Die Bastei

Sie werden zugeben, daß das kein Selbstlob ist. Ich lobe blos mein Buch — und erleichtere den Recensenten ihr Geschäft. Ich möchte es ihnen auch nach der andern Seite hin erleichtern ... und gegen mein eigen Kind losziehen. Allein, bei Gott, das ist mir unmöglich; ’s ist ja eben mein Kind und ich habe deren schon gar manche in die Welt gesetzt, friedliche in Romanen, Novellen, und kriegerische in Journalaufsätzen und Zeitschilderungen, ohne es jemals bis zu jenem Grade moderner Selbstzufriedenheit zu bringen, daß ich sie vor den Augen der Welt für schlecht ausgeschrieen hätte, was immer voraussetzt, daß sie Einem insgeheim um so mehr gefallen.

Allein lassen wir das und kehren wir lieber zu unserem Thema zurück.


Ich wollte Sie auf die Bastei führen. Vom Paradiesgärtchen anlangt man zur Bastei — gerade so wie
vom A zum B. Die Bastei ist die Fortsetzung des Volks- und Paradiesgärtchens, oder vielmehr diese beiden sind die Zentralpunkte von jener.

Allein da jetzt Sommerzeit ist — denn während dieser blühen die Freuden im Volksgarten am schönsten — so müssen Sie mir schon die Gefälligkeit erzeigen und ein wenig Phantasie zur Hand nehmen, um mit mir einen Sprung in den Winter zu tun, da es mit der Bastei gerade umgekehrt ist: nämlich sie blüht am reizendsten im Dezember, Januar und Februar.

Wohl denn also. Es ist Januar oder meinetwegen März— wie Sie’s gerade haben wollen. Alles, was zur Mittagzeit — Zeit und Lust zu einem Spaziergange hat, eilt nach der Bastei, worunter die um die innere Stadt sich ziehenden Wälle zu verstehen sind. Sie erblicken da die Fürstin, die Gräfin, die Gesandtin, die einfache Kaufmannsfrau, die Gemahlin des geldmächtigen Banquiers, sämtlich mit ihren Familien, wozu außer dem Herrn des Hauses auch die Töchter, erwachsene und unmündige Kindlein, zu zählen sind. Die Damen, deren Männer um diese Zeit in den Bureaus des Staates sitzen, wählen andere Begleiter, Freunde vom Hause, mit denen sie sich hier ergehen, mit denen sie scherzen, lachen, kritisieren und medisiren [lästern] — bei Gott, nicht selten auf Kosten der armen Ehemänner.

Die kostbarsten Stoffe, schwer, seiden und samten — mit prächtigem Pelzwerk verbrämt, sind hier zu schauen — und einer von diesen Muffs wiegt oft tausend andere Muffe der Welt auf. Auch die Herren sind von oben bis unten in Winterrocken, Paletots, Sibirennes, Burnussen u. s. w. eingehüllt — um den Hals schlingt sich in romantischem Faltenwurf ein Schal...

Hui, wie das eilt und rennt und dahin stürmt! Es ist aber auch eine harte Kälte — die Zahne klappern, der Atem gefriert, das Blut erstarrt —und darum muss man unaufhaltsam vorwärts: es ist das hier eine wahre Eispartie.

Man geht zwei, drei Mal um die Stadt, was im Ganzen kaum eine Stunde währt...die Vorstädte dehnen sich ringsum aus, gleich einem Panorama, über welches der graue Winternebel gebreitet wie ein Flor; dasselbe gilt von der Spitze des überall sichtbaren. Stephansturmes, der in die Wolken zu ragen und diese auf sich hernieder zu ziehen scheint.

In dem eben besprochenen Panorama treten die verschiedenen Hauptpunkte des äußeren Wiens imposant heraus: da die Karlskirche mit ihrer Kuppel und den zwei herrlichen Obelisken vor dem Portal... dort die kaiserlichen Stallungen — das Gebäude der ungarischen Edelgarde — die Alserkaserne — die Leopoldstadt mit dem Donauarme und den schönen Brücken darüber — ferner hundert andere palastähnliche Häuser und Bauwerke.

Zur Abwechslung begibt man sich dann von der Bastei herab in die Straßen: unter denen jetzt nur der Kohlenmarkt, Graben, Stephansplatz und allenfalls die Kärntnerstraße on vogue sind.

Hier bieten die Gewölbe und Kaufladen, wie mitten im Sommer, ihre reizendsten Stoffe dar, aufgeschichtet in Glasschränken vor der Tür, oder zwischen und über dieser. Alles in pittoresken Zusammenstellungen... Ja die Putzsachen, Galanteriewaren und Damenstoffe sind in dieser Jahreszeit noch reichlicher und koketter ausgestellt, so daß ihr unendliches Bunterlei das Auge blendet. —

Während wir nun noch die eigentliche schöne Welt sich umhertummeln lassen, verfügen wir uns, ermüdet und ausgehungert von der Morgenluft, nach irgend einem von den kleinen Lokalen, wo der elegante Wiener sein Gabelfrühstück verzehrt, z. B. zum Kamahl, Lenkay u.

Bei behaglicher Ofenwärme strecken wir uns auf einem Sofa aus, sehen in die Speisekarte und bestellen z. B. Austern — die man nirgends so schlecht bekommt, wie in Wien. Wenigstens darf man in nordischen Seestädten nur kurze Zeit verweilt haben, um den Triester Schaltieren, die hier aufgetischt werden, ihren miserablen Geschmack abzugewinnen.

Der Sonderbarkeit wegen jedoch versuchen wir’s mit denselben; — wäre der edle Neszmälyer nicht
daneben im Glase, wahrhaftig, wir würden das ganze Mahl liegen lassen und uns lieber an Krenwürstel halten — der eigentlichen Nationalspeise des Wieners, die ihm statt der Austern dient.

Zum Glück haben wir hier noch Bricken, Anchovis, Sardellen, Lachse, Aase, Westphäler Schinken, Strachino, Chesterkäse und hundert andere Pikanterien — und sind demnach nicht bemüßigt, wie die Auster — an ihrer Schale zu kleben..., wie die Wiener-Trister Auster nämlich....

Unser Gott, unser Appetit ist befriedigt und wir verlassen das Lokal, indem wir uns neuerdings der Bastei zukehren, die jetzt anfängt, sich ihrer Besucher zu entäußern — für deren einen Teil, und dies sind die Angestellten, sodann die Leute aus dem Mittelstande, die Stunde des Mittagsmahls geschlagen hat.

Auch die haute-volée hat zum größten Teil bereits das Feld geräumt, das jetzt nur mehr von einem bunten Gestalten-Kauderwelsch behauptet wird, von Individuen, die entweder zu genial sind, um die Mittagsstunde zu eben dem Zweck zu benutzen, wozu die ganze Welt sie benutzt — dann von Leuten, die bereits gegessen, und endlich von solchen, die — nichts zu essen haben.

Da sieht man denn jetzt vorzugsweise die edlen Diener her Musen umherschlendern, mit langen Hälsen und dürren Lippen, — ästhetische Fragen abhandelnd und dabei pathetisch nach den Atomen schnappend, wovon jetzt, Dank den Fleischtöpfen Wiens, die ganze Atmosphäre dieser Stadt erfüllt ist ...

Sehen Sie dort jenes winzige Poetlein an der Seite der hagern lyrischen Hopfenstange, die soeben einen Hexameter skandiert:

„Sattle die schneeigen Rosse, o himmelerleuchtender Phöbos —“

und dabei verlangend nach einem Schornsteine schielt, aus welchem bläulicher Rauch sich in die Wolken emporkräuselt; unwillkürlich fallen nun die folgenden Hexameter so aus:

,,Hätt’ ich, ach hätt’ ich die Ursach’ von jenem bläulichen Rauch dort —
Jetzt in meiner Gewalt, wie wollt’ ich daran mich erlaben...
Aber die Ursach’ bleibt ferne von mir —“

und hier bricht die Dichtung plötzlich ab, denn unsern Dichter erfasste soeben ein riesenhafter Magenschmerz und er erzeugt in ihm später dieses Distichon:

„Phöbos, o Phöbos Apollo, warum verlassest den Sohn du —
Während du Tausenden reichst Braten in Hülle und Fülle?
Oh nur ein einzig Krenwürstel — —“

Hier kann der Dichter nicht weiter; er wankt nach Hause und sinkt auf seine Lorbeeren nieder.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moderne Wiener Perspektiven