Mittelalterliche Zustände und Stände. Das Weltreich Karls des Großen.

Aus: Das Mittelalter. Bilder aus dem Leben und Treiben aller Stände in Europa
Autor: Kleinpaul, Rudolf (1845-1918) deutscher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1893/95
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Begriff und Grenzen des Mittelalters — Die Germanen machen das Mittelalter, aber dasselbe deckt sich in seinen Anfängen mit dem Fränkischen Reiche, zur größten Bedeutung unter den germanischen Staaten der Völkerwanderungszeit aufsteigt — Merowinger und Karolinger, das Karolingische Reich und die alte Gauverfassung — die Freien sind bei den alten Germanen der Kern der Nation — die Unfreien zerfallen in Leibeigene, Hörige und die sogenannten Ministerialen oder Dienstmannen — das Salische Gesetz gewährt einen Blick in die altgermanische Verfassung vor den Veränderungen, welches die Gründung des großen Fränkischen Reiches nach sich zog — das königliche Gefolge oder die Trustis, die Antrustiones der Merowinger, für die das dreifache Wergeld zu zahlen ist — das Lehnswesen, der Lehenseid, die Deutschen sind höchst feudal — Lieber Getreuer — meine Leute — die Bauern oder die Kolonen nehmen eine Mittelstellung zwischen Sklaven und Freien ein — die Namen Meier und Lehmann, sprechende Reste mittelalterlicher Zustände und Besitzverhältnisse — was war ein Graf ? — ein Graf war ein königlicher Beamter — Gaugrafen und Markgrafen — hoher und niederer Adel, die Rittergüter — Burgen und Städte, Gemeindeverfassung und Staatsverfassung — Fehde und Faustrecht — Anblick Deutschlands zur Zeit Karls des Großen.


000 Die Schlossherrin sitzt in der Mitte zwischen zwei Ehrendamen; rechts ein Nebentisch, an dem die Gäste sitzen, links ein Kredenztisch, an dem der Mundschenk steht (Tresur). Man sitzt nur an der einen Langseite der Tafel, mit dem Rücken gegen die Wand. Pagen tragen unter Trompetenschall ganzes Geflügel und Wildpret (Schwanen- und Bärenbraten) auf, sie reichen die goldenen Schüsseln vorn über den Tisch hinweg. Teller mit kurzem Fuß bemerkt man zwei, auf dem Tisch rechts ein Salzfass. Trachten des 15. Jahrhunderts. Faksimile einer Miniatur aus einem Roman, dessen Held Rinaldo von Montalbano, einer der Paladine Karls des Großen, ist. Handschrift des 15. Jahrhunderts, Bibliothek des Arsenals zu Paris.

Das Wort Mittelalter ist eine Übersetzung von Medium Aevum und bezeichnet eigentlich das mittlere Lebensalter eines Menschen. Von Männern in gesetzten Jahren, von Frauen in den Vierzigern sagt man, dass sie in ihrem Mittelalter stehen: sie sind nicht mehr jung und doch auch noch nicht alt. Diesen Ausdruck hat man dann im vorigen Jahrhundert auf die Zeit angewandt, die zwischen den zwei Altern der Menschheit, der alten und der innen Geschichte mitten inne liegt, wobei sich wie bei allen derartigen Übertragungen die Begriffe von Jugend und Alter verschieben, denn was beim Individuum Jugend, heißt bei der Menschheit Aller, und umgekehrt. Dieselbe Einteilung hat man insbesondere auch bei der Sprache gemacht, indem man zum Beispiel bei der deutschen eine alte, mittlere und neuere Periode unterscheidet und hier etwa die Jahre 1100 und 1200 als Marksteine gelten lässt; das Medium Aevum ging zunächst nur auf das sogenannte Mittelhochdeutsche oder das sogenannte Mittellateinische. Auf diesem Gebiete darf man die zeitliche Mitte nicht mit der räumlichen verwechseln, denn man spricht bekanntlich auch von oberdeutschen, mitteldeutschen und niederdeutschen Mundarten, ja beide Bestimmungen kreuzen sich oft in sinnverwirrender Weise. Der Begriff Mittelalter beruht also auf der naiven und kurzsichtigen Annahme, dass die Menschheit gleichsam drei Zeiten oder drei Alter habe das klassische Altertum, das Mittelalter und die Neuzeit; mit ebenso großer Naivität werden für diese drei Zeiträume die Grenzen angegeben.

001 Fränkischer Jüngling, einen germanischen Spieß (Framea) und zwei fränkische Hocken (Haken) bringend. Bekleidet ist er mit einem langen Gewand und einem römischen Plaid S(agum); darunter trägt er ein Fell als Schurz. An der Seite hat er das messerartige Kurzschwert (Scramasachs) in gezähnter Scheide. Nach Originaldokumenten in Bibliotheken.

002 Franke des 4—8. Jahrhunderts, an der Seite in der Scheide das lange und breite, zweischneidige germanische Schwert (Spatha). Das Gewand ist gegürtet, die Stellung die eines Flehenden. Nach Originaldokumenten in Bibliotheken.

Einige beginnen das Mittelalter mit Konstantin dem Großen und der Einführung des Christentums (324), ändere mit der Völkerwanderung und dem Eindringen der Hunnen ins Abendland (375), die meisten mit dem Untergange des Weströmischen Reichs (476) — die einen schließen es mit dem Untergange des Oströmischen Reichs und der Eroberung Konstantinopels durch die Türken (1453), andere mit der Renaissance (Anfang des 15. Jahrhunderts), andere mit der Erfindung der Buchdruckerkunst (zweites Drittel des 15. Jahrhunderts), andere mit der Entdeckung Amerikas (1492), andere mit der Reformation (1517), noch andere erst mit dem Westfälischen Frieden (1648). Es ist unnütz für weltgeschichtliche Bewegungen, die sich langsam und stetig vollziehen. Daten anzugeben; will man einen ungefähren Anhalt haben, so kann man sagen, dass das Mittelalter vom 5. bis zum 16. Jahrhundert reicht. Aber man möge sich gegenwärtig halten, dass die ganze Rechnung allenfalls für uns, für die vereinigten Staaten Europas, und auch hier nur in einem beschränkten, lokalen Sinne zutrifft, indem bereits die Völker des Altertums ihr eignes Mittelalter haben; und dass schon im Jahre 2000 aller Voraussicht nach unsere Zeit noch für tief mittelalterlich gehalten werden wird.

003 Römische Infanterie. Acies, Schlachtordnung. Sie sind in Tunica und tragen Helme (Galcae) und Stiefel (Caligae); die Schilde (clipei) sind rund und hohl; die Lanze ist die schwere Hasta. Nach Miniaturen des 6-12. Jahrhunderts.

004 Germanischer Krieger mit Schild und Speer in römischer Uniform. Er trägt über der Tunica das Sagum, ein Plaid, das auf der Schulter mit einer Brosche befestigt ist; an den Füßen Schnabelschuhe (Calceus repandus). Nach Miniaturen des 6-12. Jahrhunderts.

Was heißt Neuzeit? — Selbst wenn wir nicht über unsern engen Horizont hinaussehen, ist es ein Begriff, der fortwährend veraltet, stündlich einen andern Inhalt bekommt — das Minimum des Alters der bewohnbaren Erde beträgt nach den neuesten geologischen Forschungen etwa 20.000.000 Jahre, das des Menschengeschlechts ungefähr 100.000 Jahre — vielleicht sind es noch weitere 100.000 Jahre, die das Menschengeschlecht zu leben verurteilt ist — und wer am Ablauf dieser 200.000 Jahre eine Weltgeschichte schreibt, wird der wohl noch einen Abschnitt machen: Vom Untergange des Weströmischen Reichs bis zum Beginn der deutschen Reformation? —

005 Leibeigene den Eid der Untertänigkeit leistend. Handgebende Treue. Der Mann deutet mit der linken Hand auf seinen Kopf zum Zeichen, dass er dem neuen Herrn gehört. Nach Originaldokumenten in Bibliotheken.

Das Mittelalter bedeutet das Eintreten der Germanen in die Geschichte; aber obgleich es durch die Deutschen heraufgeführt worden ist, deckt sieh die mittelalterliche Welt im Anfang doch nicht mit dem Deutschen, sondern mit dem Fränkischen oder dem Karolingischen Reiche, dem Weltreich Karls des Großen, welches die germanischen Stämme des Kontinents zu einer Monarchie zusammenschmolz und die abendländische Christenheit unter einem Oberhaupt vereinigte. Damals hieß Deutschland noch Ostfranken oder Austrasien, Frankreich: Westfranken oder Neustrien; Italien war eine große Provinz, der Franke gebot bis zum Tiber und bis zum Ebro, zur Eider und zur Raab. Der Stamm der Franken umfasste um die Mitte des 3. Jahrhunderts eine Anzahl germanischer Völkerschaften am mittleren und niederen Rhein; er war einer jener Stämme, die das alte Römische Reich einrissen und sich auf seinen Trümmern häuslich einrichteten, mit denen eine neue Zeit wie eine Wolke heraufgezogen kam. Es gab zunächst eine heillose Verwirrung, alles ging drunter und drüber; nichts passte weniger zusammen als diese alte Gesellschaft und unser frisches Volkstum. Wie wenn der Russe plötzlich über Deutschland käme, oder Buffalo Bill mit seinen Indianern Berlin eroberte. Zwar waren die Germanen des Tacitus keine eigentlichen Wilden, längst hatten sie die niedersten Stufen der Zivilisation hinter sich; aber die Indianer sind auch keine Urmenschen mehr. Jedenfalls standen die alten Deutschen, mit den Römern verglichen, erst am Anfang einer reichen und glücklichen geschichtlichen Entwicklung, sie waren ein junges und darum das rechte Volk, die Geschicke der Welt von Grund aus umzugestalten und an Stelle des morschen, in sich zerfallenden Römischen Reichs eine neue Ordnung der Dinge zu setzen. Man betrachte diese alten struppigen Barbaren, was die Alten comatus nannten, die beiden fränkischen Früchtchen und den alten deutschen Soldaten und die geleckten Gesichter der lateinischen Acies, der römischen Schlachtordnung! Welch ein Unterschied! Wie zwischen Natur und Kultur, oder wie zwischen verschiedenen Ständen. Die Römer gleichen Söhnen aus guter Familie, sie sind wohlerzogen, gebildet, verweichlicht und verhätschelt; die Deutschen haben etwas Wildes, Ungepflegtes, Urwüchsiges, um nicht zu sagen: etwas Russisches, denn ähnlich pflegen jetzt in unseren Witzblättern die Russen dargestellt zu werden.

006 Fränkischer König oder Herzog im Krönungsornat, im Augenblicke der Belehnung, mit der linken Hand einen Flamberg (mit wellig geflammter Klinge) haltend. Abhängige werden durch Überreichung des Schwerts vertreten. Nach einer Miniatur des 9. Jahrhunderts.

Folgen hatten sie gelernt. Die Staaten, welche sie gründeten, waren anfangs nur Verbände von Gemeinden, welchen die Freien als Mitglieder angehörten. Diese freien Grundbesitzer waren samt ihren Leiheigenen und Knechten zur Heeresfolge verpflichtet, Privatfehden nicht verpönt, Kriege von Staat zu Staat aber ohne Gutheißen der Volksgemeinde nicht statthaft. Weiter wurden an die Freien keine Ansprüche gemacht. Doch schon in uralter Zeit pflegte sich an einzelne berühmte Führer freiwillig ein sogenanntes Gefolge anzuschließen, um in ihrem Dienste Ruhm und Beute zu erwerben. Der Eintritt in eine solche Gefolgschaft tat der Ehre und der Freiheit keinen Eintrag, führte aber allerdings zu einem Abhängigkeitsverhältnis. Wer sich einem Großen zur Treue verpflichtete, wurde von seinem Dienstherrn unterhalten, und statt des Soldes bekam er in jenen Zeiten der Naturalwirtschaft, in denen das Geld zurücktrat, zu Besitz und Genuss ein Grundstück, ein sogenanntes Feudum, zugewiesen, geliehen, wie man es auffasste, daher Lehen.

Auf diese Weise entstand eine neue Art von Grundeigentum: zu dem freien, unabhängigen Gute, das einer von Gott besaß, dem Allod kam ein anderes Gut, das er von einem Herrn und von dem er bloß die Nutznießung hatte, das Feod hinzu. Der eigentliche Besitzer des letzteren blieb der Dienstherr, welcher das Gut, wie gesagt, nur lieh wie ein Darlehen und es seinem Lehnsmann anfangs auf Widerruf, weiterhin auf Lebenszeit, zuletzt vererblich über den Tod hinaus beließ, solange noch lehnsfähige Nachkommenschaft vorhanden war. Der Lehnsmann hieß Vasall oder einfach Mann; er gelobte dem Herrn mittels Lehnseides, mittels der sogenannten Hulde, mittels des Homagiums: treu, hold und gewärtig zu sein, einen solchen Treueid schwört auf unserem Bilde mit erhobener Hand einer seiner Barone Karl dem Großen. Bei allen diesen Gelöbnissen werden die beiden Hände gegeben und genommen, was die Bilder nur anzudeuten pflegen. Das eigentliche Lehnswesen entwickelte sich zuerst in der Fränkischen Monarchie und bildete jahrhundertelang die Grundlage der mittelalterlichen Heeresverfassung und des germanischen Staates.

007 Der Merowinger Childerich, durch die lang herabwallanden Locken ausgezeichnet, umgeben von seinen Gefolgsgenossen, diktiert das Salische Gesetz, das erste uns erhaltene deutsche Rechtsbuch. Nach einer Miniatur auf farbigen Grund der Chronik von Saint-Denis, Sandschrift des 14. Jahrhunderts in der Bibliothek des Arsenals zu Paris.

Im Frankenreiche hatte nur der König das Recht, Gefolgsleute zu halten, welche hier Antrustiones hießen. Aus den Antrustiones nahmen die Merowinger, die das Fränkische Reich fast drei Jahrhunderte lang (481 — 751) beherrschten und deren Dynastie der Karolinger Pippin der Kurze ein Ende machte, ihre Generäle und Gesandten, zugleich, da die Gefolgschaft verpflichtet war jedem Unschuldigen beizustehen, ihre Gendarmerie; für sie war das dreifache Wergeld zu zahlen, wenn sie erschlagen wurden. Es ist recht, hieß es, wenn einer in die Trustis aufgenommen wurde, dass wer uns unverletzte Treue gelobt, unseres Schutzes genieße. Und weil jener Getreue nach Gottes Willen kommend dort in unserem Palast mit seinen Waffen in unsere Hand Gefolge und Treue beschworen hat; deshalb durch die gegenwärtige Urkunde befehlen und beschließen wir, dass jener obbelobte hinfüro unter die Zahl der Antrustionen gerechnet werde. Und wenn sich jemand erfrechen sollte ihn zu töten, so wisse er, dass er sein Wergeld mit 600 Solidi zu zahlen schuldig befunden werde. Das Wort Trustis ist unser deutsches Trost — die Gefolgsleute getrösten sich des königlichen Schutzes, und umgekehrt getröstet sich der König der Schar seiner Antrustionen. Sie bilden seinen Hofstaat im Frieden, seinen Generalstab im Kriege. Auf unserem Bilde erblicken wir den König der Franken, etwa den Merowinger Childerich I (457 — 481), den Sohn des Merwig, unter seinen Antrustionen: er diktiert das Salische Gesetz. Dieses berühmte, in mittelalterlichem Latein aufgezeichnete Volksrecht der Salischen Franken ist unter allen germanischen Volksrechten das älteste; die Männer, die es abfassen, sind noch Heiden. Zugleich ist es das einzige, welches uns einen Blick in die altgermanische, auf der Oberhoheit des Volks beruhende Verfassung vor dem großen Fränkischen Reiche tun lässt. Noch bilden die freien Franken, die, in Dörfern zusammenlebend, vorzugsweise Ackerbau und Viehzucht treiben, den Kern der Bevölkerung, neben welchem die hörigen Liten, die wenigen Römer und die unfreien Knechte aller politischen Rechte entbehren. Der erbliche König, dessen Abzeichen der Schmuck der lang herabwallenden, von keinem Schermesser berührten Locken ist, steht an der Spitze des Staates; aber er ist noch nicht allein Herr, sondern bei wichtigen Dingen an die Zustimmung des Volkes, das alljährlich auf dem Märzfeld in Waffen zusammentritt, gebunden. Er ist noch nicht höchster Richter, vielmehr werden die Gerichte, die nach Hundertschaften zu Dinge sitzen, noch von erwählten Beamten, den Centgrafen, geleitet; dagegen ist die exekutive Gewalt und die Vollstreckung der gerichtlichen Urteile bereits auf den König und seine Beamten, die Grafen, übertragen worden. Ein merkwürdiges Dokument des Übergangs der Volkssouveränität in das souveräne Königtum! — Der ausgesprochene ( Grundsatz, das weibliche Geschlecht von der Erbnachfolge in Stammgüter auszuschließen, kam später vielfach im Thronfolgerecht zur Geltung.

008 Der zwanzigjährige Kronprinz Karl, der spätere Karl der Große, erhält die Nachricht vom Ableben seines Vaters, des Königs der Franken, Pippins des Kurzen; die Lehenträger der Krone huldigen ihm als dem neuen Landesherrn (September 768). Kostüme des Burgundischen Hofs im 15. Jahrhundert. Nach einer Miniatur der Kaisergeschichte in der Pariser Arsenal -Bibliothek.

009 Der König mit dem (kralligen) Raubvogelbart, wie das Rolandslied Karl den Großen nennt (Charlle à la barbe grifaigne) Faksimile eines Holzschnittes vom Ende des 16. Jahrhunderte; Phantasieporträt.

Mit der Ausbildung des Lehnswesens verschwand das nur den Franken bekannte Institut der Antrustionen. Die Karolinger pflegten an freie Leute Güter zu verleihen, wogegen sich diese zur Leistung von Kriegsdiensten verpflichteten, indem sie als Fideles, als Getreue in das königliche Gefolge eintraten, und dies Verfahren wurde bald von weltlichen und geistlichen Großen nachgeahmt. Wenn noch heute die Mitglieder des Landtags oder der Volksvertretung von dem Landesherrn in den landesherrlichen Reskripten mit Getreue angeredet werden, wenn der Fürst zum Diener im Kanzleistil: Lieber Getreuer! — sagt, so klingt immer noch die Lehnsherrlichkeit des Mittelalters durch, und unzweifelhaft ist mit der deutschen Treue, die nie gebrochen werden soll, eigentlich die Treue des Gefolgsmannes gemeint. Die Deutschen sind zuallererst feudal gewesen, wenn sie das Lehnswesen auch hernachmals auf die eroberten Länder übertrugen. Ja, sie waren ein merkwürdiges Volk: der Geist der Unterordnung, des Dienstes lag ihnen tief im Blute. Der Mann, der sich bei Tische von seinen Hauseignen bedienen Hess, bediente selbst wieder seinen Lehnsherrn, und die Herren bedienten sich wieder untereinander je nach ihrem Range und ihrer Würdigkeit, ja diese persönlichen Dienste galten nicht etwa für eine Last, sondern für ein Recht und eine Ehre.

010 Schloss Gaillard, von Richard Löwenherz zur Beherrschung der Seine erbaut. Die Burg, deren Ruinen auf dem hohen Seine-Ufer liegen, hat eine dreifache Umwallung, 5,5 m dicke Mauern und siebzehn Türme (12. Jahrhundert).

Das Gefühl der Unabhängigkeit, der Manneswürde, diese Seele der modernen Gesellschaft regte sich bei den Germanen kaum. Sie waren nicht geboren frei zu sein, wenn sie sich auch frei nannten und als Freie den Hörigen und den Knechten, den Leibeigenen entgegensetzten. Das waren ursprünglich die Gefangenen, die man im Kriege machte, die Sklaven, die man kaufte und denen man Land unter der Bedingung von Fronen und Zinsen überließ, Landstreicher und Wildfänge, die damals noch wirklich gefangen wurden; wie Tacitus erzählt, auch Spieler, die ihre Freiheit verspielt hatten. Indessen traten auch fremde Ansiedler, denen man Land verpachtete, freiwillig in das Verhältnis der Leibeigenschaft, Man unterscheidet gewöhnlich drei Stufen der Unfreiheit: die Leibeigenschaft im engeren Sinne, die Hörigkeit und die sogenannte Ministerialität, das heißt den Stand der Dienstmannen oder der Dienstleute, welche zum Hofstaat der Könige und ihrer Statthalter sowie der Bischöfe gehörten und aus denen sich mit der Zeit der niedere Adel bildete. Die Hörigen wurden bei den Alemannen, Franken, Friesen und Sachsen einfach Leute (Lidi, Liti, Leu) genannt; die Lehnsleute oder die Vasallen dagegen heißen in den Urkunden des Mittelalters einfach: Mannen. Der Leibeigene war körperlichen Strafen und Züchtigungen unterworfen, musste die auf seiner Person haftenden Zinsen und Dienste leisten und den Eid der Untertänigkeit, den sogenannten Erbeid schwören. Diesen Schwur leistet das eigene Paar auf unserem Bilde. Nur die Freien hatten das volle Wergeld, die aus der Blutrache hervorgegangene Abfindung, die bei den Antrustionen dreifach zu zahlen war; die Hörigen nur das halbe; dem Knechte fehlte es. Er war rechtlos.

Und Fehd entbrannte bald darauf
Und zogen Ross und Mann zu Hauf


011 Ritter und Knechte in Ringelpanzer und Sturmhaube mit festem Stirnschirm; der hölzerne Schild vorn, unten spitz, stark um den Leib des Trägers gebogen, hat die Form des Normannischen Ritterschildes. Zeit Ludwigs des Dicken: nach einer Miniatur in einem Psalter vom Ende des 11. Jahrhunderts.

Eine Mittelstellung zwischen den Sklaven und den Freien nahmen die Bauern ein. die man nach römischer Sitte: Kolonen nannte (lateinisch Coloni, französisch Colons, englisch, mit geringschätzender Bedeutung, im Sinne von Tölpel: Clowns). Daher auch der Knan des Simplicissimus. Wie die Sklaven konnten sie körperlich gezüchtigt
und bei gesetzwidriger Veräußerung oder Flucht eingezogen werden; wie die Sklaven besaßen sie ein kleines Vermögen, das jedoch zum Gute gehörte und nicht davon getrennt weiden sollte, so wenig wie sie, die Glebae Adscripti selbst. Während heutzutage die Bauerngüter den Bauern erb und eigentümlich zu gehören pflegen, war dies im Mittelalter keineswegs der Fall, sie wurden vielmehr den Bauern unter Anwendung lehnrechtlicher Grundsätze verliehen. Es hat zwar im Mittelalter freie Bauern gegeben; aber je höher die Zahl derjenigen stieg, die als Unfreie, Hörige oder Zinspflichtige das von ihnen bebaute Land nicht eigentümlich hatten oder wenigstens unter dem Schutze eines Grundherrn standen, um so allgemeiner wurde die Anschauung, dass ein Bauer nicht vollkommen frei sein könne. Viele glauben, dass das Institut des sogenannten Kolonats erst von Deutschland auf den Boden Italiens verpflanzt worden sei: jedenfalls hat es sich in Toskana unter dem Namen Mezzeria bis auf die Gegenwart erhalten.

012 Spatenkultur des 12. Jahrhunderts; die Haue oder der Karst ist das Abzeichen der Bauern, der sogenannten Karsthansen. Miniatur der Pariser Nationalbibliothek (Sainte Chapelle.

Nachdem das Land erobert und immer mehr germanisiert worden war, bildeten sich große Lehngüter des herrschenden Adels, in und neben welchen die Kolonen zu Hörigen mit erblichem Zinsrecht wurden und sich zu bäuerlichen Gemeinden zusammentaten. Dann entstand ein Kampf zwischen den mächtig gewordenen Städten und dem Landadel, welcher endlich bezwungen wurde. Das erbliche Zinsrecht der Bauern und ihr Gemeindeverband ging durch Auskauf der Besitzer unter. Das Land wurde freies Eigentum der Stadtbürger, die es in sehr kleine Güter, sogenannte Poderi, zerstückelten. Ein solches Podere wurde in Zeitpacht auf kurze Zeit ausgetan, meist gegen Entrichtung der Hälfte der Ernte in Natur, des Mediums, des Mezzo oder der Metà delle Ricolte. Damit, und nicht wie man gewöhnlich annimmt mit dem lateinischen Titel Major, hängen die Ausdrücke Meier, Meierei, Meiergut, Meierrecht, Meierbrief, Abmeierung zusammen; der Meier ist der die Hälfte der Ernte an den Gutsherrn abgebende Kolone oder Bauer, wie der Lehmann ein Lehenmann. Nur stellenweise hat Meier noch eine andere Herkunft. Diese beiden so weit verbreiteten Familiennamen sind gleichfalls noch sprechende Reste mittelalterlicher Zustände und Besitzverhältnisse.

Unter den Freien ragten die Edelinge hervor, die Angehörigen des hohen Adels, aus dessen Kreisen die Fürsten gewählt wurden. Reges ex nobilitate sumunt, sagt Tacitus von den Germanen; gewisse freie Geschlechter waren durch ihre Taten, ihre Verdienste ausgezeichnet, und diese hatten, unbeschadet der allgemeinen Gleichheit aller Freien, auf die Häuptlingsschaft ein traditionelles Anrecht. Erblichkeit gehörte also ursprünglich nicht zum Wesen der letzteren; doch wurde der König bei allen germanischen Völkern, solange es möglich war, aus einer und derselben königlichen Familie genommen.

013 Kolonen des 12. Jahrhunderts bei der Mahd: die Sensen Schleifsensen aus Gussstahl, die nicht gedengelt, sondern mit Wetzsteinen geschärft werden. Nach einer Miniatur in der Pariser Nationalbibliothek (Sainte Chapelle).

So sehen wir also im Fränkischen Reiche, wie später im Deutschen, jedesmal einen Hohn oder einen nahen Verwandten des Königs wieder König werden, und zwar so, dass der jeweilige König noch bei Lebzeiten einen Prinzen nannte, den er zum Nachfolger würdig erachtete, und dieser dann von den Großen und dem Volke bestätigt wurde. Erst wenn kein Glied der Familie den Erwartungen entsprach, wurde von der ganzen Dynastie ab und zu einer anderen Übergegangen. Das war der Fall bei den Merowingern, die fast drei Jahrhunderte lang auf dem fränkischen Throne saßen und deren letzter Spross, Childerich III. im Jahre 751 infolge einer Revolution abgesetzt, los sein Geschlecht auszeichnenden Schmuckes, des ungeschorenen Haupthaars beraubt und in ein Kloster gesteckt wurde, während Pippin der Kurze oder der Kleine, der zweite Sohn Karl Martells, ein Karolinger durch eine Versammlung der Franken zu Soissons mit Zustimmung des Papstes zum König ausgerufen ward. Pippin der Kurze, lautet ein alter Leim,

war nicht groß,
doch Karls des Großen Vater;
in allen Stücken fehlerlos,
ein treuer Volksberater.


Er starb am 24. September 768 in Paris, nachdem er das Reich unter seine Söhne Karl und Karlmann geteilt hatte; der erstere, der spätere Karl der Große erhielt Austrasien oder Ostfranken oder kurzweg Deutschland nebst einem Teil von Aquitanien (der späteren französischen Provinz Guienne). Karl wurde mit Karlmann zum König gesalbt, was sein kirchenfreundlicher Vater, der römische Patricius eingeführt hatte. Er war damals 26 (nach anderen erst 21) Jahre alt.

Pippin der Kurze war fränkischer Majordomus, zu deutsch: Hausmeier, eine Art Reichskanzler gewesen, eine Macht, die sich aus den Reihen der Aristokratie erhoben hatte und allmählich das Merowingische Königtum verschlang.

Von dieser Art schlichten Adels, der nur in natürlicher Vornehmheit und einem traditionellen Anspruch auf Hochachtung bestand, wesentlich verschieden ist jener Adel, der sich später aus dem Lehnswesen entwickelte und über fast alle Staaten Europas verbreitete. Zunächst als persönlicher Dienstadel, auf den Dienst des Königs gegründet, zu dem sich alles drängte, aber durch die Verbindung von Amt und verliehenem Grundbesitz nachgerade zum Erbadel versteinert.

Je näher der Person des Königs, desto edler dünkte sich einer. Konnte man dem Könige nicht selbst dienen, so suchte man sich einen königlichen Dienstmann: diesem diente man. Der Dienst adelte, der Dienst gab bei der Schätzung eines Individuums den Ausschlag; niemand war auf sich selbst gestellt, alles sah nach oben, es herrschte im ganzen Volk eine kindliche kastenmäßige, bureaukratische Gesinnung. Der Leibeigene erhob sich über den Freien, der Römer, der Gallier über den Genossen des herrschenden Stammes, den Franken, der erste beste Lump über den wohlhabenden Gutsbesitzer, wenn es ihm gelang, ein Hofamt oder sonst eine einträgliche Stelle zu erschnappen. Denn die Stelle führte zu Besitz und Reichtum; die Könige teilten ihren lieben Getreuen das eroberte Land aus, gaben ihnen gleichsam die Amtswohnung, die vererbte. Zunächst wurden die Heerführer bedacht, die das Feudum zu dem angestammten Allodialbesitze schlugen und ihre Herzogtümer erblich zu machen suchten; dann kamen die übrigen königlichen Beamten und die oben genannten Ministerialen dran, voran die Grafen, die gleichsam Regierungspräsidenten vorstellten und nach dem Salischen Gesetz in ihrem Gau die Befugnis hatten, vor Gericht zu laden und das Urteil zu vollstrecken. So entstand der hohe Adel, den die Lehenträger der Krone bildeten. Sie konnten als Lehnsherren zweiter Ordnung, wie wir sagen: als Landesherren ihren Ministerialen und ihren Mannen, die ihnen folgten, abermals Land verleihen, das abermals erblich wurde; so entstanden die sogenannten Rittergüter, deren Besitzer Ritterdienste zu leisten hatten, denn diese Untersassen bildeten die sogenannte Ritterschaft, was man später den niederen Adel nannte. Weil mit diesen Lehen kein öffentliches Amt, sondern nur die Verpflichtung zur Kriegsfolge verbunden war, gelang die Vererbung leichter als bei den reichsunmittelbaren Gütern der Grafen und der Freiherren.

Fortan dachte der Deutsche nur noch daran. Grundbesitzer zu werden. Seine Wanderungslust, der Hang nach Abenteuern hatte sich gelegt und einer Art Heimseligkeit Platz gemacht; das Land, das Gut, das Grundeigentum gewann eine Bedeutung, die mit der des Amtes und der Würde parallel lief. Wie der Dienst des Königs, so adelte die königliche Erde, an ihr hing gleichsam der Adel, sie war der Adel - die Begriffe von Sitz und Geschlecht sind in der alten Sprache gar nicht zu trennen, und der geringste Edelmann erinnert noch mit seinem von an das einzige richtige Adelsprädikat, wie so viele alte deutsche Namen, zum Beispiel Ulrich und Unland aus dem Landeigentum, dem Adel, dem Uodal hervorgegangen sind. Sie waren eben sesshaft geworden, die Nomaden, die Bandenführer, die zu Holze fahrenden Helden und Raufbolde; und wo sie ein Ruheplätzchen gefunden hatten, verwahrten sie sich nach Kräften, dass sie niemand störte.

014 Ahnenprobe der Ritter und Ausstellung ihrer Wappen im Heroldsamte vor dem Turnier. Die Edelleute haben ihre Fahnen zu den Fenstern herausgesteckt und ihre Schilde und Helme um Fries ausgehängt; ihr vornehmste macht den Anfang. Nach einer Miniatur in den Turnieren des Königs René, Handschrift der Pariser Nationalbibliothek (15. Jahrhundert).

Das war die Zeit der Burgen und der Schlösser; die Zeit, wo sich jedermann verschanzte, einschloss und isolierte und wie ein Adler auf einem einsamen, hohen, unzugänglichen Horste nistete. Die schroffen Felsen, die steilen Vorsprünge, die Uferwände der Flüsse wurden mit Türmen und Bergfrieden besetzt und mit einem Graben umgeben, der den Burgfrieden von der Umgebung schied, denn einen solchen festen Platz nannte man eine Burg, wie man die Höhe an sich als Berg bezeichnete. Alle Edelleute waren Burgunden, das heißt wörtlich: Bergbewohner. Neben den Höhenburgen gab es auch Wasserburgen, die in der Ebene lagen und rings von Wassergräben umgeben waren; sie fanden sich vornehmlich in der norddeutschen Ebene. Es ist nicht wahrscheinlich, wenigstens nicht notwendig, dass die Worte Burg und Berg mit bergen zusammenhängen; der Sache nach dienten sie freilich dazu, beim Herannahen des Feindes Menschen und Vieh zu schützen und zu bergen. Aber ebenso oft dienten sie den Inhabern zu Stützpunkten für ihre kriegerischen und räuberischen Unternehmungen: wie die Raubvögel saßen die Ritter spähend in ihren Felsennestern, um von hier aus auf den Feind, den Nachbar, den Reisenden zu stoßen und den letzteren auszuplündern. Das war Faustrecht, Polizei gab es keine, jeder hatte nur so viel Recht, als er sich selbst verschaffen konnte, jedermann half sich selbst. War einer erschlagen worden, so nahm die Familie Blutrache, wenn sie sich nicht mit dem Wergeld abfinden lassen wollte, und begann Fehde, was so viel ist wie Feindschaft. Lebte ein Ritter mit einer ganzen Stadt in Fehde, so brannte er ihre Dörfer nieder oder fing friedliche Kaufleute ab wie Götz von Berlichingen. Oft geschah das wohl auch ohne Absage und ohne Fehde. Durch die Karolingische Gesetzgebung wurde die Fehde untersagt, doch gelang es niemals, sie völlig zu unterdrücken; selbst nachdem der Reichstag zu Worms 1495 den ewigen Landfrieden erzwungen hatte, der jede Art Selbsthilfe bei Strafe von 2.000 Mark in lötigem Gold verbot, dauerte das Fehderecht noch fort.

015 Ritter in voller Rüstung: Panzerhemd oder Brünne, darüber der Waffenrock; Halsberge, Kesselhaube; Beinschienen, Kniekachel. Mandelförmiger Schild, der an der Schildfessel über der linken Schulter hängt. Lederner Rosspanzer. Nach einer Miniatur in einem Psalter aus der Zeit Ludwige des Dicken (1108 - 1157)

Allmählich erweiterte sich der Begriff Burg zu dem eines befestigten Ortes überhaupt. Auch die friedlichen Bürger wohnten im Mittelalter nicht in offenen Städten, sondern in geschlossenen Burgen, daher hießen sie eben Bürger. Sie heißen noch heute so, noch heute wohnen die Deutschen in Magdeburg, in Augsburg, in Regensburg, in Straßburg, und wenn die Stadt selbst nicht mehr für eine Burg gilt, so hat sie doch noch einen Burgemeister und einen Burgkeller, ihre Bürgerschulen und ihre bürgerliche Nahrung. Der sächsische Bauer, der im Auftrag Ludwigs des Frommen den Heiland dichtete, spricht nicht von der Stadt Jericho, sondern von Jerichoburg, Dietrich von Bern reitet zu einem Feste nach Romaburg zu seinem Oheim, dem König Ermrich, und König Rother hört zu Bari von einer wonniglichen Jungfrau, des Kaisers Tochter, die fern im Osten zu Konstantinopel, der berühmten Burg wohnt. Das kommt daher, dass Burgen häufig Ausgangspunkte städtischer Niederlassungen gewesen sind und die Städte selber die Bestimmung und das Aussehen von Burgen hatten. Die ersten Städte in Deutschland erwuchsen aus den am Rhein und an der Donau angelegten Lagern und Kastellen der Römer; nachmals bildeten sie sich um die Burgen, namentlich um die, welche Heinrich I., der Städtegründer zum Schutze der deutschen Landschaft baute. Die großen Hofburgen erschienen dann wie Städtchen, Zitadellen in der Stadt und schlossen sich den Befestigungen derselben an. So zum Beispiel die Kaiserpfalz zu Oppenheim und die Burg zu Nürnberg. Darum führen auch die meisten Städte in ihren Wappen die Mauern und die Türme einer Burg; man betrachte zum Beispiel das dreitürmige Kastell auf einem Hamburger Zwanzigmarkstück. Und so ist es in der ganzen Welt gewesen, überall haben Burgen den Kern abgegeben, an den die Städte angeschossen sind. In Griechenland lagen die letzteren gewöhnlich hoch, auf einem Hügel oder einem Felsen: auf dem Gipfel des Felsens war ein Turm oder eine Festung. Die Stadt hieß die Polis und die Festung die Akropolis. Als Ulfilas im 4. Jahrhundert die Bibel ins Gotische übersetzte, wählte er für Polis das Wort Baurgs, welches eben so viel wie Burg ist.

016 Ein Mitglied des hohen Adels huldigt Karl dem Großen, streckt ihm die Hand entgegen, die der König in die seinigen schließen wird, und leistet den Lehnseid. Ein Beamter hält ein Zepter, das Neigen desselben ist das Zeichen der gewährten königlichen Gnade, das Berühren oder Küssen desselben das Zeichen der Unterwürfigkeit. Nach einer Miniatur auf farbigem Grund aus der Chronik von Saint-Denis. Handschrift des 14. Jahrhunderts. Bibliothek des Arsenals zu Paris.

Man kann sagen, dass aus den Burgen die Städte und aus den Städten einst die Reiche erwachsen sind.

017 Pflügender Bauer; die Frau hat den Stachel in der Hand. Nach einer Miniatur in einer alten angelsächsischen Handschrift (Shaw). Die Legende lautet ungefähr: God spede the plough: and sende us korne [enough], das ist: Gott segne (spute) den Pflug und sende uns Korn [im Überflusse]. Das angelsächsische Wort für Pflug ist eigentlich Sulh; spédan, englisch speed, soviel wie Gedeihen geben.

Weil im Altertum der Begriff des Staates mit dem der Gemeinde zusammenfiel. Bei den Griechen und Römern war die Stadt zugleich ein Staat. Das war bei den germanischen Völkern nicht der Fall; hier beruhte alle staatliche Organisation auf der Gemeinde. Es dauerte unendlich lange, bis sich die einzelnen Gemeinden zusammenschlossen und Völkerbündnisse entstanden. In den ersten Zeiten des Mittelalters bestand in Deutschland ein ganz freies Gemeindewesen, aber die Freiheit der Landgemeinden trat mehr und mehr vor der grundherrlichen Gewalt zurück, und der herrschaftliche Vogt, Amtmann oder Rentmeister übernahm die Verwaltung an Stelle der Genossenschaft, wenn er die letztere auch nicht ganz verdrängen konnte. Dagegen kam die politische Tätigkeit in den Städten zu einer reichen Entwicklung: sie wurden allmählich allen staatlichen Aufgaben gerecht, sogar der der Landesverteidigung, indem das Schutzverhältnis, in welchem sie zum Kaiser oder zum Landesherrn standen, meistens unzulänglich war. Während sich auf dem platten Lande die Verfassung immer feudaler gestaltete und die lehnrechtlichen Verhältnisse die obrigkeitlichen völlig ersetzten, wurden in den größeren Städten die Grundgedanken des modernen Staates zur Durchführung gebracht, hier war Polizei, Wohlfahrtspflege, Rechtsschutz und Gleichheit vor dem Gesetz zu finden — das Reich löste sich in tausend einzelne Gebiete und Gutsherrschaften auf, die durch das lehnrechtliche Treu- und Schutzverhältnis lose zusammengehalten wurden, aber die Stadtgemeinden organisierten sich zusehends, sie entfalteten sich wie die Stadtstaaten des Altertums zu politischen Körpern, sie wurden daher auch in allen Beziehungen die Vorbilder der neueren Staaten.

018 Fremdling zu einer Lehenfrau in das Verhältnis der Leibeigenschaft tretend und ihr das Versprechen in die Hände gebend. Die Handtreue wird angedeutet. Miniatur, K. Bibliothek zu Brüssel. 10. Jahrhundert.

Die Auseinandersetzung zwischen Staat und Gemeinde, die Abgrenzung der nationalen und der örtlichen Interessen vollzieht sich überall langsam und den Lebensstufen des Volks entsprechend. Es besteht ein Gegensatz zwischen Gemeinde und zwischen Staat. Und doch hängt die Geschichte aller Staatsverfassungen mit der Geschichte der Gemeindeverfassungen aufs innigste zusammen.

Lassen wir einmal die modernen Riesenstädte, die Fabriken, die Eisenbahnen, die Telegraphen Stangen plötzlich vor uns versinken, ziehen wir den glänzenden Mantel der Kultur vom Boden des Deutschen Reiches weg und versetzen wir uns mit unserer Phantasie in die Zeit Karls des Großen. Wie arm, wie unwirtlich, wie waldig und morastig sieht das Land noch aus, das einst so dicht bevölkert, so durcharbeitet und durchbildet, so voll geistiger Spuren werden soll!

019 Bürgerssöhne vom Ende des 18. Jahrhunderts. Lange Mäntel mit Kapuzen oder Gugelhauben, Mönchskutten ähnlich; an den Füßen Entenschnäbel, die über dem Spann ausgeschnitten sind. Die Kapuze heißt Gugel oder Schaperûn (französisch Chaperou) Nach einer Miniatur in der Nationalbibliothek zu Paris.

Noch sieht man nicht Weg noch Steg; aus der menschenleeren Einöde bebt sich hier und da eine feste Stadt oder eine Ritterburg hervor, dazwischen erblickt man ein einzelnes Gehöft, um das die Kolonen und die Leibeigenen das Feld mit ihrem Karst bestellen oder die Wurzeln des Buschwerks mit der Radehacke ausroden. Es ist ein Teil des christlichen Weltreichs, das Karl der Große geschaffen hat. Im Norden bildet die Eider, wie durch das ganze Mittelalter hindurch, die Grenze, von da erstreckt es sich hinunter bis zum Südabhang der Alpen, während es in der Breite von der Elbe und dem Böhmerwald bis zur Mosel und zur Maas reicht. Die Südgrenze lässt sich nicht so genau bestimmen, weil die meisten Alpentäler bis auf gewisse Verkehrsstraßen noch Wildnis sind. Die Länder jenseits der Elbe und des Böhmerwaldes waren während der Völkerwanderung an die Slawen verloren gegangen, die Grenzgebiete sind daher zu sogenannten Marken unter Markgrafen erhoben worden, die das Binnenland wie Deichinspektoren vor feindlicher Überflutung schützen sollen und die in gerichtlicher und militärischer Beziehung eine noch größere Gewalt haben als die Grafen des Inlandes. Die Entstehung des Markgrafenamtes fällt in die Zeiten Karls des Großen. Das ganze Frankenreich hatte sechs Marken, die bretonische, die spanische, die friaulische, die österreichische, die serbische und die dänische Mark, wie wir jetzt sagen: Dänemark — Mark ist das deutsche Wort für Grenze, Grenze selbst slawisch (Granica, Hranice). Was innerhalb dieser Marken liegt, ist im Karolingischen Reiche in zahlreiche Gaue zerlegt, die von den eigentlichen Grafen, den Gaugrafen, verwaltet werden, der Rheingau, der Aargau, der Schwabengau, der Hessengau, der Hennegau sind solche Grafensprengel; ihre politische Bedeutung wird schwinden, wenn die geistlichen und weltlichen Großen durch königliche Verleihung für ihre Besitzungen Befreiung von der gräflichen Gewalt erwerben und die Grafen sich in dem so geschmälerten Amtsbezirk in erbliche Dynasten verwandeln werden, sodass fortan in einem und demselben Gau mehrere Grafen zugleich Recht sprechen. Der Graf ist besoldet, er hat einen Anteil an den gerichtlichen Strafgeldern und die Nutznießung eines für die Amtsdauer verliehenen Landgutes; diese Verbindung des Grundbesitzes mit dem Amte ist es, was allmählich zu einer gänzlichen Umgestaltung des Verhältnisses führen muss. Unter Karl dem Großen bildet die Grafschaftsverfassung mit ihrer Beaufsichtigung durch außerordentliche Kommissare (Sendgrafen) die Grundlage der ganzen Regierung.

020 Auswandernder Bauer, der königlich werden will. Bauerntracht im 15. Jahrhundert: Ärmeltunika, Kittel voll grober Leinwand. Bundhaube und Hut; anstatt der Hosen Wadenstrümpfe, die über den Knöcheln gebunden sind, an den Füßen Kuhmäuler. Er schultert seine Hacke wie ein Gewehr, am Gürtel hängt eine Feldflasche. Nach einer Miniatur in einem Totentanz der Pariser Nationalbibliothek.

Der Titel Graf, in der latinisierten Form Grafio zuerst im Salischen Gesetz vorkommend, ist höchst wahrscheinlich nur der byzantinische Hoftitel: Schreiber, Geheimschreiber, barbarisch umgeformt und von den fränkischen Königen für ihre höchsten Beamten gewählt. Weil der Graf für den König dasselbe bedeutete, was der Comes, der offizielle Begleiter, für den römischen Statthalter im Kaiserreiche gewesen war: das Organ seiner Verwaltung, so führte er auch diesen lateinischen Titel, aus dem das französische Comte und das italienische Conte hervorgegangen sind. Markgraf wurde ebenfalls latinisiert und in Marchio verwandelt; das italienische Marchese und das französische Marquis, auf Marchensis zurückgehend, sind bloße Adelstitel. Der Marquistitel bildet in Frankreich die Übergangsstufe vom hohen zum niederen Adel; in Italien steht der Marchese dem Range nach vor dem Grafen.

Und wie der Graf ist jedermann Beamter wie der Graf, lebt jeder von seinem Amte, niemand scheint etwas zu haben, ausgenommen der König — Deutschland ist eine Hierarchie des Staatsdienstes und diese Hierarchie der Adel.

Das Wort Hierarchie gehört der Katholischen Kirche an, sie bezeichnet damit die Stufenfolge der Geistlichkeit, wohl auch die der Heiligen und der Engel. Bekanntlich wird der Begriff auch von andern, unkirchlichen Bangordnungen gebraucht, man spricht von einer militärischen, einer sozialen Hierarchie. Nun, auf keine Leiter lässt es sich wohl besser anwenden als auf die, welche vom letzten Aftervasall bis zum heiligen Oberlehnsherrn und von der Bauernhütte bis zum Thron des Königs reichte; denn niemand lebte, der nicht der Mann eines andern gewesen wäre. Eine freie, unabhängige, aus gleichen Gruppen bestehende Gesellschaft gab es nicht, es gab nur Herren und Diener, die nach oben zu wieder Herren und nach unten zu wieder Diener hatten. Die Menschheit stand auf Sprossen.

Im 16. Jahrhundert verfasste ein geschickter Kompilator, Sebastian Franck in Ulm ein Weltbuch, Spiegel und Bildnis des ganzen Erdbodens (Tübingen 1534). Dasselbe enthält eine Beschreibung Deutschlands, welche ein Gegenstück zu der Germania des Tacitus genannt wird. Manches hat er der Germania des Tacitus, das meiste Schedels Chronik und Johann Böhmes Omnium gentium mores entnommen, ohne die Quelle zu nennen. Er sagt, Germania habe jetzt vier Stände: zuerst geistlich Pfaffen und Münch; der andere Stand Germanie ist der Adel; der dritt Stand ist die Burgerschaft oder Stadtleut; der viert Stand sind die Bauern. Schon diese Vierteilung hat für uns etwas Befremdliches — wir vermissen Stände, die zur Charakteristik der Gegenwart gehören, zum Beispiel das Militär, wir würden namentlich den dritten Stand, die Stadtleute, in eine Menge einzelner, scharf gesonderter Stände spalten. Wo bleibt die Finanz, wo bleibt der Richterstand, wo bleibt der Arbeiterstand? — Sieben Jahrhunderte vor Sebastian Franck waren noch nicht einmal die vier namhaft gemachten Stände herausgearbeitet und entwickelt.

021 Beizender italienischer Edelmann vom 15. Jahrhundert, den Falken auf der linken, mit einem starken Lederhandschuh bekleideten Faust; der herabhängende Riemen ist die Fessel. Hinter ihm ein Diener mit zwei Stöberhunden an der Leine. Der Herr ist in Kaskett, Birschgewand von Pfellel, Wams und ledernen Strumpfhosen; er scheint abgestiegen zu sein, trägt lange goldene Sporen und zertritt den Leuten das Gras, wozu er das Recht hat. Nach einer Spielkarte, Kupferstich vom Jahre 1460. Kupferstichkabinett der Pariser Nationalbibliothek.

Von dem geistlichen Stand, der nur ein apostalischer Adel war, und von dem Bauernstand, der noch nicht recht zählte, musste man fast noch absehen, und die Städte, die Burgen hießen, waren auch noch Burgen, die als solche dem platten Lande, den Dörfern entgegenstanden, sie schienen mit ihren Mauern und Türmen nur eine andere Art notfester Schlosser zu sein, wie sie die Adelsgeschlechter bauten. In Summa, in dem Deutschland Karls des Großen gab es eigentlich nur einen einzigen rechten Stand, das war der Adelstand. Und der Adelstand war zugleich der Beamtenstand, der nicht besoldet, sondern vom König mit Leuten und Landen, mit Wiesen und Feldern beliehen ward. In ihn hatte sich der alte Stand der Freien durch das Gefolgschaftswesen allmählich und zum großen Schaden des Volks verschoben. Es sollte lange dauern, bis in den Städten ein neuer freier Stand, der Bürgerstand heraufkam, der die Vorstufe zu der modernen Freiheit, dem allgemeinen Staatsbürgertum, ist.

022 Geldtasche. Nach einem Wandteppich von Orleans. (15. Jahrhundert)

001 Fränkischer Jüngling

001 Fränkischer Jüngling

002 Franke des 4-8. Jahrhunderts

002 Franke des 4-8. Jahrhunderts

003 Römische Infanterie

003 Römische Infanterie

004 Germanischer Krieger

004 Germanischer Krieger

005 Leibeigene den Eid der Untertänigkeit leistend

005 Leibeigene den Eid der Untertänigkeit leistend

006 Fränkischer König oder Herzog im Krönungsornat

006 Fränkischer König oder Herzog im Krönungsornat

007 Der Merowinger Childerich

007 Der Merowinger Childerich

008 Der zwanzigjährige Kronprinz Karl

008 Der zwanzigjährige Kronprinz Karl

009 Karl der Große

009 Karl der Große

010 Schloss Gaillard

010 Schloss Gaillard

011 Ritter und Knechte in Ringelpanzer

011 Ritter und Knechte in Ringelpanzer

012 Spatenkultur des 12. Jahrhunderts

012 Spatenkultur des 12. Jahrhunderts

013 Kolonen des 12. Jahrhunderts bei der Mahd

013 Kolonen des 12. Jahrhunderts bei der Mahd

014 Ahnenprobe der Ritter und Ausstellung ihrer Wappen

014 Ahnenprobe der Ritter und Ausstellung ihrer Wappen

015 Ritter in voller Rüstung

015 Ritter in voller Rüstung

016 Ein Mitglied des hohen Adels huldigt Karl dem Großen

016 Ein Mitglied des hohen Adels huldigt Karl dem Großen

017 Pflügender Bauer

017 Pflügender Bauer

018 Fremdling zu einer Lehensfrau in das Verhältnis der Leibeigenschaft tretend

018 Fremdling zu einer Lehensfrau in das Verhältnis der Leibeigenschaft tretend

019 Bürgersöhne vom Ende des 13. Jahrhunderts

019 Bürgersöhne vom Ende des 13. Jahrhunderts

020 Auswandernder Bauer, der königlich werden will

020 Auswandernder Bauer, der königlich werden will

021 Beizender italienischer Edelmann vom 15. Jahrhundert

021 Beizender italienischer Edelmann vom 15. Jahrhundert

022 Geldtasche. Nach einem Wandteppich von Orleans (15. Jahrhundert)

022 Geldtasche. Nach einem Wandteppich von Orleans (15. Jahrhundert)