Wien - Der erste Anblick der Stadt

Es war an einem köstlichen Sommermorgen, als ich Wien nach Jahren wieder zum ersten Mal sah. — Ach, wie schlug mein Herz, da ihm der alte Stephan immer bunter geschnörkelt erschien, es (nämlich das Herz) wollte wahrhaftig aus dem Wagen und an ihn (nämlich an den Stephan) hinanspringen.

Närrisches Herz — damals warst Du siebenzehn ober gar sechszehn Jahr alt. — Ich sagte Euch schon, daß ich Soldat gewesen — österreichisch-kaiserlicher Soldat. Nun wohl, an dem Tage, von welchem ich jetzt rede, reiste ich in meine Garnison; denn ich gehörte zu dem schönen alten ungarischen Regiment Prinz Gustav Wasa, welches damals noch Jgnatz Gyulai hieß.


Der Kadettenrock saß mir auf dem Leibe, als wäre er da angewachsen, und doch schien er mir noch immer zu wenig straff. — Jetzt würde er mich einzwängen wie der Ledereinband ein Buch; und ich bin nicht etwa dick geworden; bei Leibe nicht! dafür sorgt die Poesie!

Ach! wie schön warst Du, Wien, bei diesem Wiedersehen! Da lagst Du groß, breit, stattlich, lebens- und liebevoll; wie eine alte riesige Göttin im modern-eleganten königlichen Gewande. — Meine Reisegefährten rauchten Tabak und sprachen von häuslichen Dingen: Kindern, Hunden, Gänsen, Töchtern — und von der Accise. [ Accisen im engeren Sinne waren Steuern auf den Lebensmittelverbrauch (Zucker, Salz, Fett, Fleisch) und den Genussmittelverbrauch]

Besonders war Einer darunter, der hatte zu Hause eine große Gans, auf deren Wiedersehen er sich sehr freute. Er mästete sie bereits 16 Monate oder Jahre (das weiß ich nicht mehr genau) — und die Gans konnte bereits Gick, Gack und sogar Guck sprechen. Es muss eine rührende Umarmungsszene gegeben haben, als der Mann in sein Haus trat; ich kann mir’s denken.

Diese Leute wurden immer gesprächiger, je näher wir der Linie kamen; eine Madame (bitt’ um Entschuldigung: Gnädige grau wollt’ ich sagen) im gelben Strohhut und mit einer, vom Schnupftabak unterminierten, roten Nase, von welcher ich bei jedem Niesen fürchtete, sie würde in die Luft springen — dieses Nasenweib schnatterte so entsetzlich, daß ich das Ohrenklingen bekam.

Ich wandte mich an meinen Nachbar und fragte ihn, ob denn heute irgend ein großer Festtag sei, da in der Stadt alle Glocken läuteten. — Da sah mich dieser Mensch an — ich werde es nie vergessen, wie er mich angesehen — und entgegnete:

„Meint der Herr das im Ernste?“

Und als ich mit dem Haupte nickte, rückte er ein wenig von mir weg und flüsterte seinem Nebenmanne etwas in’s Ohr. Dieser besah mich dann mit einem ähnlichen Blick — und flüsterte dem, der ihm auf der andern Seite zunächst saß, wieder Etwas zu. — Im Nu war das Geheimnis. im ganzen Wagen herumgegangen und nun nickten Alle mit den Köpfen, und besahen mich stumm und rückten so weit als möglich ab.

Es war klar: sie hielten mich für närrisch.

Nachdem ihr erster Schreck vorbei war, fingen sie wieder an zu carressiren, zu schnattern, zu gackern, zu wiehern, Jedes nach seiner Art und seinem Geschlecht — und da sprachen sie von den teueren Zeiten, und was das Holz kostete und wie die Butter im Preise steige — und wie heute Gemüsemarkt in der Stadt sei und in zwei Wochen Ochsenmarkt — und sodann, daß in der Vorstadt Lichtenthal das Bier schändlich geworden — in Herrnhals aber exzellent ...

Das war Alles, was die guten Leute von Wien erzählen konnten; während ich da saß im Anblick des tatsächlichsten Wunders versunken, welches sich vor mir in weißen, grauen und bunten Steinmassen ausbreitete, überdeckt vom goldenen Netz der Sonne, dessen einzelne Fäden und Knötchen hüpften und tanzten und vor Freude zu zerreißen drohten — gerade so wie die glücklichen Herzen darunter ...

Was sah ich nicht noch Alles! — Aber freilich, ich war ja ein Narr.

„Haben Sie nichts Mauthbares bei sich, meine Herren ?“

Wir hielten am Schlagbaume der Residenz.

Man hatte bei uns nichts „Mauthbares“ entdeckt und wir fuhren in die Straßen, hinein. Welch lebendiges Treiben, welche erfreuliche Regsamkeit, Alles läuft, wie große Ameisen, hin und her, kreuz und quer; kein Wiener und keine Wienerin paradiert mit den Schritten auf der Straße — Alles geht im raschen Geschäftsschritte. —

Die Häuser zu beiden Seiten, wie sehr sie in manchen Vorstädten auch aus verschiedenen Perioden stammen mögen, sind gleichwohl durchweg von solider, tüchtiger und bequemer Bauart. Schon in den Vorstädten sieht man eine Unzahl von Palästen und kolossalen Architekturen — aus manchem Gebäude könnte man eine ganze kleine deutsche Stadt machen.

Hahaha!

„Wer lacht hier?“ kann ich mit jenem Manne in der Komödie fragen. — Ich war’s, ich! Ich musste lachen, weil mir bei dieser Stelle Euer deutsch-klein-bürgerlicher Stolz einfiel — Euer Grimmaer, Euer Altenburger, Euer Koburger, Euer Dessauer, Euer Kasseler, Euer Schildaer Lebkuchenpalast-Stolz.

Ich sage’s Euch, Ihr Altenburger — und Schildaer Hausbesitzer, baut Eure Häuser fester, sonst wird Eure ganze Stadt früher einstürzen, als das Haus meines guten Nachbars in Wien, des Herrn Seifensiedermeisters Hoppelschwinger, Wohlgeboren, Nr. 1300.

O liebliches Straßenpflaster der Kaiserstadt! — So wünsch’ ich mir den Weg in Mohameds Paradies gepflastert, nicht besser.

Ich stieg im Gasthof zur Dreifaltigkeit in der innern Stadt ab. Im Hui waren die Kellner herbeigeflogen und

„Schaffen (befehlen) Euer Gnaden ein Zimmer?“ erscholl’s von fünf oder sechs Paar Lippen. Mittlerweile hatte der Hausknecht sich schon meines Gepäckes bemächtigt — und schaffte (hier passt das Wort besser, lieber Johann! es hinauf in die Stube.

Alles, Alles mit derselben Geschwindigkeit; und so ward denn auch ich, ehe ich’s mich versah, in die zweite Etage verpflanzt —

Hopp, hopp, hopp! im sausenden Galopp.

Für einen Gulden Wiener Währung (etwa sechs gGr. sächs) speiste ich zu Mittag an der Table d’hôte sechs vollkommen brave, reelle Wiener-Gerichte nebst Dessert. Aber nicht etwa Windbeutel (Spanischer Wind) und anderes Windiges, wie im Hotel de * * zu ***.

Auch Wein wurde aufgetragen — jedoch musste man ihn extra bezahlen, was mir keine Schwierigreiten machte, denn dazumal trank ich noch keinen.

Es ging da ein sehr hübsches Mädchen ab und zu, so eine rechte ,,holde Maid“, wie wir närrischen Romantiker es nennen; in diese hätt’ ich mich fast verliebt, wäre mir zur Rechten nicht ein Mensch postiert gewesen, ein Mensch, sag’ ich Euch — der eher Allem als einem Menschen glich. Dieser Kerl oder Mensch — ober wie soll ich ihn sonst nennen? — ennuyierte [langweilte] mich seit dem ersten Augenblick mit seiner zur Verzweiflung bringenden Höflichkeit und bot mir immerwährend seine Dienste an, beim Essen, beim Reden, ja selbst beim Denken.

,,Wollen Sie nicht von diesem Stückchen Braten versuchen?“

„Ich danke.“

,,Dieses Compot würde Ihnen gewiß behagen.“

„Wirklich?“

„Ihre Gabel scheint zu stumpf — nehmen Sie diese da!“

„Sie sind sehr gütig ...“

„Sie — scheinen nachdenklich ... Kann ich Ihnen vielleicht in irgend einer Hinsicht dienen ...“

„Bitte sehr ...“

„Sie denken wahrscheinlich darüber nach, was Sie nach dem Essen beginnen sollen; ich könnte Ihnen da aushelfen ...“

Zur Wut gebracht murmelte ich einen Fluch zwischen den Lippen.

,,Wie meinen Sie das?“ fragte er. ,,Es schien mir, als hätten Sie soeben Türkisch gesprochen. Auch in dieser Sprache kann ich Ihnen Red’ und Antwort geben. Kapidschi Baschi — Kapidschi Baschi.“ —

,,Herr!“ fuhr ich jetzt auf, ,,werden Sie mich endlich zufrieden lassen? Was wollen Sie immerfort? Wer hat Ihre Dienste verlangt? — Scheren Sie sich zum ...“

Aber auch hier verließ unsern Mann die Artigkeit nicht und er ergänzte dienstfertig: „Zum Guckuck wollen Sie sagen — oder gar zum Teufel! Nun, wie’s eben beliebt. Ich stehe in jeder Hinsicht zu Befehl.“

Nach Tische erfuhr ich, daß dieser Mann einer von jener Sorte von Geschäftsleuten war, die sich an einen jungen Fremden, bei dem sie Geld verspüren, hängen, um ihm dasselbe abzujagen — durch Spiel, im Handel u. s. w.

Ich entkam ihm jedoch glücklich. Mich hatte meine Ungeduld gerettet und der Mensch hatte es freilich auch ziemlich dumm angefangen.

Tags darauf verfügt’ ich mich in die Alserkasene, woselbst unser Regiment sein Quartier hatte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moderne Wiener Perspektiven