Abschnitt 3

Michael Kopmann’s
Chronik St. Nicolai zu Wismar.

Nach dem folgenden Paragraphen, § 4, scheint es, daß Goslik v. d. Kulen im Jahre 1406 als Werkmeister eingetreten ist. Aus einem Aktenstücke, welches Kopmann auf dem ersten Blatte unseres Codex abgeschrieben hat 14), geht hervor, daß er den Chor hat decken lassen und daß er während der Zeit der ersten Wismarschen Umwälzung, da Nicolaus Buk und Hermen Brüsewitz den Bürgermeisterstuhl inne hatten, also 1414 oder 1415 15), wegen unredlicher Verwaltung abgesetzt und verfolgt worden ist. Ob er nach Restitution des rechtmäßigen Regiments wieder angestellt worden, ist nicht bekannt.

War das begründet, was man Goslik v. d. Kulen vorwarf, und erwägt man die Verluste, welche die Bürgerschaft erstlich durch die Kämpfe für das Haus Meklenburg um die schwedische Krone, hernach durch die Kriege mit König Erich erlitt, und die inneren Zerwürfnisse und Umwälzungen im zweiten und dritten Decennium des 15. Jahrhunderts, so kann man sich nicht wundern, daß der Bau unserer Kirche ein Menschenalter und länger stille stand, und daß eine Weiterführung desselben erst im Jahre 1434 unter dem energischen Werkmeister Peter Stolp, einem vormaligen Grobschmiede, Platz gegriffen hat. Dazumal ist, nach § 5, die nördliche Abseite sammt den daranliegenden Kapellen, wie der Augenschein ergiebt, und vermuthlich auch die nördliche Halle erbaut worden, diese jedoch wohl zuletzt, da der Anschluß derselben in sehr ungefüger Weise ausgeführt ist; anderweitige Kunde über diesen Bau giebt es nicht, Peter Stolp wird hier zuerst genannt, doch begegnet er in Urkunden nicht vor 1436.


Kopmanns Nachricht vom Bau der südlichen Abseite und des Leichhauses im Jahre 1437 dagegen, § 6, wird durch eine Inschrift, welche sich auf einer Kalkstein-Platte am Fuße des südwestlichen Windelsteins findet 16), nicht allein bestätigt, sondern es meldet auch letztere noch genauer, daß man Ostern des gedachten Jahres mit dem Abbrechen der alten Abseite begonnen habe, daß das Fundament der jetzigen 22 Fuß tief gelegt, und daß man im Sommer mit dem Aufführen des Mauerwerks bis zur Thürhöhe gelangt sei. Den Maurermeister, Hermen Münster oder Hermen von Münster, wie er auf seinem Siegel heißt, nennt die Inschrift aber nicht. Doch ist Kopmanns Angabe, daß dieser den Bau ausgeführt, hernach Werkmeister zu St. Jürgen geworden sei und auch dort gebaut habe, ohne Zweifel richtig, da er in letzterer Eigenschaft vom März 1442 bis zum Februar 1449 urkundlich sich nachweisen läßt, und die Einzelheiten der unteren Partien des Transseptes zu St. Jürgen mit denen des Leichhauses zu St. Nicolai durchaus übereinstimmen. Wenn Kopmann aber weiter berichtet, jener habe St. Jürgen erst „aufgelegt“, d. h. abgesteckt und fundamentirt, so ist das, auf das Ganze des Neubaues bezogen, anscheinend doch zu viel gesagt. Uebrigens wird ein Meister Hermen als Raths-Maurermeister auch 1438 genannt 17).

In Betreff des Ablebens des Bürgermeisters Nicolaus Witte, § 7, wissen wir durch die Rathsmatrikel 18), daß er nach dem 9. Mai 1437 gestorben ist.

Die Angabe, § 8, daß 1439 und, selbstverständlich, in den folgenden Jahren die St. Nicolai-Kirche fundamentirt und auf gemauert worden sei, klingt nach den früheren Mittheilungen, nach denen also 1381 der Chor bereits angefangen, derselbe zwischen 1406 und 1415 gedeckt, die nördliche Abseite 1434 und die südliche 1437 aufgeführt sind, etwas befremdlich; aber der Widerspruch wird so zu lösen sein, daß man unter Kopmanns „Kirche“ nicht das ganze Gebäude, sondern nur den für die Laien bestimmten unteren Theil desselben im Gegensatze zum Chore versteht, was dadurch bestätigt zu werden scheint, daß die Formsteine der Chorpfeiler bis zu den Hallen mit je einer vierblätterigen Rose gestempelt sind, diejenigen der übrigen Pfeiler zum Thurm hin aber überall keinen Stempel haben 19). Den Todestag des ohne Zweifel mit Recht gerühmten Peter Stolp können wir nach seinem Grabsteine, welcher wohlerhalten ist und noch vor dreißig Jahren im Leichhause lag, genauer als den 12. Mai 1456 angeben 20).

Peter Stolp hat also die Vollendung des von ihm so redlich und kräftig geförderten Baues nicht erlebt. Erst drei Jahre später, am Sonntage vor Michaelis oder den 23. September 1459, ist nach Kopmanns Bericht, § 9, die Kirche, nämlich wiederum der für die Laienschaft bestimmte Theil, und sind in den Tagen darauf die sämmtlichen dort befindlichen Altäre und fünf Kapellen consecrirt worden 21). So nämlich, 1459, hat Kopmann am Rande verbessert, während er ursprünglich 1460 gesetzt hatte. Letzteres Jahr geben Latomus 22) und Schröder 23), welche zugleich die Feier nicht vom Sonntage vor Michaelis, sondern vom Tage Michaelis selbst datiren. In Latomus’ Bericht und Schröders Citat geschieht auch nicht allein der von Kopmann am Rande nachgetragenen damaligen Vorsteher - denn als solche werden die genannten Personen doch wohl anzusehen sein - keine Erwähnung, sondern es ist auch der Schlußpassus bei beiden aus demjenigen Kopmanns und unseren zwei nächsten Paragraphen zusammengearbeitet, und bei Schröder noch ein Gerd Sasse insbesondere betreffender Zusatz beigefügt 24). Außerdem hat Schröder auch noch, zwar nicht den nächsten, aber doch den folgenden Paragraphen besonders 25). Dieser Gerd Sasse ist sonst als Vorsteher zu St. Nicolai so wenig wie die übrigen von Kopmann genannten Personen bekannt, geschweige denn als Werkmeister; wohl aber kommt er 1467 als Vorsteher der Marien-Zeiten zu St. Nicolai vor und war im November 1474 bereits verstorben. Die Differenz, welche nach dem Vorstehenden zwischen Kopmanns Angabe und den Ueberlieferungen von Latomus und Schröder besteht, und der Zusatz bei diesem sind nicht wenig auffallend, da letztere offensichtlich genug Kopmanns Nachrichten gekannt und benutzt haben, und dieselben scheinen nur dadurch zu erklären, daß man annimmt, jene Historiker hätten nicht das Original, unseren Copiarius nämlich, in Händen gehabt, sondern eine Abschrift, beziehentlich Ueberarbeitung desselben von nicht eben geschickter Hand, was um so glaublicher erscheint, als Schröder „ein altes kleines Wismarsches Manuscript“ als seine Quelle nennt, eine Bezeichnung, welche er für ein ziemlich starkes Heft in Folio doch kaum gebraucht haben würde, und mehrere der durchaus nicht unwichtigen Urkunden unseres Copiarius in seinem betreffenden Sammelwerke fehlen. Die in unserem Paragraphen genannten Personen geben keinen Anhalt, um sich in Betreff des Datums für oder wider zu entscheiden, und ebenso wenig des Rathskellers Weinregister; denn wenn nach diesem auch um Michaelis 1460 dem Bischofe nach und nach 25 Stübchen Wein präsentirt worden sind, so erhielt dieser auch im Juni desselben Jahres 32 Stübchen (das Verzeichniß der Präsentweine vom März 1459 bis dahin 1460 fehlt leider). Wenn aber Latomus und Schröder eine Abschrift von zweifelhafter Güte und Zuverlässigkeit benutzten, und Kopmann seine ursprüngliche Angabe des Jahres, 1460, selbst in 1459 verbessert hat, auch wahrscheinlicher ist, daß der muthmaßliche Abschreiber den „Sonntag vor“ Michaelis übersehen, als daß jener ihn hinzugefügt, so wird man nicht umhin können, dem Kopmannschen Datum den Vorzug zu geben. In Betreff des Werkmeisters Hinrik Platensleger mag noch bemerkt werden, daß derselbe als solcher bereits im December 1157 genannt wird, also wohl Peter Stolps unmittelbarer Nachfolger gewesen ist, und daß er noch im November 1462 als fungirend vorkommt, aber bald hernach gestorben oder abgetreten sein muß, da der auf ihn folgende Hans Köster 16 Jahre lang Werkmeister gewesen sein soll, und 1478 bereits ein anderer, Klaus Höppner, genannt wird. Der Pfarrherr Gerd Drivot läßt sich von 1443 bis 1472 nachweisen.




14) Siehe Anh. B.
15) Hans. Geschichtsquellen II, S. 53.
16) Siehe Anhang C.
17) Inventurbuch fol. 1.
18) Hans. Geschichtsquellen II, S. 63.
19) Die Synekdoche: Kirche für Schiff gehört übrigens Kopmann nicht allein an. S. Nic. Geb. R. 1561 VIII s. Clawes Dancquarth de IIII lichte vp de luchter in der kercken vnde de III licht im koer vp den groten luchter auer winter tho setten.
20) In der Mitte des Steines ist der Schild der Schmiede angebracht und die Umschrift lautet aufgelöst: Anno domini mcccclvi ? feria iiii ante festum pentecostes obiit petrus stolp, prouisor huius ecclesie.? Anno domini mccclv ? sequenti die pantheleonis obiit greteke vxor eius. orate pro eis. Der Stein ist jetzt wieder ins Leichhaus gelegt.
21) Die Consecration der zweiten Kapelle von Westen her auf der Südseite fand am 28. Februar desselben Jahres statt. Jahrb. III, S. 245 und Jahresber. III, S. 90.
22) A. a. O. p. 388.
23) A. a. O. S. 2135.
24) Der ziemlich dunkle Passus lautet: Gert Sasse, wanhafftig vp dem Spegelberge gegen de Schürstraten auer. de wart gebeden vnd gekaren, nicht dat he werckmeister was.
25) A. a. O. S. 2152.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Michael Kopmann's Chronik St. Nicolai zu Wismar