Von den Machtmitteln der Menschenhand und der Natur

Der Garten und sein Verhältnis zum Hause sind von derselben Bedeutung wie das Verhältnis von Grundriss und Fassade, von Raum und Ausstattung. Es ist vor allem aber wichtig, sich darüber klar zu werden, ob Menschenhand oder die Natur die größeren Machtmittel aufzuweisen haben, und dann, dass einer von beiden nur die Tonart der Gestaltung angibt.

Das Forst- und Arbeiterhaus, auch wohl das kleine Jagdschloss können nicht die Absicht haben, auch nicht die Mittel, das Landschaftsbild nach sich gestalten zu wollen. Sie haben sich diesem anzupassen. Der Herrscherwille eines Ludwig XIV. hatte aber bei seinem ausgedehnten Schlossbau zu Versailles die Machtmittel, die Natur zu meistern. Der Garten führt die Tonart des Schlosses weiter. Wo zwei Kulturformen an einem Kunstwerk sich begegnen, kann immer eine nur die Führung haben. Der Sockel einer Plastik, die Architektur also, kann nicht Selbstzweck sein, darf der Plastik in einer reichen Gliederung nicht Konkurrenz bieten, soll schmucklos bleiben, da er nur dienend ist. Der einfach gegliederte Sockel des Gattamelata-Reiterdenkmals zu Padua ist vorteilhafter für die Gesamtwirkung als Leopardis viel zu reich gestalteter Unterbau des Colleoni von Verrocchio zu Venedig. Die Bauplastik aber, der man in Nischen, an Portalen oder hoch oben auf den Dachfirsten einen Platz anweist, hat sich dem Formenwillen und der Anordnung der Architektur zu fügen, ist nicht mehr ,,das Kind des Hauses, sondern wohnt bei ihm zur Miete“, wie Jacob Burkhard einmal sagte, hat sich als Mieter auch der Hausordnung zu fügen. Der eigens für eine Bildersammlung geschaffene architektonische Rahmen einer Galerie und das dem Wohnraum angepasste Wandbild zeigen ähnlich, dass einer nur die Führung haben kann.


Der große Volkspark ist als architektonisch strenges Formgebilde kaum eine Notwendigkeit. Es fehlt der monumentale architektonische Ausgangspunkt von Versailles. Die kleinen Parkhäuser für Wärter oder Milchausschank wohnen bei der Grünanlage zur Miete und haben sich in ihrer Silhouette und der Placierung den Wegeanlagen anzupassen. Der Hausgarten aber als Erweiterung des Hauses und als geschlossene Einheit mit diesem kann nur architektonischer Natur sein, gradlinig wie der Hausbau angelegt. Seit der Antike war der Hausgarten niemals anders, bis auf die übertriebenen architektonischen Künsteleien des 18. Jahrhunderts die Reaktion einsetzte, die Rückkehr zur Natur. Dem Trianon folgte das Hameau, und den gezierten gesellschaftlichen Formen das ,,marcher à quatre pattes“, dem architektonischen Hausgarten der sog. Landschaftsgarten.

Der Landschaftsgarten hat in England seine bedeutendsten Vertreter aufzuweisen: Pope, Kent, Brown, Wheatly, Walpole u. a. Man nennt ihn daher auf dem Kontinent den ,,englischen Garten“. Morris und Webb, Nesfield und Norman Shaw empfanden aber die durch den Landschaftsgarten geschaffene Dissonanz von Haus und Garten. Wie in der Hausarchitektur bei der ländlichen Bauweise, so suchte man beim Hausgarten wieder Anschlug bei den alten, einfachen Pfarrgärten. Der große architektonisch angelegte Garten der Fürsten- und Edelsitze konnte nicht der Ausgang sein, da unsere Lebensbedingungen so ganz andere geworden waren, und hätte auch in den seltensten Fällen nur ein Ausgangspunkt sein können, denn in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts waren eine Reihe der prächtigsten Gartenschöpfungen vollkommen umgestaltet worden, ,,die verzopfte“ Architektur wieder in ,,Natur“ verwandelt. Es ist das Gegenstück zum Kontinent: aus der glänzenden Blüte der Gartenkunst des 18. Jahrhunderts auf den westfälischen Fürsten- und Edelsitzen ist nicht ein einziger intakt auf unsere Tage überkommen.*)

*) Engelbert Frhr v. Kerckerinck zur Borg und Richard Klapheck, Alt-Westfalen. Die Bauentwicklung Westfalens seit der Renaissance. Stuttgart 1912, S. XXXI. ff.

Der sog. englische Garten existiert aber heute gar nicht mehr in England! Die Anregungen der Morris und Shaw fanden nach und nach einen begeisterten Anhang. Die Gartenkunstliteratur schoss geradezu wuchernd aus der Erde.*) Die 1897 gegründete Zeitschrift „Country Life“ verdankt ihre große Verbreitung in erster Linie dem Umstand, dass sie eine Gartenkunstzeitschrift ist.

Die Versuche in Deutschland begannen erst zu Anfang des neuen Jahrhunderts, und wie die Wiederbelebung der heimischen Bauweise nicht von zünftigen Architekten, sondern von Malern und Kunstgewerblern ausging, so die Wiederaufnahme des formalen Hausgartens auch nicht von Fachmännern, den sog. Gartenarchitekten, die sich anfänglich heftig sträubten, im Grunde heute noch nicht gewonnen sind. Das Grundübel ist ihre Vorbildung! Auf ihren Gartenbauschulen erhalten sie, wie die Architekten auf den Bauschulen, nur eine technische Erziehung. In Wirklichkeit gehört der Gartenarchitekt mit Malern, Bildhauern und Architekten an dieselbe ,,Allgemeinschule für angewandte Kunst“.**) Der technisch vorgebildete Gärtner muss die Bedingungen des architektonischen Gestaltens kennen und selbständig kleinere architektonische Gartenhausaufgaben lösen lernen, der Architekt die technischen Momente der Bepflanzung. Aus der gemeinsamen, geschmacklichen Erziehung wird sich von selbst dann das beste Einvernehmen zwischen Architekt und Gartenarchitekt ergeben, wie zwischen Baumeister und dem dekorativen Künstler. Der Dirigent lernt seine Mitarbeiter am richtigen Platze zu beschäftigen und diese dessen Absichten verstehen

Die rein formalen Elemente des Hausgartens sind dieselben wie die des Hausbaues, nur dass die Mittel andere sind. Hausgarten und Wirtschaftsgarten sind ebenso zu trennen und differenziert zu gestalten wie Wohnhaus und Wirtschaftsflügel. Auch die Entgleisungen waren im 19. Jahrhundert im Haus- und Gartenbau dieselben. Wie man den architektonischen Vorlagebüchern für den kleinsten Bauauftrag die üppigste Barockfassade entnahm, so wurde auf dem kleinsten Gartengrundstück alles das en miniature zusammengetragen, was Gartenpublikationen aufzuweisen hatten: Grotten und Wasserfälle und Seen. Selbst Tiere und Menschen waren in diesem Garten zwergenhaft, Gnome und Rehe aus gebranntem Ton. Das war das Ende, die trostlose Folge der Emanzipation der dekorativen Künste und des Gartens von dem Hausbau.

*) John D. Sedding, Garden Craft, Old and New, 1891. Thomas H. Mawson The Art and Craft of Garden making. London 1901. — Reginald Bloemfield, The formal Garden in England. London, II. Aufl. 1901. — H. J. Triggs, Formal Gardens in England and Scotland. London 1902. — Gertrud Jekyll und Lawrence Weaver, Gardens for small country houses London 1913. Dort weitere Literaturangaben.

**) Auf Antrag der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft ist an die Besondere Architektur-Abteilung zu Düsseldorf noch eine Gartenkunstklasse angegliedert worden. Architekturschüler und Gärtner erhalten gemeinsamen Unterricht in architektonischer Gartengestaltung und technischer Gartenausstattung durch Architekten und Gartenarchitekten. — Vgl. die Denkschriften von Professor Wilhelm Kreis in den letzten Jahresberichten der Kunstgewerbeschule zu Düsseldorf, und Richard Klapheck „Die Erziehung zum Architekten“ (Neudeutsche Bauzeitung 1912 S. .559 ff.)


In allen diesen Dingen redet ein Parvenütum, das auch tatsächlich seit 1870 über uns gekommen war. Wir wollten alle mehr erscheinen, als wir wirklich waren. Die Kunst, der formale Niederschlag für die Empfindungen einer Zeit, hat dieses Mehr-sein-wollen festgehalten. Der Bauer wollte Kleinstädter sein, der Kleinstädter Grogstädter, der Grogstädter ahmte das Ausland nach. Aber nachgeahmt wurde nur die äußere Erscheinung, und diese im Material so billig wie nur eben möglich: Der Bauer lieg sich nachträglich vor sein Fachwerk- oder Backsteinhaus noch eine städtische Zementfassade setzen. Das Dach schwand hinter einem dekorativen Giebel, den Eisenstangen stützen mussten, da er doch nicht aus einer baulichen Notwendigkeit gewachsen war. Doch das Gequälte, das Unmögliche der Verhältnisse sah man gar nicht! An Stelle der schmucklosen stolzen Bürgerhäuser traten Mietskasernen mit einem Ornamentschmuck fürstlicher Paläste, natürlich material widrig und unecht, nicht wetterfest und bald zerbröckelt. Brandgiebel und Hinterfronten gingen leer aus. Wenn man nur für die ersten Tage von einem flüchtigen Passanten auf der Straße in dieser üblen Maskerade als Fürst gehalten wurde. Das Mehr-sein-wollen auch des Arbeiters, der es vorzieht, vierzehn Tage lang mit unsauberer Halsbinde, Hemd und Kragen einherzugehen, als in dem stilvollen Arbeitskittel, der aus dem Träger einen ganzen Kerl machen würde. Was Wunder nun, wenn man in einem kleinen Hausgarten im billigsten Material mit Höhlen und Wasserfällen einen großen Park nachahmen wollte! In dieser Sucht, mehr sein zu wollen, kamen Nützlichkeitsmomente gar nicht mehr in Frage. Der Wirtschaftsgarten kam zu kurz, wie im Wohnhaus Schlafzimmer, Baderaum und Toiletten. Wenn nur ein nie gebrauchter, dicht verhangener Salon für den Besuch vorhanden war!*)

*) Walter Frhr. v. Engelhardt, Kultur und Natur in der Gartenkunst. Stuttgart 1910. — Fritz Enke, der Hausgarten. Jena Eugen Diederich. — Muthesius, Landhaus und Garten. — Paul Schultze Naumburg, Gärten. München. G. D. W. Calhvey.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moderne Villen und Landhäuser
Abb. 34 Gärtnerhaus, Landsitz Ellicott F. Shepard, Scarborough, N. Y. Arch.: Mc. Kim Mead & White

Abb. 34 Gärtnerhaus, Landsitz Ellicott F. Shepard, Scarborough, N. Y. Arch.: Mc. Kim Mead & White

Abb. 35 Haus Carnegys, Chestnut Hill. Arch.: Cope & Stewardson, Phil.

Abb. 35 Haus Carnegys, Chestnut Hill. Arch.: Cope & Stewardson, Phil.

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