Der Volksgarten und seine Bedeutung

Hin zu lustigeren Szenen!

Aus der Kaiserburg haben wir nicht weit — zum Volksgarten! Ja, er liegt noch innerhalb der Räume dieser Burg. Welch’ schöne Verbindung! — So ist es auch im Leben... Der Kaiser und sein Volk — das Volk und sein Kaiser: zwei innigst verknüpfte Begriffe.


Wenn der Kaiser heraussieht aus dem Saale seiner alten Burg, so fällt sein Blick zuerst nach dem blühenden Garten seines Volks, und wenn dieses Volk den Blick erhebt, so sieht es zuerst seinen Kaiser . . .

Elende Verleumdung, die Du am Herzen der wackeren Österreicher nagen, es besudeln und sein Blut aussaugen wolltest . . . diese Volksliebe und diese Kaiserliebe besteht in solcher Wirklichkeit wie das Leuchten der Sonne. Und selbst der missvergnügteste Mann unseres Volkes richtet seinen Missmut nicht gegen sein Herrscherhaus, das ihm lieb und teuer ist, wie das eigene.

Der Volksgarten ward von dem guten Kaiser Franz seinen „Kindern“, wie er uns Alle nannte, eingeräumt; seitdem ist er ihnen geblieben — seitdem seht Ihr sie dort Tag für Tag in Lust und Heiterkeit wandeln, zwischen Bäumen und Blumen, die auf des Kaisers Geheiß gepflanzt wurden.

Es teilt sich aber der Volksgarten in zwei Hälften, in den äußern und den innern. Jener ist der große, weite, mit Bäumen und Hecken bepflanzte Raum, dessen Mittelpunkt der Theseustempel mit dem Meisterwerke Canovas bildet; der innere oder kleinere Volksgarten beschränkt sich auf einen etliche hundert Schritte großen Platz, auf welchem jedoch eine ganze Menge von Vergnügungsapparaten zusammengedrängt ist. Da habt Ihr zuerst einen halbkreisförmigen Salon mit einem Buffet, einem Kaffee-, ja selbst einem Bierschank. Dieser Salon ist angefüllt mit herrlichen Blumen — und während des Sommers nach allen Seiten hin offen ... im Winter werden die Glastüren und Fenster geschlossen, der Salon ist jedoch darum nicht weniger besucht, und zwar pflanzt sich dann das Orchester drinnen auf; während es in der schöneren Jahreszeit draußen vor dem Salon, nämlich in der Mitte des kleinen Volksgartens, steht, woselbst ein hübscher Pavillon es aufnimmt.

Zwischen dem letztern und dem Salon stehen viele Reihen Stühle, auf denen die schönsten Damen der Residenz Platz nehmen, umflattert von den schönsten Schmetterlingen der Männerwelt. — Den übrigen Raum nahmen Spaziergänger ein, die sich hier in drei- und vierfacher Colonne um den Pavillon bewegen — was allerdings dem Gange in der „Tretmühle“ (wie diese Promenade von Witzbolden benannt wurde) ein wenig ähnlich sieht. —

Strauß und Lanner dirigieren das Orchester, seit einer Reihe von Jahren besonders der letztere. Da gibt es denn große Festivitäten — wobei noch Militärmusik, was Tausende von Gästen herbeilockt, welche alle sich auf diesem engen Raume zusammendrängen, so daß Einer vor dem Andern nicht Platz hat.

Und doch ist Alles eitel Vergnügen und Wonne! Und doch geniert Eins das Andere nicht — sondern Alle stimmen ein in den fröhlichsten Choral, der sich zwar nur durch Plaudern, Lachen und Witzeln offenbart, der indes immer schon und harmonisch tönt.

Die eigentliche haute noblesse besucht den Volksgarten zwar nicht oder nur auf Augenblicke und en passant — namentlich die Damen aus den höchsten Kreisen sind hier kaum zu sehen, häufiger noch erscheinen altere und jüngere „Kavaliere.“

Zu dm stehenden Figuren des Volksgartens gehören die Lieutenants der ungarischen adligen Leibgarbe. Ein Volksgartenvergnügen ohne sie läßt sich nicht denken. Sie nehmen ihren Platz mitten im Kreise, zerstreuen sich wohl auch nach allen Seiten — denn sie zahlen hier viele Bekanntschaften.

Andere Offiziere der Garnison — junge Beamte, Fremde und Studenten bilden den übrigen Teil der Bevölkerung, der Industrieritter und Pflastertreter nicht zu gedenken, an denen es in Wien, wie in jeder großen Stadt nicht fehlt.

Die „Mama“ jedoch und ,,ihr Töchterlein“, das sind die Hauptzierden und Hauptpflanzen des Volksgartens. Sie alle, so viele ihrer der wohlhabendere Bürgerstand zählt, kommen hierher und erregen die Neugierde, die Sympathie oder gar die Heiratslust jener jungen Herren, von denen eben die Rede gewesen. Das Letztere ist die eigentliche Absicht der „Mama“ — wie natürlich.

Nicht wenig tragen zu dieser Herzens-Annäherung die Töne des wirbelnden Orchesters bei — denn die Wiener werden durch Lammers und Strauß’ Musik verliebter gemacht — weshalb die Pietät für diese Geigen-Heroen erklärlich.

Für Strauß und Lanner existiert übrigens auch noch ein patriotisches Interesse. Der Wiener betrachtet sie als die Schöpfer seiner Nationalmusik; — das letztere ist der Walzer auch; in ihm spiegelt sich das frohe, rauschende, wirbelnde Genussleben des Österreichers am nachdrücklichsten ab. —

Es geschieht wohl auch ein Mal im Jahre, daß der Volksgarten sich der kurzen Gegenwart einer erlauchten Person erfreut; die Mitglieder des Herrscherhauses mischen sich gern unter ihr Volk. Dann jedoch entsteht im Volksgattenvergnügen eine Pause, und alle Blicke richten sich nach dem geliebten Fürsten.

Die Fremden, welche zum ersten Male in den Volksgarten kommen, werden ihre Erwartungen wohl nicht ganz befriedigt finden. Sie kommen in der Meinung, einen Garten des Volkes, einen Tummelplatz der Nationallust zu finden. Der Name hat sie irre geführt. Das geht schon so in der Welt: manche Sachen heißen ganz anders, als sie heißen sollen, z. B. die Deutsche u. s. w.

Ein tatsächlicher Volksgarten von Wien ist der Prater, die Brigittenau (beim Volksfest), Tivoli, der „Volksgarten“ aber, wie er dem Namen nach besteht — verdient diesen Namen aus einem viel höheren Gesichtspunkte ebenfalls. — Der höchstselige Kaiser Franz gab ihm, wie schon gesagt, diesen Namen, als er einen Teil des freien Raumes im Umfange seiner Kaiserburg dem freien Zutritte seines Volkes widmete.

Einen Pendant zum Volksgarten bildet das etwas höher gelegene sogenannte Paradiesgärtchen, wo köstlichere Blumen sprießen und eine ambrosischere Luft weht. Inzwischen ziehe ich den Volksgarten vor, ob seines größeren Mangels an Alten-Even-Getratsches, zu dessen Stapelplatz das Paradiesgärtlein verdammt scheint.

Im Paradiesgärtlein begegnete ich einmal einer jungen Eva, an deren Seite eine alte Schlange kroch. O blühendjunge Eva, Du hast es vor Deinem Gewissen zu verantworten, daß Deine alte Schlange mich so giftig stach, daß ich davon noch jetzt bluten muss.

Weiter weiß ich über das Volks- und Paradiesgärtlein nichts zu sagen. —

Indes will ich Sie, meine Freunde und Freundinnen (das ist eine neue Leseart statt: Leser und Leserinnen) — noch keineswegs nach Hause führen; bewahre uns davor der Prophet! „Zu Hause sterben die Leute!“ sagt Professor O. L. B. Wolf in Jena — und ich mochte es keineswegs haben, daß Sie, meine Freunde und Freundinnen — mir so mir nichts dir nichts unter der Hand wegstürben — bevor Sie noch dieses schone Buch zu Ende gelesen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moderne Wiener Perspektiven