernenden Freunde nachfolgen wollte, stürzten sich beide Schutzmänner auf ihn, hielten ihn mit Gewalt zurück, und während Keppler den Referendar Tschepke hinausbeförderte, würgte Korrhun, ein Hüne, den ersteren, schlug ihn auf den Kopf und ließ ihn schließlich in eine Zelle sperren, wo er ihn hinter einem eisernen Gitter halb bewusstlos bis 5 1/2 Uhr festhielt.
Auf die Anzeige Morells hin, lehnte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die Schutzleute ab, leitete dagegen das typische gegen Morell (11) wegen „Beleidigung“ der Schutzleute, „Widerstandes gegen die Staatsgewalt“ und „Hausfriedensbruch“ ein! Erst auf Anweisung des Oberstaatsanwalts wurde die Anklage auch gegen die Schutzleute wegen Beleidigung, Misshandlung und Freiheitsberaubung erhoben, so dass nunmehr neben Morell auch diese die Anklagebank zierten. Morell wurde freigesprochen, da seine Angaben sich als wahr, die beider Schutzleute als unwahr herausstellten. Korruhn erhielt 5 Monate Gefängnis, Keppler eine Geldstrafe von 100 M.
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Eine Frau wollte, wie ein konservativer Abgeordneter im preußischen Abgeordnetenhause 1908 ausführte, von Grünau nach Hirschberg fahren. Das Geld, das sie zur Bezahlung der Fahrkarte hinlegte, war schmutzig und wurde für falsch gehalten. Daraufhin sperrte man die Frau mit ihrem Kinde, einem dreieinhalbjährigen Knaben, ein. Eine Hausuntersuchung beim Ehemann, einem Arbeiter, verlief resultatlos. Die Frau blieb vier Tage eingesperrt, endlich kam das Geld zur Reichsbanknebenstelle, von da an die Filiale des Schlesischen Bankvereins und schließlich zu einem Goldarbeiter, aber es war und blieb absolut echt. Der Staatsanwalt schickte es darauf zur kgl. Münze, die den ganzen Betrag in funkelnagelneuen Stücken zurückzahlte. Daraufhin wurde die Frau entlassen und meldete sich beim Redner. Die Auslagen betrugen 17,90 M. Die Staatsanwaltschaft aber weigerte sich, diese zurückzuerstatten. Redner setzte daraufhin einen Brief an die Staatsanwaltschaft auf mit dem Hinweis, dass die Geschädigte sich im Falle einer Ablehnung an den Justizminister wenden und der Vermittlung eines Abgeordneten bedienen würde. Die Frau ließ diesen Brief von einem Nachbarn abschreiben. Die Staatsanwaltschaft ordnete nun eine Feststellung an — ob der Nachbar solche Briefe berufsmäßig abschreibe, und ob etwa eine Steuerkontravention vorliege! Auch wurde die Frau noch einmal darüber vernommen, ob sie etwa Quecksilber in der Wohnung hatte!! Nach etwa 14 Tagen wies der Justizminister 15 M, an, blieb also der armen Frau noch drei Mark schuldig!
Risum teneatis amici!
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Frau Marie Feuth, die Gattin eines jungen Architekten, der in unglücklichen Geschäften sein Vermögen verloren hatte und von den Gläubigern hart bedrängt ward, wurde im November 1906 in Berlin mit ihrem Mann auf offener Straße verhaftet und in ein Polizeirevier eingeliefert. Hier wurden beide in eine „Detentionszelle“ eingesperrt, wo sie von 1 1/2 Uhr mittags bis 8 Uhr abends sitzen mussten. Um diese Stunde wurde das Ehepaar in den „grünen Wagen“ verladen und nach dem Polizeipräsidium übergeführt.
Hatten sie den Wagen mit einigen Zuhältern geteilt, so trafen sie dort noch Verbrecher, Dirnen und betrunkene Rowdys. Anderen Tags gegen 11 Uhr wurde Frau Feuth in einem überfüllten Wagen voller Zuhälter und Dirnen, die durch Zoten und Handgreiflichkeiten sich die Zeit verkürzten, nach Moabit transportiert, dort zwei Weibern überwiesen, die sie — zum zweiten Male — bis auf die Haut entkleideten. Nach 10 Minuten kam die Oberin. Im Evakostüm musste die Dame den Raum durchschreiten und mit dem Gesicht gegen die Wand eine ganze Weile stehen, bis alle ihre Sachen ausreichend beschnüffelt und gebucht waren. Dann wurde sie vermessen, bis sie glücklich die Erlaubnis erhielt, sich wieder anzukleiden. Hierauf wurde sie in eine Zelle gesperrt, nach einer halben Stunde wieder herausgelassen, um sich mit schwarzer Schmierseife zu waschen und in einer keineswegs reinen Wanne zu baden. Ihre Leibwäsche wurde ihr genommen und sie erhielt die grobe Anstaltswäsche, ein grobes sackleinenes Hemd und ein Paar für ihre Schuhe viel zu dicke Strümpfe, so dass sie nur mit großen Schmerzen gehen konnte. Beinkleider wurden nicht verabfolgt. Endlich musste sie sich durch eine Strafgefangene auf Ungeziefer untersuchen lassen!
In die Zelle zurückgeführt, wurde sie in schroffer Weise auf die Obliegenheiten der Zellenreinigung usw. hingewiesen. Abends gab es eine Art von Wassersuppe und ein Stück Brot. Der Raum wimmelte von Ungeziefer, so dass die Dame angekleidet die Nacht über frierend und weinend auf dem Bettrand sitzen blieb, weil sie sich nicht von der Stelle zu rühren wagte. Sie wusste immer noch nicht, aus welchem Grunde sie verhaftet worden war! Auch die Oberin wusste keinen Grund anzugeben!
Frau Feuth blieb im Untersuchungsgefängnis 10 Tage, dann wurde sie entlassen und das Verfahren gegen sie eingestellt. Erst jetzt erfuhr sie den Grund ihrer Verhaftung: wegen des Verdachtes der Beihilfe zum Arrestbruch.
Ihr Mann wurde nach 2 1/2 Monaten von der Anklage der Urkundenfälschung und der Verschleppung von Pfandgegenständen freigesprochen und wegen Arrestbruches zu einem Monat Gefängnis verurteilt, der durch die Untersuchungshaft verbüßt war.
Mit diesem „Arrestbruch“ hatte es aber auch seine besondere Bewandtnis. Der Verteidiger hatte Herrn Feuth gesagt, er würde auch von dieser Anklage freigesprochen werden, müsse aber noch lange in Untersuchungshaft sitzen, denn bevor das Aktenmaterial geprüft sei, vergingen Monate. Daraufhin entschloss sich Herr Feuth, sich ohne Widerspruch wegen dieses Anklagepunktes verurteilen zu lassen, um nur die Freiheit wiederzugewinnen! Seine Frau saß nämlich mit 85 Pfennigen an diesem Tage auf dem Berliner Pflaster!
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Solche und ähnliche Fälle sind so zahlreich und wir könnten deren eine solche Reihe anführen, dass wir sie als typischen Missstand unseres Rechtswesens bezeichnen können.
Der Amtsrichter Emil Theisen war im Jahre 1894 am Amtsgericht in Frankfurt a. M. beschäftigt. Hier machte er alltäglich die Erfahrung, dass bei der Festnahme von Personen und deren Vorführung vor den Richter die zum Schutze der persönlichen Freiheit erlassenen gesetzlichen Bestimmungen von der Polizeibehörde nicht beachtet wurden. Als solche Gesetzwidrigkeiten sich mehrten und ein Bericht an die Justizverwaltung erfolglos blieb, machte er in der Überzeugung, dass der Tatbestand des § 341 St. G. B. vorliege, Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Wiewohl nun der Disziplinarsenat des Kammergerichtes als erwiesen ansah, dass die Vorführung der vorläufig festgenommenen Personen vor dem Amtsrichter in einer großen Anzahl von Fällen nicht dergestalt „ohne Verzug“ stattgefunden habe, als dies der Vorschrift der Strafprozessordnung entsprochen haben würde, erkannte er doch auf Zwangsversetzung in ein anderes richterliches Amt von gleichem Range wegen der beleidigenden Form der Anzeigen und Bruch des Amtsgeheimnisses. Letzteres Delikt wurde darin gesehen, dass Theisen der „Frankfurter Zeitung“, die den Fall gebracht hatte, zur Beseitigung einiger Schärfen und um falsche Lesarten zu verhindern, einige berichtigende Mitteilungen gemacht hatte. Der Oberstaatsanwalt hatte Theisen gedroht, er werde sein ganzes Leben lang darunter zu leiden haben, wenn er seine Strafanträge nicht zurückzöge! Darin sollte er auch recht behalten, denn Theisens Karriere war beendet, weil er nach Ansicht seiner Vorgesetzten „die Justiz zu sehr kompromittiert“ hätte. So geht es also einem preußischen Richter, der Ungesetzlichkeiten rügt 27)!
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Der Turmwächter König in Wasungen bei Jena hatte mehrere Jahre hintereinander die unheimliche Beobachtung gemacht, dass in der Silvesternacht um 12 Uhr ein Licht über den dortigen Friedhof wandle. Auf Grund einer Wette ging er nun am 31. Dezember 1906 mit seinem Freunde Bach, einem befreundeten Kellner und seinen beiden Schwestern zur geheimnisvollen Stunde dort hin. Tatsächlich tauchte das unheimliche Licht Punkt 12 Uhr auf. Während die Schwestern ausrissen, feuerte Bach seinen mitgebrachten Revolver auf das Gespenst und traktierte es dann mit Säbelhieben übel. Daraufhin lüftete das Gespenst sein Inkognito und entpuppte sich als Bernhard Günkel in Wasungen, der seit Jahren in der Neujahrsnacht vom Friedhof einen Kreuzdornzweig zu holen pflegte. Dieser, stillschweigend gebrochen, ist nämlich ein sicheres Mittel gegen Krankheiten bei Mensch und Vieh. Auf den Strafantrag des Gespenstes wurde Bach vom Wasunger Schöffengericht wegen Körperverletzung zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Meininger Strafkammer bestätigte diese Strafe, wiewohl Bach, dessen Mut jedenfalls größer war als seine Intelligenz, bekundete, er habe die feste Überzeugung gehabt, nicht auf einen Menschen, sondern auf ein Gespenst losgeschlagen zu haben.
Ob in diesem Falle der Staat nicht vielleicht besser getan hätte für entsprechenden Schulunterricht zu sorgen, statt einem armen unwissenden Menschen, der das glaubte, was die unfehlbare Kirche Jahrhunderte gelehrt und mit Gewalt eingebläut hatte, streng zu strafen? Immerhin ist die Tatsache ein wertvolles Kulturdokument, sowohl bezüglich der Volksbildung als der Strafrechtspflege 28).