Anhang G

Anno 1703 am Sonnabend vor dom. II Adventus entstand alhier in Wißmar ein greülicher vnd bey Menschen, so damals lebten, Andencken niemahls gewesener Sturmwind. Derselbige tobete so hart, daß es das Ansehen hatte, als würde er alhir viele Gebäude abdecken vnd ruiniren. Absonderlich ward dadurch der St. Nicolai Kirchen ein unbeschreiblich großer Schade zugefüget, indem derselbe jetztgedachter Kirchen schöne vnd hohe Spitze oder Thurm, welcher bisanhero der Kirchen große Zierde und der Seefahrenden pharus gewesen, nach vollendeter Vesper aus seinem Sitze hub, mit aller Gewalt auffs gantze Gewölbe der Kirchen niederstürtzete, wodurch nicht allein das schöne Gewölbe, sondern auch der Glocken-Thurm mit denen Glocken, die Kantzel, der Taufstein, das kleine Altar mit dem Crucifixe, ja fast alle Stühle vnd nicht wenige Leichen-Steine gäntzlich und jämmerlich ruiniret, anbey etliche damahls beichtende Persohnen, wovon einige das h. Werck schon verrichtet vnd nach empfangener Absolution und hertzlicher Dancksagung zu Gott in seinem Tempel begriffen waren, andere hergegen (waren) vielleicht noch in h. Bus-Andacht vnd Willens in den h. Beichtstuhl zu treten, erschlagen vnd also unter den Steinen begraben wurden. Da war leider Knall vnd Fall zugleich, vnd lag alles im Augenblicke zermalmet in einem Hauffen. Und eben damahls, als der Herr so gewaltig an den Knauff des gleich jetzt erwehnten hohen Thurms schlug, daß nicht nur die Pfosten vnd Pfeiler dieser lieben Kirchen bebeten, sondern daß das ganze Kirchen-Gebäude zu einem Steinhauffen gemacht ward, saß ich, J. D. Breithor, annoch daselbst im Beichtstuhl des verstorbenen Diacoin, s. Herrn Pilgrims, vnd hörete Beichte. Alß der schreckliche Knall vnd Fall des Thurmes, mithin des gantzen Gewölbes geschach, hatte noch ungefehr 8 Confitenten; die drungen alle zu mir in den Beichtstuhl, fielen in demselben zum Theil nieder vnd steckten ihre Köpfte unter den kleinen Bäncken, so im Beichtstuhl zu finden, schrien kläglich zu Gott um Hülffe vnd Rettung. Ich stand vnd that ebendaßelbe, wie woll mehr mit dem Hertzen, als mit dem Munde, vnd befahl dem treüen Schöpffer meine Seele vnd derer, die bey mir waren, denn wir sahen den Tod für Augen vnd hatten uns unseres Lebens schon erwogen, gestalt da alles auff einmahl mit sehr großem Gepraßel vnd Knall zu vnd vor uns hernieder fiel, ward durch den erregten gewaltig dicken Staub eine Finsterniß über den gantzen Tempel, daß es schiene, alß wenn wir insgesamt unter den Steinen begraben. Alleine da sich derselbe allmählig verlohr, sahe ich mit obgedachten Beicht-Kindern Wunder. Augenscheinlich und gar zu klar sahen wir, daß der Herr bey uns in der Angst gestanden, daß dieser gütigste Erbarmer vnd Liebhaber des Lebens damahls für uns arme fürüber gegangen vnd im Fürübergehen zu uns gnädigst gesprochen hätte: ihr solt leben! Und wie er sprach, so geschachs, wie er geboht, so stunds da. Den wir wurden insgesamt erlöset aus des Todes Rachen vnd haben hohe Ursache lebenslang danckbarlich zu rühmen: gelobet sey der Herr täglich! Gott leget uns eine Last auff, aber er hilfft uns auch! sela! Wir haben einen Gott, der da hilfft, vnd den Herrn Herrn, der vom Tode errettet.

Aufzeichnung des J. D. Breithor, Pastors zum H. Geiste, im Predigerbuch zum H. Geist, p. 81.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Michael Kopmann's Chronik St. Nicolai zu Wismar