Essen und trinken.

„Essen und trinken hält Leib’ und Seel’ zusammen.“
Wahlspruch meines Großvaters.

Da wir jetzt gerade bei einem günstigen Thema sind, so wollen wir es zu einem neuen Kapitel benutzen.


Dieses Kapitel verdient seiner Wichtigkeit wegen mit goldener Schrift gedruckt zu werden.

Wir reden von Essen und Trinken im Lande Österreich.

Hierbei seh’ ich schon, wie die sächsischen Küchenmeister und die Berlinischen Garköche, ja selbst die ostpreußischen Küchenjungen der Gelehrtenrepublik in unbeschreiblich ironischer Weise den Mund verziehen und mitleidsvoll mit den Augen zwinkern — sich dabei auch die Hände reiben oder dieselben hinter ihren druckspapiernen Schürzen verbergen — ausrufend:

„O sancta simplicitas!”

Und gleich nachher setzen sie hinzu:

,,Der Mensch lebt ja nicht, um zu essen, sondern er ißt, um zu leben.“

Das ist aber grundfalsch und da irren sich diese Herren gleich von vorn herein.

„Der Mensch lebt, um zu essen!“ das behaupte ich stets und fest; denn äße der Mensch, um zu leben — mein Gott, was wäre dann mit gewissen deutschen Ländern bisher geschehen! Sie hätten sich bereits längst in große Gottesäcker umgewandelt.

Ich will sie hier nicht beim Namen nennen — denn Gott weiß, es ist mir nicht darum zu tun, von irgend Jemand Schlechtes zu erzählen —: aber ich sage nur ganz einfach Folgendes:

So lange ich die Ehre hatte, in jenen Ländern zu leben (und ich genoss diese Ehre durch mehrere Jahre), erinnere ich mich nicht, daß ich jemals gegessen hätte. Folglich habe ich sogar an mir selbst den Beweis hergestellt: der Mensch lebe, um zu essen, und nicht umgekehrt.

Über diese Materie will ich nächstens eine tiefsinnige Abhandlung verfassen und sie der Universität in X., wo bekanntlich am miserabelsten gegessen wird — dedizieren. Ich hoffe sodann, von ihr zum Professor der Kochkunst oder des Sanskrit ernannt zu werden.

Unter uns: den Mahabarata will ich mit ganz neuen Original-Glossen aufwärmen, und was den Ramajana betrifft, so soll dieser ebenfalls auf eine neu-pfiffige Weise abgekocht werden, wie der schönste Kalbskopf.

O mir selber läuft schon das Wasser im Munde zusammen, denk’ ich an den frisch abgebrühten Ramajana-Kalbskopf.

Allein wir verplaudern uns wieder.

Wir sollten vielmehr in unserer Entzückungs-Jeremiade fortfahren. Also:

O wie werden sich einige Kritiker, die meine speziellen und guten Freunde sind und die ich so sehr liebe, ärgern, daß ich noch immer nicht aufhöre, über Küche und Keller zu diskutieren. —

! ! ! !

Aber das ist von ihnen nicht besser zu erwarten.

Ihr, meine lieben Freunde und Kollegen — Ihr würdet Euch wahrhaft entwürdigen, ja in die Kategorie der Lumpe würdet Ihr herabsteigen, wolltet Ihr über das, was Ihr Küche nennt, nämlich über die sächsische Küche, schreiben.

Ach, meine süßesten Herren Küchen-Mitleider im Lande Sachsen: Ihr seid niemals noch im Paradiese gewesen, nicht wahr? — Daher redet auch nicht davon. Ich jedoch, ich bin im Paradiese gewesen: nämlich ich habe sechsundzwanzig Jahre in Osterreich gelebt, soll heißen: gegessen. —

Ihr werdet das wieder nicht begreifen. Natürlich, aus dem bereits angeführten Grunde.

Ader ich will Euch noch Etwas beweisen, nämlich die geistigen Vorzüge Österreichs in Anbetracht seiner Küche. — Erwiesen ist, daß, um den Geist frei und tätig zu erhalten, zuerst der Körper befriedigt werden muss. Dieser wirkt auf jenen unmenschlich stark zurück. — Wenn dies nun der Fall: so muss bis zu einem gewissen Grade die freie Tätigkeit des Geistes mit der größeren Behaglichkeit zunehmen, in welche der Körper versetzt wird. Daher ist evident:

Daß ich in Dommaiers Casino zu Wien besser und höher denke, als bei Stehely in Berlin; denn bei Dommaler esse ich Rebhühner und trinke Neszmälyer; bei Stehely aber esse ich dünne Butterbemmen und trinke dünnen Tee.

O Dommaier! O Daum! o Scherzer! o Mann im Matschakerhofe! in der Kaiserin von Österreich! im
Casino!— — und all’ Ihr übrigen Götter meines heimatlichen Paradieses — wo seid Ihr? — Ach, warum kann ich Euch nicht umarmen und Eure welschen Hühner, Tantrons, Escalozs, Strudeln und Fricassés allzumal. — Ach — selbst du, harmloses Rostbratel mit deinem legitimen Bruder, dem Lungenbratel, würdest mich in Demut vor Dir niedersinken und dich mit Patriotismus verschlingen sehen. — Aber ach — Ihr seid fern von mir; wer weiß, wann ich Euch wiedersehe. O Rostbratele! o heimatliche Träume voll Wirklichkeit und kleingehacktem Knoblauch!

O, ich werde schwach! „Nachbarin, Euer Riechfläschchen!“ —

— Es gibt in Wien nicht mehr Gasthöfe, Restaurationen, Kaffeehäuser u. s. w. als verhältnismäßig in einer andern Stadt; die Mehrzahl also macht es nicht aus — — wohl aber die innere Güte. Es ist der alte Casus mit dem Unterschiede zwischen Quantität und Qualität. — Die letztere Eigenschaft nun ist es, die das Gasthauswesen Wiens zu jenem Paradiese macht, wovon wir eben gesprochen.

Wir befinden uns zum Beispiel in der ,Kaiserin von Österreich?.

,,Kellner! Kellner!“

(Anstatt eines fliegen sechs Kellner herbei; elegante, hübsche Jünglinge mit ihrem unauslöschlichen Humor und ihrer unnachahmlichen Geduld. Sie machend eine tiefe Verbeugung:)

,,Was befehlen Eure Gnaden?“

,,Eine Karte!“

Im Nu wird diese herbeigebracht; es ist jedoch nicht etwa so ein Kärtchen von 6 Zoll Höhe und 3 Zoll Breite, meine lieben Freunde und Köche im Lande Sachsen, sondern es ist eine förmliche, große, große Landkarte — 30 Zoll lang und 40 3oll breit — eingeteilt in die verschiedenen Provinzen des Reiches der Ceres und des Bacchus: in die Provinz der Suppen,

Provinz der Rindfleiche,
Provinz der Gemüse,
Provinz der Eingemachten (der Speisen mit pikanten Saucen),
Provinzen der Mehlspeisen,
Provinz der Fischspeisen
Provinz des Wildbrets,
Provinz der Braten,
Provinz des Desserts,
Provinz der Weine u. s. w.

Jede dieser Provinzen enthält 5, 6, 10, 20, auch 30 einzelne feste Plätze (Gerichte), und so kommt da, wie man leicht denken kann, am Ende eine sehr hübsche Bevölkerung heraus.

Man wählt und entscheidet sich zuerst für Etwas aus dem Lande der Suppen. Dies ist aber keine mit Butter geölte Wassersuppe, Ihr meine geliebten Freunde und Köche im Lande Sachsen, sondern es ist veritable Fleischbrühe, ein Ding, wovon Ihr guten Leute Euch gar keine Vorstellung machen könnt.

Man geht nun zu dem Ländchen der Assietten über, was aber nicht ganz national ist, denn der Österreicher läßt die Assietten in der Regel neben seinem Wege liegen und begibt sich ohne Säumen nach dun Territorium der, von den Hamburgern so sehr gefeierten, Rindfleische. Sie werden mit Meerrettich, Saucen, Radieschen, Gurken u s. w. genossen.

Folgt das Gemüse mit einer Auflage von Gebratenem oder geschmortem Fleische; wird in der Regel von honetten Menschen übergangen.

Die Eingemachten hingegen bilden eine Hauptstation des österreichischen Denkens und Essens. Hier verweilen Beide mit Behagen und ergeben sich gänzlich demjenigen, welchem sie nicht widerstehen können. —

Von der Natur dieser sogenannten ,,Eingemachten“ kann ich Euch, geliebte Freunde und Köche im Lande Sachsen, keinen rechten Begriff geben. Er wird für Euch ewiglich das Schibolet bleiben, welches Euch von den Süddeutschen unterscheidet, und Ihr werdet dieses Schibolet immerdar als Sibolet aussprechen. — Um Euch jedoch das Absolut-Unerfaßliche mindestens von einer Seite anschaulich zu machen, so stellt Euch vor. Euere Koteletts mit Allerlei wären an innerer Gründlichkeit und äußerer Ästhetik zur zehnfachen Potenz erhoben — und Ihr habt allenfalls eine reife Idee von dem, was der Österreicher unter dem Namen eines Eingemachten in reeller Wirklichkeit verzehrt. Solcher Eingemachte aber gibt es Hunderterlei und Tausenderlei.

O Ihr Götter und Heroen der Küche alle! Jupiter, Lucullus, Apicius, Nero, Diocletian, Attila, Heinrich IV., Ludwig XIV., Prinz von Soubise, Voltaire und Clauren: erleuchtet meine lieben Freunde und Köche im Lande Sachsen — bis zu dem Grade, daß sie das Wesen eines „Eingemachten“ erfassen, begreifen und sich daran wenigstens im Geiste erquicken mögen.

Die Mehlspeise lebt im Herzen (Magen) eines jeden Österreichers als das lieblichste Vergissmeinnicht der Tafel. Eine Mahlzeit ohne Mehlspeise bietet für die Erinnerung Nichts dar, sie hat nicht existiert.

Darauf kommen die Fischspeisen.

Witzige Literaten halten sich besonders an diesen Punkt — und mögen darüber ihre Meinung nachträglich in einigen deutschen Blättern bekannt geben. Auf diese Art wird in diesen Blättern doch einmal etwas Genießbares vorkommen.

Das Wildbret ist die partie honteuse der österreichischen Speisekarte; das will aber weiter nichts sagen, als daß es noch immer viel besser ist, als die beste Partie der Table d’hôte im Hotel de Baviere, Petersstraße, Leipzig.

Am Braten hält der Österreicher mit rührender Sündhaftigkeit. Die ,,goldne Birne“ hat durch ihren Braten ihren Platz in der Weltgeschichte stets zu behaupten gewußt. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß die übrigen Gasthöfe Wiens den ihrigen weniger gut behauptet hätten; im Gegentheil muss ich bekennen, daß mir erst neulich ein berühmter Historiker mit bekümmerter Miene gestanden: — wenn die Wiener Gasthöfe fortfahren würden, so ausgezeichneten Braten zu liefern, dann würde er bald nicht Raum genug behalten in seiner Geschichte — zur Aufzeichnung anderer Dinge.

,,Kellner! Kellner!“

„Befehlen Euer Gnaden?“

„Dieser Braten scheint mir zu scharf.“

,,Wenn Euer Gnaden dies glauben — so werde ich ein anderes Stück bringen.“

„Oder — er scheint mir vielmehr zu weich....“

,,Es ist möglich; ich werde einen schärfern bringen.“

,,Nein, nein, er ist zu fett; das ist es.“

„Richtig. Ich werde sogleich mit einem mageren aufwarten.“

„Halt, halt! — Jetzt dünkt er mir doch wieder zu mager.“

„ — Ich werde einen fetten herbei schaffen.“

,,Aber das mein’ ich ja nicht; sondern — sondern ich meine, dieser Braten sei ein wenig zu zart, zu jung...“

,, — Ganz recht.... er ist zu jung: ich werde einen bringen von einem kräftigeren Stück Vieh....“

— Ist das nicht der Polonius des Hamlet, dieser arme Kellner? und muss er nicht ex professo den Narren spielen? — zum Schlüsse wird er aus Dankbarkeit auch noch erstochen wie Polonius, d. h. er wird „Dummkopf“ — ,,Esel“ — „Tölpel“ genannt — oder gar geohrfeigt. Das Letztere ist wohl auch schon vorgekommen.

Seht Ihr, meine lieben Freunde und Köche von Leipzig, so wird man in Wien bedient!

Allein die Mahlzeit ist noch keineswegs beendigt. Ein österreichischer Magen gleicht dem Gott Jumahal der Inder: je mehr er ißt, je mehr Appetit bekommt er zum Essen. — Es kommen jetzt die verschiedenen Salate zum Braten, wovon der Tisch in eine kleine Gärtnerei verwandelt wird.

Dann läßt man sich mit dem Dessert ein. Und da die Wiener nicht nur Freunde des Soliden sind, sondern außerdem auch noch die ausgemachtesten Leckermäuler: so kann man sich von dem kleinen Nachspiel, welches jetzt nach dem großen Drama aufgeführt wird — eine Vorstellung machen. Die Torten, die Cremes (es ist indes ein Fehler, daß die Cremes in Wiener Gasthäusern als Dessert gelten), die Bonbons und Zwiebäcke tummeln sich im lustigen Durcheinander und gerade so, als wäre früher Nichts da gewesen — als wären sie die einzigen Helden des Tages.....

Was die Weine betrifft: so gilt bei ihnen ein anderes Prinzip, und zwar blos das der Qualität. Viel Wein vermag kein Wiener zu trinken, er müsste denn aus Lerchenfeld sein; aber guten Wein muss er haben, und er ist hierbei so sehr Patriot, daß er in der Regel blos inländischen trinkt.

Nun gibt es freilich vom Tokayer bis zum leichten Landwein tausend Sorten.

Ich muss noch einmal bemerken, daß von den genannten Gerichten nicht etwa blos eine ober zwei Sorten, sondern daß deren zehn, auch zwanzig und der Eingemachten noch mehr vorhanden sind.

„Kellner, die Rechnung!“

,,Euer Gnaden haben Suppe 6 Xr.

Rindfleisch 12 Xr.

Entremets 15 Xr.

Eingemachtes 24 Xr.

Mehlspeise 15 Xr.

Wildbret 18 Xr.

Braten 24 Xr.

Dessert 18 Xr.

Wein 30 Xr.

Summa: 6 und 12 macht 18 und 15 ist 36 und 24 ist ein Fl.*) und 12 und 15 ist 1 Fl. 27 und 18 macht 1 Fl. 50 und 24 ist 1 Fl. 18 und 18 ist 1 Fl. 36 und 30 ist 2 Fl. 16 Xr. W. W.

*) Der Gulden hat bekanntlich auch in Österreich 60 Xr.

Der Wiener Kellner hat einen einzigen Naturfehler: er verrechnet sich leicht. — Aber dafür ist er ja auch der Polonius und wird erstochen. —

Mit vollem Magen und behaglicher Seele stehen wir vom Tische auf, um uns zum Kaffee zu begeben; wir fahren nach Daums Kaffeehaus, Kohlmarkt Nr. so und soviel. O wie gut hat uns das Alles geschmeckt! —

Wem? —

Ach, mir nicht. Ich, Schreiber dieses, — habe erst vor Kurzem im Hotel de Baviere zu Leipzig gegessen. Nur ein unglücklicher Magen kann so schön träumen, wie ich vorhin träumte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moderne Wiener Perspektiven