Die Bizarrerien des Mittelalters

Sittenprediger — Pluderhosen — Wülste und Puffen, Gänsebauch — Geschlitzte und gezattelte Tracht — Farbensymbolik — Geteilte Tracht — Hängeärmel — Dekolletierung — Radkrause, Bässchen — Spitzen — Masken — Frisuren und Kopfbedeckungen — Gugel — Eselsohren, Hörner, Fuchsschwanz, Hahnenkamm, Narrenkolben — Schellenschmuck, sein Alter und seine Verbreitung — Schnabelschuhe, Kuhmäuler. — Nachtrag. Luxusgesetze, Kleiderordnungen — Belege aus Brant, Murner, Strauß, Ostander, Geiler von Kaisersberg, Burkard Waldis, Niolaus Gryse u. a.

An die vielgerühmte Naivetät und Ehrwürdigkeit des Mittelalters glaubt wohl kein Verständiger mehr; die sogenannte gute alte Zeit war über alle unsere jetzigen Begriffe hinaus elend und trostlos, ja es mag wohl seit der Verbannung der ersten Menschen aus dem Paradies nicht sehr viele Zeitperioden gegeben haben, die wir für die Gegenwart mit Vorteil würden eintauschen können. Man verdamme auch unsere Unsittlichkeit und unsere Thorheiten nicht zu rasch; die Welt war vielleicht niemals so sittlich und ehrbar, wie heute. Im Jahre 1867 ist ein Verbot nicht möglich, wie es der Rath von St. Gallen im Jahre 1503 erließ, dass man völlig unbekleidet in der Stadt und ihrem Weichbilde umhergehe; und keine Kanzelreden werden mehr gehalten, wie sie der Prediger Geiler von Kaisersberg 1498 zu Straßburg hielt; z. B. heißt es in einer seiner Predigten über Brant's Narrenschiff:


„Ganz eine Schande ist's, dass die Weiber jetzt Barette tragen mit Ohren, gestickt mit Seide und Gold. Hinten aber an den Köpfen ein Diadem, sehen aus wie die Heiligen; vorn um den Mund herum geht ein Tüchlein, kaum zwei Finger breit. Da schauen sie umher, als ob ihnen ihr Gesicht in einem Hafenring hinge. Dazu tragen sie gelbe Schleier, die sie jede Woche wieder färben müssen, darum ist der Safran so teuer. Man macht aber keinen gelben Pfeffer an frisches Fleisch, sondern an übrig gebliebene Stückchen. So sehen die Weiber, die nicht schön sind, aus wie ein Stück geräuchertes Fleisch in einer gelben Brühe. Nun schaue man ihre Leibzier; die ist voll Narrheit oberhalb und unterhalb des Gürtels. Voll von Falten sind die Hemden, und dazu Oberkleider, so weit ausgeschnitten, dass man die Schultern sieht. Sie ziehen weite Ärmel an, wie die Mönchskutten, und so kurze Röcke, dass sie weder von vorn noch hinten etwas bedecken. An den Gürteln aber, die der Goldschmied fein und herrlich machen muss, tragen die Frauen klingende Schellen. Dann tragen sie auch lange Schwänze, die auf dem Boden nachschleifen und spitzige Schuhe.“

Wir sehen, dass Geiler von Kaisersberg selbst dem schönen Geschlechte gegenüber sich deutlich auszudrücken und kräftige Vergleiche heranzuziehen wohl verstand; ob dieselben aber etwas genützt haben, darüber schweigt die Geschichte. Einen wirklichen Erfolg, freilich einen schlimmen, erreichte dagegen ein anderer Sittenprediger, der fromme Bruder Johann de Capistrano. Als derselbe im Jahre 1461 zu Ulm gegen die unsinnigen und unzüchtigen Frauenmoden eiferte, hatte er zwar die öffentliche Meinung so für sich, dass, wie eine alte Chronik wissen will, drei Frauen, die seiner Predigt spotteten, vom Volke auf der Straße zerrissen wurden; allein der Rath fand doch für gut, den strengen Eiferer als eine gefährliche Persönlichkeit aus der Stadt zu jagen. So wenig wie die Predigten erreichten auch die Luxusgesetzt und Kleiderordnungen ihren Zweck, wiewohl ihnen die gesunde Idee zu Grunde lag, dass ein überstandesmäßiger Luxus zumeist das Leben verteure. Angeregt wurden diese Gesetze gewöhnlich nicht von Volkswirten und Juristen, sondern von denen, die sich für die berufenen Wächter der öffentlichen Sittlichkeit hielten, von den Theologen. Als bedeutendste Sittenrichter, welche mündlich oder schriftlich teils ernst teils satyrisch die unsittlichen und narrenhaften Moden ihrer Zeit gegeißelt haben, nennen wir hier nur: Sebastian Braut, Geiler von Kaisersberg, Thomas Murner, Erasmus von Rotterdam, Ulrich von Hutten, Johann Fischart, Andreas Musculus, Magister Westphal, Berthold, Strauß, Oslander, ferner die sechs berühmten Zeitgenossen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Michael Moscherosch, Andreas Gryphius, Michael Freud, Friedrich von Logau, Hans Lauremberg und Johann Balthasar Schuppius. Im 18. Jahrhundert kämpfte zu Wien der berühmte Abraham a Santa Clara, gewissermaßen der Hanswurst unter der Geistlichkeit, gegen die üppigen Frauenmoden; seine Redeweise nahm bekanntlich Schiller für seinen Kapuziner in Wallensteins Lager zum Muster. Im 13. Jahrhundert schon geißelte der sogenannte Bauernfeind Nithart die Hoffahrt der Bauern und ihre Kleiderpracht, wodurch sie es den Rittern auf tölpelhafte Weise gleichzutun suchten. Unser heutiges „Tölpel“ ist nur eine Umgestaltung von dem alten „Dörper“, dem Schlagwort Nithart's, welches Dörfer, Dorfbewohner bedeutet.

Mit welcher Narrheit sollen wir nun beginnen, und mit welcher endigen? vom II. Jahrhundert bis zur Reformation gleicht die Welt einem einzigen großen Narrenhaus, der ehrbarste Bürger schreitet in einem Kleid einher, das heute nur noch der Clown in der Kunstreiterbude trägt, und so wie jetzt ein Karneval mit seinen Masken und hundertfältigen Narrentrachten aussieht, ganz ebenso sah im Mittelalter ein gewöhnlicher Menschenhaufen in seiner alltäglichen und allgemeinen Tracht aus. Wer dies für übertrieben hält, betrachte sich auf alten Gemälden die geteilte, geschlitzte, gezattelte und gepuffte Tracht, die Pluderhosen und Pomphosen, die Schnabelschuhe, die genestelten und aufgeschnittenen Schuhe, die Bärentatzen, die Schellen und Glöcklein, die Bauschen und dicken Wülste, die fliegenden Ärmel, die Radkrausen, die Glocken- und Reifröcke, die pfauenschweifartigen Schleppen, die Gänsebäuche, die regenbogenfarbigen Harlekinsanzüge, die Larventrachten, die ungeheuren Spitzenjabots und Kopfpyramiden, gar nicht zu gedenken der Fächer, Wedel, Taschen, Pelze, Schleier, Schönheitspflästerchen, Dosen, Ketten, Schauben, Kappen, Koller, Lätze, Büchsen, Schwerter, Dolche, Pulverflaschen, Beutel, Gürtel, Kränze, Parfümerien, Bisamäpfel und aller möglichen barocken Luxusartikel. Unstreitig ist die wildeste Ausgeburt der Mode, welche überhaupt die Kostümgeschichte kennt, die von den renommistischen Landsknechten aufgebrachte Pludertracht, gewissermaßen das männliche Pendant zum weiblichen Reifrock; wenigstens besitzt das männliche Geschlecht sonst nichts Andres, was diesem Monstrum entspräche. Jacke und Hose werden ins Fabelhafte erweitert, und 60, 80, ja 130 Ellen Stoff darauf verwendet, der von den Schultern bis zu den Füßen umherfliegt, dass es flattert und rauscht, wie wenn, um mich des Ausdrucks eines damaligen Sittenpredigers zu bedienen, ein Mühlbach über das Wehr fällt. Wie zum ungeheuren Umfang der Crinoline, so gelangte man auch zur Weite der Pluderhosen nicht plötzlich, sondern allmählig; die ersten bescheidenen Anfänge derselben waren die bauschigen Hosenwülste, die bloß den Oberschenkel umgaben, daraus entstanden die kurzen Kniebeinkleider und aus diesen endlich die ganz langen Hosen. Anfänglich genügten für dieselben 5 Ellen Tuch und etwa 20 Ellen Seidenzeug, welches man in die Schlitze, die sich der Länge und Quere nach in den Hosen befanden, hineinfütterte. Dann schritt die Vermehrung des Stoffs, die Vergrößerung der Schlitze und des Überzugs immer weiter fort, und statt des Tuchs, welches in Masse zu schwer war, mussten die ganzen Hosen aus Seide gemacht werden, was freilich einen großen Aufwand verursachte. Vergegenwärtigt man sich aber dies allmählige Entstehen und Anschwellen der Pluderhosen, so wird man finden, dass die Phantasie der Schneider oder der Gecken oder auch die Gewinnsucht der Zeughändler keiner so gewaltigen Anstrengung bedurfte, um so monströse Geburten zur Welt zu fördern, wie wir sie in den Hosenkolossen erblicken. Ihre Blütezeit fällt in die Jahre 1550 bis 1590; alle Stände wetteiferten, die Mode mitzumachen, selbst die Bauern blieben nicht zurück, namentlich war aber dieselbe bei den Soldaten, die damals noch nicht uniformiert waren, beliebt, so unbequem sie ihnen auch im Kriegsleben sein mochte. Alle Schlachtengemälde aus jener Zeit zeigen uns Pluderhosen in Menge. In einem Spottlied, das in einem fliegenden Blatt von 1555 steht und von Uhland in dessen Sammlung altdeutscher Volkslieder p. 525 mitgeteilt ist, heißt es:

Welcher dann nun will wissen,
was doch erfunden sey,
die Kriegsleut sind geflissen
auf solche Büberei,
sie lassen Höfen machen
mit einem Überzug,
der hangt bis auf die Knochen,
daran han sie nicht gnug.

Ein Latz muss sein darneben
wol eines Kalbskopfs groß,
Karteken drunter schweben,
Seiden on alle moß,
kein Geld wird da gesparet,
und sollt er betteln gon,
damit wird offenbaret,
wer ihn' wird geben den Lon.


Die Lätze nahmen sogar die verschiedensten Formen an, so dass Fischart sie Ochsenköpfe, Hundsfidelbögen, Schneckenhäuslein etc. nennt. Überhaupt herrscht eine solche Tendenz, die Kleidung zu überladen, dass „Einer eine ganze Mühl, einen Meierhof, ein ganz Dorf auf dem Leibe trägt.“ Bauschig wird auch die Weiberkleidung; es herrschen sehr weite Ärmel, und als Vorbote des Reifrocks kommt der sogenannte Speck auf, ein oft 25 Pfund schwerer Wulst um die Hüfte. An den Beinkleidern der Männer wird mit Nesteln, Strumpfbändern, Stickereien, Metallstiften etc. großer Staat gemacht, große Rosen schmücken die Schuhe, und das Rohr des Stiefels ladet sich im Stulpstiefel zu einer weiten, schlappigen Schüssel aus.

Von vielen Seiten suchte man der tollen und geschmacklosen Verschwendung zu steuern, die Geistlichkeit hielt donnernde Strafpredigten gegen diese unchristlichen, den göttlichen Zorn unfehlbar herbeiführenden Moden, sie verkündigte Missgeburten und Wunderzeichen, um die Gemüter zu schrecken. So sollte im Februar 1583 ein Schaf zu Templin in der Uckermark außer zwei Lämmern ein Stück Fleisch zur Welt gebracht haben, das ein Paar Pluderhosen darstellte, und in demselben Jahre gebar nach Aussage der Geistlichkeit eine Frau in Prenzlau ein Kind mit weiten Pluderhosen und mit großen Krösen an den Händen und um den Hals. Der Brandenburger Hofprediger Andreas Musculus schrieb sogar 1556 eine eigene „Vermahnung und Warnung vom zuluderten, zucht- und ehrverwegenen Hosenteufel.“ Auf dem Titelblatt dieses Buchs war eine Abbildung des teuflischen corpus delicti zu sehen. Das Androhen von himmlischen Strafen schien aber diesen Teufel gar nicht zu inkommodieren, man musste also weltliche gegen ihn verhängen. Diese bestanden in Dänemark darin, dass die Hosen demjenigen, der darin betroffen ward, ohne Ansehen der Person vom Leib geschnitten wurden. In Deutschland begnügte man sich meistens damit, eine mäßige Quantität Zeug je nach dem Stande des Hosenträgers vorzuschreiben; nur der Kurfürst Joachim II, war strenger, indem er einen wegen seiner Hose in eine Irrenheilanstalt stecken, einem andern aber auf der Straße den Hosengurt durchschneiden ließ, so dass die Massen von mehr als 100 Ellen herabfielen, und der Unglückliche im Hemd als richtiger Sanskülotte nach Hause laufen musste. Die Idee, den Hosenteufel in die Irrenheilanstalt zu schicken, beweis't, dass der Kurfürst seiner Zeit voraus war.

Zu Anfang des 17. Jahrhunderts beginnen die Riesen sich wieder zu verkürzen und zu verengen. Als die Welt sich aber endlich aus dem pludrigen Chaos entpuppt hatte, ging sie gerade ins entgegengesetzte Extrem über und nahm die steife und enge spanische Mode der dicken Wülste an. Dieselben waren mit Werg, Kleie oder Weizen ausgestopft, und umgaben die Schultern, Hüften, Schenkel, und fielen gar von der Brust in einem dicken hängenden oder prall gestopften Bauch, dem sogenannten Gänsebauch, tief herunter. Die Damen durften natürlich an Extravaganz hinter den Herren nicht zurückstehen, sondern umlegten ebenfalls Schultern und Oberarme mit dicken Puffen und Kissen. Alle Gemälde jener Zeit zeigen uns an der Mutter Maria und andern Frauengestalten diese unkleidlichen Puffen. Eine ähnliche Mode finden wir sogar in den zwanziger Jahren unseres Sekulums wieder. Damals liebten die Damen die Rückseite ihres Cadavers aufzupolstern und falsche Culs anzulegen, auf denen zur Not ein kleiner Bediente hätte sitzen können. Die Ärmel stopfte man mit Federbetten aus, so dass sie die Gestalt von Dudelsäcken hatten, oder auch Schöpskeulen nicht unähnlich sahen. Die Mode gab zu vielen hübschen Karikaturen Veranlassung, war jedoch zu geschmacklos und unbequem, als dass sie lange hätte von Bestand bleiben können.

Wie die Pluderhosen, rührte auch die sogenannte geschlitzte Tracht von den Landsknechten her, denen natürlich die enge, knapp anliegende Kleidung, die sonst für das 15. Jahrhundert charakteristisch war, wenig passte; sie schlitzten dieselbe an Hüften, Ellbogen und Knieen auf und unterlegten die Schlitze mit farbigem Seidenzeug. Solche Ausschlitzung und Unterlegung ward dann zur allgemeinsten Mode und systematisch am ganzen Körper zur Anwendung gebracht. Ebenso unsinnig war die sogenannte gezattelte Tracht, die aus einer Menge von Lappen bestand, in welche die Unterteile der Tunika und die entsetzlich weiten Ärmel, die stellenweise Mode waren, ausliefen. Die Zatteln dauerten nicht über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinaus. Dieser Mannigfaltigkeit der Formen, die wir an der mittelalterlichen Trachtenwelt schauen, entsprach die Mannigfaltigkeit der Farben. Beide Geschlechter liebten ein regenbogenbuntes Farbenspiel; doch war die Wahl der Farben nicht immer der bizarren Willkür überlassen, sondern mit Rücksicht auf die Farbensymbolik getroffen. Die äußere Erscheinung eines Menschen sollte seine innere Stimmung ausdrücken in einer Weise, von der unsere monotone und farblose Modenwelt keinen Begriff mehr hat. Die höfisch-ritterliche Gesellschaft hatte nämlich die Farbensprache mit Bezugnahme auf die Minne sinnig ausgebildet. So bedeutete Grün das erste Sprossen der Liebe, Weiß die Hoffnung auf Erhörung, Rot den hellen Minnebrand, Blau unwandelbare Treue, Gelb beglückte Liebe, Schwarz Leid und Trauer. Ein echter ritterlicher Liebhaber hatte danach Gelegenheit, alle Phasen seiner Leidenschaft in seinem Anzug darzustellen. Diese bunte Spielerei wurde im 13. Jahrhundert so ins Übermaß getrieben, dass der Prediger Berthold der modischen Welt von damals zürnend zurief: „Ihr habt nicht genug daran, dass euch der allmächtige Gott die Wahl gelassen hat unter den Kleidern, sagend: wollt ihr sie braun, rot, blau, weiß, grün, gelb, schwarz? Nein, in eurer großen Hoffahrt muss man euch das Gewand zu Flecken zerschneiden, hier das rote in das weiße, dort das gelbe in das grüne, das eine gewunden, das andre gestrichen, dies bunt, jenes braun, hier den Löwen, dort den Adler.“ Der letzte Tadel trifft die barocke Sitte, die Wappen des Geschlechts auf verschiedenen Teilen des Anzugs gestickt zu tragen, so dass Herren und Damen wie wandelnde Fibeln der Heraldik aussahen. Daher der Heine'sche Witz:

Das mahnt an das Mittelalter so schön,
An Edelknechte und Knappen,
Die in den Herzen getragen die Treu,
Und auf den Hintern ihr Wappen.


Die sogenannte geteilte Tracht bestand darin, dass man entweder von rechts nach links, oder von oben nach unten in zwei Farben geteilt ging; aber nicht nur der Farbe, sondern auch dem Schnitte nach musste die linke Hälfte des Menschen von seiner rechten, und seine obere Hälfte von seiner unteren verschieden sein. Auf einem der Bilder, die uns von dieser seltsamen Tracht erhalten sind, ist das rechte gelbe Bein eines Edelmanns mit einem Überzug und dicken Wülsten versehen, während das linke blaue Bein glatt anliegt und nur etliche Längsschlitze hat. Ebenso kam es vor, dass die rechte Seite der obern Hälfte mit der linken Seite der untern, und andererseits die linke Seite der obern Hälfte mit der rechten Seite der untern harmonierte; in diesem Falle waren dann die Schuhe wieder nach der Farbe des Wammses, die Mütze aber nach der Farbe der Hosen geteilt, so dass also ein vierfacher Wechsel der Teilung stattfand, und das schöne Ebenmaß des menschlichen Körpers auf eine ausgesucht häßliche Weise aufgehoben wurde. Jede Symmetrie musste absichtlich vermieden werden. Die bunteste geometrische Figur verteilte sich über den Körper von der Spitze des Hutes bis zur Spitze des Schnabelschuhs, ohne alle Rücksicht auf die Form und den Lauf der Glieder. Zuweilen erschien man dann auch zur Abwechselung, freilich ebenso geschmacklos, in einer einzigen Farbe, z. B. heute in Rot, morgen ganz in Grün vom Scheitel bis zur Fußspitze, dass nur das schmale Gesicht, aber nicht ein einziges Härchen herausschaute. An allen andern Bizarrerien des Mittelalters kranken beide Geschlechter gemeinschaftlich; allein die getheilte Tracht blieb der Männerwelt ausschließliches Eigentum, sie wurde dem schönen Geschlechte doch zu bunt. So wenig dies auch sonst dem Auffallenden abhold war, besaß es doch Schönheitssinn genug, sich vor jener tollen Entstellung zu allen Zeiten zu bewahren. Die Mode erhielt sich mit kleinen Unterbrechungen viele Jahrhunderte hindurch; schon das 10. Jahrhundert kannte sie, freilich nur als eine Art Livree für den Lehnsmann, so dass an dessen Leib mit der Veiteilung der Farben das Wappen des Herrn, sei es nun schräg geteilt oder quadriert, oder wie sonst dargestellt war. Der Franzose nannte daher das „gehalwirt Kleid“ nicht nur vêtement mi parti, sondern auch vêtement blasonné. Das 14. und 15. Jahrhundert erhob dann diese Livree zur allgemeinen Mode und suchte ihr die sonderbarsten Figuren abzugewinnen. Selbst im 17. Jahrhundert spukt die Mode noch fort, wenn auch nur an den Uniformen der Gerichtsdiener, Straßenvögte, Pedelle, Hoflakaien, Läufer, Privatbedienten etc. Heute wird in einigen Ländern die geteilte Tracht noch bei Sträflingen gebraucht; so gehen z. B. die württembergischen in Grau und Schwarz, die dänischen in Roth und Weiß geteilt.

Zur Bestätigung dessen, was wir von der geteilten Tracht gesagt, diene hier nur folgende auch in andern Beziehungen interessante Nachricht aus Wien vom Jahre 1336: „Die Kleidertracht dieser Zeit war äußerst mannigfaltig, denn jeder kleidete sich nach seinem Eigendünkel. Einige trugen Röcke mit Ärmeln von zweierlei Tuch. Bei andern war der linke Ärmel viel weiter, als der rechte, ja sogar bei manchen weiter, als der ganze Rock lang war. Andre hatten beide Ärmel von solcher Weite, und wieder manche zierten den linken Aermel auf verschiedene Weise, teils mit Bändern von allerlei Farbe (die oft ellenlang herabhingen), teils mit silbernen Röhrlein an seidenen Schnüren, und auch mit wohlklingenden Schellen. Dann trugen einige auf der Brust einen Tuchfleck von verschiedener Farbe, mit silbernen oder seidenen Buchstaben geziert. Wieder andre trugen verschiedene Bildnisse auf der linken Seite der Brust, und endlich wickelten sich andre um die Brust ganz mit seidenen Ringen ein. Wieder andre ließen sich die Kleider so enge machen, dass sie solche nicht anders, als mit Hilfe andrer, oder mittelst Auflösung einer Menge kleiner Knöpflein, womit die ganzen Ärmel bis auf die Schultern, dann die Brust und der Bauch ganz besetzet waren, an- und ausziehen konnten. Andre trugen Kleider, die um den Hals so weit waren ausgeschnitten, dass man ihnen einen ziemlichen Teil von der Brust und dem Rücken sehen konnte. Einige fassten den Saum des Kleides mit anderfarbigem Tuche ein; andre machten statt der Einfassung viele Einschnitte in die Enden der Kleider (gezattelte Tracht). Man fing auch durchgehends an, Kaputzen an den Kleidern zu tragen, und deswegen hörte damals die vorhin gewöhnliche Haubentracht der Männer auf, woraus man unter den Weltlichen die Christen von den Juden unterscheiden konnte. (Kaputzen sieht man übrigens auch schon auf Bildern des 12. Jahrhunderts.) Manche trugen weniges Haar, andre teilten dasselbe wie die Juden, oder flochten es wie die Ungarn und Cumanen. Auch die Binden um den Leib wurden geändert, und viele trugen statt derselben starke Riemen um den Leib. Die Mäntel wurden so kurz gemacht, dass sie kaum auf die Hüfte reichten. Manche verkürzten an den Oberröcken die Ärmel um so viel, dass sie nur bis an die Ellbogen reichten, von da aber ließen sie einen Lappen wie ein Fähnlein herunterhängen.“ (Fliegende Ärmel, eigentlich eine polnische Sitte, waren zu verschiedenen Zeiten bis ins 16. Jahrhundert Mode. Eine Frankfurter Kleiderordnung von 1350 bestimmt, dass die Lappen an den Ärmeln der Weiber nicht über eine Elle lang sein sollen.) Als Beispiel der geteilten Tracht führen wir endlich an, dass 1378 in Paris, als der König daselbst von Kaiser Karl IV. besucht ward, die Schöffen und angesehensten Bürger halb weiße, halb violette Röcke trugen. Alle königlichen Offizianten waren ebenfalls in solche halbierte Röcke gekleidet, und zwar der Haushofmeister in Blau und Rehfarben, der Huissier in Blau und Rot, die Schenken und Vorschneider in Weiß und Rehfarben, die Kammerdiener in Silbergrau und Schwarz etc.

Die Bizarrerie der Trachten ging im 14. und 15. Jahrhundert stellenweise so weit, dass die stutzerhafte männliche Jugend sich über die Schultern hinab dekolletierte, ja dass selbst das vor Thorheit nicht geschützte Alter an dieser Sitte teilnahm; sah man doch nicht selten greise Locken auf die nackten Schultern eines achtbaren Bürgers fallen. Begreiflich sind daher wohl die tausendfachen Luxus- und Kleiderordnungen jener Zeit, die freilich meist erfolglos erlassen wurden, so wie die donnernden Strafpredigten, welche wohlmeinende Männer über die närrische und sittenlose Modenwelt ergossen. Zu einer andern Zeit wiederum geht der Rock ins andre Extrem über, indem er nicht nur die Schultern bedeckt, sondern über den Hals hinauf wächst bis starr unter Kinn und Ohren; da er nicht weiter kann, drängt er die zierlich gefaltete Hemdkrause heraus und schwellt diese zu der dicken, scheibenförmigen, pflugradgroßen sogenannten Radkrause an, auf welcher der Kopf wie auf einem Präsentierteller lag, so dass jede Anmut der Halsbewegung verloren ging. Diese aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts stammende Spitzenkrause, auch Stuartkragen genannt, musste später wieder der immer größer werdenden Perrücke zum Opfer fallen. Diese verdeckte ja den Kragen gänzlich; wozu sollte man also den teuren Stoff der Spitzen unnütz verschwenden und verderben? So schrumpft der breite Kragen naturgemäß auf ein Paar Blättchen zusammen, die unter dem Hals auf der Brust liegen. Diese Blätter, Bäffchen genannt, gehören noch heute in einigen Gegenden zur Amtstracht protestantischer Geistlichkeit, während in andern Gegenden die dicke spanische Radkrause bis auf den heutigen Tag ein Teil der Priesterlichen Uniform blieb. So entstehen ja überhaupt alle Volkstrachten und Amtstrachten; beide sind ursprünglich nichts weiter, als früher allgemein herrschend gewesene Moden, die später von der Gesamtheit abgelegt wurden, sich aber in vereinzelten Gauen, oder bei einzelnen Korporationen und Ständen erhielten. In vielen unserer ländlichen Volkstrachten erkennen wir noch heute die steifen spanischen Moden des Mittelalters oder dessen ganzen abenteuerlichen und phantastischen Geist; der kurze Rock und der Filzhut des baierischen Bauern erinnern uns an die Zeit des 30jährigen Krieges, und Ludwigs XIV. Perrückenstaat zeigt sich noch deutlich an dem langen Schooßrock, den Schnallenschuhen, Strümpfen, Kniehosen und dem aufgekrämpten Hut der schwäbischen Bauern.

Der Spitzenkragen verwandelte sich aber nicht nur in die Bäffchen, sondern ging noch andre Metamorphosen ein; so rührt von ihm auch die weiße Binde à la Van Dyk her, die um den Nacken lag und mit den spitzenbesetzten Enden sich fächerartig auf der Brust ausbreitete. Die Spitzenenden wuchsen später unter dem steigenden Spitzenluxus so an, dass sie schließlich durch ein Knopfloch des Rocks gezogen wurden. So tragen sich die Feldherrn Ludwigs XIV. auf den Gemälden. Die Spitzen fanden überhaupt zu allen Teilen der Toilette die reichlichste Verwendung; die Damen z. B. umwanden damit die Kissen und Drahtgestelle, mit denen sie ihre grotesken Kopfpyramiden aufbauten. Die Fabrikation der Spitzen kam zu Ende des 16. Jahrhunderts in Aufnahme; ihre Leichtigkeit und Feinheit, ihr mysteriöser Reiz, den sie durch das halbe Verschleiern und das halbe Sichtbarmachen hatten, verschaffte ihnen eine außerordentlich rasche Verbreitung und große Beliebtheit, und zwar nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern, mochten es nun Generale, Staatsmänner, einfache Bürger oder Stutzer sein. Spitzen umsäumten den Rand des Huts, umflatterten Hals, Brust und Hände, folgten allen Nähten und Säumen der Kleidung, hingen sich als Rosetten an Schultern und Kniee, besetzten die Ränder der Degenkuppel, und füllten sogar die ungeheure Weite der umgekrämpten schlappen Stulpstiefeln aus. Solchen spitzengeschmückten Stiefel trug ebensowohl der Offizier im wilden Schlachtgetümmel, als der zahme Pariser Löwe, wenn er vor dem Hôtel royal flanierte.

Die Damenkleider wechselten besonders hinsichtlich ihrer Länge nach unten und oben sehr häufig; bald trug man lange und schwere Schleppen, bald waren kurze und enge Kleider Mode. Hatte man zu einer Zeit die Dekolletierung bedenklich weit getrieben, so zeigte sich dagegen zu einer andern Zeit wiederum das entschiedene Bestreben, das verderbliche Fleisch wenn möglich überall zu verdecken, ja selbst das Angesicht zu maskieren. Die Maske, die heute nur noch zur Karnevalszeit auftritt, ist eine vormals Mode gewesene allgemeine Tracht. Es konnte sogar vorkommen, dass auf einem und demselben Ballfeste die größten Extreme, Damen in mangelhaftester und in übermäßigster Bekleidung sich neben einander fanden; während die eine Dame so dünne, transparente Stoffe anlegte, dass Form und Farbe ihrer Reize durchschimmerten, so umhüllte dagegen die andre den ganzen Körper dicht und ängstlich mit weitwallenden Kleidermassen, und drückte die Brust durch ein panzerartiges Schnürleib glatt. Diese Verunstaltung war dem Altertum stets fremd geblieben, wo der Busen für Aphroditens schönste Zierde galt und dem Weib ein vorzüglicher Gegenstand der Sorgfalt war. Von den Schnürpanzern aber, sowie von den Schleppen reden wir in andern Kapiteln ausführlicher.

Ein Lieblingsplatz bizarrer Toilette war ferner von jeher das Haupthaar und die Kopftracht. Die Erfindungsgabe des menschlichen Geistes kann sich wahrlich mit Erfolg an der verschiedenen Gestaltung des Haupthaars bewähren. Seit den ältesten Zeiten hat man diese natürliche Zierde jeder möglichen Kunst unterworfen und alle erdenklichen geschmackvollen und geschmacklosen Formen daraus geschaffen. Schon Ovid erklärte, er wolle lieber die Eicheln an einer großen Eiche oder die Bienen des Hybla aufzählen, als alle weiblichen Frisuren. Und von Ovids Zeit bis heute hat die Mannigfaltigkeit derselben noch erheblich zugenommen. Die Russen haben ein Sprichwort, das jedoch auch in Deutschland, und zwar schon im 14. Jahrhundert vorkommt: „Die Weiber haben langes Haar und kurzen Sinn.“ Um es nun mit dem schönen Geschlechte, an dessen Kostüm wir schon so manches bekrittelt haben und noch bekritteln werden, nicht zu verderben, wollen wir dieses Sprichwort folgendermaßen modifizieren: „Die Weiber haben langes Haar und vielen Sinn — nämlich dasselbe schön zu frisieren.“ Im Mittelalter trugen sie es bald in schön gekräuselten Locken, bald schlicht herabfallend und völlig aufgelöst auf den Schultern liegend, bald aufgebunden, in die Höhe gestrichen, um die Stirn von einem Blumenkranz, einem schmalen goldenen Band oder einem farbigen Reifen mit bunten Federn zusammengehalten. Endlich kommt es sogar vor, dass das Haar von Stirn und Schläfen wegrasiert wird; was übrig bleibt, verbirgt man unter einer matronenhaften Haube, und zwar so, dass sich auch nicht ein Härchen darunter hervorstehlen darf. Die weiblichen Hüte, die heutzutage fast mikroskopisch werden, nahmen zu andern Zeiten kolossale Formen an und gingen ins Ungeheuerliche. Eine Art davon war durch einen Schleier, der gleich einem Segel quer gespannt ward, so breit, dass die Damen nur seitwärts durch die Tür gehen konnten. Eine andere Art bestand aus einem mehrere Fuß hohen, spitzen und farbigen Kegel, von dessen Spitze ein Schleier bis hinten auf den Boden herabsiel. Dieser Kopfaufsatz glich einem Horn, und man sagte damals, die Damen gingen deshalb nicht in die Kirche, um ihr Horn nicht am Türsturz abzubrechen. Im Übrigen konnte man nichts gegen diese Sitte der Weiber, sich selbst Hörner aufzusetzen, vorbringen.

Das Haar des Mannes war bald länger, bald kürzer, bald gesalbt, bald in einer Fülle kleiner Locken gebrannt, während man den Bart meist rasierte. Ganz geschoren wurde der Kopf den Narren, was daraus erhellt, dass man sie mit den Mönchen wegen deren Tonsur verglich. Geiler von Kaisersberg, der bekanntlich katholisch war, ist so frei zu äußern:

„Die Franziskaner sind geschoren, wie die Narren, im Gesicht bedeckt als unehrliche Schandbuben und mit Stricken gebunden wie Diebe.“

Vielleicht ist die Sitte der Kahlköpfigkeit aus dem Altertum in das Mittelalter übergegangen; denn bei den Griechen waren auch schon der Lustigmacher und die Mimen geschoren, und bei den Römern durften die Moriones ebenfalls nicht mit behaartem, sondern nur mit kahlem Schädel vor ihren Gebietern erscheinen. Die Zahl der männlichen Kopfbedeckungen im Mittelalter war Legion; was an Formen nur denkbar ist für Filz, Sammet und Seide, hoch und niedrig, breit und schmal, spitz und stumpf, steif und schlaft, geflochten und gewunden, alles ward gesehen. Moscherosch sagt in seinem Philander von Sittewald von den Hüten:

„Jetzt wie ein Ankenhafen, dann wie ein Zuckerhut, wie ein Kardinalshut; da ein Stilp ellenbreit, dort ein Stilp fingersbreit, dann von Geißenhaar, dann von Kamelshaar, dann von Biberhaar, von Affenhaar, von Narrenhaar; dann ein Hut als ein Schwarzwälderkäs, dann wie ein Schweizerkäs, dann wie ein Münsterkäs.“

Man begnügte sich selbst mit einem bunten Reif um die Locken; vielleicht saß daran über der Stirn ein Goldschmuck, in welchem dann eine hohe Feder steckte; oder man trug zwei Hüte zugleich, einen auf dem andern, und nahm beim Grüßen nur den obern ab. Ausführlicher müssen wir hier einer kugelförmigen, beiden Geschlechtern gemeinsamen Kopfbedeckung gedenken, welche noch einen Teil der heutigen Narrentracht ausmacht, nämlich der Kugel, Gugel, Kogel, Gogel, Koggel, Kagel, Kaggel etc., vom lateinischen cucullus, ein im Hochdeutschen veraltetes, in einzelnen süddeutschen Gegenden aber noch gebräuchliches Wort. Luther scheint sich desselben mehr im Sinne eines türkischen Turbans zn bedienen, wenn er in der Übersetzung des Hesekiel 23, 15. sagt, dass die Babylonier und Chaldäer bunte Kogeln auf ihren Köpfen getragen. Jedenfalls dürfen wir annehmen, dass im Laufe der Zeiten die Mode mehrmals die Form der Gugeln geändert hat, so dass mancherlei Arten von Kopftrachten beider Geschlechter diese Benennung führten. Die Studenten und Magister verwendeten zu ihren Gugeln sehr viel unnützes Tuch. Noch zur Zeit des Nicodemus Frischlin trugen die Professoren Gugeln, die den Narrenkappen durchaus ähnlich waren; als der kurpfälzische Rat Lorenz Zinkgref dies dem Frischlin scherzweise vorhielt, erwiderte dieser:

„Herr Licentiat, wir tragen unsere Narrenkappen offenbarlich, ihr aber tragt eure Narrenkappen unter dem Mantel verborgen.“

Faust schreibt in der Limburger Chronik vom Jahr 1351:

„Die Kogeln waren um diese Zeit groß. Etliche trugen Kogeln, die hatten vorne einen Lappen, und hinten einen Lappen, die waren verschnitten und verzattelt.“

Vom Jahr 1362 meldet die Chronik, dass die jungen Männer fast alle geknaufte Kugeln wie die Frauen trügen, und dass sich diese Zierde schon mehr als 10 Jahre in der Mode erhalten. Vom Jahr 1389 heißt es weiter, dass Ritter und Knechte, Bürger und reisige Leute Hundskugeln, so wie die Frauen Bohemische Kugeln trügen. „Die gingen da an in diesen Landen. Diese Kogeln storzt eine Frau auf ihr Haupt, und stunden ihnen vorne auf zu Berge über das Haupt, als man die Heiligen malet mit dem Diadement.“ Ebenfalls in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts sagt Jakob von Königshofen in seiner Elsässischen Chronik Cap V. §. 150:

„Die Mönche einiger Orden tragen Kugelhüte. Diese worent ohne Knopphel, und hetten stumpfe Zipphel und worent wohl einer Spannen lang.“

In Niedersachsen war solche Kugel noch im Anfang des 15. Jahrhunderts eine allgemeine bürgerliche Kopftracht. Scriptor. Brunsvic Tom. III. p. 460 heißt es, wenn Jemand den Bürgereid geleistet hatte:

„So antwortete (verlieh) öme der Burgermeister de Burgerschop (Bürgerrecht), also dat he öne tasten leth (anrühren ließ) an sine Koggeln edder an sinen Havet (Haupt).“

Die Kaminkehrer und Bergleute haben die Tracht aus Zweckmäßigkeitsrücksichten bis heute beibehalten; in der Sprache der letzteren heißt das Sprichwort:

„Die Kugel an die Kaa oder Kaue (eine breterne Hütte über dem Schacht) nageln“ so viel als „viel Unfug beim Zechen treiben.“

Den Begriff eines Hutes müssen wir von der Gugel ganz fern halten; sie ist eben nichts Andres, als eine Kaputze, an einen Kragen desselben Stoffs, Goller, befestigt, der Schultern und Hals rings umschließt. Wenn sie übergezogen war, blieb vom Kopf nichts zu sehen, als das rings umrahmte Gesicht; Haar, Hals, Ohren und selbst das Kinn waren völlig verhüllt. In Böhmen trieb man die Vermummung noch weiter, indem man die Gugel vor dem ganzen Gesicht zuknöpfte, und nur die Augen sahen aus Löchern heraus; zum Gespräch, zum Essen und Trinken musste das Gesicht aufgeknöpft werden. Die ganze äußere Erscheinung des Menschen erhielt durch diese Mode etwas Mystisches, einen finstern und mönchischen Charakter; um denselben etwas zu mildern, wählte man für die Gugel die hellsten und am kräftigsten wirkenden Farben, als Gelb, Hellgrün, Rosa, Purpur, Hochrot, Weiß mit Gold etc., oder es war außerdem der farbige Stoff am Gesicht mit Pelzwerk eingefasst. Nehmen wir dazu noch einen langen, gleichfarbigen oder buntgedrehten Schwanz, der von der Spitze der Kaputze bis auf die Wade oder selbst bis auf den Boden herabfiel, so müssen wir auf eine phantastisch seltsame Zeit schließen, die ihre Köpfe in eine so lustig-ernste Verhüllung stecken konnte. Die Tracht hatte offenbar etwas Närrisches an sich, und musste, wenn sie aus der Mode kam, doch den Narren verbleiben. Wir sehen daher im im Tilliot eine Gugel abgebildet, wie sie von der Gesellschaft der Narrenmutter zu Dijon vormals getragen wurde, (Mémoires pour servire à l’histoire de la fête des foux par du Tilliot, in den angehängten Kupfern No. 8.); und in den alten Holzschnitten zu Brauts Narrenschiff sind an die Narrenkleider Narrenkappen befestigt, ganz wie die Kaputzen an die Kutten der Mönche. Der berühmte Erasmus von Rotterdam meint sogar in seinem Gespräch, betitelt „die reichen Bettler oder die Franziskaner“, es herrsche überhaupt eine große Ähnlichkeit zwischen der Narrenkleidung und der Franziskanertracht; diese Ähnlichkeit sei vollständig, wenn man den Franziskanern noch Eselsohren und Schellen hinzufüge. Der Franziskaner Konrad antwortet darauf, dass die Kleidung seines Ordens vormals von armen Leuten und Bauern getragen worden, von denen sie der heilige Franziskus als ein schlichter und ungelehrter Mann entlehnt habe; übrigens wären die Franziskaner in der Tat die Narren der Welt. Wir sehen also, dass die Gugel von fast allen Ständen getragen wurde, sie konnte daher ebenso wenig wie die geteilte Tracht als ausreichend charakteristisch für die Narren gelten; man flickte ihnen deshalb noch Eselsohren an. Die erste Idee dazu gab vermutlich die Fabel des Äsop vom Esel mit der Löwenhaut, dessen Ohren immer hervortraten, er mochte sich verbergen, wie er wollte. Ebenso singt von den Narren Sebastian Brant:

Verbürg man einen Narren hinder der Thür,
Er streckt die Ohren doch herfür.


Und bei demselben Dichter sagt der gelehrte oder Büchernarr:

Ob ich schon hab ein groben Sinn,
Doch so ich bei den Gelehrten bin,
So kann ich Ita sprechen jo,
Des Teutschen Orden bin ich froh;
Denn ich gar wenig kan Latein,
Ich weiß, dass Vinum heißet Wein,
Guclus ein Gauch, Stultus ein Thor,
Und dass ich heiß Nomine Doctor.
Die Ohren sind verborgen mir,
Man säh sonst bald eines Müllers Thier.


Im 15. Jahrhundert waren die Eselsohren schon ein Prädikat und ein Schmuck der Narren. Der Anführer von der Gesellschaft der Sorgenlosen Kinder, Enfans sans souci, in Frankreich, genannt der Narrenkönig, trug statt des Diadems eine Kappe mit zwei Eselsohren; alle Jahre hielt er mit seinen Untertanen einen feierlichen Einzug in Paris. (Flögel, Gesch. der Kom. Literat. Bd. IV). In der alten englischen Komödie kam vormals eine lustige Person, Namens Vice, vor, deren Tracht in einer langen Jacke, einer Narrenkappe mit Eselsohren und einem hölzernen Schwerte bestand; ähnlich trug sich auch in Deutschland später der Schalksnarr, Hanswurst, Harlekin, Speivogel, Freudenmacher, Pickelhäring, Possenreißer, Scaramutz, Curtisan etc. Die lustige Gesellschaft der Hörnerträger (Cornards), die zu Rouen und Evreux im 15. und 16. Jahrhundert blühte, verpflichtete ihre Brüder auf dem Hut einen Hasenschwanz und statt der Halsbinde einen Fuchsschwanz zu tragen, um desto sicherer Gelächter zu erwecken. So erzählt Scaliger, wenn man bei den Alten Jemanden hatte lächerlich machen wollen, so hätte man ihm im Schlafe Hörner auf den Kopf gesetzt oder einen Fuchsschwanz angebunden. Die Ehehörner rühren übrigens vom Kaiser Andronicus her, welcher zuerst denjenigen, mit deren Weibern er einen intimeren Umgang pflegte, große Jagdgerechtigkeiten erteilte; der glückliche Ehemann erhielt als Zeichen seines Privilegs ein Hirschgeweih an die Haustüre geheftet, und von der liebevollen Gattin, der er diese kaiserliche Gnade und Auszeichnung verdankte, entstand unsere allbekannte Redensart. Das Wort Hahnrei rührt wohl von dem Hahnenkamm her, welcher ebenfalls zum Narrenputz gehörte; unter diesem Hahnenkamm ist ein ausgezackter Streifen roten Tuches zu verstehen, welcher auf der Gugel vom Anfang der Stirn bis in den Nacken lief. Vielleicht stammt diese tierische Nachahmung auch schon aus dem Altertum; denn Lucian gedenkt eines Lustigmachers mit geschorenem Kopf, auf dessen Wirbel die wenigen vorhandenen Haare in Form eines Hahnenkamms zusammengefasst waren. Der Engländer nennt noch jetzt den Narren oder Gecken schlechtweg Coxcomb, Hahnenkamm; seine Ausdrücke cuckold und cuckoo aber, so wie das französische eocu hängen ja offenbar mit dem lateinischen cucullus und unserer Gugel zusammen.

Zu den uralten Waffen oder Ehrenzeichen der Narren gehört auch der sog. Narrenkolben, welcher anfänglich nichts Andres war, als die Pflanze, Typha Linnaei, die noch heute diesen Namen trägt, auch wohl Narrenscepter (Sceptrum Morionis) genannt wird und walzenförmige, dicke, schwarze Kolben hat. Später machte man diese von Leder nach in Form einer Herkuleskeule, und der Narr bediente sich ihrer entweder andre zu necken, oder aus Notwehr gegen andre, welche ihn neckten. Gewöhnlich befand sich ein Riemen am Kolben, so dass man diesen am Arm hängen lassen konnte. Der alte Brant gedenkt seiner in den Versen:

Ein Sackpfeif ist der Narren Spiel,
Der Harfen achtet er nicht viel;
Kein Guth dem Narren in der Welt
Baß denn sein Kolb und Pfeif gefällt.


Es ist eine interessante Erscheinung, dass die geteilte Tracht sowohl wie die Gugel, beide mehrere Jahrhunderte hindurch als allgemeine Volkstracht gebräuchlich, in einem andern ernstern Zeitalter aus der Mode kommen, und von da an bis heute nur den Narren verbleiben. Ganz dieselbe Beobachtung machen wir an der Mode der Schellentracht, die als Abzeichen für die Narren in noch höhern! Grade charakteristisch blieb, nachdem sie länger als zwei Jahrhunderte selbst für den ehrbarsten Bürger und den vornehmsten Ritter bestanden hatte. Heute ist die Schellenkappe nur das Symbol des Clowns, und hat doch einst auf manchem vernünftigen Haupte gesessen. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis. Wir können uns in unserer vernünftig sein wollenden Zeit kaum noch etwas Tolleres denken, als den harlekinartigen Anstrich, den das buntscheckige Gewand des Mittelalters ohnehin schon dem Menschen verlieh, noch durch ein beständiges Geklingel zu vergrößern und ein vernunftbegabtes Wesen wie ein Schlittenpferd oben und unten, hinten und vorn mit ganzen Reihen großer Schellen und Glocken zu behängen. Am Kopf und Hals, am Kragen, an den Schultern und Ellbogen, an den Armbändern und Knieriemen, um den Gürtel und am Saum des Kleides, auch anstatt der Knöpfe, selbst auf den Spitzen der Schuhe, überall klingelte es; oft saßen bloß am Achselbande 24 Glöcklein. Die Narren trugen auch an ihren Eselsohren Schellen und an der Gugel, wo sonst der Hahnenkamm verlief. Es entstand sogar das Sprichwort:

„Je größer der Narr, desto größer die Schellen.“

Erasmus hält die Schellen am Narren gewissermaßen für Warnungsglocken, dass Niemand den Träger derselben beleidige, wenn dieser etwas Närrisches und Ungebührliches sagte oder täte, was sonst einem verständigen Mann nicht ungestraft hingehen würde. Man könnte auch annehmen, dass die Schellen das kindische Gebühren der Narren ausdrücken sollten, die am Geklingel sich wie die Kinder oder die Wilden erfreuten. Oder sollte die Schelle gar ein Symbol ihrer Plauderhaftigkeit sein, dass sie alles heraussagten, was sie auf dem Herzen hatten? Mögen dies immerhin nur Vermutungen sein, so ist es jedenfalls Tatsache, dass man überhaupt die Schellentracht am Ende lächerlich und narrenhaft fand, und dass man daher diese Mode, die man von den Pferden und Maulthieren auf die Menschen verpflanzt hatte, zuletzt auch wieder den Tieren und außerdem nur den dummen Narren überließ. Fand man doch auch die stolzen Fontangen und hohen Turmhauben zuletzt lächerlich und abgeschmackt, die vordem ein Putz der vornehmsten Damen gewesen waren.

Der Ausdruck Schellentracht ist eigentlich nicht richtig, da die Schellen garkeine Tracht, sondern nur einen Putz oder Schmuck, eine verschönernde Zugabe zu allen möglichen Arten von Trachten bildeten, die in mehreren Jahrhunderten herrschten; man würde also besser Schellenschmuck sagen, wiewohl Schellentracht allgemein gebräuchlich ist. Dabei werden unter Schellen nicht nur die heutigen Schlittenrollen, sondern auch wirkliche Glöckchen und andre klingende Metallkörper verstanden. Die Gestalt der Schelle ging auch ins deutsche Kartenspiel unter der gleichen Benennung über; das Wort kommt aber her von Schall, wie aus Reineke Voß Buch I. Cap. I. hervorgeht:

„Dar quemen veele Heren mit grotem Schal.“

Es waren nämlich zu Anfang nur die Fürsten und vornehmsten Herren, welche Schellen anlegten und sich durch diesen Schmuck vor dem geringen Volk auszeichneten. Besonders bei feierlichen Aufzügen und Hoffesten erschienen die Kavaliere und Damen mit Schellen, und die Mode kam gerade deshalb auf, damit man im Gedränge des zuschauenden Pöbels sofort eine Person von Rang hören und ihr Platz machen konnte. Die Mode galt daher für vornehm, weil sie nur der nobeln Welt angehörte, und es entstand das Sprichwort:

„Wo die Herren sind, da klingeln die Schellen;“

hier sind die Herren nicht etwa, wie man glauben könnte, im Gegensatz zu den Damen zu verstehen, sondern im Gegensatz zum niedern Volk, welches mit der Mode erst allmählig nachhinkte. Tenzel führt aus einer alten Chronik Folgendes an:

„Anno 1400 bis man schrieb 1430 war so ein großer Ueberfluß an prächtigen Gewant und Kleidunge der Fürsten, Grafen und Herren, Ritter und Knechte, auch der Weiber, als vor niemals gehört worden; da trug man silberne Fassungen oder Bänder mit großen Glocken von 10, 12, 15, und bisweilen 20 Marken. Etliche trugen rheinische Ketten von 4 oder 6 Marken samt köstlichen Halsbändern, großen silbern Gürteln und mancherlei Spangen.“

Von einigen zu Göttingen 1370 und 1376 stattgehabten Ritterspielen erzählt eine Chronik „dat olde bok“ ausdrücklich, dass die anwesenden Damen alle wunderschön gewesen seien, mit purpurnen Kleidern angethan, hätten hinten dicke Wülste und um sich klingende Gürtel und Borten mit Schellen gehabt, so dass, wenn sie gingen, es gelautet habe: Schur, Schur, Schur, und Kling, Kling, Kling. (So wird der Unterschied zwischen dem Ton der Schellen und Glöckchen bezeichnet.)

Zu Nürnberg beschäftigte sich im 15. Jahrhundert ein eignes Handwerk mit Schellenmachen, obwohl schon 1343 eine Kleiderordnung daselbst erlassen war, in der es heißt:

„Auch soll ferner kein Mann noch Frau keinerley Glocken, Schellen, Blumen, Blätter noch keinerley von Silber gemacht hangend Ding an keinen Ketten noch Gürteln nicht tragen bei 3 Fl. Strafe täglich.“

(Dieser Satz scheint beiläufig eklatant beweisen zu sollen, dass sich im Deutschen ebenso wie im Griechischen mehrere Negationen nicht aufheben, sondern verstärken.) Im Jahr 1411 wollte der Rat zu Ulm das die Andacht störende Geklingel in der Kirche nicht länger dulden, und verordnete in seinem noch vorhandenen roten Buche Fol. 136:

„Kein Mannsbild solle weder Federn, Kränze noch Glocken und Schellen in die Kirche tragen.“

Unser Klingebeutel, dem es noch erlaubt ist, in der Kirche zu klingeln, ist auch wohl ein Überbleibsel der alten Schellenmode.

Fischart gedenkt der Schellen in seinem Gargantua cap. IX,:

„Zu seinem Leibrock nahm man 1800 Ballen Genuesischen Karmosin-Sammet, ein fein Wappenröcklein, darein silberne Schillelein und Flinderlein zum Thurniren und Schlittenfahren an Kettlin hiengen. Denn solches war damals der Brauch, dass man mit einem klingenden Geprang und prangenden Geklang, als wann der hohe Priester ins Heiligthum gieng, auf dem Platz erschien. Seither aber die Thurnier, das ist die Adels Probier sind abgangen, haben die Fuhrleut ihren Gäulen die Schellen angehängt. Ist dannoch besser, als wenn mans den Saumeseln, Müllereseln und Collmarischen Misteseln anhängt, denn man kennt sie ohn das, und sie einander noch baß.“

Wir erinnern hier endlich an eine Stelle in George Rollenhagens allegorisch - satirischem Tiergedicht, dem Froschmäusler, wo es von der Rüstung des Mäusekönigs heißt:

Der König aber insonderheit
Hat angethan ein Wunderkleid,
Eines kohlschwarzen Maulwurfs Haut,
Dafür den Mäusen selber graut.
Zu schürzen er sich auch anfing
Mit einen, güldnen Gürtelring,
Daran viel schöne Glöcklein hingen,
Die prächtig konnten einherklingen.


Der Schellenschmuck ist übrigens uralt und stammt aus dem Orient; schon die persischen Fürsten trugen ihn, und im Talmud erhalten die Kinder der Könige die spezielle Erlaubnis, am Sabbath mit Schellen zu gehen. Es galt diese Mode also schon bei den Juden für etwas Vornehmes. Dass aber auch die Narren im Orient Schellen getragen, beweist Paul Lucas, wenn er schreibt:

„Unterwegs begegnete uns ein tartarischer Fürst, der nach Mekka zog; er hatte wohl hundert Menschen theils zu Pferde, theils zu Fuß bei sich, die bloß mit Lanzen und Säbeln bewaffnet waren. Er hatte 5 bis 6 Weiber bei sich, die zu Pferde saßen, und Chaouls, die vor ihm hergingen. Diese Chaouls hatten an ihren Mützen Schellen hangen, sie sind die Hofnarren des Fürsten." (Voyage de Paul Lucas au Levant. Tom II. p. 31.)

Das alte Testament erwähnt schon den Schellenschmuck Aarons und der Hohenpriester, „dass man ihren Klang höre, wenn sie aus- und eingingen ins Heiligtum, auf dass sie nicht stürben,“ wie es II. Mose 28. 35. ausdrücklich heißt. So sagt Sirach 45. 11.: Und hing viel goldne Schellen und Knäufe umher an ihn, dass es klänge, wenn er aus- und einginge und der Klang gehört würde im Heiligtum, damit seines Volks vor Gott gedacht würde.“ Die Schellen, die der Hohepriester am Saum seines himmelblauen Oberrocks trug, waren von Gold, und zwischen ihnen hingen ebenso viele den Granatäpfeln ähnliche Kugeln von blauer oder purpurner Wolle. Die Anzahl der Schellen und Granatäpfel soll nach einigen je 12, nach andern je 72, nach noch andern sogar je 366 (spielt darin das Schaltjahr eine Rolle?) betragen haben. Zähle man 12 Schellen, so zeige das, wie man sagt, die 12 Apostel an; zähle man aber 72, so wäre das etwa die Zahl der Jünger Jesu, und wie die Schellen am Hohenpriester hingen, so die Apostel und Jünger an Christo. Der Sinn und Zweck der Schellen hat überhaupt mancherlei Auslegung erfahren. Sie bedeuteten danach den Schall des Evangeliums, der in alle Lande ausgehen solle, oder sie sollten andeuten, dass alles, was sonst an bösen Worten erschollen wäre, durch das Läuten des Hohenpriesters übertönt und wieder versöhnt würde, oder letztres sollte gar dazu dienen, dass man immer an den jüngsten Tag und das Ende der Dinge denke, etc.

Vom Orient soll sich die Schellenmode zuerst nach Griechenland, von da nach Frankreich, dann nach Deutschland und dem Norden verpflanzt haben. Flögel (Geschichte der Hofnarren p. 63.) meint, dass zuerst die christlichen Bischöfe und Priester den Schellenschmuck des alten Testaments nachgeäfft hätten. Es liegen allerdings Beweise vor, dass die Chorkappen und Messkleider reichlich mit Schellen behangen waren, und es ist nicht unmöglich, dass letztre gerade von den geistlichen Würdenträgern auf die Edeln weltlichen Standes übergingen. Schon an den Hunnen, die im Jahr 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg gefangen wurden, fanden sich goldene an den Kleidern hängende Glöckchen. Diese Nachricht steht jedoch zu vereinzelt da, um daraus mit Sicherheit auf ein so hohes Alter des Schellenschmucks schließen zu können. Vielleicht brachten uns die Kreuzfahrer die Mode aus dem Morgenlande mit. Jedenfalls steht fest, dass im 12. und 13. Jahrhundert sowohl an den Kleidern und Waffen der Ritter, als am Geschirr ihrer Turnierrosse sich Schellen befanden. Beweise hierfür finden wir in den Nibelungen, im Parcival, in Ulrich von Lichtensteins Frauendienst und mehreren anderen Werken, so wie in den alten Abbildungen und Epitaphien. Als allgemeine Mode aber, die auch von gemeinen Leuten mitgemacht wurde, existierten die Schellen mit Sicherheit erst vom 13. bis um die Mitte des 15. Jahrhunderts; von da an starben sie allmählig aus und wurden, wie wir gesehen, ein Teil der Narrentracht. Nach dem höhern Norden gelangten sie vielleicht zu Anfang des 14. Jahrhunderts; in einer alten schwedischen Reimchronik, die J. Hadorph 1674 drucken ließ, hieß es von dem mecklenburgischen Herzog und nachmaligen König in Schweden, Albrecht, welcher 1361 starb:

Een kow ey sä arm af Tyskeland
Hade han et Swert i sin Hand
Kunne han dantza, springa ok hoppa
Han skulla ju hafwa skall, och förgylta Klocka.

(Käm Einer noch so arm aus deutschem Land,
So hat er doch ein Schwert in seiner Hand,
Und kann er tanzen, hüpfen und springen,
Da müssen seine vergoldeten Glocken dazu klingen.)


Zeitgenossen der Schellen waren die sogenannten Schnabelschuhe oder Kraniche, die fast genau mit jenen zusammen sowohl aufgekommen als auch ausgestorben zu sein scheinen. Nach Beckmann (Vorrath kleiner Anm. 1795) soll der Graf Fulio von Anjou ums Jahr 1087 zuerst diese Mode in Frankreich aufgebracht haben; ob seines Podagras oder seiner Hühneraugen wegen, darüber sind sich die Gelehrten noch nicht einig. Nach andern Nachrichten waren die Schnabelschuhe übrigens schon bei den Römern unter dem Namen Calcei uncinati oder repandi gebräuchlich. Zur Verbreitung derselben trug wesentlich ein gewisser Robert bei, der zu Ende des 11. Jahrhunderts am Hofe Wilhelms II. von England lebte. Er ließ die Spitzen seiner Schuhe wie Hörner aufwärts krümmen, und erhielt daher den Beinamen Cornardus, (warum nicht Cornutus?) Nach Flögel (Kom. Literat. Bd. I. p. 177) ist erst König Heinrich II. von England, welcher 1189 starb, der Schöpfer dieser Mode gewesen, und zwar eines langen Gewächses wegen, das seinen Fuß verunstaltete. Jedenfalls fanden die Schuhe anfänglich den meisten Anklang bei den Engländern, die von jeher auf großem Fuße lebten, und die man sogar im 13. Jahrhundert jener Mode wegen aus Spott als geschwänzte genannt findet. Im Jahre 1212 verbot das Concil zu Paris, 1365 dasjenige zu Angers den Geistlichen das Tragen der Schnabelschuhe als sittenverderbend. Sie hießen damals Sotulares de polena oder poulenna oder poulainia, woher das französische Poulaine, Schiffsschnabel, herrührt. Karl VI., welcher 1422 starb, ließ einstmals in Paris ausrufen, dass kein Schuster Schnabelschuhe machen und kein Krämer sie verkaufen solle bei hoher Strafe, da sie eine schändliche Entstellung wohlgebildeter Füße wären. Gleichwohl trug sein Nachfolger Karl VII. selber noch 1461 ziemlich lange Schuhe. Eine päpstliche Bulle von 1480 scheint sie dann in der Tat etwas beschränkt zu haben. Es war aber diese Mode so bizarr und zwecklos, dass, als sie endlich abkam, selbst die Narren sie nicht aufbewahrten.

Die Schnabelschuhe waren bald aufwärts gekrümmt und mit Werg, Wolle oder Baumwolle steif ausgestopft, bald schlugen sie schlaff um die Beine herum, und wurden, um beim Gehen nicht allzu hinderlich zu sein, am Knie oder Schienbein mit goldnen Kettchen befestigt; wenigstens behauptet Letzteres Beckmann (a. a. O. p. 40 u. 62.) Selbst mächtige Könige und Herrscher mit der Krone auf dem Haupt und dem Hermelin um die Schultern sah man zugleich mit ellenlangen Schnäbeln an den Füßen. Die Länge der Schnäbel soll sich sogar nach dem Range des Eigentümers gerichtet haben; keinenfalls aber wurde dies Rangmaß immer innegehalten. Beide Geschlechter bedienten sich der Schnabelschuhe als einer alltäglichen Tracht, und selbst wenn keine eigentlichen Schuhe getragen wurden, sondern der Hosenstrumpf bloß mit einer Ledersohle versehen war, so durfte doch auch hieran ein Schnabel nicht fehlen, der die Zehen mindestens um 12 Zoll überragte. In ihrer Blütezeit erreichten die Schnäbel sogar die Länge von 2 bis 3 Schuh, wurden mit Schnitzwerk verziert, mit Silberblech oder andrem Metall überzogen und erhielten an ihren Enden die Form von Klauen, Hörnern, oder gar von menschlichen Gesichtern.

Als die Schuhe endlich ihre Schnabel verloren, schlugen sie, wie sich dies an so manchen Modethorheiten beobachten lässt, gerade ins entgegengesetzte Extrem um, und wurden vorn an den Zehen so breit, dass die sogenannten Kuhmäuler oder Bärentatzen, wie man die neue Façon nannte, kaum minder auffallend erschienen, als ihre abenteuerlichen Vorgänger. Zum Überfluss hatte solches Kuhmaul zuweilen wirklich, wie der Name andeutet, vorn eine Öffnung, in die man etwas hineinschieben konnte.

Hiermit nehmen wir Abschied vom Mittelalter, dessen phantastischer, wilder und abenteuerlicher Charakter sich uns so deutlich in seiner Trachtenwelt abgespiegelt hat. An Narrheiten fehlt es aber, wie wir sehen werden, auch der Neuzeit nicht; ist doch die Lust am Lächerlichen, Bizarren, Narrenhaften dem Menschen einmal angeboren, und wird die Welt gerade so lange voller Narren sein, wie sie überhaupt noch steht. Die weisesten unter den Menschen, die von jeher mit ihrem Verstand unsern Planeten erleuchten, haben dies einstimmig anerkannt. Der Seelsorger Schuppius in Hamburg meinte sogar, es wären in der Welt fast mehr Narren, als Menschen; ob die Rechnung richtig sei, mag der Herr verantworten. (Schuppii Lehrreiche Schrift. p. 1121.) Seneca sagt offenherzig:

„Wenn ich mich an einem Narren belustigen will, so brauche ich ihn nicht weit zu suchen, sondern nur mich anzusehen. Jeder hat seinen Narren in sich.“

Selbst der sogenannte vernünftige Mensch hat doch irgend einen kleinen moralischen Fehler, eine geistige Abnormität, die ihn bei etwas höherer Potenz, bei einer weitern Entwicklung ins Irrenhaus bringen kann. Demokrit belachte die allgemeine Narrheit und Heraklit beweinte sie. Vater Brant reiste nach Narragonien und brachte ganze Schiffsladungen von Narren nach Hause. Geiler von Kaisersberg hielt, durch Brants Beispiel ermuntert, eine neue Musterung über das Narrenheer und stellte es, in der Kirche „Zum alten Peter“ in Straßburg, in 110 Predigten von der Kanzel, in Reih und Glied. Der große Erasmus wanderte mit der Messschnur in der Hand und mit spähendem Blick durch alle Gegenden der Narrenprovinz, vom Palast des Königs bis in die Hütte des Bettlers, und vom stolzen Vatikan bis in die schmutzige Clause des geringsten Ordensbruders. Professor Rhodus in Marburg ließ unter andern Sachen auch einen Haufen Narren an sein Haus malen, und sich selbst mit einem Uringlas mitten unter ihnen. Als einst ein vornehmer Herr vorüber ging und bemerkte:

„An dem Hause stehn trefflich viel Narren“, so rief Rhodus, der dies hörte: „Ja, ja, es gehn aber noch viel mehr und größre vorüber.“

Der holländische Dichter Cats sagt:

Noyt man en had soo wiisen Sin,
Of daer en stack een Geckjen in.


Mancher wird diesen Gecken zeitig los, mancher spät, und mancher nimmt ihn mit ins Grab. Wenige rufen mit dem weisen Salomo Spruch 30. 2 aus:

„Ich bin der Allernärrischte, und Menschenverstand ist nicht bei mir,“

während sich an Vielen der andre Spruch Salomos 27. 22 bewahrheitet:

„Wenn du den Narren im Mörser zerstießest mit dem Stämpfel wie Grütze, so ließe seine Narrheit doch nicht von ihm“;

vielmehr, wenn er könnte, würde er dir kühn ins Gesicht sagen:

„Bruder Esel, ich bin doch der Weise.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Modenarrheiten
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Edelmann 1545

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Mutter und Kind 1674

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Frauenbildnis um 1720

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