Abschnitt 2

Michael Kopmann’s
Chronik St. Nicolai zu Wismar.


So dankbar man Michel Kopmann für seine Nachrichten sein muß, so ist doch zu bedauern, daß er mancher Umstände und Vorgänge nicht gedacht hat, die ihm wahrscheinlich doch bekannt geworden sind, wie er denn z. B. nichts von der Altartafel meldet und, wann der Thurm fertig geworden, aufzuzeichnen unterlassen hat. Auch wäre es erwünscht gewesen, wenn er sich in seinen Mittheilungen ein wenig klarer ausgedrückt hätte; doch war er in seiner Muttersprache, so viel das Schreiben in derselben anlangt, nicht allzu gewandt, obschon er sogar unternommen hat, Einiges in gebundener Rede abzufassen. Auch zum Theil wunderliche Wortformen trifft man bei ihm an. So schreibt er beide Male, wo er den Ausdruck gebraucht, merlik statt merklik und fünf Mal straff statt starf, was nur ein Mal vorkommt. Noch seltsamer ist das zweimalige vp des Meklenborges haue und seltsam sind auch die Formen murende und hengende statt mureden und hengeden, wozu affdeckenden gewissermaßen eine Zwitterform bildet. U. a.


Herr Michel Kopmann hat auch Nachfolger im Aufzeichnen von Nachrichten gefunden. Der erste derselben hat in der Schrift des Anfanges des 16. Jahrhunderts zwei Ereignisse, eins von 1508, das andere von 1509, hinzugefügt, und eine zweite Hand hat in kursivischer Schrift eine Notiz aus dem Jahre 1524 eingetragen. Die Urheber dieser Aufzeichnungen haben sich nicht genannt, und die Hände bieten keinen Anhalt zu Muthmaßungen über dieselben. Ein dritter Continuator, der auch sonst bekannte Nicolaus Sehasen, Schreiber zu St. Nicolai, beginnt seine Notizen mit dem Berichte über den Brand von St. Marien im Jahre 1539 und hat auch auf dem letzten Blatte einige niedergeschrieben; das jüngste Ereigniß, welches er meldet, ist vom Jahre 1555.

Wie bereits erwähnt, so giebt Kopmann an, daß er im Jahre 1470 seine erste Messe gesungen habe; aber es ist nicht klar, ob er unter dieser seine Primitien verstanden hat, oder ob er sagen wollte, er habe zur gedachten Zeit seine Vikarie angetreten. Letzteres erscheint glaublicher; denn wenn er damals erst zum Priester geweiht worden, also vermuthlich doch nicht älter als 25 Jahre gewesen wäre, so würde es auffallend sein, wenn er in einem Alter von nicht mehr als 64 Jahren bereits Senior der St. Nicolai-Geistlichkeit war. Unter diesen Umständen kann man nur durch Einschlagen eines Mittelweges annehmen, daß er 1470 etwa 30 Jahre alt war, so daß in diesem Falle seine persönlichen Erinnerungen, vorausgesetzt, daß er aus Wismar gebürtig gewesen ist, doch bis 1450 oder 1455 zurückreichen müßten. Mag dem nun sein, wie ihm wolle: jedenfalls sind die von Kopmann überlieferten Vorkommnisse, welche nach 1470 datiren, selbsterlebte, und für dasjenige, was vor diesem Jahre sich ereignete und von ihm aufgezeichnet worden ist, boten sich ihm als Schreiber theils die Dokumente, theils die glaubwürdigen Traditionen des Werkhauses als Quellen, so daß es nur wenig Angaben sind, welche Bedenken erregen oder die irrthümliche Angaben enthalten.

Unser § 1 ist Auszug einer Stadtbuchschrift und giebt zu keiner weiteren Bemerkung Anlaß, als daß der Ziegelhof St. Nicolai „vor dem Wasserthor“ belegen war (Zeugebuch d. d. 1616, April 9); die Umkehrung der nächsten Umgebung der Stadt durch die Festungsbauten läßt eine nähere Nachweisung des Platzes nicht zu.

Irrthümlich ist die zweite Nachricht, § 2, in Betreff des Todestages Hinrik Körnekes, dessen Testament Kopmann auf fol. 2 und 3 eingetragen und an dessen Schluß er jenen notirt hat. Körneke kann nicht an dem angegebenen Tage gestorben sein, da das beregte Testament, welches noch im Originale vorhanden ist 7), erst 1336 errichtet wurde, nicht 1335, und jener noch am 29. November desselben Jahres nähere Bestimmungen in Betreff seiner letztwillig gemachten frommen Stiftungen erlassen hat 8). Schröder sagt 9), Körneke sei 1336 gestorben, ohne jedoch die Quelle zu nennen, woher er die Nachricht hatte; vermuthlich hat er es aus dem Datum des Testaments geschlossen.

Sehr viel belangreicher als dieser Irrthum Kopmanns ist eine Differenz zwischen ihm und einem bei Schröder erhaltenen Dokumente. Jener giebt nämlich an, § 2, daß der Neubau von St. Nicolai 1386 in Angriff genommen worden sei, während dieser zwei Urkunden hat abdrucken lassen 10), nach denen das schon früher der Fall gewesen wäre. Die eine derselben ist eine Vereinbarung zwischen den Vorstehern der Kirche und dem Maurermeister Hinrik v. Bremen bezüglich des Lohnes, um welchen er den von ihm begonnenen Chor von St. Nicolai zu Ende führen sollte, die Schröder in das Jahr 1381 gesetzt hat. Ob Schröder sich hierbei geirrt oder nicht, läßt sich nicht mehr controliren, da die betreffende Lage des Zeuge- oder kleinen Stadtbuches, dem dieselbe nach Form und Inhalt zweifellos entstammt, gegenwärtig nicht mehr existirt; aber es ist allerdings eher anzunehmen, daß Schröder in der Jahreszahl V vor I übersehen oder ausgelassen, als daß Kopmann das V hinzugesetzt habe. Nichtsdestoweniger wird des letzteren Datum falsch, und dasjenige Schröders richtig sein, da aus dem in einer gleichzeitigen Abschrift erhaltenen Testamente des Rathmannes Göslik Witte vom 4. December 1383 - nicht 1380, wie Schröder hat, -zu schließen ist, daß der Chorbau damals bereits im (Gange, in so weit gefördert war, daß schon an den Bau der Sakristei gedacht wurde. Latomus hat sich nach Kopmanns Angabe gerichtet 11), welche Schröder gleichfalls hat abdrucken lassen 12). Letzterer bemüht sich bei dieser Gelegenheit, jene Zeugebuchschrift und Kopmanns Nachricht in Einklang zu bringen; aber es ist nach dem Wortlaute der gedachten Inscription - chorus inceptus - entschieden nicht richtig, wenn er als möglich hinstellt, man habe von 1381 bis 1386 bloß die Vorbereitungen zum Baue getroffen und diesen 1386 wirklich begonnen, und eher seine zweite Alternative annehmlich, wenn auch in Beihalt des erwähnten Witteschen Testamentes wenig glaublich, daß nämlich der 1381 begonnene Bau in den Anfängen stecken geblieben sei, da in der That die Formziegel der Chorpfeiler einen anderen Stempel zeigen, als die des Umganges mit seinen Kapellen, jene eine stilisirte vierblätterige Rose, diese ein Buchen-Dreiblatt. Die Personen, welche Kopmann und Schröder nennen, geben keinen Anhalt; Hinrik v. Bremen kommt allein hier vor, und Heidenrik Lukow begegnet uns nur noch einmal, und zwar im Jahre 1395. Man wird nicht umhin können, Kopmann mindestens unklare Darstellung Schuld zu geben, 1381 aber als urkundlich gesichertes Datum für den Neubau anzusehen 13).




7) Mekl. Urk.-Buch 5714.
8) Ebendas. 5717.
9) P. M. S. 1183.
10) Ebendas. S. 1539 und S. 1548. Siehe Anhang A.
11) Westph. mon. IV, p. 315.
12) A. a. O. S. 1574.
13) Werner Lischow bestimmt 1371, November 11, daß aus seinem Nachlasse eine Kapelle inxta porticum zu St. Nicolai in parte australi zu einer von ihm gegründeten Vikarie erbaut werden solle, und Nicolaus Vorneholt stiftet 1380, Oktober 14, eine Vikarie in capella domini Johannis Vornholt (zuletzt 1349, Mekl. Urk.-Buch 7007) - sita in eadem ecclesia (S. Nic.) ad aquilonem. Diese beiden Kapellen müssen nach Obigem also an die alte Kirche angebaut gewesen sein. Dagegen war die jetzige Votsche Kapelle 1390 im Bau oder schon fertig, da der Rathmann Nicolaus Vot, welcher nach Aussage seines Sohnes vom 17. Juni 1443 dieselbe erbaute, in jenem Jahre testirte und 1393 starb. Ebenso muß die 1418, December 22, erwähnte capella navigatorum noch zur alten Kirche gehört haben, während unter der 1438, Juni 5, genannten Stalköperschen wieder die gegenwärtige zu verstehen ist. Man darf also so wenig wie bei einer Kirche auch bei Kapellen aus deren bloßer Erwähnung schließen, daß der vorhandene Bau gemeint sei; und es ist ebenso unstatthaft, was nur zu oft außer Acht gelassen wird, aus dem Umstande, daß in einem Testamente etwas allgemein ad edificium, ad structuram. thom buwete einer Kirche vermacht wird, zu schließen, man habe der Zeit an derselben gebaut; denn diese Vergebungen waren und blieben noch lange gewohnheitsmäßig, nachdem die Kirchen längst fertig waren, ihre heutige Gestalt erhalten hatten. Vgl. z. B. Schröder E. M. I, S. 58, 126, 204, 472, 502, 507, 533.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Michael Kopmann's Chronik St. Nicolai zu Wismar