Die Rolle der Unternehmer beim Ausbau der Vorstädte

Die Regeneration der letzten fünfzehn Jahre musste noch einmal Schritt für Schritt, nur umgekehrt, denselben Weg zurücklegen, den die Verirrungen gegangen waren. Vom einzelnen Möbelstück zur Raumausstattung, zum Grundriss, Außenbau und Garten. Es galt jetzt noch, die einzelnen Wohnstätten, Baukunst und Landschaft zu einer künstlerischen Einheit zu verbinden, dann war man endlich dort wieder angelangt, wo man in Goethes Tagen den unglücklichen Weg der Emanzipation und Anarchie beschritten hat.

Denn letzten Endes hat auch das Wohnhaus, für sich genommen, noch keinen absoluten Wirkungsfaktor, so wenig wie die Denkmal- und Bauplastik und das Wandgemälde. Der Grundakkord ist die Landschaft, deren Natursituation sich das Wohnhaus anzupassen hat.


Im 19. Jahrhundert war der Ausbau von Vorstädten Sache des Unternehmertumes geworden: Vorgärten mit Staket, ornamentierte Fassaden, die Seitenmauern roh und umgegliedert, kein Dach. So Haus an Haus, ein Zickzack in der Silhouette. Die Strafe schnurgerade wie mit dem Lineal gezogen. Kein Tor und auch kein Kirchlein oder ein Gebäude, das seine lustig-bewegte Silhouette in eine traulich gebogene Straße schiebt, dem Auge ein Ziel, eine Richtung gibt. Kein Haus, das seinem Nachbarn sich anpassen wollte zu einem abgerundet schönen, harmonisch aufgebauten Straßenbilde. Ein Haus wollte das andere mit seinem Talmischmuck noch übertönen. Die alten Städte waren harmonisch abgestimmte Volkslieder. In den modernen sang jeder beliebig seine eigene Melodie. Takt nennen wir Anpassung an die Gesellschaft, die man aufsucht. Künstlerisch war diese Anpassung uns fremd geworden.

In der Mitte der siebziger Jahre hat ein feinsinniger, kunstverständiger Unternehmer, Jonathan Carr in London, mit der Bebauung eines großen Baukomplexes den besten Architekten, den England damals aufzuweisen hatte, betraut. Norman Shaw baute die Villenkolonie Bedford Park. Das Grundstück war ein alter Herrensitz. Shaw suchte den alten Baumbestand nach Möglichkeit zu erhalten und eine Reihe einfacher, aber höchst bequemer Bürgerhäuser so zueinander zu gruppieren, dass eine Fülle reizvoller Bilder mit malerischen Silhouetten entstand. Die einzelnen Häuser wirtschaftlich und hygienisch praktischer als die Bauten des übrigen Unternehmertums und auch nicht teurer. Als Ganzes aber städtebaulich ästhetisch eine Schöpfung von hohem künstlerischen Reiz. Bedford Park war eine Sehenswürdigkeit geworden.

Was Norman Shaw für das kleine Bürgerhaus unternommen, versuchte dreißig Jahre später der Inhaber der Seifenfirma Sunlight, W. H. Lever, für das Arbeiterhaus.*)

Port Sunlight ist eine Arbeiterwohnhauskolonie. Die einzelnen Häuser geben zum erstenmal eine praktisch und hygienisch befriedigende Lösung für das Arbeiterhaus. Aus der Zusammenstellung der Häuschen entstand ein moderner Wohnort mit allen malerischen Reizen alter Städtebaukultur. Ralph Heatons Arbeiterwohnhauskolonie Burnville bei Birmingham für die Kakaofabrik Cadbury folgte, und auf dem Kontinent die Unternehmungen der Firma Krupp, Beamten- und Arbeiterkolonien, zuletzt die Margarete-Krupp-Stiftung von Georg Metzendorf, ein neuer, in sich geschlossener Wohnort bei Essen, Frohnau bei Berlin, Hellerau bei Dresden, wo die berufensten deutschen Hausbauarchitekten die Stätte einer dankensreichen Tätigkeit gefunden haben.

*) W. H. Lever, Cottages and other Buildings erected at Port Sunlight and Thornton Hough. —

Die Gartenstadtbewegung kam auch zu uns.*) Süddeutsche Architekten waren ihre Hauptträger. Die Firma Friedrich Krupp und andere industrielle Unternehmungen nahmen in der Hauptsache schwäbische Baumeister in ihren Dienst, als es galt, nach dem Vorbilde von Bedford Park und Port Sunlight Beamten- und Arbeiterkolonien zu schaffen. Der süddeutsche Architekt hat auch in gewissem Sinne mehr Neigung für das Intime, Trauliche und Behagliche, als der mehr monumental empfindende norddeutsche. Die beiden Seidl und Wallot, Theodor Fischer und Wilhelm Kreis sind charakteristische Repräsentanten süd- und norddeutschen Kunstempfindens.

Malerisch reizvolle und farbenlustige süddeutsche Putzbauten hielten nun in die nordwestdeutsche Industriegegend ihren Einzug. Aber man hatte doch vergessen, dag das satte Grün der hügelig-belebten, anmutigen Landschaft und der blaue Himmel Süddeutschlands, die beide mit den farbenfrohen Putzbauten auf dieselbe einheitliche Tonart gestimmt sind, in der nordwestdeutschen Industrie fehlten. Das Grün der Landschaft lebt hier unter Rauch- und Säuredünsten nur ein gequältes, bald versiechtes Dasein. Die Bäume grünen spät und lassen frühzeitig ihre vergilbten Blätter fallen. Der Himmel ist bewölkt von Rauch- und Wassergasen. Die Niederschläge der feuchten Atmosphäre bringen sie wieder nieder, und eine Schmutzkruste bedeckt bald die anfänglich so schmuckvollen Putzbauten.

Das einzige Material aber, das den klimatischen Verhältnissen der Industrie gerecht wird, ist der Backstein. Nur er kann auch der Träger ihrer malerischen und heroischen Schönheit werden, denn die Patina der Industrie, der Rauch und die Säuredünste, die den süddeutschen Putzbauten gefährlich werden und deren Ansehen untergraben, geben liebkosend dem Backsteinbau mit zunehmendem Alter seiner Schönheit noch einen besonderen Reiz.

Was nützt denn schließlich auch der beste Bebauungsplan, wenn die Neubauten doch keinen Anschlug an die heimische Überlieferung und die klimatischen Verhältnisse gewinnen? Das heimische Baumaterial der norddeutschen Ebene ist aber der Backstein, der in den Ländern der Nord- und Ostsee, am Niederrhein und in Westfalen, Hannover und der Mark — es sei ja nur an Münster und Lüneburg, Lübeck und Wismar, Stendal und Tangermünde, vor allem Danzig, an die westfälischen Edelsitze und die Marienburg erinnert — die schönsten Blüten hervorgebracht hat! Das 19. Jahrhundert aber schämte sich im Zeitalter der italienischen Villa und des französischen Rokokos des traditionellen, heimischen Backsteinmaterials und suchte es unter einer Zementkruste zu verbergen. In diesen Tagen mußten sich ja selbst die alten Backsteinbauten des 18. Jahrhunderts, der Jägerhof zu Düsseldorf und das Wespiensche Patrizierhaus zu Aachen von Johann Josef Couven u. a. m., diesen schauerlichen Putz gefallen lassen.

Das gerade zeigt den absoluten Mangel an Verständnis des Jahrhunderts für die ästhetischen Eigenarten des Backsteinbaues, denn die Natur des Materials verbietet ein stark ausladendes Relief. Helle Hausteinprofile und Fensterrahmen, weiß oder grün gestrichene Schlagläden, müssen farbig die plastisch, d. h. in Licht- und Schattengegensätzen nicht mögliche innere Gliederung geben. Die blasse Tünche des späteren Zementverputzes nahm aber den alten Backsteinbauten mit dem farbigen Äußeren auch jede klare innere Gliederung der Fassade. Sie wurde flau und ausdruckslos.

Der Wille zur materialgerechten Ehrlichkeit hat unseren heimischen Backsteinbau wieder zu Ansehen und Schätzung kommen lassen. Edmund Körners Haus Herzberg in Essen an der Ruhr ist ein bezeichnendes und charakteristisches Beispiel, das hell aufleuchtet, wenn die verputzte Nachbarschaft bei bewölktem Himmel griesgrämig dreinschaut, und ihre Wände graugelb und schmutzig werden, und ihre Farben unter dem feuchten Silbergrau der Atmosphäre sich nicht mehr behaupten können. Dag Georg Metzendorf die anfänglich mit süddeutschen Putzbauten begonnene Kolonie Margaretenhöhe bei Essen nun in heimischen Klinkerbauten fortgesetzt, ist nur ein Vorteil! Die Häuser Breul in Grunewald, Burlet in Schlachtensee, Freudenberg in Nikolassee von Hermann Muthesius, die Villa Paulus der Architekten Paulus und Lilloe, Heinrich Straumers Pfarrhaus in Dahlem und das reizvolle Landhaus Klein-Machnow von Bruno Paul u. a. zeigen dieselben glücklichen Versuche der Wiederbelebung des heimischen Backsteinbaues. In Hamburg und Westfalen und am Niederrhein gewinnt er, dank der Heimatschutzbestrebung, auch heute mehr und mehr Verbreitung und Wertschätzung.

Der Backsteinbau mag, zugegeben, gelöst aus seiner landschaftlichen Umgebung, düster und ernst erscheinen. Das Rot der Bauten mit seiner hellen inneren Gliederung, das Grün der weiten Ebene oder, in der Stadt, der Garten- oder Straßenbäume (ich denke dabei an die malerisch schöne Ecke am Domplatze zu Münster in Westfalen, wo sich das Bischöfliche Palais und die Dompropstei begrüßen) und das Blau des Himmels einigen sich aber zu stimmungsvollen Farbenharmonien, die hinter den süddeutschen Landschaftsbildern mit ihren Putzbauten nicht zurückzubleiben brauchen! Das Perlgrau, das die Ferne webt, weiß Rot und Grün und Blau zu klangvollen Akkorden zu verbinden. Landschaft und Kunst, Klima und Menschenschlag, dessen Wohn- und Lebensgewohnheiten und Beschäftigung müssen eine unlösbare Einheit bilden. Das ist der Reiz der alten Städte. Diese Reize unseren neuen Städten wiederzugewinnen, ist die große Bauaufgabe der Gegenwart. Denn Kunst war niemals international, doch ebenso wenig national. Sie war stets, je nach dem landschaftlichen Charakter und dem der Bewohner, territorial. Es gibt nur eine ,,heimatliche Kunst.“ Der Turm am Dom des heiligen Patroklus in Soest und der von Grog-Sankt-Martin zu Köln, die beide doch dasselbe Bauthema behandeln, sind der glänzendste Beweis. Sie sind einander sich so fremd, wie die benachbarten Stämme der Rheinländer und Westfalen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moderne Villen und Landhäuser
Krupp - Stahlwerk, 1826

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Alfred Krupp 1812-1887

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Krupp-Betriebswohnungen

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