Abschnitt. 2

So hatten wir unsere, wie wir glaubten, ersten und vorläufigen Einrichtungen für die Annehmlichkeit der Winterquartiere getroffen, als plötzlich der Brand an mehreren Stellen der Stadt zugleich ausbrach. Anfangs glaubten wir, das Feuer sei durch die Sorglosigkeit unserer eigenen Soldaten veranlaßt worden, und waren sehr bestürzt, da der Kaiser strenge Befehle gegeben hatte, die Stadt so viel wie möglich zu schonen. Doch bei der sorgfältigsten Untersuchung erfuhren die beteiligten Offiziere von ihren Untergebenen, daß sie gänzlich unschuldig an dem entstandenen Unglück seien, ja, daß man beim ersten Betreten eines bis dahin verschlossenen Hauses das Feuer habe entstehen sehen. Auch wollten sie wild aussehende Russen bemerkt haben, die mit langen eisernen Haken beschäftigt gewesen seien, das Feuer noch mehr anzuschüren und weiter zu verbreiten. Wir waren im höchsten Grade bestürzt, doch schien es, als wenn es unsern vereinten Anstrengungen gelingen würde, des Feuers Herr zu werden. Wirklich zeigte sich am 15. September eine bedeutende Abnahme desselben, so daß der Marschall Mortier dem Kaiser meldete, das Feuer sei gelöscht. Aber in der folgenden Nacht griff es mit erneuter, vergrößerter Heftigkeit um sich und erreichte am Tage darauf eine solche Höhe, daß es den Kreml von allen Seiten in ein undurchdringliches Feuermeer einhüllte. Es ist bekannt, daß Napoleon erst dann, und zwar mit größter Lebensgefahr dieses alte, den Russen heilige Gebäude verließ und sein Quartier in dem kaiserlichen Lustschloß Petrowsky, eine Meile von der Stadt entfernt, nahm.
Drei Tage hindurch wütete das Feuer mit unbeschreiblicher Heftigkeit in dem unglücklichen Moskau, ließ am 19. nach und war am 20. erloschen. Kaum ein Drittel der Stadt war von den wütenden Flammen verschont geblieben, unter diesem jedoch, durch die Anstrengungen der Garde, der Kreml, den der Kaiser am 20. wieder bezog. Aber auf seinem Wege dorthin, welche Szenen boten sich ihm dar! Jede Art der Disziplin und des Gehorsams hatte aufgehört; was früher nur teilweise und gleichsam unter der Hand als Plünderung stattgefunden, geschah nun offenkundig und hatte sich gleich einem reißenden Strom über alle Teile der Stadt verbreitet. Es war ein Laufen und Rennen der bepackten Soldaten, welche keine Schilderung getreu wiederzugeben vermag. Gegenstände der kostbarsten Erzeugnisse Asiens und Europas sah man zerstreut oder in aufgehäuften Massen umherliegen, vermengt mit aufgerollten Blechbekleidungen der eingestürzten Dächer. Die Straßen waren damit angefüllt, die Wege versperrt. Der Kaiser zeigte bei seinem Einzug eine tiefe Niedergeschlagenheit über den Greuel, der sich seinen Blicken darbot. Seine Umgebung bemerkte eine Ruhelosigkeit, eine Aufregung an ihm, wie sie bis dahin nie stattgefunden, und wie sie so wenig zu der düstern Verschlossenheit seines Charakters und zu dem Gepräge seines Äußern paßte. Es war die Ungewißheit darüber, was das Ende von alledem sein würde, und man weiß, wie hinterlistig damals die russischen Führer die Unterhandlungen des Kaisers mit Alexander in die Länge zogen oder hintertrieben, und wie sie namentlich Murat, den der Schmeichelei so zugänglichen Mann, durch falsche Vorspiegelungen von Bewunderung und Achtung zu blenden wußten, so daß darüber das eigentliche Ziel, günstige Bedingungen von Rußland zu erhalten, aus den Augen verloren wurde.
Auch wir waren in der Nacht des 14. September aus unserm obenerwähnten Palast durch das Feuer, welches auf unbegreifliche Weise bei unserm Erwachen uns schon von allen Seiten umfing, vertrieben worden und waren nach der deutschen Vorstadt, einer bis dahin noch unversehrten Gegend, geflohen, wo wir von den dort einquartierten Garden kameradschaftlich aufgenommen wurden. Hier suchten wir die Leute vom Regiment so viel wie möglich zu sammeln, aber, wie ich schon oben angedeutet, jede Spur von Ordnung hörte alsbald auf, und jeder folgte seinem eigenen Willen und seinen besonderen Gelüsten. Erst nachdem das Feuer wieder nachgelassen, sahen wir uns in der Stadt nach einem neuen Wohnplatz um und entdeckten einen solchen in dem schönen Erdgeschoß eines verbrannten Palastes in der Nähe einer öffentlichen Promenade. Zu unserer größten Überraschung fanden wir den Ort bewohnt, und zwar von einem alten Russen mit langem Bart, den wir nicht vertrieben, sondern wie unsern Wirt betrachteten und in seinem Raum ungestört ließen. Hier richteten wir uns mit der Leichtigkeit eines Feldsoldaten bequem und selbst mit Annehmlichkeit ein; denn wir waren bald mit allem nötigen zur Führung eines leidlichen Haushalts versehen. Der fühlbarste Mangel, der bald darauf für uns eintrat, war der an Tabak, und ich beauftragte meinen früher erwähnten Furier Lippe, der inzwischen von seiner Verwundung ganz hergestellt war, mir solchen zu verschaffen. Nach langem vergeblichem Suchen fand dieser, gleichfalls in einem Erdgeschoß, einen bejahrten Russen, dem er, ein Fünffrankenstück zeigend, das Wort „tabacco“ nannte. Zuerst hatte der alte Normanne das Haupt mit großer Ruhe geschüttelt und war wie ein lebloser Hüter vor einem vergitterten Kellergewölbe stehen geblieben; aber bei dem Anblick eines zweiten Fünffrankenstücks war Leben in ihn gekommen, er hatte sein wohlgehütetes Gewölbe betreten, es vorsichtig hinter sich verschlossen und war dann mit einer starken Handvoll langen türkischen Tabaks zurückgekehrt. Nun hatte aber Lippe seinerseits mit dem Kopf geschüttelt und dem Alten bedeutet, daß er mehr haben müsse. Zuletzt, als sie handelseins geworden, sah sich mein Furier im Besitz einer ganzen Tonne voll jenes herrlichen Erzeugnisses, welches er mir triumphierend überbrachte und wovon mir ein Teil in späterer Zeit wichtige Dienste tun sollte!
Wie gesagt, unser kleiner Haushalt befand sich in vortrefflichem Zustand, Unsere Leute wußten alles anzuschaffen, was unsern Tisch zu einem der besten machen konnte, der in dieser zerstörten Stadt zu finden sein mochte, und während sie kochten und brieten, besahen wir das zerstörte Moskau sowie den erhaltenen Kreml in allen Einzelheiten, ohne Ahnung unserer schrecklichen Zukunft und sicher, wie wir uns dünkten, unter dem besonderen Schutz und der unmittelbaren Nähe des Kaisers.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mit der großen Armee 1812