Miniaturen und Silhouetten

Ein Kapitel aus Kulturgeschichte und Kunst
Autor: Boehm Max von (1860-1932) deutscher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1919
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Miniatur, Kulturgeschichte, Napoleon, Französische Revolution, Kunstgeschichte, Max von Boehm, Schmuck, Innendekoration, Silhouette, Holbein, Miniator, Widmungsblätter, Mittelalter, Hilliard, Isaak OLiver, Coopor, Miniaturmaler, Malgrund, Haarmalerei, Lackmalerei, Emaillemalerei, Dixon, Füger, Ferdinand Laban, Dudley Heath, Henri Bouchot, L. Propert, C. Wiliamson, Pierpont Morgan
Die Technik

Unter Miniatur verstehen wir ein Gemälde kleinsten oder allerkleinsten Umfangs, in erster Linie ein Bildnis. Der Name hängt mit der Buchmalerei des Mittelalters zusammen. Miniator nannte man den Schreiber, der in die mit schwarzer Tinte ausgeführte Handschrift die großen Buchstaben, Kapitel- und Satzanfänge mit roter Farbe „Minium“ einzeichnete. Aus dieser Tätigkeit entstand allmählich die Kunst der Miniaturmalerei in Deckfarben mit Goldhöhung, eine Kunst, die im fünfzehnten Jahrhundert zu höchster Blüte gelangte. Schon früh findet man in den mittelalterlichen Handschriften Darstellungen, die man als Bildnisse ansprechen möchte. Meist handelt es sich um die Widmungsblätter, Szenen, in denen der Verfasser sein Werk einem Fürsten oder einer Fürstin überreicht. Wenn dieser Vorgang auch mit der größten Sorgfalt hinsichtlich der Kostüme und des Schmuckes ausgeführt zu sein pflegt, so erscheint es doch mehr als zweifelhaft, ob man in den Gesichtern der handelnden Personen Porträtzüge erkennen darf.

Das eigentliche Bildnis erscheint erst am Ende des Mittelalters mit dem Augenblick, in dem die Renaissance den in tausend Fesseln geschmiedeten Menschen zur Persönlichkeit befreit. Bis dahin war der Einzelne in allen Beziehungen seines Lebens in der Masse untergegangen und durch alle Verhältnisse staatlichen, bürgerlichen und kirchlichen Lebens korporativ gebunden gewesen. Das Einzelwesen gewann erst Bedeutung, sobald es in Korporationen, Zünften, Orden, Bruderschaften mit anderen seinesgleichen zusammengeschlossen war. Solange dieser Zustand währte, konnte ein Interesse am Porträt kaum erwachen, erst die Renaissance, welche menschliche Größe nicht in der Masse, sondern in der hochentwickelten Persönlichkeit suchte, verlangte nach dem Bildnis, denn sie wollte auch in Haltung und Gesichtszügen Wesentliches und Bedeutendes erkennen. Die großen Maler der italienischen Früh-Renaissance waren die ersten, die wirklich getreue Abbilder ihrer Zeitgenossen in Fresken und Tafelbildern geschaffen haben.

Abb. 02. H. Holbein d. J., Heinrich VIII von England
Abb. 03. H. Holbein d. J., Anna von Cleve
Abb. 04. Hilliard, Maria Stuart


In der Buchmalerei taucht das Bildnis weit später auf, als wirklich ähnliche Porträts wird man erst die Schöpfungen von Jean Clouet (1485 — 1544) ansprechen dürfen. Er war Maler des französischen Hofes und hat beispielsweise in eine Handschrift der „Commentaires de la guerre gallique“, die sich heute in der Bibliotheque Nationale in Paris befindet, Bildnisse von Hofleuten in der Größe eines Fünf-Francsstückes eingemalt. Die Sammlungen des Herzogs von Aumale in Chantilly, das British Museum und wohl noch andere Bibliotheken bewahren ähnliche Stücke seiner Hand. Das Porträt im Kleinen war damit fertig, man durfte es nur mehr aus dem Buche entfernen, einrahmen oder fassen, um eine Miniatur im heutigen Sinne zu besitzen. Dieser letzte Schritt oder Schnitt, wenn man lieber will, soll nach Henri Bouchot zu der Zeit geschehen sein, als König Karl VIII. sich anschickte, seinen berühmten romantischen Zug über die Alpen anzutreten. Da hätten die Ritter, die den König nach Italien begleiteten und sich auf lange, vielleicht für Immer von den Damen ihres Herzens trennen mußten, diesen wenigstens ihre Bildnisse zurückgelassen und solche ihrer Schönen dafür mitgenommen. Der galante Franzose mag mit seiner zartsinnigen Vermutung recht haben, erhalten hat sich indessen aus dieser Zeit kein Stück, das diese Behauptung zu stützen vermöchte, denn die frühesten Einzelminiaturen, die man kennt, gehen nicht vor das zweite Drittel des sechzehnten Jahrhunderts zurück.

Abb. 05. Hilliard, Gabrielle d'Estrées
Abb. 06. Isaak Oliver, Familienbild
Abb. 07. Isaak Oliver, Unbekannte Dame
Abb. 08. Isaak Oliver, Familie Digby
Abb. 09. Hoskins d. Ä., Königin Henrietta Maria
Abb. 10. Coopor, Oliver Cromwell
Abb. 11. Cooper, Lady Walter


Das Einzel-Kleinbild konnte auf zwei Wegen erreicht werden, einmal, indem die Tafelmaler ihre Formate immer mehr beschnitten und ihre Farben immer spitzpinsliger aufsetzten, dann durch die Buchmaler, die ihr mit Wasser oder Deckfarben angefertigtes Bildchen aus der Handschrift lösten und durch eine Fassung isolierten. Die Technik der Miniaturmalerei verrät diesen zweifachen Ursprung. Viele Miniaturen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts sind in Ölfarben auf Blättchen von Kupfer, Silber, Schiefer, manchmal sogar auf Gold ausgeführt, ihre Verfertiger kamen von der Staffelei der großen Kunst. Die Mehrzahl der Miniaturmaler bediente sich nicht der Ölfarben, die sich für diesen Zweck so wenig eignen, sondern der Deckfarben (Guasche) oder der Wasserfarben. Sie wählten als Malgrund Pergament oder Karton, Holbein und einige der aus seiner Schule hervorgegangenen Künstler benutzten mit Vorliebe die Rückseite von Spielkarten. Bei dieser Art der Ausführung bleibt der Grund stehen und wird vom Maler als Ton für Gesicht und Hände benutzt, alles übrige aber mit Lagen von kleinen Streifen und Punkten bedeckt. Es war ein großer Fortschritt, als am Ende des siebzehnten Jahrhunderts das Elfenbein als Malgrund aufkam. Lemberger kennt zwar eine Miniatur auf Elfenbein aus dem Jahre 1577, die Herzogin Dorothea Ursula von Württemberg darstellend, es ist die früheste deutsche Miniatur auf diesem Material, aber eine Ausnahme; zu allgemeiner Bedeutung gelangt das Elfenbein erst ein Jahrhundert später. Es wurde nicht so bald bekannt, als es auch sofort die übrigen Materialien in den Hintergrund drängte. Die Vorzüge des Elfenbeins gegenüber dem Pergament oder Papier bestehen in der zarten natürlichen Transparenz, die es dem Inkarnat mitteilt. Ein auf Elfenbein angelegter Teint bekommt eine durchsichtige Frische, einen Schimmer von Blut und Leben, wie ihn in dieser Wärme und Zartheit kein anderer Grund herzugeben vermag, Papier behält stets etwas Kalkiges, Pergament aber spielt fast immer ins Gelbliche. Die Technik vervollkommnet sich seit der allgemeinen Verwendung der Elfenbeinplatten in außerordentlicher Weise; in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts besaßen die französischen Miniaturmaler bereits 17 bis 18 verschiedene Töne für die Nuancierung der Fleischfarbe, Jean Baptiste Jacques Augustin (1759—1832) hat diese Zahl sogar bis auf 25 verschiedene Tinten gesteigert. In Paris konnte man zur Zeit Ludwig XV. die Farben, die der Miniaturmaler brauchte, bereits im Handel fertig kaufen, während der Ölmaler immer noch darauf angewiesen war, sich seine Farben selbst zu bereiten. Um die Transparenz des Elfenbeins wenn möglich noch zu steigern, legte man oft eine Zinnfolie darunter, deren Glanz die Leuchtkraft der Farbe erhöhte, im Laufe der Zeit aber durch Oxydation das Gegenteil bewirkt hat und das Kolorit jetzt häufig schwer und trübe erscheinen lässt. Die Künstler haben in der Erfindung allerhand kleiner Kunstgriffe miteinander gewetteifert, um ihren Erzeugnissen immer neue Reize mitzuteilen und durch immer neue Verbindungen von Material, Farbe und Zutaten neue und überraschende Wirkungen zu erzielen. So erfand Armand Vincent de Montpetit († um 1800) eine Technik, die man eludorische Malerei nennt. Die Malerei wird dabei in Ölfarben auf Leinwand oder Taffetseide ausgeführt und mit durchsichtigem Leim auf die Rückseite geschliffener Gläser geklebt. In dieser Technik, die in ihrem Effekt an die Hinterglasmalerei oder Eglomisé erinnert, zeichneten sich außer dem Erfinder noch Genillon, Martin Drolling und Gérard von Spaendonck aus. August Grahl (1791 — 1868) kombinierte Ölfarben mit Elfenbein und ist sein ganzes Leben lang nicht müde geworden, in der Technik seiner Kunst zu experimentieren. Fast waren ihm die Studien über Farben und Material lieber, als die Ausübung der Malerei selbst, alle seine Entdeckungen aber sind, da er nichts aufschrieb, mit seinem Tode verloren gegangen. In England kam im siebzehnten Jahrhundert neben der gemalten Miniatur eine andere Art auf, die man Plumbago nannte. Das Bildnis wurde dabei mit Stiften und der Estampe angefertigt, so wie etwa der Kupferstecher Schwarzkunstblätter zu vollenden pflegt. Mit der Feder ausgeführte Miniaturen waren in dieser Zeit auch in Deutschland häufig, am Ende des Jahrhunderts zeichnete sich in Augsburg ein gewisser Johann Michael Püchler in Bildnissen aus, bei denen er Haar und Kleidung in Schriftzügen ausführte. Die Texte waren in der Regel eine Lebensbeschreibung des Dargestellten. Derartige Spielereien waren sehr beliebt, so hatte z. B. Hans Wechter in Erfurt 1640 das Bildnis König Christian IV. von Dänemark in Diminutiv-Schrift entworfen und dazu die 12 Kapitel des Predigers Salomonis, das fünfundzwanzigste Kapitel der Sprüche Salomonis, das fünfte Kapitel des Buches der Weisheit und das dritte Kapitel des ersten Buches der Könige verwendet. Ähnlich spielerischer Art sind andere Techniken, so führt Lemberger sogar gestickte Miniaturbildnisse an, in denen in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts Karoline Friederike Schlözer in Göttingen glänzte. Auch die Haarmalerei erfreute sich eine Zeitlang großer Beliebtheit, sie bestand weniger in einer eigentlichen Malerei, als in einer Art Mosaik aus verschiedenen gefärbten Haaren.

In Paris waren Fontaine, Laine, Madame Moreau für die Feinheit ihrer Arbeiten berühmt, in Koburg hatte Johann Andreas Scharf sich die mühsame Technik dieses Verfahrens selbst neu ausgearbeitet und einen Schüler namens Walther darin gebildet. Es kam bei ihr weniger auf Bildnisse an, als auf kleine Szenen in der Art der gerührten Stimmung, wie sie damals Mode war: Gräber, Urnen, Obelisken als Sinnbilder der Vergänglichkeit, dazu Kränze, Trauerweiden und ähnliche Symbole des Schmerzes und der Trauer.

Neben diesen beiden rein malerischen Verfahren entwickelte sich zur gleichen Zeit, also von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts an, ein drittes Verfahren, aus einer ganz anderen Technik heraus, nämlich die Miniatur in Emaille. In den berühmten Werkstätten von Limoges, wo man die Kunst, Metallgeräte mit Schmelz zu überziehen, in größter Vollendung ausübte, begann Leonard Limousin Porträts in Emaille-Malerei auszuführen. Das erste Werk dieser Art soll ein Bildnis der Königin Eleonore, der Gattin Franz I. und Schwester Kaiser Karl V. gewesen sein, das er 1536 vollendete. Diese Technik bietet außerordentliche Schwierigkeiten, weil der Künstler nur über eine geringe Anzahl von Farben verfügt, diese sich beim Brennen im Feuer aber noch zu verändern pflegen. Daher war die Farbe der eigentlichen Limoges-Emaillen dem Bildnis als solchem keineswegs günstig. Erst Jean Toutin, ein Uhrmacher aus Chateaudun, vervollkommnete seit 1632 die Emailletechnik von Limoges in einer Weise, daß er als der eigentliche Erfinder betrachtet werden kann. Wenn Leonard Limousin noch auf sechs oder sieben Farben beschränkt gewesen war, bereicherte er seine Palette um so viel Töne, daß er in Emaille ebenso wie mit Aquarellfarben arbeiten konnte. Henri Toutin, sein Sohn, erzog dann Jean Petitot, einen Künstler, den man als den größten, der in dieser Technik arbeitete, zu betrachten gewohnt ist.

Die Emaille-Miniatur eroberte sich rasch einen bevorzugten Platz, denn zu ihren Vorzügen gehört außer dem Glanz ihrer Farben eine außerordentliche Haltbarkeit derselben. Während Miniaturen in Deck- und Wasserfarben ihre Frische sehr bald einbüßen, wenn sie dauernd dem Licht ausgesetzt werden, bewahren Emaillen ihre Leuchtkraft, ohne Schaden zu leiden. Den Glanz und die Glätte der spiegelnden Oberfläche von Emaillen hat man bald in einer Technik nachzuahmen gewusst, die weniger mühsam und daher auch weniger kostspielig waren, als die Emaille, in der Lackmalerei. Man gibt dabei der in Wasserfarben ausgeführten Malerei einen Überzug von durchsichtigem Firnis, der den Farben erhöhten Glanz und der Oberfläche spiegelnde Glätte verleiht. Im Beginn des achtzehnten Jahrhunderts soll diese Technik schon von Augsburger Handwerkern ausgeübt worden sein, zur Vollendung brachte sie in Paris kurze Zeit kurze Zeit darauf Robert Martin. Er selbst und seine drei Brüder stellten größere Möbelstücke her, die heute noch mit der Fachbezeichnung „vernis Martin“, wenn sie im Handel erscheinen, phantastische Preise erzielen. In Deutschland machte sich Johann Heinrich Stobwasser einen Namen durch seine Lackarbeiten, die, seit er 1764 in Braunschweig seine erste Fabrik gegründet hatte, reißenden Absatz fanden und mehr oder weniger glücklich nachgeahmt wurden. Jakob Bodemer, ein Badenser Künstler, der um die Wende des achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert in Wien arbeitete, erfand sich ein besonderes Verfahren, das Emaille und Lack miteinander verband. Nahe verwandt in der Technik mit der Emaillemalerei ist die Malerei auf Porzellan, welche die gleichen Vorzüge besitzt wie jene und in der Herstellung mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, verändern sich doch auch bei diesem Farben und Formen beim Brennen oft in einer Weise, die selbst ein erfahrener Künstler nicht immer vorherzusehen vermag.

Abb. 12. Dixon, Lady Chesterfield
Abb. 13. Zincke, Die Herzogin von Buckingham
Abb. 14. Bartolozzi nach Cosway, Maria Cosway
Abb. 15. Cosway, Isabella, Marquise von Hertford[(i]

Das Gemeinsame aller Miniaturen, sie seien in welcher Technik immer ausgeführt, ist ihre geringe Größe. Vielleicht hat diese es veranlasst, daß die Wissenschaft sich lange Zeit überhaupt nicht um sie bekümmert hat, wahrscheinlich um so geflissentlicher über sie hinwegsah, je lebhafter zu allen Zeiten Sammler und Liebhaber sich dieser Kunstwerke im kleinen angenommen haben. Fast scheint es unmöglich, sich ihrem Reiz zu entziehen. Diese kleinen Kunstwerke, die meist mit Schmuck- oder Gebrauchsgegenständen der Vergangenheit zusammenhängen, umgibt eine Atmosphäre von Interesse, von Rührung, von Intimität, die den Produktionen der großen Kunst völlig zu fehlen pflegt. Sie haben den ganzen Charme bewahrt, der einst von ihnen ausging, als sie noch Pfänder der Liebe und Freundschaft Lebender waren, als schöne Augen sie feuchten Blickes betrachteten, als sie an klopfenden Herzen ruhten und ein Zeichen dafür waren, daß sie über Raum und Zeit hinweg die Seelen miteinander verbinden wollten. Sie scheinen aus längst verschwundenen Tagen ein ganz persönliches Moment in eine Gegenwart hineingerettet zu haben, die dem Empfindungskreise, der sie entstehen ließ, so ganz fremd geworden ist und sich doch so seltsam berührt fühlt, wenn lockende Blicke, lächelnde Lippen sie grüßen, als sei noch immer frisch und lebendig, was doch längst zu Asche wurde, die Schönheit, die Liebe und die Freundschaft. Diese weiche sentimentale Stimmung, die von ihnen ausgeht, hat die Miniaturen von jeher auch solchen lieb und teuer gemacht, die den Offenbarungen der großen Kunst mit Kälte gegenüberstehen, sie fanden Liebe und Sympathie auch ohne Kunstverständnis. Das ist sicherlich mit einer der Gründe gewesen, welche die Geringschätzung hervorriefen, die die eigentliche Kunstgeschichte der Miniatur bewiesen hat. Die Kunstwissenschaft hat ihre Abneigung so gar so weit getrieben, daß sie die Miniaturen auch dann mit Stillschweigen überging, wenn sie aus der Hand anerkannter großer Meister hervorgegangen waren. Das Werk Hans Holbeins ist gesichtet und gesäubert, nur über seinen Miniaturen liegt eine Unsicherheit, die durch die berechtigte Skepsis, mit der man diesem Teil seines Werkes gegenübersteht, vorläufig nur immer weniger erhellt, als weiter verdunkelt wird. Viele große Meister der Vergangenheit haben ihre Karriere mit Miniaturen begonnen: Peter Lely, Raphael Mengs, Raeburn u.a., die Kunstgelehrten aber haben diese Seite ihrer Tätigkeit gewöhnlich mit Worten abgetan, als hätten sich die Maler dieser Arbeiten zu schämen.

Der Mangel einer eigentlichen Entwicklung dieser Kunstübung, bei der es immer mehr auf Delikatesse und Sorgfalt ankam, als auf ein Aussprechen künstlerischer Individualität, hat es dann verschuldet, daß die auf Stilgeschichte eingeschworene Wissenschaft diese Werke eines minutiösen Fleißes einfach beiseite legte, oder sagen wir besser beiseite liegen ließ. Sie hat sogar bei Malern, die das Bedeutendste ihres künstlerischen Wirkens auf dem Gebiete der Miniatur leisteten, wie Füger, mit bedauerndem Achselzucken festgestellt, dieser Kleinkram sei für den Künstler hinderlich gewesen und habe ihn abgehalten, sich in der großen Kunst zu betätigen. Solche Anschauungen hat in bezug auf Füger sogar noch Carl von Lützow ausgesprochen, während der jüngste Biograph dieses Malers, Ferdinand Laban, wohl mit Recht bemerkt, daß die Werke, die Füger auf dem Gebiete der großen Kunst geschaffen, die klassischen Maschinen, niemals wieder Beachtung finden werden und das einzige, was den Namen Füger groß und berühmt macht, seine Miniaturen seien.

Erst als der Pesthauch des Klassizismus im Verdampfen war und die Kunst des achtzehnten Jahrhunderts wieder die Beachtung fand, die sie verdiente, als auf Ausstellungen neben den großen Staffeleigemälden auch die Pastelle und die Miniaturen dieses Zeitalters sich wieder ans Licht wagten, wurde das Interesse an ihnen wach. Zuerst war es natürlich England, das Land der großen Sammler, der großen Sammlungen und einer niemals abgerissenen Tradition, in dem man auf wiederholten Ausstellungen das köstliche Material vor aller Augen ausbreitete und die Aufmerksamkeit auch der Kunsthistoriker erregte. I. L. Propert war wohl der erste, der 1887 in seiner History of miniature art eine Geschichte, vorzüglich der englischen Miniatur zu geben versuchte. Ihm sind dann andere gefolgt, wie Dudley Heath und vorzüglich George C. Williamson, der in einer ganzen Reihe gut und fleißig geschriebener und vorzüglich illustrierter Werke dieses Gebiet der Kunstforschung geradezu als seine Domäne angebaut hat. Williamson hat auch die Miniaturensammlung von Pierpont Morgan in einem Prachtwerke beschrieben, wie es in ähnlich verschwenderischer und luxuriöser Ausstattung nur amerikanische Milliardäre unternehmen können. In Frankreich hat der geistreiche Henri Bouchot die Geschichte der französischen Miniatur abgehandelt. Deutschland kam zuletzt, aber nicht an letzter Stelle. Nachdem die Wiener Kongress-Ausstellung die Miniaturenschätze aus dem Besitz des Kaiserhauses und der österreichischen Aristokratie ans Licht gebracht hatte, entwarf Franz Ritter in dem Prachtwerk, das über diese
Ausstellung veröffentlicht wurde, dieGeschichte der österreichischen Bildnis -Miniatur, während Ferdinand Laban in seiner grundlegenden Studie über Heinrich Friedrich Füger die Bedeutung dieses größten deutschen Miniaturmalers würdigte. Dann haben die Monumentalwerke von Ernst Lemberger: Die Bildnisminiatur in Deutschland 1550 — 1850 und Eduard Leisching: Die Bildnisminiatur in Österreich 1750 — 1850 das Riesenmaterial, an das sich vor diesen Forschern niemand so recht heranwagte, zusammengebracht, geordnet und in glänzender Weise dargestellt. Heute verschmähen auch die Bildergalerien es nicht mehr, in eigenen Kabinetten die Miniaturen ihres Besitzes zur Schau zu stellen, wie man es z. B. in Berlin im neuen Kaiser-Friedrich-Museum getan hat. Die größten öffentlichen Sammlungen dieser Art sind natürlich in solchen Museen zu finden, die in erster Linie das historische und kulturhistorische Interesse pflegen, wie etwa das Hohenzollern-Museum im Schlosse Monbijou, die Sammlungen des dänischen Königshauses im Schloss Rosenborg, jene im Schlosse Frederiksborg, welche die ganze dänische Geschichte illustrieren, die ähnliche Sammlung zur schwedischen Geschichte im Schloss Gripsholm und viele andere mehr.

[i]Abb. 16. Cosway, Lady Orde
Abb. 17. Cosway, Mrs. J. Stuart Wortley Mackenzie


Die große Porträtmalerei ist ein Spiegel der Zeiten; in fast noch höherem Grade als sie, ist die Porträtminiatur als ein solcher zu betrachten, weil mit ihr noch mehr persönliche und individuelle Momente zusammenhängen, als mit dem Staffelei- oder Freskobild. Durch die Art ihrer Fassung und ihrer Verwendung gehört die Miniatur immer mehr oder weniger auch dem Kunstgewerbe an und zwar solchen Gegenständen, die ganz persönlichem Gebrauch dienten, so daß sie immer etwas von dem Wesen ihrer ursprünglichen Besitzer behalten zu haben scheinen. Man verfolgt in einer längeren Reihe

01 Cosway, Georg III.
Abb. 18. Cosway, Lady Harcourt
Abb. 19. Cosway, Gräfin Salisbury
Abb. 20. Cosway, William, Herzog von Devonshire
Abb. 21. Cosway, Lady Foster
Abb. 22. Cosway, Graf Carlisle


von Miniaturen nicht nur den Entwicklungsgang der Kunst, sondern man gewahrt auch, wie die Gesellschaft eine andere wird, wieder Geschmack sich wandelt, die Bedürfnisse sich steigern und verfeinern. Die Maler, die im sechzehnten Jahrhundert Miniaturen malen, streben nach Aufrichtigkeit und Wahrheit, noch will jeder das, was er ist, auch mit Ernst und Überzeugung vertreten. Die Bildnisse dieser Zeit haben etwas Strenges und Herbes, selbst die berühmtesten Schönheiten, porträtierten sie auch die ersten Künstler, erscheinen ohne Anmut, so als habe der Maler wirklich nur ihre Züge im Auge gehabt und niemals die Seele, die aus ihnen sprach. Wie ganz anders schon das siebzehnte Jahrhundert, in dem der Maler sein Modell dem Schönheitsbegriff des Tages anzupassen versucht, in dem die bildnismäßige Treue einem Ideal geopfert wird. Man erkennt das schon daran, daß es außerordentlich schwierig ist, im Zeitalter Ludwig XIV. ein Damenporträt der höheren Stände zu finden, aus dem man sehen könnte, wie die Dargestellte wirklich angezogen war. So gut wie ausnahmslos sind die Gewänder idealisiert, denn wenn die Damen auch so frisiert sind, wie die Zeitmode es ihnen vorschrieb, ihre Gewandung ist meist völlig willkürlich gestaltet, sie wollten ja doch alle Nymphen und Göttinnen, mindestens aber berühmte Schönheiten des Altertums vorstellen. Dieses Umschmeicheln und Umdeuten wird im achtzehnten Jahrhundert zur Selbstverständlichkeit. Wollte die Dame vom Hofe des Sonnenkönigs idealisiert sein , so schwinden im Bildnis der Tochter und der Enkelin Wahrheit und Wahrscheinlichkeit völlig dahin; Puder, Farbstift und Schminke verhindern jede ernsthafte Charakteristik und lügen jedem Lärvchen schmachtende Süßigkeit und verführerische Lieblichkeit an. Die höhere Gesellschaft unterwirft sich einem Gesetz, das je weiter sie sich ausbildet und die nationalen Schranken niederreißt, vorbildlich und verbindlich für alle wird. Die Herren und Damen des sechzehnten Jahrhunderts haben noch charakteristische Züge, sie sind in ihren Bildnissen individuell differenziert, zweihundert Jahre später sind die Originale selbstverständlich auch noch voneinander verschieden, aber in ihren Porträts kommen diese Unterschiede kaum noch zur Geltung, denn sie fordern vom Maler, daß er sie so viel wie möglich dem gerade gesellschaftlich gültigen Ideal annähere. Das hat zur Folge, daß die Bildnisse, je länger wir der Miniaturkunst folgen, einander immer ähnlicher werden. In einer größeren Reihe von Miniaturen, etwa aus der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, sind die einzelnen kaum voneinander zu unterscheiden, der gleiche Blick, das gleiche Lächeln, dieselben Rosenwangen und Purpurlippen machen es fast unmöglich, charakteristische Züge zu entdecken. Darin sind sich die großen Meister dieses Zeitraums auch ganz gleich, Engländer wie Franzosen huldigen den gleichen Vorurteilen, beziehungsweise müssen sie sich den gleichen Ansprüchen ihrer Auftraggeberinnen unterwerfen, von denen doch keine weniger süß und liebreizend zu sein wünschte, als ihre gute Freundin. Dieser Umstand macht auch das Bestimmen der Miniaturen dieser Epoche so schwer und hat in den Taufen, die sich die Bildchen von ihren Besitzern gefallen lassen mußten, zu so viel willkürlichen Bezeichnungen geführt.

00 Holbein d. J., Männliches Porträt

00 Holbein d. J., Männliches Porträt

00 Kaiserin Marianne von Österreich, Peter (Nach Daffinger),

00 Kaiserin Marianne von Österreich, Peter (Nach Daffinger),

01 Cosway, Georg III.

01 Cosway, Georg III.

01. Holbein d. J., Selbstbildnis

01. Holbein d. J., Selbstbildnis

02. H. Holbein d. J., Heinrich VIII von England

02. H. Holbein d. J., Heinrich VIII von England

03. H. Holbein d. J., Anna von Cleve

03. H. Holbein d. J., Anna von Cleve

04. Hilliard, Maria Stuart

04. Hilliard, Maria Stuart

06. Isaak Oliver, Familienbild

06. Isaak Oliver, Familienbild

07. Isaak Oliver, Unbekannte Dame

07. Isaak Oliver, Unbekannte Dame

08. Isaak Oliver, Familie Digby

08. Isaak Oliver, Familie Digby

09. Hoskins d. Ä., Königin Henrietta Maria

09. Hoskins d. Ä., Königin Henrietta Maria

10. Coopor, Oliver Cromwell

10. Coopor, Oliver Cromwell

11. Cooper, Lady Walter

11. Cooper, Lady Walter

12. Dixon, Lady Chesterfield

12. Dixon, Lady Chesterfield

13. Zincke, Die Herzogin von Buckingham

13. Zincke, Die Herzogin von Buckingham

14. Bartolozzi nach Cosway, Maria Cosway

14. Bartolozzi nach Cosway, Maria Cosway

15. Cosway, Isabella, Marquise von Hertford

15. Cosway, Isabella, Marquise von Hertford

16. Cosway, Lady Orde

16. Cosway, Lady Orde

17. Cosway, Mrs. J. Stuart Wortley Mackenzie

17. Cosway, Mrs. J. Stuart Wortley Mackenzie

18. Cosway, Lady Harcourt

18. Cosway, Lady Harcourt

19. Cosway, Gräfin Salisbury

19. Cosway, Gräfin Salisbury

20. Cosway, William, Herzog von Devonshire

20. Cosway, William, Herzog von Devonshire

21. Cosway, Lady Foster

21. Cosway, Lady Foster

22. Cosway, Graf Carlisle

22. Cosway, Graf Carlisle