Die Mode und ihre Narrheiten im Allgemeinen

Ursprung, Verbreitung und Tyrannei der Mode — Die Wilden und die zivilisierte Welt — Verunstaltung des Körpers — Unsittlichkeit, Unzweckmäßigkeit und Unschönheit der Trachten — Ankleidekunst — Schönheit der antiken Gewänder — Einfluss des Christentums, Lehnswesens, der Kreuzzüge, Hierarchie etc. auf die mittelalterliche Modenwelt — Die Mode als Illustration des Zeitalters, der Handlungsweise Einzelner — Ihr Verhältnis; zur Kunst, Literatur und Politik — Ihre royalistische und konservative Gesinnung

Die Mode im weitern Sinne begreift alles in sich, was zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort Sitte und Gewohnheit ist, sowohl im Benehmen und im Handeln, als auch in der Art zu wohnen, sich zu kleiden, überhaupt zu leben. Im engern Sinne bezeichnet das Wort Mode die von einer gewissen Zeit abhängige Regel für den herrschenden Anstand in allen Beziehungen des äußern Lebens. Im engsten Sinne gebrauchen wir Mode schlechtweg für Kleidermode, und von ihr ist in Folgendem ausschließlich die Rede. Sie bedeutet uns hier so viel, als Bestimmung der Kleidung durch Reflexion. Hinter dieser Reflexion ist allerdings, so zu sagen, ein Instinkt, ein unbewußtes Gesetz verborgen, welches den Menschen zwingt, ein Kleid zu erfinden und zu tragen, das im großen Ganzen den geistigen und sittlichen Zustand der Zeit kennzeichnet; jede Tracht hat ihren Typus, der eine Epoche hindurch herrscht. Innerhalb dieses länger herrschenden Typus aber zeigt sich ein sinnloser Kitzel des Wechsels; im Kleinen verändern sich alle einzelnen Formen beständig in kurzen Zwischenräumen. Die Absicht,und Reflerion ruht nicht, sondern will stets auf's Neue zeigen, dass sie Schöpferin ihres Werkes ist, und gibt, was sie heute sehr passend erachtet hat, morgen gegen eine Grille wieder auf.


Das leichte Linnen, mit dem sich der Hindu heute noch bedeckt, das Renntierfell, aus dem der Lappländer seine Kleidung noch in derselben Form bereitet, wie vor hundert Jahren, die Haut des Büffels, Tigers oder Bären, welche dem Indianer als Mantel und Lagerdecke dient, — auf alle diese Dinge lässt sich wegen, der Stabilität ihres Gebrauchs der Begriff der Mode nicht anwenden, deren Charakter der Wechsel ist. Es dürfte sich daher auch schwer rechtfertigen lassen, bei den alten Kulturvölkern von Mode zu sprechen. Ihr Modus sich zu kleiden änderte sich während der Zeit ihrer welthistorischen Bedeutung nur wenig; erst als die römische Weltherrschaft in der spätern Kaiserzeit zu sinken begann, trat ein gewisser Wechsel der Moden ein, indem die Gebräuche der besiegten Völker nachgeahmt wurden. Seit jener Zeit blieb die Kleidung der Kulturvölker dem Modewechsel mehr oder minder unterworfen; oft gab darin ein Volk vorzugsweise den Ton an. Heute empfängt die zivilisierte Welt die Mode aus Frankreich, Frankreich empfängt sie aus Paris und Paris empfängt sie aus einem seiner Viertel, der Chaussée d’Antin; geht man aber dahin, um die Mode an ihrer Quelle zu belauschen, so sieht man — gar nichts, höchstens einige lockere Damen, einige blasierte Nichtstuer, einige Schneider und Putzmacherinnen, welche den Gerichtshof bilden, der über das Äußere der ganzen zivilisierten Menschheit entscheidet und jene luftigen, nichtigen Gesetze Tag für Tag ausarbeitet und verbreitet, die nicht sobald erlassen sind, als sie auch schon unbedingt befolgt werden. In Paris ist der unbestreitbare und unbestrittene Herrschersitz der Mode. Von der eifersüchtigen Konkurrenz anderer Länder hätte Frankreich für seine Suprematie vielleicht dann etwas zu fürchten, wenn es sich auf die Dauer zu einer Republik gestaltete; denn die Mode ist durchaus royalistisch gesinnt und verlangt als Zentralpunkt, von wo sie am Erfolgreichsten ausströmen kann, den Hof. Was der Beherrscherin Frankreichs zu tragen gefällt, und sollte es noch so bizarr und hässlich sein, ist maßgebend für die schönere Hälfte des Menschengeschlechts. So lange Paris eine Königstadt war, und so lange es eine Kaiserstadt ist, verschmäht selbst das freie republikanische Amerika nicht, mit sklavischem Sinn sich jede Mode frisch gebacken von Paris kommen zu lassen.

Diese Herrschaft Frankreichs datiert hauptsächlich seit dem 17. Jahrhundert, als die Welt sich allmählig von der Tyrannei der spanischen Tracht befreite, welche seit der Erwählung Karl's 1. von Spanien zum deutschen Kaiser eingeführt worden war. Während des dreißigjährigen Krieges musste man, wie es damals hieß, alamodisch gekleidet gehen, wollte man nicht als oldfrenkisch verspottet werden; alamodisch aber war nur der französische Geschmack, welcher nachher unter Ludwig XIV. und Madame Pompadour, wie wir sehen werden, die glänzendsten Triumphe feierte. Der Hof von Versailles war der Proteus der Mode bis zur Revolution, und seitdem wurde die Mode ein Ungeheuer, das seine eignen Kinder verschlang, ehe man noch recht sehen konnte, was aus ihnen werden würde. Mit der frivolen Weiberherrschaft in Frankreich wurde die Mode ein Weiberwerk und selber frivol. Und wie steht es mit dem 19. Jahrhundert? auch heute hört unsre Damenwelt noch nicht auf, sich von den verrücktesten Einfällen französischer Modistinnen beherrschen zu lassen. Wir sind stolz auf die Freiheitskriege, die uns von französischer Fremdherrschaft erlösten; wir genieren uns aber nicht immerfort ruhig zuzusehen, wie unsre Damen in der Sklaverei der französischen Mode verharren, welche oft danach angetan ist, uns nicht nur in finanzielle Verlegenheit zu bringen, sondern auch sittlich zu entwürdigen. Wir haben in Deutschland angesehene Modezeitungen, die es sich zur ersten Pflicht machen sollten, alles Fremde zu vermeiden, dem soliden deutschen Geschmack Geltung zu verschaffen und einen ehrlichen Freiheitskrieg gegen Frankreich zu führen. Es ist eine bekannte Sache, dass viele der neusten Moden, die wir an Unterröcken, Kleiderbesatz, absurden Hüten etc. wahrnehmen, lediglich von den berüchtigtsten Celebritäten, von den Heldinnen der Pariser Halbwelt herrühren, gleichwohl aber in den Modezeitungen abgebildet und zum drakonischen Gesetz für die ganze schöne Welt erhoben wurden. Wenn unsre gebildeten Damen immer wüssten, aus welchen Quellen ihre neusten Moden hervorgingen, so würden sie wohl oft nicht so eifrig sein, dieselben nachzuahmen, obwohl es freilich notorisch ist, dass die sogenannte schöne Welt in Paris dies sehr wohl weiß und sich die tonangebenden Exemplare der Halbwelt grade express zum Muster nimmt. Schon der berühmte Epigrammatist Logau sagt sehr schön:

Diener tragen insgemein ihrer Herren Liverei;
Soll's dann sein, dass Frankreich Herr, Deutschland aber Diener sei?
Freies Deutschland, schäm dich doch dieser schnöden Kriecherei!

Der wahrhaft deutsche Mann hält es für unwürdig, die Figur eines französischen Modejournals vorzustellen, und hat auch kein Herz für eine Frau, die jeden Morgen ihre Toilette nach neustem Pariser Geschmack macht. Die eiteln Leute sind gewöhnlich die seichtesten; sie suchen ihre geistige Leerheit, ihre innern Blößen durch Kleiderpracht und Kleiderwechsel zu bedecken. Der Satz „Kleider machen Leute“ gehört zu der großen Anzahl von Sprichwörtern, die gar nicht oder nur zum Teil wahr sind. Nicht das Kleid macht den Mann, sondern der Mann macht das Kleid; was der Schneider im rein materiellen Sinne ist, das ist im moralischen der Mensch überhaupt; und wenn Logau in seinem Epigramm „Fremde Tracht“ sagt:

Alamode - Kleider, Alamode-Sinnen,
Wie sich's wandelt außen, wandelt sich's auch innen,

so sind diese Verse umgekehrt jedenfalls richtiger, wenn sie sich auch nicht reimen:

Alamode-Sinnen, Alamode-Kleider,
Wie sich’s wandelt innen, wandelt sich's auch außen.

Dass unter allen Völkern der Franzose in der Beherrschung der Mode vorangeht, ist erklärlich; sie passt am Besten zu seinem Nationalcharakter und ist so recht das Feld seiner Unbeständigkeit und Wandelbarkeit, seiner Sucht nach Extremen; sie bietet unserm lieben Nachbar Gelegenheit, seine ästhetische Bedeutung zu zeigen und dient ihm zum Gängelband, woran er seit Jahrhunderten alle Völker nachschleppt. Von der Schnürbrust bis zum griechischen Hemdkleide, vom kurzgeschorenen Kopf bis zur Allongenperrücke, vom Trikot bis zur Stoffverschwendung des Reifrocks, vom Schwalbenschwanz bis zum Sackrock, alle Extreme samt Übergängen sind wir nachzuahmen Affen genug gewesen. Ganz uneingedenk freilich dürfen wir hier auch der Engländer nicht sein. Bekanntlich wird unter allen Zonen den Vorschriften der Londoner Schneider mit ähnlicher Bereitwilligkeit gehorsamt, wie denen der Pariser Modistinnen. Beide besitzen ihre eigenen Thorheiten, ihre eigenen Anhänger und ihre eigenen kontrastierenden Systeme.

Hinsichtlich des französischen Wortes „mode“ welches bei den Engländern, Dänen, Holländern, Deutschen und andern Nationen mit der Waare zugleich importiert zu sein scheint, haben es sich mehrere Etymologen sauer werden lassen, um ausfindig zu machen, aus welchem Lande jene Schachtel der Pandora, die schon so viel Unheil angestiftet hat, ursprünglich gekommen sei. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die erste Veranlassung zum Wort Mode das lateinische „modus“ gegeben hat, wenn man sich auch nicht verhehlen darf, dass keine einzige der vielen Bedeutungen von modus dasjenige ausdrückt, was die Pariser Coiffeuse z. B. unter ihrem Bonnet à la mode versteht. Dass die Mode aber trotz ihrer Abstammung von modus weiblich ist, versteht sich wohl von selbst, da für sie dasselbe gilt, was ein alter Dichter vom Weibe ausgesprochen: Varium et mutabile semper femina. Hoffentlich versteht meine schöne Leserin kein Latein.

Wenn es auch unter den gelben, reihen, schwarzen und selbst weißen Menschen noch unermeßlich viele gibt, die noch nie einen Filz- oder Seidenplüschhut auf den Kopf gesetzt haben, denen die Anmuth der Pantalons mit Strippen noch unbekannt ist und die sich doch kraft der Kleider, die sie tragen oder auch derer, die sie nicht tragen, ganz hübsch finden, so verbreiten sich doch allmählig unsre antipittoresken Trachten nach dem Vorgange großer Seuchen, wie Pest, Cholera etc. fast über den ganzen Erdball. Täglich bringen Schiffe nach den entferntesten Ufern des Ozeans Kisten und Ballen, um die Infektion zu verbreiten. Schon gibt es auf Erden kein Winkelchen mehr, wo man nicht irgend welche Spuren oder wenigstens Anläufe zur europäischen Tracht fände. Mitten in den wildesten Gegenden Nordamerika's lassen Reisende moderne Kleidungsstücke unter den Eingeborenen zurück, und mancher mächtige Beherrscher des stillen Meeres bekleidet sich bei feierlichen Gelegenheiten mit einem alten Filz oder einem Paar Schmierstiefeln, die früher einmal durch eine europäische Expedition in jene Gegend gelangten, und zwar ohne das Gelächter seiner Unteitanen zu erregen, während uns der Häuptling tollhäuslerisch vorkommen und der schroffe Kontrast seines sonstigen Habitus mit dem zivilisierten Kleidungsstück zum Lachen reizen würde. Die Vorliebe und Verehrung der Wilden aber für die europäische Tracht ist bekannt.

Übrigens sind wir wohl hinsichtlich unsrer Kleider, nicht aber hinsichtlich unsrer Frisur und übrigen Ausschmückung so gar gewaltig von den Wilden unterschieden. Es ist eine Verleumdung, dass der gegenwärtig sich so hoher Gunst erfreuende Chignon das bloße Geschöpf eines bizarren Einfalls unsrer Damenwelt sei. Derselbe hat seinen Vorgänger und zwar — wir bitten um Entschuldigung — bei den afrikanischen Schönen. Wie der Reisende du Chaillu über die nördlich vom Äquator wohnenden Schwarzen berichtet, gehört dort zu den Requisiten vollendeter Schönheit neben einem mit Einschnitten versehenen Gesicht und einem der Vorderzähne beraubten Mund auch ein ansehnlicher Chignon, der einen unverkürzten Haarwuchs von mindestens 12 Jahren erfordert. Wenn nun auch die Gesichtseinschnitte und zahnlosen Munde sich mit unsern Begriffen von Schönheit bis jetzt nicht haben in Einklang bringen lassen, so mögen es mir doch die europäischen Schönen nicht übel nehmen, dass sie dafür den Haarsack recht gründlich von ihren schwarzen Schwestern adoptiert haben. Auch rücksichtlich ihrer Lust an Tändeleien, an Schmelzwerk, bunten Farben und seltsamen Gewohnheiten haben unsre eleganten Damen wenig vor den Frauen der Wilden voraus. Zerfleischen sie auch ihre Nasenwand nicht, so durchlöchern sie doch ihre Ohrläppchen, und sie schnüren sich Taille und Füße zusammen, wenn jene sich die Nase plattquetschen oder die Stirn eindrücken. Ganz wie die Wilden putzen wir uns mit Blumen, Blättern, Fellen, Federn, Muscheln, Perlen, Metallen, Glasstücken etc., nur mit dem Unterschied, dass jene solche Gegenstände mehr in natürlichem Zustand, und wir mehr oder minder durch Anwendung der Kunst umgeformt tragen, und ob die künstliche Umformung allemal geschmackvoller ist, als die Natur, steht noch dahin. Ringe, Armbänder und andres Geschmeide von allen möglichen Stoffen und Formen sind bei allen Völkern der Erde Mode; denn die Menschen im tropischen Klima leben wohl ohne Kleidung, niemals aber ohne Schmuck; die Australier und die Einwohner amerikanischer Urwälder sind mit nichts als einigen Ringen und Federn bekleidet. Und von diesem Kostüm waren die elegantesten Pariserinnen z. B. zur Zeit des Direktoriums nicht gar weit entfernt. Sie zogen Schuhe und Strümpfe aus und legten Sandalen an, sie trugen nicht nur dreifache Armbänder an den ganz bloßen Armen, sondern auch Ringe an jeder Zehe und an den Fußknöcheln, ganz wie die eingeborenen Damen in Hindostan oder in Algier. Man nahm antike Statuen zum Muster und kleidete sich ähnlich wie heute die amerikanische Miss Adah Menken im Theater Gaité zu Paris, wenn sie sich à la Mazeppa auf ein wildes Roß binden lässt, oder wie die rothaarige Lorette Cora Pearl in der Opéra comique, wenn sie vor einem prinzlichen Gönner den Cancan tanzt. Gerade auf der Scheide des vorigen und jetzigen Jahrhunderts überstieg mitten in einem zivilisierten Staat die göttliche Nacktheit alles bisher Dagewesene. Jener auf der Höhe der Revolution sich bewegende Frauenpöbel, den wir heute demi-monde nennen, erschien in seidenen fleischfarbenen Trikotpantalons mit Lilazwickeln und Kniebändern, und darüber mit einer Chemise, die bloß durch ein Paar schmale Bänder auf den nackten Schultern hing und die Oberhälfte des Körpers völlig frei ließ; der ganze wie aus Luft gewebte Anzug wog kaum 16 Loth. Das war nun freilich das Extrem, aber vie Menge der modischen Pariserinnen näherte sich doch demselben, und in den Modejournalen jener Zeit fand man keine Griechinnen und Römerinnen mehr, sondern Gestalten, deren Kostüm weit eher die Bezeichnung à la sauvage, als à la Grecque verdiente; und solche Moden blieben nicht auf Frankreich beschränkt, wenn man auch in Deutschland und England im Ganzen mehr die Griechinnen als die Wilden zum Muster nahm. So schrieb man im Winter 1802 aus Frankfurt a. M, dass dort alle Damen in die Griechheit getaucht seien, wie Achylles in den Styx, und von den klugen Berlinerinnen erzählt uns die Geschichte, dass sie die Nuditäten durch Anwendung von Trikot einigermaßen mit den klimatischen Verhältnissen ihrer Heimath in Einklang zu bringen suchten.

Schon im 17. Jahrhundert spricht der plattdeutsche Dichter und Satyriker Hans Wilmsen Lauremberg aus Rostock vom bösen Modekrevet, und meint, dass die Mode oft wie ein Krebs (natürlich die Krankheit, nicht das Tier) das Zeug vom Leibe fresse, bis der Mensch fast ganz nackt gehe. In seinem Scherzgedicht „Van almodischer Klederdracht“ heißt es V. 275 — 296:

— — — de mode is als de böse krevet,
Wen de erst ümme sik her to freten anhevet,
So gript he immer fort und vetteret al to hope;
Wat ümme und bi em is, dat blift alles im lope.
De modekrevet heft al stive üm sik gefreten,
Der männer underbaert heft he al wech gebeten;
Twe klene knevelkens sitten noch under der nesen,
Sonst wüste man nicht, dat it ein man scholde wesen.
De fruwenhuve heft ok gehat kein beter glück,
Darvan is al verteert dat grötste und beste stück,
Dre stremelkens sind dar noch, dat men se sehn kan nowe.
De schöte sind bald wech, darto de halve mowe;
De is al upgeteert bet schir an den elbagen.
Wil he so faren fort de kleder wech to gnagen,
So werde gi gewis befinden, dat in körten
He ok upfreten werd dat hemde sampt den schörten
Und werd nichtes van kledern nalaten noch sparen.
Alles werd he verteeren mit huet und mit haren.
So mote wi wol de Indianer naapen
Und gahn, als uns de leve Gott heft geschapen.
Wen ik dat liker scholde sehn, so würd ik mi
Krank und to barsten lachen, hi hi hi.

Die Sittlichkeit der Mode kehrt sich wenig an die fortschreitende Zivilisation, wir finden vielmehr, dass dieselben Absurditäten und Narrheiten sich Jahrhunderte hindurch ungeschwächt erhalten, und dass gewisse Gebräuche Völkern gemeinsam sind, die auf der verschiedensten Kulturstufe stehen. So existiert die Durchbohrung und Verzierung der Ohrläppchen bei den Indianern, den Eskimos und den Negern so gut als in der Südsee, im Kaukasus und in Europa zu allen Zeiten bis auf den heutigen Tag. Es scheint uns fast, als wenn wir uns mit der zunehmenden Kultur immer weiter von der Natur wegverirrten und uns abenteuerlicher entstellten, als die verkehrtesten Völker der Vorzeit es getan. Von dem Feigenblatt Eva's bis zum Salonschmuck einer Pariserin im Jahre 1867 post Christum natum ist ein weiter Weg. Seitdem der Sündenfall in die Welt gekommen, duldet sich der Sünder nicht mehr so, wie sein Schöpfer ihn geschaffen, sondern stellt sich nach einem neuen Schnitt und nach seiner eigenen Idee in einer Gestalt dar, die von der ursprünglichen oft erheblich abweicht. Kaum geboren, müssen wir es uns gefallen lassen, gleich einer ägyptischen Mumie in Ellen von Bandagen eingeschnürt zu werden, und als Wickelkind mit dem Lutschbeutel die erste Karikatur in unserm Leben zu spielen. Später fällt es uns nicht schwer, aus freien Stücken die Komödie fortzusetzen, indem wir selber uns mit Ballen von Leinen, Wolle, Tuch etc. umwickeln und unsern Leib zu einer Puppe gestalten, die oft die lächerlichste Parodie auf die natürliche Menschengestalt bildet. Wenn ein Bewohner des Saturn zufällig auf unserem Planeten landete und die wirkliche Gestalt des Erdenkindes nach der äußern Form seiner Kleidungsstücke beurteilen sollte, so würde er den seltsamsten und drolligsten Missgriffen ausgesetzt sein. Vermögen wir doch selber manchen, der uns seit langen Jahren bekannt ist, kaum wieder zu erkennen, sobald er sich uns einmal in puris naturalibus präsentiert, und einigen meiner lieben Leser mag wohl noch jenes Bild aus den „Fliegenden Blättern“ in Erinnerung sein, wo eine ganze höhere Töchterpension angstvoll aufschreit und entsetzt nach allen Richtungen flüchtet, als Nachts die ältliche Gouvernante ohne ihre kunstvolle Toilette erscheint.

Beide Geschlechter suchen durch ihre Bekleidungsweise entweder einen größeren oder einen geringeren Raum einzunehmen, als die Natur ihnen angewiesen hat. Schon bei den Wilden bemerken wir den Hang, die Figur mittelst hoher Kopfputze zu vergrößern; und bei den gebildeten Nationen wird in gleicher Weise sowohl die Verengerung wie die Erweiterung der Formen zu einer Kunst und Wissenschaft, die man mit emsigem Fleiße treibt. Man spannt den einen Teil aus und presst den andern zusammen, man schnürt auf der einen Seite das ein, was man an der andern dehnt, ausstopft und unterfüttert; man bringt da Erhöhungen an, wo Vertiefungen sind und zeigt da Leere, wo Fülle vorhanden ist, um nur nichts so zu lassen, wie die Natur es schuf. An der weiblichen Kleidung hat die Tendenz zur Erweiterung den Reifrock hervorgerufen, die Tendenz zur Einengung aber jene unschöne und unheilvolle Erfindung der Schnürbrust herbeigeführt, die für manches junge und blühende Leben den Keim des Todes pflanzte und eine andre Generation schon vor der Geburt verkümmerte. Unter Ludwig XIV. verlangte der Schönheitssinn des menschlichen Auges neben andern Absurditäten die Wespentaille, die der vornehmen Dame nicht tief und nicht eng genug werden konnte, während vordem die Taille hoch unter Brust und Achseln gegangen war. Man wollte einem Insekt so ähnlich als möglich sehen, welches in der Körpermitte einen Einschnitt hat und von dort aus nach beiden Enden zu breiter wird. Will man lieber die Gestalt der Schnürbrust mit einem auf der Spitze stehenden Kegel oder Trichter vergleichen, so hatte die Dame, welche darin steckte, fast genau die Form einer Sanduhr; sie musste so steif und gerade einherschreiten, als wäre sie aus Holz geschnitzt gewesen. Was blieb überhaupt von weiblicher Grazie und Anmut übrig, wenn der Busen von unten herauf wie ein Brett plattgedrückt ward oder die untere Spitze des sogenannten Blankscheits wie ein Schnabel die Kleider in die Höhe hielt? Keines der herrlichsten Muster weiblicher Schönheit, die vom Altertum auf uns gekommen sind, zeigt daher auch nur eine leise Annäherung an eine solche durch festes Einschnüren erzwungene Taille. Wenn die Australneger ihre Brust zerhacken und zerschneiden, die Neu-Seeländer ihre ganze Hautoberfläche tättowiren, die Botokuden Ringe, Stifte und Klötze in ihren Nasen, Ohren und Lippen tragen, oder die Chinesen ihre Füße verunstalten, so sind alle diese Narrheiten der Art, dass sie an der Skala eines Morometers, d. h. Narrheitsmessers, wenn es einen solchen gäbe, nur um wenige Grade höher stehen würden, als unsere Narrheit des Verschnürens der Leiber.

Wer Genaueres zu erfahren wünscht, wie die Schnürbrust den Athmungsprozess, den Blutlauf, die Verdauung und die Blutreinigüng in der Leber stört, möge Professor Bock's populäre Aufsätze in der „Gartenlaube“ lesen. Man sollte glauben, solche verderbliche Mode könne nicht von langer Dauer sein; indessen konnte sie bis heute noch nicht von der Vernunft oder dem ästhetischen Sinn der modernen Welt überwunden werden. Vielmehr ist das jetzige Korset als die Grundlage für den weiblichen Anzug, an der die meisten übrigen Kleidungsstücke befestigt sind, und von welcher größtenteils Form und Aussehn des ganzen Anzugs abhängt, gar nicht mehr zu entbehren; dann muss dasselbe aber wenigstens aus elastischem Stoff und ohne Einlage fester Stäbe gemacht sein, damit es sich vollkommen den Umrissen des Rumpfes anschmiegt und dessen natürliche Form nicht beeinträchtigt.

Auch die heutige männliche Tracht lässt die eigentlichen Körperformen fast gar nicht hervortreten; Rock, Frack, Weste, Beinkleid zwängen den Körper vermöge ihres Schnitts, ihrer Näthe, Wülste etc. in Formen, die eine Karikatur des schönlinigen menschlichen Körpers bilden. Wir gehen eigentlich in lauter zusammengesetzten Säcken. An den langen Hosen octroyirt uns der Schneider falsche Falten, denen an der Körperform nichts entspricht. Das Spottgebilde des Fracks würde für die Affen ganz passend sein, falls sie sich überhaupt kleideten; warum aber wird uns ein gänzlich unmotivierter Schwanz angehängt? vielleicht ist derselbe nur für die prosaischen Taschen geschaffen, die das Mittelalter viel ästhetischer als besonderes Anhängsel an zierlichen Riemchen oder Kettchen führte. Verlassen wir aber den Standpunkt der Ästhetik, so müssen wir allerdings anerkennen, dass der Frack sehr nützlich ist, insofern er nämlich das Bedürfnis, für Alltage und für festliche Gelegenheiten verschiedene Kleider zu besitzen, auf die billigste Weise befriedigt; denn hört man auf, die Festkleider als solche durch den Schnitt zu bezeichnen, so werden wieder Goldstickerei, Pelzverbrämung und anderer Luxus zur Unterscheidung dienen müssen.

Wenn beim männlichen Geschlecht das Streben nach Erweiterung die Pluderhosen des 16. Jahrhunderts hervorrief, so schuf dagegen das Streben nach Einpressung die Kravatte, Halsbinde und Vatermörder, lauter Erfindungen, die den Menschen verhindern, den Hals zu drehen und nach allen Richtungen frei um sich zu schauen; er soll nur gradeaus blicken auf die Dinge, auf die er gewissermaßen hingestoßen wird, ähnlich dem Droschkenpferd mit Scheuklappen, welches auch seine seitliche Umgebung nicht sehen darf. Die steife Halsbinde, die jetzt glücklicher Weise im Aussterben begriffen ist, war früher so recht das Symbol der menschlichen Maschinen, nämlich der subalternen Büreraukraten und der reglementsmäßig dressierten Soldaten. Auch der Rockkragen geniert uns zuweilen. In der barocken Perrückenzeit, wo der Kopf täglich stundenlang gemartert wurde und immer peinlich geschont werden musste, damit nichts an ihm in Unordnung geriete, konnte derselbe dennoch sich freier bewegen, als in neuerer Zeit, wo die Mode zuweilen einen Rockkragen verlangt, der schwerfällig wie ein Pferdekummet im Nacken liegt.

Unsere Gürtel, Schnallen, Hosenträger, Strippen, Strumpfbänder etc. sind drückende Fesseln für die freie Bewegung; aber ohne Murren und mit Todesverachtung stürzen wir uns in diese Sklaverei. Der Körper muss sich schon früh an die Fugen, in die er hineingetrieben wird, gewöhnen, und er tut es auch; es ist sogar erstaunlich, was er in dieser Art auszuhalten lernt und geduldig erträgt. Je besser man angezogen ist, um so schlechter kann man athmen, verdauen, gehen, stehen oder sitzen. Der deutsche Professor in Schlafrock und Pantoffeln ist ein Bild des Wohlseins und der Gemütlichkeit; der antichambrirende Höfling aber mit steifer Kravatte, Vatermördern, Manchetten, Handschuhen, Frack und engen Pantalons zeigt vielleicht auch eine süßlächelnde Miene, befindet sich jedoch innerlich sehr mittelmäßig. Die vielen Übelkeiten und Unpäßlichkeiten, ja die dauernden kleinen Leiden, welche die Forderungen des Anzugs nach sich ziehen, bilden in der Geschichte des menschlichen Lebens ein umfangreiches Kapitel, und sie dürften einen Platz in der Weltgeschichte beanspruchen wegen der beklagenswerten Einflüsse, die sie auf die Geschicke der Völker üben.

Man könnte glauben, wenn unsre Kleidung auch der Entwickelung des Körpers und der Freiheit seiner Bewegungen ungünstig wäre, so würde sie doch sicher dem Klima Rechnung tragen; auch das ist eitler Aberglaube, diese Hauptbedingung einer vernünftigen Kleidungsweise wird erst recht nicht erfüllt. Nach dem leichten und luftigen Anzug unsrer Damen würden wir oft annehmen, in der heißen Zone zu leben, wenn nicht andre gleichzeitige Beobachtungen uns sehr vernehmlich daran erinnerten, dass unser irdisches Dasein sich auf dem 52.° nördlicher Breite befände. Sieht man bei 10° Réaumür unter dem Gefrierpunkt die elegante Balldame mit bloßen Armen und einer sanitätspolizeiwidrig dekolletierten Büste, so bekommt man unwillkürlich das unheimliche Gefühl, als möchte man sich über die eigene Gänsehaut noch einen warmen Flauschrock ziehen. Betrachtet man nun gar die ungeheuren Schleppen, so sollte man nicht wähnen, dass auf der Erde dann und wann nasse Niederschlage vorkämen, sondern dass die Straßen der Stadt von der Polizei gerade so rein, glatt und trocken wie Salonfußböden gehalten würden. Mit sechs Ellen des kostbarsten Stoffs fegt man den Gassenkehricht zusammen, wirbelt den Staub auf, schleppt im Wege liegende Reiser, Strohbündel, dürre Baumäste stundenlang mit und lässt sich schließlich mehrere Handbreit vom Schweife abreißen, und zwar nicht etwa durch den kräftigen Auftritt eines Bauerlümmels, sondern durch den faux pas eines galanten Kavaliers; denn auch dem gewandtesten der Menschen ist es doch nicht unter allen Umstanden möglich, jenem bösen Verhängnis zu entgehen. Der unglückliche Missetäter entschuldigt sich, so gut es gehen will; die gnädige Frau vermag es über sich, freundlich zu lächeln, als ob nichts passiert wäre, und erst zu Hause bricht das Ungewitter über den gänzlich unschuldigen nichts Böses ahnenden Ehegatten los.

Das gegenwärtige Ballkostüm der Damen scheint nur erfunden zu sein, um selbst den graziösesten Tänzer als Hans Ungeschickt erscheinen zu lassen und die ohnehin schon abnehmende Tanzleidenschaft der Männer noch mehr zu dämpfen. Lange Schleppkleider von einem so dünnen Stoff, dass er aus Luft gewebt zu sein scheint, daran ein schwerer Blumenaufputz befestigt, auf dem Kopf Frisuren, die jeder rascheren Bewegung nachgeben, und dazu die Musik oft in einem Tempo, als sollte man mit Bacchantinnen in trunkenem Wahnsinn tanzen — unter solchen Verhältnissen erfordert das Tanzen in der Tat, wie jeder einsehen wird, eine außergewöhnliche Besonnenheit und Gewandtheit von Seiten des Herrn, wenn er nicht nur seine eigene Aufgabe erfüllen, sondern auch noch die Schöne an seinem Arm vor allen möglichen Unfällen bewahren soll. Der tanzenden Dame selber bleibt zuweilen nichts weiter übrig, als ihren langen Kleiderschweif wie ein Packet unter den Arm zu nehmen und sich mit dieser Last im Kreise umherzudrehen. Dem Fabrikanten und Modewarenhändler wird das Herz im Leibe lachen, wenn er die weithinschleppende Wolke von Gewändern sieht, die von der Taille herab den Körper der heutigen Damenwelt umgibt; wer aber sein Auge an den unübertrefflichen Marmorstatuen griechischer Kunst, ihrer klassischen Gewandung und Haartracht gebildet hat, mag am modernen Geschmack des schönen Geschlechts verzweifeln.

Die nachlässig-koketten Frisuren der Damen machen den Eindruck, als wären sie halb in Auflösung begriffen; ein unter dem Chignon herabhängender, mit Blumen umwundener Zopf sieht so aus, als wäre er eben erst vom Kopf herabgestürzt, und die enorm langen, lose gewundenen Locken, die nach vorn über die Schultern fallen, erwecken den Schein, als wäre die Toilette plötzlich unterbrochen worden und unvollendet geblieben. Nonchalant und luftig gleiten die weiblichen Gestalten durch den Ballsaal wie Shakespeare's Ophelia, und man ist bei ihrem Vorüberschreiten versucht, die Hand auszustrecken, um Rosmarin und Stiefmütterchen in Empfang zu nehmen. Nur sollten die Opheliagestalten nicht lachen oder gar tanzen, denn dann verschwindet die Vision, und man erblickt nur noch eine Dame, der man behülflich sein möchte, ihre Coiffüre zu vollenden oder wiederherzustellen. Die lang herabfallenden Locken erinnern auch an jene unverstandenen Träumerinnen, die nach unmöglichen Idealen sehnsuchtsvoll suchen, sie aber niemals finden und schwermütig dahinschmachten; es nehmen sich diese Schmachtlocken oft zu Anfang des Balls sehr verführerisch aus, gestalten sich aber im Verlauf desselben mehr und mehr zu einem wüsten Chaos.

Der Kopfputz ist ein Artikel, welcher für sich allein die ernste Prüfung der Naturforscher, Ärzte und Philosophen erfordern dürfte; über die Beziehungen der Damenhüte zum Klima, zur Gesundheit, zur Bequemlichkeit, zur Logik, zur ästhetischen Schönheit, zur Menschenwürde etc. könnte man ein langes, anziehendes Kapitel schreiben. Wenn man die Kopfbedeckung im Allgemeinen für ein Schutzmittel gegen Wind und Wetter halten sollte, so würde man sich wiederum in einem sehr naiven Irrtum befinden; denn der Hut bedeckt oft nur das Haarnetz oder liegt als umgestürzter Dessert-Teller flach auf dem Scheitel, oder reduziert sich auf zwei Strohhalme, die zwischen den Haarflechten festgesteckt werden. Zu anderen Zeiten wieder haben die Hüte einen immensen Umfang, und auf ihnen thront ein parfümiertes Bouquet, ein Fruchtkorb oder ein indianisches Vogelnest. Im Jahr 1782 trug man sogar, wie die Memoiren der Baronin von Oberkirch erwähnen, kleine, flache, der Form des Kopfes angepasste Fläschchen, die etwas Wasser enthielten, um damit das in der Coiffüre befindliche Bouquet natürlicher Blumen anzufeuchten und frisch zu erhalten. Das glückte zwar nicht immer, aber wenn der Zweck erreicht wurde, so war es, wie die Baronin meint, allerliebst anzusehen. Der Frühling auf dem Kopfe mitten im Schnee des Puders brachte eine unvergleichliche Wirkung hervor.

Es mag hübsch und kleidlich sein, auf Sommerhüten feine Moosrosenknospen und Epheublätter zu tragen; wenn aber Äpfel, Birnen, Kartoffeln, Kohlköpfe, gelbe Rüben und andere schwere Frucht- und Gemüsebüschel oder gar ganze gefüllte Blumentöpfe auf den Damenköpfen wachsen, so ließe sich dies freilich in gewissem Sinne als Rückkehr zur einfachen Natur betrachten, allein solcher Naturschmuck ist hässlich, wenn er auch immerhin zu Zeiten — Mode ist. Vom Pflanzenreich steigen wir zum Tierreich aufwärts. Der Mensch nahm den Fischen ihre Schuppen, den Vögeln ihr Gefieder, den Säugetieren ihre Felle und gestaltete sich auf Kosten der Tiere selbst zum seltsamsten Tier von allen. Das mag im Allgemeinen klug und gut, selbst notwendig sein; allein einzelne Tierteile tragen gewöhnlich nicht zur Veredelung der Menschenformen bei. Nur um uns den Teufel recht hässlich vorzustellen, versehen wir unwillkürlich seine sonst menschliche Gestalt mit so vielen tierischen Attributen, als da sind die Bockshörner, die Klauen, der gespaltene Schlangenschweif, der eine Pferdefuß, endlich die Hahnenfeder auf dem Hut und die beiden Raben. Heute freilich hat die Kultur, die alle Welt beleckt, auch auf den Teufel sicherstreckt; seine Attribute verschwinden und er bedient sich, wie mancher junge Mann, falscher Waden. Die Flügel der Engel dienen als Ausdruck ihrer geistigen, ätherischen, idealen Natur; an den Seraphim erscheint sogar nur der Kopf, von sechs Flügeln umgeben. Als Attribute der Narren werden wir im zweiten Kapitel die Eselsohren, den Hahnenkamm und den Fuchsschwanz genauer besprechen. Die Adlerskrallen, welche unsre Stutzer sich an den Fingern wachsen lassen, find nach meinem Geschmack eine eminent häßliche Mode; die Natur will uns keine Waffe zum Kratzen verleihen, wir sollen unsre Feinde nicht raubvogelähnlich packen noch blutig zerreißen. Für den vernunftbegabten Menschen sind, um es kurz zu sagen, Flügel, Federn, Schwänze, Hörner, Kämme, Krallen und andere Tierteile, so wie deren künstliche Nachahmungen als Schmuckgegenstände allemal hässlich, wenn nicht komisch, und eigentlich nur dann erlaubt, wenn sie zu dem Träger in einiger Beziehung stehen. Die Sporen, die wir dem Hahn entlehnt haben, mag ein Stallmeister oder Offizier mit Recht tragen, auch wenn er zu Fuß geht; wenn aber Leute, welche selten oder nie ein Pferd besteigen, mit klingenden Sporen über die Straße gehen, so macht dies einen narrenhaften Eindruck; es gab freilich eine Zeit, wo selbst Kanzlisten, ohne jemals mit den Akten in die Registratur zu reiten, sich diese Renommage erlaubten. Der Tyroler Schütze, welcher frei und keck in die Welt schauend im Arm den Stutzen trägt und am breitrandigen, spitzen Hut den Gemsbart, ist eine sehr stattliche und malerische Erscheinung; auch der Falke und die Auer- oder Birkhahnfeder zieren in der Tat den geschickten Jäger; wenn aber Damen sich Elsternfittige und Pfauenschweife aufstecken oder sich ausgestopfte Papageien aufs Haupt setzen, so ist das wohl keine Zierde mehr, sondern nur zeitweilig — Mode. Die Damen werden selber nicht wünschen, mit den genannten Vogelarten in irgend welche geistige Beziehung gebracht zu werden.

Der Grundsatz: „Je exzentrischer der Hut, desto zweideutiger die Dame“, mag etwas Richtiges haben, mag vielleicht für alle Teile des Anzugs seine Anwendung finden dürfen; allein wenn das Erzentrische nur wirklich Mode ist, so wird dasselbe auch von der Sprödesten in verhältnißmäßig kurzer Zeit angenommen. Nach einigem Sträuben schiebt man das Schamgefühl ein Weilchen bei Seite, und Rücksichten der Decenz, welche gestern noch eristirten, gibt es vielleicht schon morgen nicht mehr. Galt es doch vor der Herrschaft der Crinoline für anständig, in Staub und Regen das Oberkleid samt allen Unterkleidern hoch aufgeschürzt zu tragen; es war das ländlichsittlich und bot selbst der Prüderie kaum den geringsten Anstoß, weil es eben — Mode war, und dieser Tyrannin beugt sich alles, vom Kaiser und der Kaiserin bis zum Hausknecht und Dienstmädchen. Die Mode hat sich zu einem Ansehn emporgeschwungen, dem selbst die männlichsten Gefühle und die verständigsten Ansichten kaum zu trotzen wagen. Was im Anfang noch so abscheulich und lächerlich erscheint, drückt sich in einem sehr kurzen Zeitraum durch, und gilt dann für schön, ja für unentbehrlich zu einem sogenannten nobeln Aussehn. Nichts ist so geschmacklos, dass es nicht in Mode kommen könnte, und fast kein Mensch ist so vernünftig, dass er nicht einmal die unvernünftigste Mode mitmachen sollte. Millionen der gebildetsten Europäer tragen kein Bedenken, rasch die hässlichste Tracht nachzuahmen; die Mode hat schon ganze Völker zu Thorheiten verleitet, wie sie kaum der Wahnsinn hätte erdenken können, und hat ihnen Geldsummen entzogen, die wahrlich einer bessern Sache wert gewesen wären. Der Geschmack findet Schellen und Schnabelschuhe, das Aussehn eines Mönchs und eines Harlekins, einer antiken Göttin und einer Hottentotten-Schönheit, Trikot und Tunika, Schnürbrust und Reifrock, Schleppen und Fontangen, Nuditäten und künstliche Difformitäten, Püffe, Wülste, Zatteln, Schlitze, alles zu seiner Zeit wunderschön. Fast jedes Zeitalter weist Ausgeburten der Mode nach; hatte doch selbst die durchschnittlich ernste und einfache Tracht der Reformationszeit in der Pluderhose ihre verwilderte und phantastische Karikatur neben sich und gerade unsrer so weise sein wollenden Zeit wird jeden Augenblick von irgend einer Mode ad oculos demonstriert, wie albern sie trotz ihrer Weisheit ist.

Man könnte glauben, dass in dem freien Amerika die Mode nicht so sehr im Stande wäre, ihre Tyrannei zu üben, und doch ist sie nirgends in der Welt unwiderstehlicher, als gerade hier. Mit Blitzesschnelle, so zu sagen, dringen bei der fortwährenden Völkerwanderung, die von Süden nach Norden und zurück, mehr aber noch von Osten nach Westen stattfindet, die absurdesten Moden in die entferntesten Winkel des Landes, und kaum sind die ersten falschen Waden oder künstlichen Locken auf dem Broadway in New-Vork erschienen, so werden auch schon ungeheure Ladungen jener wunderlichen Artikel nach dem fernsten Westen geschifft. Eine neue Maschine, ein neuer Roman, ein neues Kleidungsstück, oder was immer Neues sonst im Osten auftaucht, ist sicherlich nach 6 bis 8 Wochen in allen Kaufläden von Nebraska oder Neu-Mexiko zu finden. Werden Bärte in Boston getragen, so lässt der letzte Hinterwäldler alsbald seinen Bart stehen; und finden es die Jankee-Damen für gut und vornehm, nur zwei Kinder zu bekommen, so bestrebt sich alsbald die ganze vornehme Frauenwelt in den Vereinigten Staaten, ihrem östlichen Vorbild nachzukommen. Wir lassen das Wie hier natürlich mit einem dichten Schleier bedeckt; dass aber z. B. in Massachusetts die angelsächsische Dame das Aufziehen vieler Kinder für gemein hält, ist leider eine statistisch bewiesene Tatsache, die ernstlich zu denken gibt.

Der moralische Zwang, eine Mode mitzumachen, herrscht selbst unter den Wilden, die, wie uns Reisende berichten, sich den Gesetzen der grausamsten und schmerzhaftesten Moden blindlings unterwerfen. Die Negerinnen des Stammes Manyanjas im Innern Afrika's, die auf höchst vollkommene Schönheit Anspruch machen, tragen freilich bis jetzt noch keine — Crinoline, haben dafür aber ein anderes Mittel erdacht, ihren Reizen eine höhere Entwickelung zu geben. Sie erheben zu diesem Zweck ihre Oberlippe zwei Zoll hoch über die Nase und rasieren ihren schwarzen Kopf sorgfältig glatt. De gustibus non est disputandum. Man denke sich eine Glatze und eine dicke rote Lippe, die auf einer ganz platten Nase liegend einem gräulichen Auswuchs gleicht. Doch die Begriffe von Schönheit sind relativer Natur; die Damen jenes Stammes nehmen diese Mode unbedingt an und kokettieren mit einem Gesichte, dessen erster Anblick, wie Livingstone meldet, auf die Missionäre derartig wirkte, dass sie sämmtlich die Flucht ergriffen.

Was überhaupt guter Geschmack ist, darüber lässt sich wohl schwer eine klare und völlig genügende Definition geben. Der Russe findet gewisse Dinge hübsch, die der Engländer geradezu abscheulich findet; und solche Verschiedenheit der Ansichten zweier Nationen erstreckt sich nicht nur auf äußere Gegenstände, wie die Kleidung, sondern auch auf die Sitten, Manieren und das ganze soziale Leben. Der auf gesellschaftlichen Formen und Konvenienzen beruhende Anstand ist auch nichts weiter, als Geschmackssache. Wohl gibt es einen Auslands- und Höflichkeitskodex, dessen Gesetze in der gebildeten Gesellschaft aller Länder ziemlich allgemein als gültig anerkannt und befolgt werden; allein dieser Kodex enthält zugleich sehr viele Punkte, über welche die Nationen nicht einig sind, und es dürfte ebenso schwierig sein, sich über den Begriff von Anstand, als über den von Geschmack vollkommen zu verständigen. Warum findet der Franzose es unanständig, dass ein junges Mädchen allein mit einem jungen Mann spazieren geht oder reitet, ja sogar ihn zu Hause empfängt, während der Engländer das ganz natürlich und schicklich findet? Warum findet es der Engländer wieder ganz unanständig, dass die französische Dame in ihrem Schlafzimmer Visiten empfangt, während die Franzöfin die englische Ansicht, das Schlafzimmer der Hausfrau als ein sanctum sanctorum zu betrachten, für eine affektirte pruderie de trés manvais goût erklärt? Ein französisches Mädchen würde den Vorschlag ihres Bräutigams, sie vor der Trauung zu dutzen, mit Erröten, die Bitte um einen Kuss mit Entsetzen von sich weisen, während ein englisches und ein deutsches Mädchen diese Licenzen als ganz natürlich und als der Lage der Dinge entsprechend betrachten und annehmen. Eine Französin, verheiratet oder nicht, welche nach Deutschland kommt, findet es im höchsten Grade anstößig, ihre Kleider, wie es bei uns in vielen Städten Sitte ist, von einem Schneider und nicht von einer Schneiderin machen zu lassen. Dagegen bedient sie sich in ihrer Sprache und Ausdrucksweise einer Freiheit, die den Deutschen frappiert und die von einer zarten Miss als quite shocking verdammt wird. Es geniert die Französin nicht im Mindesten, die Worte jambe, bas, chemise etc. auszusprechen, während die Engländerin in ihrer Sprache so züchtig oder auch so spröde ist, dass sie statt des Wortes leg lieber ancle gebraucht, und von Kleidungsstücken nur diejenigen zu bezeichnen wagt, die der Haut am Entferntesten liegen; für die näher liegenden wählt sie, wenn es einmal sein muss, lieber die französischen Ausdrücke; die analogen ihrer Muttersprache existieren für sie gar nicht, wie denn ja auch bei uns Cotillon, Corset, Chemisette etc. für anständiger gelten, als die respektiven deutschen Übersetzungen. Dagegen wiederum möchte auch nicht eine den gebildeten Ständen angehörige Pariserin jenen Ausdruck sehr anständig finden, den ich einmal von einer der hohen englischen Aristokratie angehörenden Dame zu meinem nicht geringen Erstaunen hören musste. „Ich freue mich unendlich“, sagte ich zu ihr, „zu sehen, wie gut Ihnen die Luft von Madeira bekommen ist; Sie sehen viel wohler aus, als vor einigen Monaten.“ — „Oh yes Sir,“ antwortete mir das muntere und hübsche Mädchen, „I am growing here as fat as a pig.“ (Ich werde hier so fett wie ein Schwein.) Bei Jemand, der in das Mädchen verliebt gewesen wäre, hütte dieser Ausdruck sich vielleicht geeignet, den Thermometer der Liebe um mehrere Grade herabzudrücken. — Nach dem Gesagten aber verzichten wir darauf, die Begriffe von Anstand und Geschmack im Allgemeinen weiter zu erläutern, und wenden uns wieder zur speziellen Betrachtung der menschlichen Kleidungsweise.

Dass die Mode sich nicht an klimatische Verhältnisse kehrt, dass fast in jedem Teilchen unsrer Kleidung ein gewisser Mangel an Logik herrscht, daran haben wir uns so gewöhnt, dass es uns kaum noch in den Sinn kommt, es könnte anders sein. Die Dame fragt bei ihrer Toilette gar nicht mehr nach dem Nützlichen und Notwendigen; sie weiß längst, dass das Ansprechende die maßgebende Hauptsache ist. Sie kleidet sich nicht, sie putzt sich, und das Anziehen ist eine Kunst, die erlernt werden muss, für die man sich Gehilfinnen und Schülerinnen hält. Wir reden hier nicht von den so und so viel Millionen Menschen, die ihren Rock gerade so tragen, wie Vater und Mutter ihn getragen haben, wie Sohn und Tochter ihn unfehlbar wieder tragen werden, und die vielleicht gar nicht darauf verfallen, dass ihr Rock überhaupt noch in irgend einer andern Form getragen werden könnte; die Kunst des Ankleidens besteht nur für eine kleine Minorität der Menschheit, für jene zarte Blüthe der Gesellschaft, die in allen Nationen der Ausdruck der herrschenden Bildung ist. Diese Kunst bleibt aber dem Gebiet der Ästhetik ziemlich fern, und doch sollte sie der Tracht Gesetze vorschreiben, nach den Schönheitslinien des Körpers sich zu modeln, den Umrissen desselben gewissermaßen wie eine zweite stärkere Haut auf schmiegsame Weise zu folgen und den Bewegungen der Glieder die ganze Freiheit ursprünglicher Anmut zu gewähren. Statt dessen macht die ungeheure Majorität aller Trachten den Eindruck, als wollten sie nicht nur dem gesunden Menschenverstand Hohn sprechen, sondern auch die Bedingungen des Schönen über den Haufen werfen. Die Kleidung soll, wie Vischer in seiner Ästhetik sagt, nicht Hindernis sein, dass der Körper erscheine, sondern soll vielmehr fortgesetzte, wie in einein Nachhall erweiterte Körperform sein, soll als „Echo der Gestalt“ deren Bildung und Bewegung aufzeigen. Diese Bedeutung kommt keiner andern Tracht in dem Grade zu, wie der griechischen und römischen, welche allein oder doch vorzugsweise als plastische bezeichnet werden darf.

Die klassischen Völker verstanden die Vereinigung von Gewand und Körper besser als unsre Zeit; sie zeigten die Körperformen und die Gewandformen in ihrer Schönheit neben einander, dort die Linien und Schwellungen der Glieder und Muskeln, hier das Gewand in seinen Falten und Brüchen, mit Licht und Schatten frei sich entfaltend. Die Extremitäten wurden fast ganz frei getragen; Hosen galten dem Griechen für barbarisch; selbst das Haupt ließ er unbedeckt, wo er nicht den Schutz des Helms, der Schiffermütze, des Reisehuts bedurfte; der Leibrock fiel, durch einen Gürtel gehalten, faltig und bequem am Rumpf herab, und darüber ward der weite wollene Mantel geworfen, der nur den eigenen Gesetzen in Wurf und Falten folgte, der nicht, fertig genäht, mit falschen Schneiderfalten am Leibe hing, sondern als ein bewegtes, lebendiges, persönliches Kleid getragen sein wollte. In unserer Tracht sind dagegen die Körperformen, so wie auch die lebendigen reichen Falten des Gewandes ausgeschlossen. Wir bauen zum Schutz des Körpers förmlich eine transportable Hütte um ihn; wird doch das Verfertigen eines Kleidungsstücks schon wirklich mit dem Wort „bauen“ bezeichnet. Wollen wir nun auch unseren Schneider noch nicht als Baumeister betrachten, so müssen wir doch wenigstens zugestehn, dass wir uns mit einer unförmlichen, steifen Hülse umgeben, durch die das Muskelspiel gänzlich verdeckt wird, und dass wir uns eine unbelebte, wo möglich rund ausgestopfte Schale schaffen, die den Körperformen garnicht mehr entspricht. Die Krebsschale oder der Panzer der Schildkröte scheint hier zu Grundezu liegen, und ist mit Bestimmtheit das Modell zum Küraß des Soldaten gewesen. Wenn die Husarenuniform und die Schnürenröcke nicht schon früher von unzivilisierten Völkern erfunden waren, so würden wir sie doch jedenfalls erfunden haben, denn die Schnüre sind ursprünglich nichts weiter, als symmetrische Nachbildungen der einzelnen Rippen. Die gestickte und geschnürte Tracht ist beiläufig zuerst von orientalischen Völkerschaften zu den Neugriechen, Ungarn und Spaniern übergegangen. Durch Schnüre und Tierschalen wird uns aber die Symmetrie gewaltsam octroyirt, und doch verlangt der symmetrische Körper keineswegs eine symmetrische Kleidung, um schön zu erscheinen. Im Gegenteil ist die zuweilen zwangsjackenmäßige Uniform in ihrer mathematischen Peinlichkeit schönheitswidrig und bekanntlich dem bildenden Künstler sehr verhasst. Die Alten gaben daher im Gegensatz zu unserm Streben nach Symmetrie der Wurfgewandung den Vorzug, weil sie jeden Zwang vermeidet und doch dabei die Symmetrie des Körpers nicht aufhebt, sondern nur verhüllt.

Die alten Germanen hielten noch etwas auf Körperschönheit und liebten die eng anschließende Kleidung. Als ein nordisches, der Verhüllung bedürftiges und schamhaftes Volk führten sie neue Stücke in die antike Tracht ein, nämlich für den Mann die Hosen, für das Weib das Mieder. Durch die Hosen werden eigentlich Tunika und Stola soweit entbehrlich, dass statt ihrer ein Wamms genügen würde. Allein diese Konsequenz wird noch nicht gezogen; zu Anfang des Mittelalters überdecken noch die antiken Formen die neuen; über den engen Hosen wird eine mit Ärmeln versehene und bis an die Kniee reichende Tunika getragen und als allgemeines Kleid der Würde und Ehre bleibt die Toga von Bestand, nur nicht mit freiem Wurfe herabfallend, sondern durch einen Knopf auf der Brust festgehalten. Erst später geht die Tunika in das Wamms, die Toga in den Mantel über. Dann aber entwickeln sich im weitern Verlauf des Mittelalters allmählig die unschönsten und unnatürlichsten Trachten. Vielleicht war es zunächst das Christentum, welches dadurch, dass es im Allgemeinen das sittliche Gefühl schärfte, zu größerer Umhüllung einzelner Teile des Körpers beitrug, die antiken Nuditäten und mangelhaft verdeckenden Gewänder perhorreszierend. Haben doch auch in unsrem Jahrhundert wiedrum die früher unbekleideten Bewohner der Südsee-Inseln mit der Annahme des Christentums zugleich Kleider angenommen und ihre Nacktheit abgelegt.

Das Lehnswesen, welches sich dann im Mittelalter entwickelte mit seinen kriegerischen und kastenartigen Einrichtungen, brachte die Waffen zur Geltung und machte auf längere Zeit die Waffentracht zur allgemeinen Mode. Die Kreuzzüge, welche die Phantasie der Völker erregten und neue Ideen in Europa wachriefen, brachten im dreizehnten Jahrhundert die bunte orientalische Kleiderpracht in Aufnahme, und die Reichtümer Spaniens schafften einen Luxus, der oft in ausgelassene Üppigkeit ausartete und sich im Kostüm sehr deutlich kundgab. Daneben führte endlich das Wachstum hierarchischer Gewalt eine Menge einfacher und finsterer Mönchstrachten ein, so dass die mittelalterliche Modenwelt ein höchst seltsames und buntes Gemisch abgab und auf eine überraschend anschauliche Weise den ungebundenen, haltlosen, abenteuerlichen und phantaftischen Charakter ihrer Zeit wiederspiegelte. Wir erkennen aus der damaligen Kleidungsweise barbarische Rohheit neben kindischer Prunkliebe, wilde Kampflust und zügellose Ausschweifungen neben zarter und ritterlicher Frauenwürdigung, steifes Hofzeremoniel neben ungezwungenem Wohlleben der Mittelklassen, fürstliche Despotie neben freiem Bürgertum etc.

Wie die Kleidung das einzelne Individuum im Kleinen kennzeichnet, so ist sie der untrügerische Spiegel der Gesellschaft im Großen, sie ist ein Ausfluss des allgemeinen Volksgeschmacks, ein Kind des Zeitgeistes und von demselben Charakter wie dieser. Es ist meist nur scheinbar, wenn eine einzelne tonangebende Person, nud sei es auch eine Kaiserin, eine neue Mode ausbringt; gewöhnlich hat sie sie nicht aus sich selbst heraus neu geschaffen. Die Mode ist vielmehr schon vorbereitet durch den Gang der Geschichte und steht mit ihr im innigsten Zusammenhang, wenn dieser auch nicht immer sofort von Jedermann erkannt wird. Die Mode ist nichts Isoliertes, was durch sich selbst entsteht oder besteht, sondern hat ihre innern Gründe des Vorhandenseins. Sie kennzeichnet also im Allgemeinen eine längere Zeitperiode, zuweilen aber tut sie auch einmal einem einzelnen Individuum die Ehre an, dessen Handlungsweise zu illustrieren und zu persiflieren. Als der Finanzminister Silhouette, welcher bekanntlich in Brachvogel's „Narciss Rameau“ von Madame Pompadour höhnisch ausgelacht wird, im Jahre 1759 durch eine Masse unseliger Ausgaben den allgemeinen Widerwillen auf sich gezogen hatte, richteten sich gegen ihn Karikaturen in Menge, worauf sich der Franzose ja so meisterhaft versteht, und die Mode nahm dabei einen eigentümlichen Charakter der Dürftigkeit an. Man begann Überröcke ohne Falten zu tragen und nannte sie à la Silhouette, man machte Beinkleider ohne Taschen und nannte sie à la Silhouette, Dosen ohne Verzierung wurden à la Silhouette getauft, und so weiter. Die Mode ging dann vorüber, jene Bezeichnung aber für ein schwarzgezeichnetes Porträt en profil ohne Augen hat sich bis heute erhalten. Als Ludwig XV. starb, und in Folge dessen mehr Freude als Trauer herrschte, suchte wiederum die Mode rasch diesem Zeitgeist Ausdruck zu geben, und zwar in der Weise, dass die Damen an ihrem Kopfputz Kornähren anbrachten zur spottenden Erinnerung an die Hungersnot, während welcher Ludwig der Vielgeliebte zum Kornjuden geworden war. In diesen Beispielen vertritt die Mode die Stelle des besten Epigramms, das die Spottsucht der französischen Nation hätte erdenken können, und verdolmetscht die öffentliche Meinung verständlicher, als die gesamte Presse es vermocht hätte.

Wer weiß nicht, dass die Mode sich jeder berühmten oder berüchtigten Persönlichkeit, jedes hervorragenden Ereignisses, jeder epochemachenden Erfindung bemächtigt? Sobald das Volk von einer Person oder Sache viel spricht, wird dem ersten besten Kleidungsstück die Ehre zu Teil, den Namen dieser Person oder Sache zu tragen. Bald heißt alles Cagliostro oder Bosko, bald alles Marie Antoinette, Napoleon, Blücher, Nelson, Suwaroff, Catalani, Jenny Lind, Pepita, Viktoria, Garibaldi, Bismarck etc. Nach einem Brief von Hans Wachenhusen ist augenblicklich der Etoffe Bismarck in Paris sehr beliebt; freilich lässt sich bei der Mode nur von Augenblicken reden. Eine gleiche Bewandtnis hat es mit den sogenannten Modefarben; ein bekanntes Rot z. B. erhielt den Namen Pompadour, und die bleichgelbe Farbe, die der unreinen Wäsche eigen zu sein pflegt, wurde nach der spanischen Prinzessin Isabella, Tochter König Philipps II. und Gemahlin des Erzherzogs Albrecht von Östereich, benannt, welche 1601 das Gelübde tat, ihr Hemd nicht eher zu wechseln, als bis Ostende erobert sei, was drei Jahre später geschah. Zu einer andern Zeit muss alles, was vom „Bon ton“ sein will, sich in Couleur d'Amaranthe oder d’Aurore, in Celadon oder Chamois, in Carmoisin oder Incarnat kleiden. Dann erfordert der „Dernier goût“ wieder das Kornblumenblau, das Lehmgelb, das Klatschrosenrot, das Kuhmistgrün, das Chokoladenbraun, die Havannafarbe, das Schneeweiß, die Flohfarbe, tausend Übergänge und Schmutzfarben, das Grau und Violett in allen Schattierungen, die preußischen Farben streifig oder schachbrettförmig, die deutschen Reichsfarben, die 1616 Fräulein Nitschke in Jena erfunden haben soll, als sie eine Fahne für die dortige Burschenschaft stickte, (siehe H. Grote, Gesch. d. Welf. Stammwappen. Leipzig 1863. p. 121), und endlich ist das Nobelste Rabenschwarz, so dass unsere Gesellschaftszirkel, selbst die Bälle Zusammenkünften trauernder Familien gleichen.

Auch den Einflüssen der Kunst und Literatur sucht sich die Mode nicht zu entziehen, z. B. jener blaue oder grüne Frack mit gelben Knöpfen, der noch vor einigen Dezennien den Dichter, Literaten oder auch schlechtweg ein verbummeltes Genie bezeichnete, ist nichts weiter, als das Überbleibsel der sogenannten Werthertracht, die vermittelst der empfindsamen Literatur in Deutschland aufkam und anfänglich unter der jungen Männerwelt Furore machte. Sie bestand aus blauem Frack, gelber Weste, gelben Nanking-Beinkleidern und hohen Stulpstiefeln; es war die Kleidung, in der Werther sich erschossen hatte, und alle diejenigen, die mit ihm liebten und litten, kleideten sich fortan auch in seiner Weise; selbst den empfindsamen Damen musste die Tracht verehrungswürdig erscheinen, weil Werther sagt: „in diesen Kleidern, Lotte, will ich begraben sein, denn du hast sie berührt, geheiliget.“ Trugen die Damen damals doch Fächer, vom Fabrikanten Löschenkohl in Wien verfertigt, auf denen Lotte bei Werthers Grab, und Lotte in Ohnmacht mit Albert dargestellt war. Ursprünglich war die Werthertracht das Reitkostüm der Engländer; in Deutschland aber wurde sie allgemein durch die Literatur die Kleidung der Literaten, Liberalen und Genies, und machte zumal anfänglich ihren Träger als etwas Besonderes interessant, sei es als Freigeist und Verächter der Sitte, oder mehr als Weltschmerzverrückten und herzenskranken Malkontenten. Selbst heute wollen noch fremde Schriftsteller, wenn sie deutsche Sitten schildern, ihr Publikum glauben machen, dass bei uns alle unglücklich Verliebten Werthers klassisch gewordenen bunten Frack mit gelben Knöpfen trügen; wir können dies auf das Bestimmteste dementieren. Der junge Goethe brachte das Wertherkostüm zuerst 1775 nach Weimar an den Hof. Als bewußtes Parteizeichen trat es in bedeutungsvoller Weise zum ersten Mal bei der Versammlung der französischen Notabeln 1789 auf, wo der dritte Stand durch seinen einfachen Frack sich auch äußerlich zum goldbordierten Adel in Opposition setzte. Der ruchlose Herzog von Orleans, Philipp Egalité, bestieg das Schaffot in grünem Frack und gelben Hosen am 6. November 1793.

Also auch bestimmte soziale Stellungen, politische Gesinnungen und selbst Gemütsstimmungen vermag der Mensch, wie wir gesehn, durch seine Kleidung auszudrücken, wenn auch nicht mit der abgegrenzten Bestimmtheit, womit die Uniform die Zusammengehörigkeit von Ständen, Ämtern und Korporationen bezeichnet. Rücksichtlich der politischen Gesinnungen spielt kein Trachtenstück eine bedeutsamere Rolle, als der Hut, auch wenn keine Kokarde daran sitzt. Wir tragen gewissermaßen unser politisches Glaubensbekenntnis auf dem Kopf, der Welt sichtbar. Alles was 1789 liberal oder neuerungssüchtig dachte, sei es politisch oder literarisch, die revolutionären wie die sentimentalen Köpfe, das Alles sammelte sich unter einen Hut, und zwar unter den schwarzen Zylinder. Derselbe kam damals von Amerika nach der alten Welt herüber, und war eigentlich nichts, als der Puritaner- und Quäkerhut, den auf einmal die Begeisterung für das im Befreiungskampf begriffene Nordamerika bei dem liberalen Teil Europas in Mode brachte. Der schlichte, prunklose Anzug, in dem die Gesandten des Washingtoner Kongresses am üppigen Hofe von Versailles erschienen, gewann den Beifall der stets in Extremen sich bewegenden Franzosen, und sie adoptierten mit dem simpeln, monoton gefärbten Rock Franklins auch den hohen und breitrandigen Hut der Quäker. Nicht solche verwegene Erscheinungen, wie wir sie seit 1848 mit dem Ausdruck „Bassermannsche Gestalten“ bezeichnen, sondern vielmehr die feinsten Löwen der Revolution und die Stutzer des Konvents trugen auf einem gänzlich unkultivierten Haupt einen plumpen, unförmlichen, zerdrückten und zerknitterten Zylinder, welcher nicht sobald in Paris gesehen wurde, als er auch fast in allen europäischen Hauptstädten auftauchte und allgemein für ein politisches Abzeichen der Volksmänner und Republikaner galt. Er ward deshalb an vielen Orten von Polizei und Obrigkeit verfolgt, sowie nicht minder in der periodischen Presse und in der Gesellschaft von den Royalisten und den Anhängern des Alten heftig bekämpft. Man bedenke, dass hier derselbe schwarze Hut gemeint ist, den wir heute tragen, und der in den letzten 30 Jahren gerade im Gegenteil als Legitim ist seinen Gegner, den kleinen grauen oder braunen Filzhut, als Carbonari oder Demokraten polizeilich verfolgte. Vor 60 bis 70 Jahren herrschte genau dasselbe Verhältnis zwischen dem dreieckigen Hut und dem Cylinder, so dass ein Engländer, der die politische Gesinnung Deutschlands erforschen wollte, auf die Hüte reis’te und schließlich eine Landkarte entwarf, auf welcher er den Stand der revolutionären und monarchischen Gesinnungen durch die entsprechenden Hüte bezeichnete. Die Restaurationszeit legitimisierte den Cylinder trotz seines jakobinischen Ursprungs; der kleine Filzhut aber, der 1848 nicht ohne politische Bedeutung auftrat und als Abzeichen der Demagogie, als Symbol des roten Gespenstes verfolgt ward, hat jetzt dies Martyrium glücklich überstanden, da er eben jene politische Bedeutung seitdem gänzlich abstreifte; harmlos bedeckt er jetzt die ruhigsten, ehrbarsten und loyalsten Köpfe, ja oft schaut unter ihm der beschränkteste Untertanenverstand heraus. Mit dem Zylinder, der noch das Gebiet des Salons, wie einstmals der dreieckige Hut, als feste Burg behauptet, kämpft jetzt der kleine Filz in mancherlei Gestalt; ob er aber im Stande sein wird, seinen Gegner schon in kurzer Zeit ganz aus dem Felde zu schlagen, muss mindestens ebenso zweifelhaft bleiben, wie ein rascher Sieg unsres gewöhnlichen Rocks über den Frack, jene Galatracht des ersten französischen Kaiserreichs, die bis in unsre Zeit noch unverändert das Kleid der Festlichkeit, für Ball und Konzert, Hochzeit und Taufe, Gratulation und Condolenz geblieben. Bei Hof ist es ganz und gar unmöglich, anders zu erscheinen als im Frack, es sei denn in Uniform. Vielleicht hat ihm der 1646 in Preußen unter allgemeinem Jubel eingeführte Waffenrock einen kleinen Stoß gegeben, und ist der Anfang seines Endes. (J. Falke, Gesch. des Mod. Geschmacks. 1866).

Ein ähnlicher Kampf wie in der Männerwelt zwischen dem hohen Zylinder und dem niedrigen Filz, findet auch beim weiblichen Geschlechte statt. Die Überreste des früheren schirmförmigen Damenhuts wichen bekanntlich mehr und mehr von der Stirn in den Nacken zurück und gewährten zuletzt nur diesem noch Schutz, während fast der ganze übrige Kopf unbedeckt blieb; man sah offenbar, dass der alte Hut sich überlebt hatte, es entstanden ihm daher vor 12 bis 15 Jahren junge und rüstige Gegner in dem sogenannten „Letzten Versuch“ und im Amazonenhut, die beide samt ihren hundertfachen Variationen jetzt mit jenem auf Tod und Leben kämpfen. Wohl selten ist für eine Sache ein so vortrefflicher Ausdruck gewählt worden, der kaum einem Witzbold entflohen war, als er augenblicklich durchschlug, wie für den wirklich geschmackvollen „Letzten Versuch“ — nämlich an den Mann zu kommen. Schlägt selbst dieses äußerste Mittel fehl, so kann man sicher alles verloren geben, und sich selber ruhig ad acta legen. Manche Frühverblühte hat sich durch den Letzten Versuch leidlich zu verjüngen gewusst, selbst alte Schachteln von einem halben Jahrhundert sah man in dieser Tracht wieder üppig erblühen, und schon mancher Kurzsichtige, der in der Entfernung eine schöne Amazone zu sehen glaubte, ist in größerer Nähe unangenehm enttäuscht worden, oder hat bei sehr geringer Distance einen jähen Schreck bekommen, wie die Missionäre vor den schwarzen Schönen des Stammes Manyanja.

Cylinder und Frack gehören zusammen, beide sind jetzt schon fast hundertjährige Bundesgenossen und durchkämpfen treu mit einander dieselben Schicksale — ein Beweis, dass die Mode, so wankelmütig und neuerungssüchtig sie sich auch im Kleinen zeigen mag, im Großen doch wieder etwas Konservatives hat und bei all ihrer Willkür dennoch gewisse Gesetze innehält. Verlangt sie z. B. einen runden Hut, so strebt sie auch nach einem runden Kleide; die Männer tragen bekanntlich bei dem kleinen niedrigen Filzhute gern die kurze, runde Joppe. Wenn sich dagegen oben etwas spitz erhebt, so hängt sich demgemä? unten ein Schwanz an; deshalb passt der schwalbenschwänzige Frack zum turmförmigen Zylinder, beide stehen und fallen mit einander. Auch diese Eigentümlichkeit der männlichen Tracht findet ihr Analogen in der weiblichen; nämlich bei den hohen, spitzen Sturmlaufhüten setzten sich Hinterklappen an die Jacken der Damen, ganz ähnlich denen, die vor zwanzig Jahren an den Soldatenfracks abgeschafft wurden. (C. Lemcke, Pop. Ästhetik. Leipzig 1865.)

In ähnlicher Weise herrschen andre Gesetze in der Mode, z. B. dass bei langer Haartracht das Gesicht immer bartlos ist. Wir machen in der Trachtengeschichte die zuverlässige Beobachtung, dass je länger das Haupthaar getragen wird, um so mehr der Bart zusammenschrumpft, und dass niemals ein Vollbart mit einem langen Haupthaar zusammentrifft; das wäre des Guten zu viel. Dagegen verbinden sich heutzutage die zur unfreiwilligen Mode gewordenen Glatzen sehr gern mit einem Vollbart, so dass das Haar vom Scheitel ins Gesicht herabgerutscht zu sein scheint. Andererseits nahm z. B. während des 30jährigen Krieges der Bart fast genau in demselben Verhältnis ab, als die stattliche Lockenfülle zunahm; der westphälische Friede traf ihn schon in sehr bescheidener Form an, und als dann gar unter Ludwig XIV. das falsche Haupthaar übermäßig bis zur dreizipfeligen Allongenperrücke heranwuchs, verließ der Bart Kinn und Unterlippe gänzlich, und schrumpfte auf der Oberlippe zu zwei kleinen Flecken unter der Nase zusammen, bis auch diese endlich verschwanden und völlige Bartlosigkeit Mode wurde. Während vordem der sogenannte Henri quatre und auch der bloße Schnurrbart bei den Franzosen sehr beliebt gewesen waren, so verlangte dagegen die Perrücke durchaus ein glattes Gesicht, schon deswegen, weil unter ihr die Mienen süß lächeln und freundlich spielen mussten.

Überhaupt ist wiederholt die Frage aufgeworfen worden, ob der Mann den ihm von der Natur verliehenen Bart stehen lassen oder einen bis ans Grab dauernden Vernichtungskampf gegen denselben führen solle. Van Helmont und andre holländische Gelehrte behaupten, Adam sei ohne Bart geschaffen worden und dieser ihm erst nach dem Sündenfall gewachsen. Widerlege das, wer es vermag. Die Engel haben, wie derselbe scharfsinnige van Helmont uns versichert, keine Bärte; der Engländer denkt sie sich überhaupt feminini generis; wir Deutschen dagegen glauben gern, dass die Weiber Engel sind, aber nicht umgekehrt. Der genannte van Helmont folgert aus jenen Tatsachen, dass es Sünde sei, sich nicht zu rasieren; dennoch trug dieser seltsame Casuistiker, trotz seines Hasses gegen die Bärte, selbst wenigstens einen Schnurrbart.

Bei den Griechen war in frühester Zeit der Vollbart das Abzeichen der Weisen und Philosophen, die, wie Lucian meint, mit ihrer bärtigen Würde Anhänger und Schüler garnten. Sich Haar und Bart wachsen zu lassen, galt sonst im Allgemeinen als ein Zeichen der Trauer für die Männer, während es grade im Gegenteil für die Frauen Trauer andeutete, sich ihrer schönsten Zierde zu berauben. Legte doch der Mann solchen Wert auf seines Weibes Haar, dass er bei der Schönheit dieser Zierde schwur; freilich konnte er aus Eifersucht zuweilen auch den Kopf der Gattin scheren lassen, dass kein Härchen sichtbar blieb. Das Rasieren ward in Griechenland erst zu Alexanders Zeit Mode, der seinen Soldaten zuerst vor der Schlacht bei Arbela, 331 v. Chr., den Bart abnehmen ließ, und zwar aus dem Grunde, damit die Barbaren, ihre Feinde, sie nicht bei den Bärten packen und auf diese Weise gefangen nehmen könnten. Wenn in unsrer Zeit der Kaiser von China ebenso klug gewesen wäre, so hätte er seinen Soldaten, ehe er sie in den Kampf gegen die Engländer und Franzosen schickte, ebenfalls die langen Zöpfe abschneiden lassen; denn hunderte der tapfern Krieger des himmlischen Reichs wurden, als sie die Flucht ergriffen, bei den Zöpfen gepackt und machtlos als Gefangene in das Lager der Verbündeten geschleppt. Die Krieger der Neuzeit lieben keine glatten Gesichter, wie die unüberwindlichen Schaaren des großen mazedonischen Königs; sie geben sich vielmehr durch starke Barte ein martialisches Aussehen oder nehmen die Bartform ihres Kriegsherrn zum Modell.

Dem Geist des Mittelalters widerspricht der Bart; wenn wir nach den alten Grabplatten, Monumenten und Gemälden schließen dürfen, so bildete das glatte Gesicht die Regel, und alle Bartformen waren Ausnahmen; zumal der Schnurrbart kommt in Deutschland nur höchst vereinzelt vor und ist dem Geschmack des Mittelalters eine absolute Unmöglichkeit. Es gab selbst Fälle, wo das Barttragen geradezu polizeilich verboten oder auch andererseits als beschimpfende Strafe angeordnet wurde. Zweierlei macht freilich eine Ausnahme: das hohe Alter und die hohe Würde. In den höchsten Regionen und bei den Häuptern der Erde war der kurze Vollbart keine Seltenheit; besonders galt derselbe seit dem 11. Jahrhundert als Auszeichnung sowohl der weltlichen als der geistlichen Fürsten. Kaiser Heinrich II., Friedrich Barbarossa, Rudolf von Schwaben und eine große Zahl Päpste trugen ihren Bart in gekürzter Fülle rings um's Gesicht. Die ganze übrige Welt, Laien und Priester, Ritter, Bürger und Bauern zeigten ein völlig glattes Gesicht, und mögen sich die Barbiere damals trotz ihrer elenden sozialen Stellung doch besser gestanden haben, als heute. Alle Kreuzfahrer, die Helden Gottfried von Bouillon, Raimund von Toulouse, Boemund, der schöne Tankred und Genossen, sie alle zogen völlig bartlos in den heiligen Krieg. Die Büßer und Wallfahrer dagegen, die ihrem Körper nur die notwendigste Pflege angedeihen lassen durften, ließen jedes Härchen wachsen, das ihnen die Natur verliehen; die frommen Männer hatten dabei das seltsame Geschick, hierin gerade mit Leuten übereinstimmen zu müssen, die ihnen sonst, zumal in religiösen Anschauungen, sehr unähnlich waren, deren Lebensweise aber ebenfalls verhinderte, dem Gesichte Sorgfalt zuzuwenden, nämlich mit den Räubern und Mördern von Profession und mit den verachteten Juden. Letztere zeichnen sich überhaupt durch starken Bartwuchs aus; die polnischen Juden sind sogar deswegen sprichwörtlich geworden. (J. Falke, Deutsch. Tracht. und Modenwelt. Leipzig 1858.)

Der Bart und seine wechselnde Mode scheint übrigens in jedem Lande seine eigene Geschichte zu haben, besonders interessant sind die verschiedenen Bartrevolutionen in Frankreich. Leider gestattet unser Thema nicht, genauer auf die Geschichte der Bärte einzugehen, nur erwähnen wir noch, dass die französischen und englischen Könige bis auf Karl VIII. und Heinrich VII. herab fast alle ein glattes Gesicht zeigen, wie denn auch deren Zeitgenossen unter den burgundischen Herzögen und selbst unter den deutschen Kaisern, Friedrich III. und Marimilian, (von 1440—1493—1519), noch völlig bartlos sind. Während der Reformationszeit begann man zuerst allgemeiner den Bart wachsen zu lassen; Heinrich VIII. von England stutzte ihn ganz kurz, wogegen seine Tochter Elisabeth eine große Freundin behaarter Gesichter war. Der Bart in der Form, wie wir ihn auf den Porträts von Shakespeare sehen, war ihre spezielle Schwäche, und Esser, Leicester und Raleigh machten alle mit dergleichen Bocksbärten geschmückt der jungfräulichen Königin den Hof. Während des 30 jährigen Krieges war der Bart in allen Formen Mode: Moscherosch sagt z. B. von ihm: „alle Morgen wird er mit Eisen und Feuer gepeinigt, gefoltert und gemartert, gezogen und gezerrt: jetzt wie ein Zirkelbärtel, jetzt ein Schneckenbärtel, bald ein Jungfrauenbärtel, ein Dellerbärtel, ein Spitzbärtel, ein Entenwädele, ein Schmalbärtel, ein Zuckerbärtel, ein Türkenbärtel, ein spanisch Bärtel, ein italienisch Bärtel, ein Sonntagsbärtel, ein Osterbärtel, ein Lillbärtel, ein Spillbärtel, ein Drillbärtel, ein Schmutzbärtel, ein Nutzbärtel, ein Trutzbärtel etc.“ Nachdem der Bart durch die Perrücke wieder verdrängt war, wurde er auch vom Zopf fast noch ein volles Jahrhundert hindurch verbannt gehalten; erst die französische Revolution rief ihn auf's Neue ins Dasein; 1789 hatte man so wenig Zeit zum Rasieren als zum Frisieren. Das Haar fiel entweder in langen Strängen den Nacken hinab oder hing wirr und à la Struwelpeter über die Stirn; ein solcher sogenannte Tituskopf machte auf Toilette keinen Anspruch; in echt sanskülottischem Geist forderte er weder den Luxus eines Kamms noch Pomade; nur die Finger dienten von Zeit zu Zeit als Kamm, wie es denn überhaupt zum guten Ton gehörte, möglichst schmutzig und abgerissen zu erscheinen. Zum Tituskopf gehört natürlich wieder der Bart, und dass er gerade in jener Zeit der Liberté, Egalité und Fraternité vom langen Schlafe auferstand, wird man begründet finden, wenn man bedenkt, dass es während der Reformation auch gerade der allgemeine Freiheitsdrang der Zeit war, der ihn nach dem bartlosen Mittelalter wieder an's Licht trieb.

Während des Kaiserreichs und der Restauration verschwand dann der Bart noch einmal, um mit der Revolution von 1830 ein kontinuierliches Regiment bis heute auszuüben. Er wurde von jenem Jahre an um so beliebter, als sein Feind, der Zopf, seitdem gänzlich ausstarb. Dennoch hat jener es bis auf den heutigen Tag noch nicht soweit gebracht, als dieser; um nur ein Beispiel anzuführen, wohl bestieg der Zopf, noch niemals aber der Schnurrbart die Kanzel, weil dieser noch nicht das erforderliche Quantum von Ehrbarkeit besitzt, sondern in den Augen der Welt immer etwas Stutzerhaftes an sich trägt. Dagegen ist der kurze Backenbart, früher auch Favorit genannt, das würdige Abzeichen der Geistlichkeit und der Büreaukratie; er ist durchaus loyal und legitim gesonnen, während der Vollbart freigeistig, republikanisch zwar nicht ist, aber doch vielleicht zu sein scheint. Beiläufig verstand man früher unter Favoriten auch kleine kokette Haarlocken, sei es falsche oder echte, die über die Stirn und Schläfe herabhingen, und mit denen man Faveur beim andern Geschlecht zu erlangen hoffte. Die moderne Form des englischen Bartes besteht bekanntlich darin, dass man ihn von beiden Wangen herabwachsen und in langen Spitzen auslaufen lässt. Der Yankee trägt dagegen seinen charakteristischen Bart an Kinn und Hals und lässt das übrige Gesicht glatt.

Mit diesen Bartmoden schließen wir die allgemeinen Bemerkungen unsers ersten Kapitels und wenden uns jetzt zur speziellen Betrachtung der Modenarrheiten in den einzelnen Zeitaltern.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Modenarrheiten
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