Menzel der Franzosenfresser. - Freunde und Gleichgesinnte machen mir oft Vorwürfe, daß ich so wenig schreibe...

J'aime mieux ma famille que moi, ma patrie que ma famille et l'univers que ma patrie.

Fénelon


Qui ne s'ordonne pas à sa patrie, sa patrie au genre humain et le genre humain à Dieu, n'a pas plus connu les lois de la politique, que celui qui, se faisant une physique pour lui seul, et séparant ses relations personelles d'avec les éléments, la terre et le soleil, n'aurait connu les lois de la nature.

Bernardin de Saint-Pierre

Freunde und Gleichgesinnte machen mir oft Vorwürfe, daß ich so wenig schreibe, für das taubstumme Vaterland so selten das Wort ergreife. Ach! sie glauben, ich schriebe wie die andern, mit Dinte und Worten; aber ich schreibe nicht wie die andern, ich schreibe mit dem Blute meines Herzens und dem Safte meiner Nerven, und ich habe nicht immer den Mut, mir selbst Qual anzutun, und nicht die Kraft, es lange zu ertragen.

Und doch wäre wohlgetan, ihnen wieder einmal um die Ohren zu summen. Wie fest sie schlafen und wie sie lächeln! So schlief Herkules nach seiner letzten großen Tat, so lächelt im Reiche der Träume, wer dort König ist.

Aber was hilft es? Die Sinne kann man wecken, doch wo der Mut schläft, da ist es ein Todesschlaf. Den Geist kann man wecken, daß er denke, aber nicht das stille Herz, daß es schlage; wo es zu schlagen aufgehört, da hat es zu leben aufgehört.

Jene Freunde sagten mir: es täte ihnen allen so leid, daß ich dem Lügenweber Menzel nicht in sein Zeug gefahren und daß ich diesen Franzosenfresser ungestört hätte verdauen lassen. Ich erwiderte ihnen: Menzel ist gerichtet; noch ist er frei, er ist Kontumaz, aber sein Schicksal erwischt ihn endlich. Soll ich sein Häscher sein, die Leiter seines Glückes? Zu so edler Rache ist man nicht alle Tage gestimmt.

Und was könnte ich ihm auch antun! Wie kann man mit Menschen siegreich rechten, die nie aus ihren Monologen heraustreten, die auf unsere Fragen keine Antwort geben, in die Luft antworten auf Fragen, die sie nicht gehört und auf ihre eigene Fragen keine Antwort annehmen? Wie sollte ich Menzel einholen, der, während ich hart auftretend mit langsamen Schritten auf dem Eise der deutschen Angelegenheiten umhergehe, selbst mit Schlittschuhen darüber hinfährt, angstvoll zitternd, er möchte fallen und einbrechen, und wenn er nach Hause gekommen, mit erstarrten roten Fingern seine schwankende Feder führt? Hat denn je Menzel die Rechtlichkeit gehabt, das aus meinen Schriften anzuführen, was er, sei es aus Überzeugung, sei es aus Dienstpflicht, widerlegen und verdammen wollte? Er durfte mich nicht reden lassen, ich weiß es; aber warum sprach er dann von mir? Die Tyrannei hat Mittel, das Schweigen zu erzwingen, aber das Reden nicht. Auch ein edler Mann kann ein Sklave der Verhältnisse werden; wer aber ein Knecht der Verhältnisse wird, das ist kein edler Mann. Menzel ist ein Kotsasse der „Allgemeinen Zeitung“, ein Prokurator der deutschen Bundesregierung. Er hat sich ihr geschenkt, nicht verkauft – es sei. Aber ist Geldbestechung die einzige, die entehrt? Ist das ein braver Mann, der seine Gesinnung gegen ein österreichisch Lächeln, eine preußische Schmeichelei, ein bayrisches Achselklopfen und ein jesuitisches Lob vertauscht? Der Tyrannei zu schmeichlen, um seiner Behaglichkeit, seiner schnöden Ruhe wegen, um das ungestört zu genießen, was man hat – ist das minder schlecht als ihr zu schmeicheln, um zu erlangen, was man nicht hat und haben möchte?

Doch warum wieder die Großen in den Streit der Kleinen mischen? Weil die Großen so klein sind.

Einer meiner Beurteiler, ich glaube Gutzkow, hat mir vorgeworfen, daß ich alles zur Sache der Könige machte; aber wenn, wie in unserem Vaterlande, die Staatsgewalt überall einschreitet, alles betastet, alles wägt, alles schätzt, alles ordnet, ist dann nicht alles Sache der Fürsten? Die Freiheit ist überall oder nirgends, sie braucht kein Asyl oder findet keines. Vergebens sucht ihr in Deutschland ein Lebensverhältnis, eine Wissenschaft, eine Kunst, ein Gewerbe, in welchem ihr zugleich Ruhe und der Ruhe Zuversicht genießet. Ihr müßt immer, nicht bloß vor jeder neuen Täuschung, sondern auch vor jeder neuen Einsicht der Tyrannei zittern. Gibt es noch enge Kreise des Lebens, in welchen ihr unumschränkte Herren geblieben, so ist es bloß, weil eure Gebieter den Berührungspunkt jener Kreise mit ihren eignen noch nicht wahrgenommen. Laßt nur einmal den Zufall es an den Tag bringen, daß sich unter den spanischen Jakobinern ein Mathematiker befinde, und sogleich wird euch der Bundestag die Logarithmen untersagen. Wer hätte vor einigen Wochen noch daran gedacht, daß deutschen Bürgern verboten werden könnte, ihre Kinder Ferdinand, Wilhelm oder Franz zu nennen? Jetzt ist es in Preußen geschehen. Gab es nicht eine Zeit, wo auch Sonne, Mond und Sterne zensiert wurden? Kann nicht wieder einmal ein alter, geistesschwacher und frömmelnder Fürst kommen, der im Namen der Heiligen Schrift der Erde zu stehen befiehlt und diejenigen als Verbrecher in den Kerker wirft, die sie gehen heißen? In Preußen wurde die Wissenschaft, solange sie gefroren war, gepriesen und begünstigt: kaum fing sie aufzutauen und zu fließen an, verfolgte man sie mit Haß und Spott. Man entdeckte, daß ein guter Stil, was er auch behandle, revolutionär sei, und man setzte den Stil unter Polizeiaufsicht. Wie lange wird es dauern, bis man findet, daß jede Philosophie aufrührisch ist und die Hegelsche am meisten, denn sie spricht das Recht des Bestehenden, das heißt der Stärke, heilig, und dann wird man Förster und Gans und alle andern Apostel unseres Herrn Jesu Hegels in Köpenick einsperren. Gutzkow und seine Freunde waren klüger als ich; sie haben weislich die Sache der Könige von ihren eignen gesondert; sie haben nicht von Politik gesprochen, sondern nur von Philosophie, Religion, Moral und andern unfürstlichen Dingen. Aber was haben sie dabei gewonnen? Was hat es sie genützt, in den Lebensjahren, wo Schwärmerei so schön, der Irrtum so liebenswürdig ist, schon so altklug gewesen zu sein? Hat man nicht sehr bald die blonden Locken unter ihrer grauen Perücke, den frischen Blick hinter ihrer Brille entdeckt? Hat es Gutzkow nicht auch erfahren, daß alles Sache der Könige ist? Man hat ihn ins Gefängnis geworfen, seine Freunde im Lande umhergejagt und allen nicht bloß diesen und jenen Gedanken, sondern das Denken verboten. Hat Gutzkow geahndet, daß auch des Denken Sache der Könige sei?

Menzel, weil er meinen guten Willen weder zu bezweifeln noch in Zweifel zu setzen vermag, sucht meine Gesinnungen aus meiner Leber zu erklären, läßt drucken, ich hätte den Spleen und sähe den herrlich deutschen Rosengarten mit schmutzig-gelben Augen an. Für eine andere Art Leser, welche eine so standhafte Logik des Unterleibes für unmöglich halten, hat Menzel eine andere Art, das Rätsel meiner Leidenschaft zu lösen. Er macht einen jüdischen Hannibal aus mir, der schon als Knabe den Eid geschworen, einst an den Feinden Jerusalems blutige Rache zu nehmen. Glaube doch ja keiner den Lügen und Verleumdungen der Stuttgarter Literaturpolizei. Ich bin keiner von denen, die das Herz im Bauche tragen und deren Philosophie von der Verdauung abhängt. Ich bin nur krank an meinem Vaterlande; es werde frei, und ich gesunde. Ich bin kein dunkler Heraklit, der heitere Anakreon ist mir viel näher verwandt. Wie oft habe ich nicht hier in Paris, zusammen mit meinem alten Freunde Heine, bei Punsch und Wein das Hohelied Salomonis durchgejubelt! Ist das ein grämlicher Mensch, der bei Véry im Palais Royal den lüderlichen Schir Haschirim singt? Solcher wäre eher ein liebenswürdiger Taugenichts zu nennen. Was ist denn so wunderlich an mir, das einer kunstreichen Enträtselung bedarf? Ich bin standhaft geblieben, während andere umgewandelt. Mich haben die Zeiten gegerbt, ich bin rauh, aber fest, während andere, früher gleichgesinnt mit mir, der Essig des deutschen Liberalismus, in dem sie eine Weile gelegen, so mürbe geheizt hat, daß sie an dem gelinden Feuer gnädiger Augen in wenigen Minuten gar geworden. Nach einem guten Frühstücke sich auf das Sofa hinstrecken, einige auserlesene moralische Kapitel in Paul de Kocks Romanen lesen, dann einschlafen und träumen; mittags mit fröhlichen Gesellen schmausen; abends mit angenehmen Frauenzimmern plaudern und mit Bankiers und Wechselagenten gegen die Republikaner losziehen, die uns unser Geld wegnehmen und uns den Hals abschneiden wollen, – das wäre auch meine Lust, hörte ich nicht auf die Stimme des bessern Genius in mir. Es komme ein wackerer Mann, der mich ablöse und für unser elendes Vaterland das Wort führe; ich werde ihn als meinen Erretter, als meinen Wohltäter begrüßen. Ich bin müde wie ein Jagdhund und möchte „Florentinische Nächte“ schreiben.

Herr Menzel ist ein grimmiger Franzosenfeind; aber das vierzehnkaratige Deutsch mit zehn Karaten französischer Legierung, welches der bekannte verstorbene Schriftsteller schreibt, findet er ungemein liebenswürdig. Was doch ein Zusatz von Gold nicht tut; selbst das schlechte Franzosentum kann es veredlen! Meinem groben Fanatismus und demokratischen Zynismus stellt Herr Menzel die aristokratische Grazie des Fürsten Pückler gegenüber, den er den Thümmelhaftesten Schriftsteller und geistreichsten Spötter unserer Zeit nennt. An den Torheiten, Leiden oder kranken Einbildungen des deutschen Volks seinen Witz zu schärfen, ist freilich sehr edelmännisch; mir aber ist mein Vaterland zu wert, um es als Schleifstein zu gebrauchen, und ich will lieber ohne Grazie als ohne Herz befunden werden.

Ich will dem Herrn Fürsten Pückler seine Grazie gar nicht streitig machen, ich erkenne sie mit dem größten Vergnügen an; es ist mir nur daran gelegen, zu zeigen, wie lächerlich es ist, daß der Plebejer Menzel die Grazie zur genädigen Frau macht, der er demütig den Rock küßt, als könne eine bürgerliche Seele nicht auch Grazie haben. Um nicht von Heine zu sprechen, der in jeder Zeile seiner Reisebilder mehr Grazie hat als der Fürst Pückler in seinen sämtlichen Werken; um nur von mir zu reden, findet sich in meiner Person und meinen Schriften nicht ebensoviel Grazie, als in denen des Fürsten Pückler, wenn man so billig ist, wie diesem, so auch mir den Reiseapparat als Grazie anzurechnen? Ich sollte es meinen, wenn ich mich mit den Auszügen zusammenstellte, die Menzel von den Reisebeschreibungen des Verstorbenen mitteilt, den er so liebreizend und küßlich findet. Semilassos Reisewagen ist schwarz lackiert und mit himmelblauer Seide ausgeschlagen; der meinige ist grün lackiert und ausgeschlagen wie ein österreichischer Soldat. Aber grüner Lack und weißes Tuch sind ebenso graziös und dabei viel dauerhafter und achtungswürdiger als schwarzer Lack und blauer Taffet. Semilasso reist mit einer grünen Perruche, ich freilich führe nur ein fuchsrotes Eichhörnchen mit mir; wenn ich aber in meiner künftigen Reisebeschreibung das Eichhörnchen nicht Eichhörnchen, sondern Ecureuil nenne, wird es an Grazie mit der grünen Perruche nicht wetteifern können? Auf Semilassos Bock sitzt ein blondgelockter junger Jäger; mein Konrad ist nun zwar weder blond noch jung; indessen brauchte ich ihn nur mit einem Federhute zu versehen, und der Jäger wäre fertig, und mit ihm der Edelmann, und mit diesem die Grazie. Semilasso erzählt in seiner Autophysiologie, daß er reichlich bei der Hälfte seines Lebens angelangt; das bin ich auch. Daß seine wohlgeformte Gestalt mehr Zartheit als Stärke, mehr Lebhaftigkeit als Festigkeit verrate; ganz wie bei mir. Daß bei ihm das Zerebralsystem besser als das Gangliensystem ausgebildet sei. Leider auch hierin mir ähnlich; leider, denn was hilft mir mein gebildetes Zerebralsystem? Das Gangliensystem, diese Canaille des menschlichen Körpers, hat sich alle Herrschaft angemaßt, und mein allerhöchster Kopf muß sich von den Cortes des Unterleibes gänglen lassen. O mit Recht heißen sie Ganglien! Semilasso erzählt, daß ihm jeder Menschenkenner augenblicklich ansähe, daß er im vornehmen Stande geboren; auch ich habe dieses Schicksal. Jeder, der nur einmal Schulden gemacht und einen Wechsel unterschrieben, sieht es mir an, daß ich jenem vornehmsten Stande angehöre, dessen Adel älter ist als der aller christlichen Fürstenhäuser, sogar des Fürsten Pücklerischen Hauses. Semilassos Züge sind fein und geistreich, die meinigen auch; wenigstens hat mich das einmal eine Schauspielerin in Lauchstädt versichert, als ich ihr eine goldene Kette geschenkt. In Semilassos Natur herrscht das weibliche Element vor, in der meinigen auch, und zwar so stark, daß mir selbst der hysterische Nagel nicht fremd ist. Das sollte ich freilich in Gegenwart Menzels nicht eingestehen, denn jetzt kann er sagen: seht ihr's, wie recht ich habe? Er hat den hysterischen Nagel und kann darum nicht begreifen, wie vortrefflich Deutschland regiert wird!

Semilasso sitzt auf dem Bocke, graziös zurückgelegt; hierin muß ich freilich nachstehen, denn ich habe in diesem Punkte sehr weislich die Grazie der Bequemlichkeit aufgeopfert. Ich liege in meinem Wagen in aller Länge ausgestreckt, denn es ist ein Wiener Schlafwagen, demjenigen ähnlich, in dem einst Goethe nach der Champagne gereist und der ihm so wert war und von dem er so viel erzählte, daß er ganz die Französische Revolution darüber vergaß. Der Glückliche!

Ich lege kein Gewicht darauf, daß ich gleich dem Fürsten Pückler auf der Reise eine rote Mütze trage; denn man könnte mir einwenden, daß sie kein loyaler tunesischer Fez, sondern eine Jakobinermütze sei. Ich gehe auf eine wichtigere Vergleichung über.

Menzel lobt besonders an dem Verstorbenen, daß ihm die Conforts so unentbehrlich wären und daß er nie verfehle, ihrer zu gedenken, wo er sie vermisse, und Winke zu geben, wie man sie sich verschaffen könne. Zur Unterstützung dieses Lobes teilt er ein Kaffeerezept mit, das Semilasso bekanntzumachen die Gewogenheit hatte. Nun ist es zwar sehr löblich, wenn deutsche Edelleute für die materiellen Interessen des deutschen Pöbels Sorge tragen und durch Verbreitung guter Kochbücher die Zungen der räsonierenden Canaille unschädlich zu beschäftigen suchen. Indessen ist ein Kaffeerezept ein Werk der Tugend, nicht der Grazie, und ein bürgerlicher Schriftsteller kann, obzwar nicht hoffähig, dennoch rezeptfähig sein. Sollte aber ein Kaffeerezept wirklich ein Werk der Grazie sein, so könnte ich mich auch hierin dem Fürsten Pückler nicht bloß gleich, sondern triumphierend gegenüberstellen. Das Kaffeerezept, welches der Fürst Pückler mitteilt, ist alt und bekannt, und es ist zum Erstaunen, daß der gelehrte Menzel nichts davon wußte. In hundert orientalischen Reisebeschreibungen ist es zu lesen, und ich habe es zuletzt noch in Trelawnys Adventures of a younger son gefunden. Ich aber kann ein Rezept mitteilen, das ich nicht abgeschrieben, sondern selbst erfunden habe, ein Schokoladerezept. Ich würde meinen schönen Leserinnen das Schokoladerezept gern mitteilen, damit es dieser gelehrten und plebejischen Schrift nicht an aristokratischer Grazie fehle. Doch nach reiflicher Überlegung fand ich besser, es für meine künftige Reisebeschreibung aufzusparen, deren Zierde es werden soll. Ich will nur erzählen, wie ich zu der wichtigen Entdeckung gekommen, da die Kochkunst sonst mein Fach nicht ist.

Vor drei Jahren geschah es zum erstenmal, daß es mir sehr leid tat, mit der diplomatischen Welt in so schlechtem Vernehmen zu stehen. Es war an dem Tage, da ich in den Memoiren der Herzogin von Abrantes las, daß bei einem Frühstücke, welches der österreichische Gesandte gab, man eine Schokolade serviert habe, die so schaumig und zart gewesen, daß man eine Viertelstunde vor dem Mittagessen achtzehn Tassen davon habe trinken können, ohne sich im mindesten den Appetit zu verkleinern. Ich schmachtete sehr nach der Schaumschokolade; da es mir aber leichter schien, hinter das Geheimnis ihrer Verfertigung zu kommen, als die Freundschaft der nordischen Mächte zu erlangen, so nahm ich mir vor, über ersteres nachzudenken. Nach wenigen Tagen wußte ich die herrlichste Schaumschokolade zu bereiten. Das genügte mir aber nicht, ich strebte höher. Ich erfand ein Schokoladengas, welches die Grazie selbst ist und wovon man hundert Tassen trinken kann, ohne im mindesten davon belästigt zu werden.

Herr Menzel hat sich gehütet, aus den Schriften des Herrn Fürsten Pückler allzuviel Geist zu ziehen; denn er fürchtete mit Recht, die ungewöhnten Leser des „Literaturblattes“ möchten davon berauscht werden. Doch da jetzt neun Monate verflossen sind, seit Herr Menzel seinen Lesern zu trinken gegeben, darf ich wagen, ihnen von dem Geiste des Herrn Fürsten von neuem einzuschenken.

„In meiner üblen Laune blieb ich fast den ganzen Tag im Bette liegen und las Zeitungen nebst den Paroles d'un croyant vom Abbé Lamennais. Über dieses Buch ärgerte ich mich noch mehr. Nie ist wohl ein heterogeneres Ragout von Philosophie und Mystizismus, von revolutionärem und monarchischem Unsinn, von St.-Simonismus und Obskurantismus – alles in eine Sauce prophetischer Insolenz getunkt und mit einigen Brocken unseres Herrn Christus assaisonniert, zusammengekocht worden. Daß ein so albernes Machwerk sechs Editionen hat erleben können, ist ein wahrhaft trauriges Ereignis. Arme Zeit! die an einem solchen Strohhalm sich vom Ertrinken zu retten hofft.“

Wir bedauern ungemein, daß es dem deutschen Apostel der Conforts nicht gefallen hat, uns bürgerlichen Lesern das Rezept zur Insolenz-Sauce mitzuteilen. Er hätte dadurch zu unserer Zivilisation viel mehr beigetragen als einst der heilige Bonifazius, der auch aus England kam, aber uns nichts mitgebracht als das Christentum.

– Als der Herr Fürst in einem Schlachthause einen Ochsen schlachten und gleich darauf einen zweiten herbeiführen sah, zur nämlichen Bestimmung, rief er aus: Le bœuf est mort, vive le bœuf! Es ist freilich unendlich viel Geist und Grazie in diesen Worten, doch habe ich den schönen Gedanken schon vor vier Jahren gehabt, mich aber gefürchtet, ihn drucken zu lassen. Da die „Abendzeitung“, ob ich zwar nie in jener Art geschrieben, von mir gesagt hat, ich stände auf dem Punkte, wo der Mensch in den Tiger übergeht; so hätte sie, wenn ich ausgerufen: Der Ochs ist tot, es lebe der Ochs! mich gewiß zum Könige der Krokodile erklärt.

– Wozu man Fürst ist, wenn man die Furchtsamkeit eines deutschen Untertanen hat, das begreife ich nicht. Der Herr Fürst von Pückler-Muskau wagte nicht einmal die Liebenswürdigkeit des Dichters Béranger, mit dem er sich bei Tische fand, zu loben, ohne hinzuzusetzen, daß er dessen Meinungen nicht teile. Es hätte niemand daran gezweifelt – sowenig als dessen Liebenswürdigkeit.

– Der Herr Fürst hat ein seltenes Glück auf seinen Reisen. Alle liebenswürdige Personen, mit denen er zusammentrifft, sind entweder Fürsten oder Günstlinge derselben, oder Prinzessinnen, oder Hofdamen, oder reich an Einfluß oder an Gelde. Letzteres sogar ohne mittelalterliche Vorurteile; es heiße einer Ferdinand oder Salomon, sobald er liebenswürdig ist, ist er auch reich. Nur dann verläßt den Herrn Fürsten sein gewohntes Glück, wenn er mit Liberalen und Schustergesellen zusammentrifft. Die sind immer arme Teufel und sehr unliebenswürdig. Der Herr Fürst weiß aber in solchen Fällen sein böses Geschick mit edler Seelengröße zu ertragen und es mit dem Geiste und der Grazie zu schildern, die wir an ihm bewundern. So begegnete er eines Tages auf einer Fußwanderung in Franken zweien Schustergesellen; er redete sie an und sprach:

Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Dritte.

Das bewilligten ihm die Schustergesellen mit plebejischer Höflichkeit. Der eine Gesell war lang, und der andere war kurz, und das Gespräch, das sie mit ihrem edlen Begleiter führten, hatte etwas vom Langen und etwas vom Kurzen, es war zugleich langweilig und kurzweilig, und es nahm folgenden Ausgang:

„Nun heute ist's dafür desto wärmer, lieben Freunde“, sagte der Lange, denn ein glühender Wind ging eben über sie her wie heißes Wasser. „Der kömmt von Österreich!“ meinte der Jüngste. „Ja, 's ist ein verdammt arstokratscher Wind“, fiel der andere ein. „Was Teufel wollt ihr damit sagen?“ „Nun weil er uns den letzten Schweißtropfen auspreßt.“ „Ihr Narren, habt ihr nie das Sprüchwort gehört: ›Schuster, bleib bei deinem Leisten‹? Tolles Wesen heutzutage mit solcher leidigen Halbaufklärung! Habt keinen Kreuzer in der Tasche und könnt doch 's Räsonieren und Politisieren nicht lassen. Wundert ihr euch noch, daß man euch in jedem Dorfe den Paß abfragt und auch auf den Geringsten von euch ein wachsames Auge hat? Glaubt mir, der schlimmste Wind für euch ist der liberale, denn er verdrehet euch den schwachen Kopf.“ Der Geselle lachte höhnisch. „Es ist noch nicht aller Tag' Abend, lieber Herr, und wer es erlebt, wird sehen, daß es anders in der Welt werden muß. So hundsföttisch, wie's jetzt ist, kann's nicht lange mehr gehen.“ Die leidige Halbaufklärung, das ist ebenso neu als rührend, und der liberale Wind ist höchst dichterisch. Aber warum wundert sich der Herr Fürst, wie einer, der keinen Kreuzer Geld in der Tasche hat, räsonieren mag? Wer soll denn räsonieren? Wer Geld hat, braucht keinen Verstand. Auch wollten wir ihm nicht raten, in diesem Tone mit den deutschen Handwerkern in Paris zu sprechen; denn bei diesen ist die leidige Halbaufklärung in die noch leidigere Vollaufklärung übergegangen, und sie wären imstande, wenn man sie Narren nennte, es nicht beim Räsonieren bewenden zu lassen. – Aus Böhmen teilt uns der Herr Fürst eine Reihe böhmischer Bemerkungen mit, die künstlich sind; wären sie nicht ungeschliffen, könnte man sie als Granatenkette gebrauchen. „Böhmen kömmt mir dem Äußern nach weniger zivilisiert als unser Vaterland vor (ich meine das Königreich Preußen), Armut, Schmutz, Bettelei sind hier häufiger. Dagegen findet man, was man bei uns vermißt, eine gewisse treuherzige Höflichkeit aller Klassen und eine keineswegs sklavische, aber sich an ihrem Platz stellende déférence der niederen und mittleren Stände für die Vornehmeren. Das Gegenteil bleibt in Monarchien ein gefährliche und folglich unverständige Anomalie. Werdet Menschen im edlern Sinne, werdet echte Christen! Dann hören die Vornehmen, wie Krieg und Pest, von selbst auf! Solang ihr aber dazu weder den Mut noch den Willen habt, solange fügt euch den Vorurteilen, und vorzugsweise denen, die euch am wenigsten schaden, die am wenigsten unsinnig sind. So würd' ich den Liberalen zurufen, wenn ich ein konstitutioneller Minister wäre, als legitimer würde ich es gar nicht so weit kommen lassen.“

Wie geschickt es der Herr Fürst an den Tag zu bringen weiß, daß er ebenso brauchbar zu einem konstitutionellen als zu einem legitimen Minister sei! So kann es ihm in keinem Falle fehlen. Und wie recht hat Herr Azaïs! Alles kompensiert sich in der Welt. In dem einen Lande herrscht allgemeiner Wohlstand, dagegen fehlt die déférence der niedern Stände für die Vornehmen; in dem andern Lande herrschen Armut. Schmutz und Bettelei, dagegen findet sich dort jene schöne déférence. Es kömmt auf eines heraus. Doch daß wir echte Christen werden müßten, um den Adel loszuwerden, davon sehe ich die Notwendigkeit nicht ein. In der französischen Nationalversammlung war nicht ein einziger echter Christ, und doch wußten sie sich vom Adel zu heilen, ohne Gebet und ohne Weihwasser. Der Herr Fürst stellt den Preis der Gleichheit sehr hoch, um uns von deren Ankauf abzuschrecken; aber es ist hier gar nicht von Kaufen die Rede. Die Freiheit ist Gemeingut, wie die frische Himmelsluft, und wir brauchen nur aus unserm dumpfen Zimmer herauszutreten, um sie unentgeldlich einzuatmen. Es gibt freilich Vorurteile, die noch unsinniger sind als das, sich dem Adel zu unterwerfen; nämlich das Vorurteil, diese Unterwerfung zu verlangen. Werdet Menschen im edlern Sinne, werdet echte Christen, ihr Edelleute! Dann werdet ihr eure Narrheiten selbst verlachen.

Die guten Österreicher, wie ich hier erfahre, sind noch ganz so, wie sie vor dreißig Jahren waren. Mit Entzücken erinnere ich mich, daß ich in meiner Jugend mit meinem Vater eine Reise nach Wien gemacht. Mein Vater war gewohnt, gute Trinkgelder zu geben, und alle Postillione unter der Enns nannten ihn Ew. Gnaden und mich einigemal den Junker. Der Lohnbediente im „Ochsen“ zu Wien nannte mich in der dritten Person nie anders als den jungen genädigen Herrn (ich gab ihm oft Papierscheine gegen Konventionsmünze einzuwechseln), und die vornehmen und reichen Leute in den Gesellschaften erhoben mich förmlich, jedoch taxfrei, in den Adelstand und nannten mich Herr von Baruch. Ich schmunzelte damals ebensosehr über meinen vornehmen Stand, als der Herr Fürst von Pückler-Muskau über den seinigen; denn ich war noch jung und dumm. Als ich aber älter und klüger geworden war, lernte ich ein Land bedauern, wo einer, der nicht von Adel ist, so gar nichts ist, daß jeder gebildete Mann, wenn er mit einem Nichtadligen in Berührung kömmt, aus Höflichkeit und aus Achtung gegen sich selbst, ihn für einen Edelmann zu halten sich anstellen muß.

– Es war dem Herrn Fürsten von Plebejern als eine eitle Vornehmtuerei vorgeworfen worden, daß er in sein Deutsch so viele französische Redensarten menge und bei jedem dritten Worte wie seinen Paß vorzeige, um seinen hohen Stand zu beweisen. Der Herr Fürst sucht sich gegen diesen Vorwurf zu verteidigen. Sobald sich einer vor dem Volke zu rechtfertigen sucht, sind wir sehr geneigt, ihn unschuldig zu finden, und wenn wir ihn doch für schuldig erklären, müssen wir unsere guten Gründe haben. Hören wir, was der Herr Fürst sagt.

„Es ist mir so oft vorgeworfen worden, meinen Stil durch französische und andere fremde Phrasen zu verunstalten, daß ich ein Wort darauf erwidern muß. Es tut mir nur leid, nicht mehr Kenntnis fremder Sprachen zu besitzen, sonst würde ich in den gerügten Fehler absichtlich noch viel öfter verfallen. Wenn ich Briefe schreibe oder auch für das Publikum, so ist meine Absicht keineswegs, deutsche Stilübungen zu drechseln, sondern auszudrücken, was ich fühle und denke. Wenn dies nun sich im Geiste eines fremden Idioms in mir entwickelt, so verliert oft ein Gedanke alle Grazie, seinen Duft sozusagen, wenn er übersetzt wird. In solchem Fall lass' ich ihn in seiner ursprünglichen Form.“

Das ist es eben; man soll nicht in die Not kommen, Stilübungen drechseln zu müssen. Die wahren Gefühle brauchen keinen künstlichen Schmuck, und die guten Gedanken springen, der Minerva gleich, schon gerüstet aus dem Kopfe ihres Vaters. Wenn der Herr Fürst, um das, was er fühlt und denkt, auszusprechen, sich eines fremden Idioms bedienen muß, so beweist das, daß seine Gedanken und Gefühle auf einem fremden Boden gewachsen sind, und nicht in seinem eigenen Geiste und seinem eigenen Herzen. Daß er den Grazien opfert, ist sehr schön von ihm; wenn die Grazien nur von dem Opferduft der Deutschen leben müßten, wären sie schon längst Hunger gestorben. Wir glauben aber, daß deutsches Silbergeschirr, besonders wenn er schwer ist, ebensoviel Grazie hat, als französische Vaisselle, und wir sind überzeugt, daß, wenn der Herr Fürst, statt zu sagen: „Die Elßler eklipsiert die Taglioni“, gesagt hätte: „Die Elßler verdunkelt die Taglioni“, weder die Taglioni noch die Elßler im mindesten von ihrem Dufte und ihrer Grazie dadurch verloren hätten. Wir bleiben also dabei, es ist nichts als Vornehmtuerei und die eitle Sucht, sich unter den deutschen Schriftstellern als einen hoffähigen Mann auszuzeichnen.

Ende der aristokratischen Grazie.

Grazie gegen Grazie gehalten, was hätte nun der Fürst Pückler vor meinem demokratischen Zynismus voraus? Er ist gereist und hat erzählt; wenn ich reisen werde, werde ich auch erzählen können. Mit dem Lord Brougham Senft essen, an dem Tische eines Königs die glänzende und funkelnde Vaisselle und die Profusion der Speisen bewundern – Vaiselle – Profusion – die Journalisten der Volkspartei tolle Hunde nennen, das ist weder so schwer noch so graziös, wie Herr Menzel meint, und der dritte Stand ist vollkommen imstande, solche wichtige Dinge zu erleben und zu berichten. Der dritte Stand in Deutschland ist noch mehr zu tun imstande: er ist fähig, das, was folgt, zu schreiben und drucken zu lassen, ohne rot zu werden, und es zu lesen, ohne aus der Haut zu fahren. Der dritte Stand hat viel edelmännisches an sich.

„Der Fürst von Pückler-Muskau, – sagt der Franzosenfresser Menzel – vereint mit angeborner Eleganz zugleich die feinste Berücksichtigung aller Tendenzen der Zeit, die ihn aus einem dunkeln aristokratischen Dasein zu einer glänzenden und doch im strengsten Sinne nur bürgerlichen Rolle herausgedrängt haben, und er weiß der Neuheit dieser Situation jeden Reiz abzugewinnen. Er hat von seinem Stande nur die Conforts, nur den feinen Epikuräismus, die schönen Sitten beibehalten, und wenn er auch einmal seiner ›Wappenvögel‹ gedenkt, so ist doch unpassend, ihm daraus einen Vorwurf zu machen; denn seine ganze literarische Erscheinung ist weit eher eine Konzession, welche die hohe Aristokratie dem Zeitgeist macht, als eine Reklamation. Es ist eine Erscheinung, die ohne die Revolutionen des Jahrhunderts und insbesondere ohne die sozialen Umwälzungen in Frankreich unmöglich wäre. Es ist ein Schlaglicht, aus Frankreich nach Deutschland herübergeworfen, und der Fürst Pückler verhält sich zu dem bürgerlich gewordenen neuen Frankreich, wie Friedrich der Große zum philosophisch gewordenen alten sich verhielt.“

Schlaglicht ist ein gutes Wort; das Licht, das die hohe deutsche Aristokratie aus Frankreich aufgefangen, ist eine Folge der Schläge, die sie zwanzig Jahre hintereinander von den Franzosen bekommen. Nimmer hätte ich gedacht, daß Herr Menzel so mutwillig sein könne. Herr Menzel erklärt, die ungeheure Umwälzung in Frankreich und alle ihre Töchterrevolutionen wären erforderlich gewesen, um die hohe deutsche Aristokratie in den Stand zu setzen, einen Schriftsteller hervorzubringen, der leserlich schreiben kann. Es ist die Sache der hohen deutschen Aristokratie, sich für dieses Kompliment zu bedanken. Es ist wahrlich noch niemand so tief in das Wesen und die Bedeutung der Französischen Revolution eingedrungen als Herr Menzel, und das heutige bürgerliche Frankreich wird mit Erstaunen erfahren, in welchem Verhältnisse es zum Fürsten Pückler stehe, daß die Tuttifrutti des hohen deutschen Adels von dem Baume der Französischen Revolution gepflückt worden und der Berg des Konvents eine so lächerliche Maus geboren. Das deutsche Volk aber und der Zeitgeist müßten sehr unverschämt sein, wenn sie an die hohe deutsche Aristokratie noch weitere Forderungen machen wollten, nachdem ihnen diese freiwillig die große Konzession gemacht, eines ihrer Mitglieder auf die Leipziger Büchermesse abzuordnen, um dort zum Besten des dritten Standes ein Kaffeerezept zu votieren.

Nachdem Herr Menzel die Verdienste des Fürsten Pückler mit Luft aufgetrieben und die Seifenblasen seines Lobes an der Sonne hat glänzen lassen, spricht er:

„Diesem heitern Fürsten steht ein finsterer Republikaner gegenüber, in dem der Geist der Französischen Revolution fortlebt, dessen Zynismus von der Eleganz jenes Fürsten himmelweit verschieden und gleichwohl desselben französischen Ursprungs ist.“

Wäre Herr Menzel kein Stümper in der Weltklugheit, hätte er meinem Zynismus, um seiner schönen Schwester willen, schonender behandelt. Wer kann vorhersehen, wie es endet? Unsere Mutter, die Revolution, lebt noch, und wer weiß, wie sie ihr Testament macht, wer weiß, ob die Ausstattung der schönen Eleganz nicht einst ganz allein von der Großmut ihres Bruders Zynismus abhängen wird? Wird die Treue des Herrn Menzel diese Prüfung überstehen? Wird er einer Bettlerin den Hof machen?

Sooft sich meine Gegner in der Gefahr sehen, am Börne zu scheitern und mit ihrem Verstande Schiffsbruch zu leiden, werfen sie ihren Notanker Baruch aus. Herr Menzel ist noch vorsichtiger als die andern; er fängt nicht eher gegen mich zu manövrieren an, als bis er sich in meinem Jundentume festgeankert. In der Verzweiflung, mich mit Gründen der Wahrheit und das Rechts zu widerlegen, macht er mich interessant und weiß mich so romantisch zu schildern, daß man eine Novelle aus mir machen könnte.

„In Frankfurt am Main, wo der große Goethe als Patrizierkind aufgehätschelt wurde, kam ein kleines kränkliches Kind zur Welt, der Jude Baruch. Schon den Knaben verspotteten die Christenkinder. Täglich sah er an der Sachsenhäuser Brücke das schändliche Steinbild, das Juden darstellt, auf das anstößigste gruppiert mit einer Sau. Der Fluch seines Volks lastete schwer auf ihm. Als er auf Reisen ging, setzte man ihm höhnisch in den Paß: Juif de Francfort. Bin ich nicht ein Mensch wie ihr andre? rief er aus. Hat Gott nicht meinen Geist ausgestattet mit jeder Kraft, und ihr solltet mich verachten dürfen? Ich will mich auf die edelste Weise rächen, ich will euch kämpfen helfen für eure Freiheit.“

Das wäre alles sehr schön, wenn es nur wahr wäre; ja es würde mich freuen, wenn es wahr wäre; aber so ist es nicht. Nie glomm auch nur ein Funke des Hasses gegen die christliche Welt in meiner Brust; denn ob ich zwar die Verfolgung der Juden lange schmerzlich an mir selbst gefühlt und immer mit Erbitterung verdammt, so erkannte ich doch gleich darin nur eine Form des Aristokratismus, nur eine Äußerung des angebornen menschlichen Hochmuts, von den Gesetzen statt gebändigt, frevelhaft begünstigt; ich stieg dann wie gewohnt zu der Quelle des Verderbens hinauf, mich um einen seiner Ausflüsse nicht bekümmernd. Nie habe ich mich für erlittene Schmach, nicht einmal auf eine edle Art, zu rächen gedacht. Und wie hätte ich es auch vermocht seit den Jahren, da ich durch die Schrift zu wirken gesucht? Hätte ich tausend Dolche und tausend Gifte und tausend Flüche und das Herz eines Teufels, sie alle zu gebrauchen, – was könnte ich meinen alten Feinden denn noch antun? Sind sie jetzt nicht meine Glaubensgenossen und Leidensbrüder? Ist nicht Deutschland der Ghetto Europas? Tragen nicht alle Deutschen einen gelben Lappen am Hute? Könnte ich zumal gegen meine Vaterstadt noch den kleinsten Groll haben? Sind jetzt nicht alle Frankfurter, meine ehemaligen Herren, den Juden von früher gleich? Sind nicht die Österreicher und Preußen ihre Christen? Und der Schimpf, den sie dort einst, Gering und Vornehm, Jung und Alt, bei Tag und bei Nacht, jedem Juden zugerufen: Mach' Mores, Jud! müssen sie ihn jetzt nicht selbst anhören? Der hohe Senat und die löblich regierende Bürgerschaft und die gestrengen Herren Bürgermeister und die Herren Aktuare und die reichen Seidenhändler – klingt es ihnen nicht in die Ohren, so im Rate wie auf dem Markte, so in der Weinschenke wie zwischen ihren Hauswänden, klingt es nicht höhnisch und grell: Macht Mores! Wahrlich, und sie machen Mores und ziehen den Hut ab vor Österreich und Preußen, so schnell und so demütig, als es nie früher ein Jude vor ihnen getan. Hätte mein Herz auch brennend nach Rache gedürstet, es wäre jetzt betrunken! Aber es ist nüchtern an Lust, es fühlt nur den Schmerz des Vaterlandes; und wenn es ihn allein fühlt und für alle, so ist es das Verbrechen der Empfindungslosen, nicht das meinige.

Nicht durch Geduld, durch Ungeduld werden die Völker frei. Ist es etwa anders, so mögen der schlesische Herr Menzel, der württembergische Herr Menzel und der preußische Herr von Raumer, die für den Notfall zusammen einen Historiker vorstellen können, ihre Loyalität und ihren Scharfsinn vereinen, um uns unsere aufrührerische Torheit zu beweisen. Sie mögen in den Büchern der Weltgeschichte uns einen einzigen Fall aufzeigen, wo ein Volk dadurch die Freiheit erlangt, daß es geduldig die Knechtschaft ertragen und gewartet, bis entweder durch ein Wunder ihm die Ketten abgefallen oder durch ein größeres Wunder sie ihm von seinen Tyrannen abgenommen worden. Sie würden aber vergebens darnach suchen. Erst vor einigen Tagen sprach Hume in einem Meeting: „Ja, wenn das Volk sicher sein will, die Abhülfe seiner Beschwerden zu erlangen, so muß es seine Angelegenheiten selbst besorgen. Während meiner langen politischen Laufbahn habe ich auch nicht einen Fall erlebt, wo es dem Volke gelungen wäre, die Aufhebung eines Mißbrauchs zu bewirken oder sich von einer drückenden Last zu befreien, wenn es nicht, nach dem Ausdrucke Benthams, sein Betragen so eingerichtet, daß es den Schlaf seiner Beherrscher zu stören wußte.“ Ist dieses in England, wie viel mehr in Deutschland. Jene genannten deutsche Herren und so viele, die ihnen gleichen, wie sie auch sein mögen, wissen das so gut als wir; sie wissen aber noch besser als wir, daß zwischen der Lüge und der Wahrheit sich die Mauern der Zensur hinziehen und ein undurchdringlicher Wald von Bajonetten starrt und daß sie von dem Widerspruche der Bessergesinnten oder Besserwissenden nichts zu fürchten haben. So geschützt lügen sie furchtlos im Angesichte des ganzen Landes, so geschützt trat auch Herr Menzel in Stuttgart gegen mich hervor.

Welch einen großen Vorrat von schönen Adjektiven und Bildern, die man zu den kostbarsten Romanzen und Liedern hätte verwenden können, hat nicht Herr Menzel verbraucht, um die Unbeweglichkeit und Unempfindlichkeit des deutschen Volks als etwas Gutes, Gedeihliches, Herrliches und Beneidenswertes darzustellen. Er nennt das einen gesunden Schlaf, einen Pflanzenschlaf, ein stilles gedeihliches Wachstum, ein Zeichen innerlicher Fruchtbarkeit, das Wohlbehagen einer hoffnungsvollen Mutter, eine beträchtliche musikalische Pause. Pause – es sei; doch wäre es nur wenigstens eine Pause von bestimmter Dauer, die man abzählen könnte! aber nein, es ist keine Pause von bestimmter Dauer, es ist eine Fermate, während welcher die Herren Benefizkonzertgeber ihre Kadenzen nach Willkür ausdehnen, und ihr könnt Jahrhunderte warten, bis sie euch durch einen huldvollen Triller das Zeichen zum Einfallen geben. Sich gedulden, bis die Herren Solospieler der Alleinherrschaft müde geworden? Das abwarten? O Blödsinn! Unterdessen könnte das ganze Orchester nach Hause gehen, zu Nacht essen, sich schlafen legen, heiraten, Töchter ausstatten, Enkel schaukeln, dann sterben, dann wieder von vorn erben und sterben, und so immer fort und fort, die Pause endet niemals gutwillig. Am hellen Tage faulenzen und schlafen; aber schlafen wie eine Blume, ohne zu schnarchen; die Augen träumend nach den Wolken schlagen, die Hände auf den hoffnungsvollen Mutterleib legen und warten, was dabei herauskömmt; beträchtlich pausieren, bis man ihnen zuruft: Jetzt wacht auf, jetzt sind wir wieder in Not, jetzt helft uns! – das Männern anraten – einem Volke von dreißig Millionen – o Herkules – dieses anzuhören und gelassen zu bleiben, und deine Keule nicht zu schwingen – diese dreizehnte Arbeit hättest du nicht vollbracht!

Aber ich will Herrn Menzel mit seinen eigenen Worten reden lassen; ich will nicht mit ihm verfahren, wie er mir gegenüber verfahren ist: daß er sich nämlich um meine Gedanken und Reden gar nicht bekümmerte, sondern aus meinen Ansichten, die er unterschlug, eine Summe zog, wie er sie brauchen konnte; nimmermehr! Herr Menzel soll selbst seine Rechnung machen. Seine Gesinnungen sollen von Gänsefüßchen eskortiert werden und, gegen jeden Andrang gedeckt, ungestört ihren Marsch fortsetzen.

„Die jetzige Stille ist der deutschen Art vollkommen angemessen, die Deutschen befinden sich wohl dabei. Nennt es Börne einen Schlaf, nun so ist es ein gesunder Schlaf, und wohl dem, der ruhig schläft. Ich möchte es einen Pflanzenschlaf nennen, ein stilles gedeihliches Wachstum. Dies gilt von unserem physischen wie vom geistigen Zustand. Im ganzen hat der äußere Wohlstand zugenommen, und eine unübersehliche Menge von Mißbräuchen der alten Zeit ist abgeschafft. Auch die Literatur beweist, daß wir geistig fortschreiten, und das letzte Jahrzehnt, so unscheinbar es sich gegen dem vorletzten ausnimmt, ist innerlich viel reicher an Keimen der Kraft und Entwicklung gewesen. Am höchsten Maßstab des Ideals darf man nie einen menschlichen Zustand messen; unter allen Tyranneien verträgt der Mensch die der Vernunft vielleicht am wenigsten. Man verlangte zu viel auf einmal, jetzt wuchern wir mit dem wenigen, was wir wirklich haben, und das ist der einzige solide Weg, sich zu verbessern. Daß wir bei unserer gegenwärtigen anspruchslosen und tüchtigen Arbeitsamkeit, das ›Sich unglücklich fühlen‹ der alten Enthusiasten nicht mehr recht begreifen und leiden können, ist ein recht gutes Zeichen, sollten wir auch deshalb einer noch verstockteren Helotengeduld bezüchtigt werden. Börne hat bei all seinem Haß gegen das Alte zu wenig Liebe für das Junge; seine Imagination vertieft sich zu sehr in die Verwesung des Vergangenen, und er sieht unter der morschen und zu Mehl aufgeweichten Rinde der alten Weidenstümpfe zu wenig die jungen grünen Keimsprossen hervorblicken. – Vergleichen wir unsern gegenwärtigen Zustand mit dem vor Auflösung des Reichs, so müssen wir auch einsehen, daß wir in kurzer Zeit einen großen Schritt vorwärts getan haben. Man darf nur vergleichen, um billig zu sein. Ich will die gewerblichen, wissenschaftlichen, und auch politischen Vorteile, der wir uns jetzt erfreuen, nicht einzeln aufzählen. Es genüge, darauf hinzuweisen, daß wir den unschätzbaren Vorteil des vorgerückten Alters genießen, eine Menge von Torheiten durchgemacht zu haben und durch die Zeit selbst klüger geworden zu sein. Dieses Klügerwerden der Deutschen in Masse läßt sich trotz der vielen alten Dummheiten einzelner Schulen und Parteien nicht abstreiten. Ich glaube nun auch, die Klugheit kommt nicht gleich, wenn man die Dummheit eingesehen, sie kommt erst, wenn man sie verschmerzt hat, es gehört eine beträchtliche Pause, eine Zeit der Vernarbung dazu. Solange man sich noch ärgert, nicht klüger gewesen zu sein, so lange ist man noch nicht klug. Schon deswegen glaube ich, daß wir in zehen Jahren klüger oder erst klug geworden sind, während wir vor zehen Jahren nur voreilig glaubten, es schon zu sein. Wir befinden uns jetzt in jener beträchtlichen Pause, ja wohl, wir pausieren, aber diese Pause gilt etwas in der Musik; der Komponist der Weltgeschichte muß hier das Pausenzeichen machen. Gewiß ist die Stille, in welcher das deutsche Leben sich jetzt in sich selbst versenkt hat, ein Zeichen seiner innerlichen Fruchtbarkeit, und ich finde sie mehr dem ruhigen Wohlbehagen einer hoffnungsvollen Mutter zu vergleichen als dem tierischen Winterschlaf eines Bären, wie sie uns Börne darstellt. Es ist nicht die Zeit, unmutig und grollend in Lethargie zu versinken; anspruchslose Tätigkeit in allen Zweigen des praktischen und wissenschaftlichen Lebens darf sich ihrer ungestörten und gedeihlichen Wirksamkeit freuen!“

Diese der „Deutschen Literaturgeschichte“ des Herrn Menzels ausgezogene Stellen, eine wahre Klatschrosenpredigt und ein Polizei-Eiapopeia, haben so viel Angähnendes, Einschläferndes, Nachtmützenartiges und Eintölpendes, das man, schon schlaftrunken, nach der ersten besten Fronvogtei hintaumeln möchte und dort ehrerbietig stammeln: „Wir pausieren zwar beträchtlich, sind nur im stillen fruchtbar, warten geduldig auf unsere Niederkunft und schlafen unsern guten deutschen Pflanzenschlaf; doch könnte es geschehen, daß wir einmal im Schlafe ungebührlich mit den Blättern flüstern; darum sperrt uns ein, lieber Herr Vogt, um uns gegen unsere eigene Exaltation sicherzustellen. Tut das, lieber Herr!“

Wäre Herr Menzel ein Demosthenes, dann müßte ich ein Äschines sein, um mich seiner Rede pro corona entgegenzustellen; aber glücklicherweise ist er es nicht, und wir reichen gerade für einander aus. Ja, ich habe noch den großen Vorteil über ihn, daß ich nicht zu fürchten brauche, mir den Mund zu verbrennen; denn in Frankreich ist die Politik jetzt eine kühle Schüssel. Wer hieß aber auch Herrn Menzel die lächerliche Rolle eines Kätzchens zu übernehmen, das lüstern und furchtsam um den heißen Brei schleicht? Warum hielt er sich nicht an der kalten Küche der deutschen Philosophie? Hier aber muß ich ausdrücklich bemerken, daß ich es als etwas Unedles, ja Gemeines, weit von mir abweisen würde, meine vorteilhafte freie Stellung dem Herrn Menzel gegenüber zu benutzen, wenn es sich bei ihm und bei mir nur um etwas Persönliches handelte. Mir ist recht gut bekannt, daß man in Deutschland den Teufel nicht beim Namen nennen darf, selbst nicht, um ihn zu bannen, und daß man ihn, wenn man ihn austreiben will, nicht anders heißen darf, als den Gottseibeiuns. Ich weiß, daß Herr Menzel nicht die Freiheit hat, die ich genieße, Grundsätze und Meinungen, die er bekämpfen möchte, sich in ihrer ganzen Breite ausdehen zu lassen. Aber es handelt sich hier um nichts Persönliches, es betrifft die große Angelegenheit eines ganzen Volks, und da wäre großmütige Zurückhaltung unzeitig, ja frevelhaft.

„Die Exaltation, die unser deutsches Phlegma einst in Begeisterung und Witz elektrisch zersetzte, ist niedergeschlagen.“ Niedergeschlagen – sehr gut. Ich erfahre zwar mit Überraschung zum ersten Male, daß das Phlegma aus Begeisterung und Witz zusammengesetzt sei; wenn es indessen der Experimentalphysik des Herrn Menzels gelang, den phlegmatischen Stoff in solche Bestandteile zu zersetzen, so bewundre ich und glaube. Da aber wenig daran gelegen ist, von Professoren und Diplomaten verstanden zu werden, sondern alles daran liegt, daß uns das Volk verstehe, will ich hinter dem gelehrten Sinnbilde des Herrn Menzels den gemeinen Sinn hervorholen. Die deutschen Fürsten, welche, wenn es darauf ankömmt, den Übermut jedes Mächtigern als sie geduldig zu ertragen, ebenso phlegmatisch sind als ihre Völker, wurden von den Franzosen so lange gerieben, daß sie, ohne es zu wollen, zu wahren Elektrisiermaschinen wurden. Als sie diese neue Kraft in sich spürten, suchten sie ihre Völker damit anzustecken, und es gelang ihnen so gut, daß die hellen Funken stoben. Den Völkern sagten sie, Napoleon sei ihr einziger Tyrann und sein Untergang wäre der Aufgang ihrer Freiheit. Die deutschen Völker glaubten das, und in ihrem elektrischen Zustande besiegten sie den Kaiser der Franzosen. Darauf kamen sie mit großen Schnappsäcken herbei, um von den Schlachtfeldern die erbeutete Freiheit nach Hause zu tragen; aber die Fürsten, die sie schon früher eingesackt, lachten das dumme Volk aus, und als es räsonierte, prügelten sie seine vorlaute Begeisterung durch, oder, um mich mit Herrn Menzel chemisch auszudrücken: sie schlugen sie nieder. Der geschlagene Enthusiasmus flüchtete aus dem Herzen in die Dachkammer des Kopfes und hielt sich dort unter dem Namen Witz versteckt. Aber welcher Art war dieser Witz? Kein solcher, der gegen den Beleidiger, sondern einer, der gegen sich selbst stach. Das deutsche Volk spottete seiner eignen Begeisterung, seiner Ungeschicklichkeit und Übertölpelung. Es nannte sich den deutschen Michel und gab sich Ohrfeigen, und das bekannte Buch Welt und Zeit, das Herr Menzel noch heute bewundert und anpreist, war eines der schmachvollen Zeichen der schmachvollsten Selbsterniedrigung. Herr Menzel denkt, das sei alles mit sehr natürlichen Dingen zugegangen, denn keine Überspannung könne lange dauern, die Abspannung müsse ihr bald nachfolgen. Das denke ich auch; das ist aber eben der Jammer. Haben denn die Deutschen, Titanen gleich, den Himmel zu stürmen gesucht? Haben sie mehr als das Irdische und Menschliche gewollt? Ich sage, das ist die Schmach, daß das deutsche Volk seine Kräfte überspannen mußte, um nur zwei Jahre das zu wollen, was die Franzosen schon ein halbes, die Spanier schon ein viertel Jahrhundert gekonnt, ohne sich niederschlagen zu lassen und ohne Erschöpfung zu verraten. Das ist der beweinenswerte Jammer, daß, wie Herr Menzel sagt, die jetzige Stille der deutschen Art vollkommen angemessen ist und daß sich die Deutschen dabei wohlbefinden. Herr Menzel und alle, die ihm gleichen, werden freilich bei ihrer „gegenwärtigen anspruchslosen und tüchtigen Arbeitsamkeit“, diese alte Geschichte, die ihnen ein alter Enthusiast erzählt, nicht mehr recht begreifen können. Aber die alte Geschichte kann sich einmal verjüngen, man kann zum zweiten Male das deutsche Phlegma zu elektrisieren suchen, und darum ist es gut, daß die Vergangenheit der Zukunft zur Warnung diene. Und Herr Menzel selbst täte wohl daran, diese Warnung zu benutzen. Er ist alt genug, um sich zu erinnern, auf welche Weise Jahn, Arndt, Görres und die andern Ober-Hof-Franzosenfeinde für ihren Patriotismus belohnt worden; und jung genug, um noch einst ein gleiches Schicksal erfahren zu können.

Herr Menzel sagt: „Am höchsten Maßstab des Ideals darf man nie einen menschlichen Zustand messen.“ O Himmel! Für die Deutschen, für das gebildetste, geistreichste, tüchtigste und tugendhafteste Volk der Welt, das fordern, was Portugal und Spanien, Frankreich und England, Belgien, Holland und die Schweiz, was das kleine, schwache, von tausend Banden der europäischen Diplomatie umstrickte Griechenland durch seinen Mut und edlen Trotz selbst gegen den Sohn des Königs von Bayern zu behaupten wußte; was selbst die Negerkolonien in Sierra Leone und Liberia – Neger, von vielen Naturforschern vollkommener menschlicher Bildung ganz unfähig erklärt –, was selbst diese besitzen: Preßfreiheit, öffentliche Gerichte, Geschwornen, und alle die andern Institutionen, die mündigen Völkern zukommen, und deren Entbehrung ein Volk zu verächtlichen Sklaven und lächerlichen Schulbuben herabwürdigt, – dieses für unser Vaterland verlangen, das nennt Herr Menzel den höchsten Maßstab des Ideals anlegen! Herr Menzel ist kein Freund von Idealen, er verehrt nur Substanzen und spricht wie Fichte und der Egoismus: ich bin ich, und was außer mir, ist nur Lebensmittel. Es ist darin keine Eigentümlichkeit; denn wie Herr Menzel denken und handeln die meisten deutschen Gelehrten, die, sobald sie einmal ihr Ich gesetzt, meinen, jetzt sei alles in Ordnung.

Herr Menzel behauptet: eine unübersehliche Menge von Mißbräuchen der alten Zeit wäre in Deutschland abgeschafft worden, und wenn man den gegenwärtigen Zustand des Landes mit dem vor Auflösung des Reichs vergleiche, müsse man gestehen, daß man in kurzer Zeit einen großen Schritt vorwärts getan habe. Welch ein albernes Wiegenlied! Nein, in langer Zeit wurde nur ein kurzer Schritt vorwärts getan. Und dieser kleine Schritt, haben ihn die Fürsten freiwillig ge macht, oder hat etwa das deutsche Volk durch seinen Mut und seine Beharrlichkeit ihn zu erzwingen gewußt? Nicht das eine, nicht das andre. Es war Frankreich, welches das Deutsche Reich aufgelöst, das aus Mangel an Luft und Wärme nicht verfaulen konnte. Es war Frankreich, das einen Teil der zahllosen Mißbräuche, an welchen wir krank lagen, zerstört hat. Es war Frankreich, welches das deutsche feudale Staatsgebäude so erschüttert, daß alle Stützen der Angst und der Vorsicht es nicht vor dem Einsturze bewahren werden. Es war Frankreich, das die deutsch-lutherische politische Moral so lächerlich gemacht, daß sie sich nie mehr wird davon erholen können. Wenn die Franzosen nicht wären und ihre Taten; wenn sie nicht unbeweglich in ihrer drohenden Stellung blieben; wenn sie nicht die Leibwache der Völker Europens bildeten, wie die Kosaken die Leibwache der europäischen Fürsten bilden: dann würden in Deutschland, wie überall, schnell alle alten Mißbräuche zurückkehren, aber mit verjüngter Kraft und vermehrter Bösartigkeit. Darum ist ein Verräter an seinem Vaterlande, welches auch sein Vaterland möge sein; darum ist ein Feind Gottes, der Menschheit, des Rechts, der Freiheit und der Liebe, wer Frankreich haßt oder es lästert aus schnöder Dienstgefälligkeit.

Herr Menzel sagt von mir:

„Nur darin hat er es immer verfehlt, daß er die Irrtümer gleich sehr verhöhnte wie die Laster und dem langsamen Entwicklungsgange nie eine Konzession machen wollte. Er beleidigte dadurch nicht selten die redlichsten Männer und schadet jener allmähligen Entwicklung. Ein Terrorismus der Worte ohne den Nachdruck der Tat, eine Faust im Sacke, ein ungeduldiges Ereifern auf einem hölzernen Gaul, der doch einmal nicht fort will, macht zuletzt eine ganz entgegengesetzte Wirkung.“

Was meine Faust betrifft, so dächte ich doch, daß ich sie immer offen genug gezeigt, und wenn meine Worte keine Taten hervorgebracht, ist das meine Schuld? Soll ich Deutschland befreien? Auch ist keiner im Lande, der es lächerlicher findet, als ich selbst es finde, daß ich mich ungeduldig auf einem hölzernen Gaule ereifere, der doch einmal nicht fort will; aber kam es Herrn Menzel zu, darüber zu spotten? Ihm, der doch diesen hölzernen Gaul immerfort als ein edles Roß geschildert? Ich hätte die Irrtümer gleich sehr verhöhnt wie die Laster! Aber das Laster haßt man, man verhöhnt es nicht; der Spott gebührt den Irrenden. Wenn Kinder fallen, hebt man sie mitleidig auf; aber wenn Männer fallen und mit einer Beule aufstehen und dabei wie Kinder greinen, lacht ein jeder, und wäre er noch so gutmütig.

Ich hätte dem langsamen Entwicklungsgange nie Konzessionen machen wollen! Aber was hat sich denn in Deutschland mit selbsttätiger, selbstbestimmender Kraft von innen heraus entwickelt? Wurde nicht alles am Rade der Zeit durch Fußtritte abgesponnen, und hörte nicht jede Bewegung auf, sobald die Werkmeister mit ihren Händen und Füßen stillehielten? Haben die Deutschen ihre Abgaben, die auch sie dem Geiste der Zeit entrichten mußten, je anders abgetragen, als wie man jede Abgabe bezahlt, verdrossen, zögernd, feilschend; mußten sie nicht zu ihrer Steuer gezwungen, mußten sie nicht an jedem Zahlungstermine von ihrem Schicksale ausgepfändet werden? Heißt das langsam vorwärtsschreiten, wenn man immerfort zurückgeht? Welche Fortschritte hat denn Deutschland seit zwanzig Jahren gemacht? Herr Menzel spricht von Kunst und Literatur, von Handel und Gewerben; er sagt, die Deutschen wären in Masse klüger geworden, denn sie hätten schon so viele Torheiten durchgemacht, daß ihnen wenig mehr zu machen übrigblieben. Aber es ist hier weder von der Torheit noch der Klugheit der Deutschen, weder von Handel und Gewerben noch von Kunst und Literatur die Rede. Es ist davon die Rede, was Herr Menzel so gut begreift als wir, was er aber in seiner Schlauheit oder Furchtsamkeit gar nicht zu merken sich anstellt: von der Freiheit und der Herrschaft, von dem Ruhme und der Schande, von der Ehre und der Beschimpfung des deutschen Volkes, davon ist hier die Rede. Haben die Deutschen an Freiheit, Ruhm und Ehre gewonnen, seitdem sie das Joch der Franzosen abgeschüttelt? War es nicht ein jämmerliches Feilschen und Schachern und Betteln um jeden einzelnen Faden der Untertänigkeit, von dem sie erlöst sein wollten, und mußte nicht jedesmal das Schicksal, um dem Markt ein Ende zu machen, mit eiserner Schere den Faden zerschneiden? Sprangen nicht die deutschen Fürsten, sooft wie die Katze Revolution nicht zu Hause war, wie Mäuse auf dem Tische herum, alles zernagend, was sie erreichen konnten? Taten sie je für ihre Völker mehr, als sie mußten und früher, als sie es mußten? Aber wehe den Fürsten wie den Völkern, die der Zeit gehorchen, statt ihr zu gebieten! Die Zeit wird sie verschlingen. Die Zeit war es nicht, die Frankreich gemacht, Frankreich war es, das seine Zeit gemacht.

Ich hätte durch meine Schriften und mein Betragen nicht selten die redlichsten Männer beleidigt, und jener allmähligen Entwickelung der deutschen Herrlichkeiten sehr dadurch geschadet – meint Herr Menzel. Wer hätte sich je träumen lassen, daß ich der Mann bin, der die deutsche Bundesversammlung leitet! Wahrlich, unsere politischen Nimrods haben es seit zwanzig Jahren in ihrer Freiheits-Vogeljagd nicht viel weiter gebracht, und das muß ein rechter Gimpel sein, der sich von ihren Polizeipfiffen in das Garn locken läßt. Durch lautes Fordern einer Freiheit deren stille Gewährung verhindern – durch Mißbrauch der Presse der guten Sache schaden – o! wir kennen diesen Ton. Und es trocken herauszusagen: ein Deutscher kann die Presse gar nicht mißbrauchen. Da, wo Zensur herrscht, hat jeder, der sich von ihr freizumachen wußte, in seinen öffentlichen Äußerungen nur das Sittengesetz und die Stimme seines Gewissens zu beraten, aber kein bürgerliches Recht, kein Staatsgesetz, keine gesellige Schicklichkeit. Jede Tyrannei ruft das Urrecht der Natur hervor, und Gewalt tritt gegen Gewalt.

Wenn es wahr ist, daß ich redliche Männer beleidigt, so tut mir das von Herzen leid; doch möge Herr Menzel unter den Männern, die sich von mir beleidigt fühlten, umherblicken, und da wird er finden, daß jene Männer, so edel sie auch sein mögen, doch nur für ihr Wissen leben und streiten und nicht für ihren Glauben. Aber das Wissen ist eitel, und der Glaube ist stolz. Ich, der ich glaube, habe mich nie von einem meiner Gegner beleidigt gefunden, ja noch nie war mir in den Sinn gekommen, daß mich einer ihrer hat beleidigen wollen. Und wurde nicht das Härteste gegen mich hervorgebracht? Und habe ich es nicht immer selbst verbreitet? Habe ich nicht allen Geist und allen Witz, den Preußen und Sachsen gegen mich ausgeschickt, in meinen eigenen Schriften beherbergt? Und woher kam mir denn die stolze Zuversicht, mit den erhabensten Geistern Berlins und Leipzigs fertig zu werden? Sie kam mir aus meinem Glauben, aus dem Bewußtsein meines reinen Willens. Wir allein glauben, die andern glauben nicht. Unsere Gegner denken nur anders als wir, wenn sie aufrichtig sind; oder wenn sie heucheln, reden sie nur anders als wir; aber sie haben keinen Glauben dem unsrigen entgegenzusetzen. Und darum werden wir siegen, und unsere Feinde werden zuschanden werden.

Wie glücklich wäre ich, wenn ich die Wahrheit oder das, was ich dafür halte, verbreiten könnte, ohne einem Menschen dadurch wehe zu tun. Aber wie vermöchte ich das? Ich vergesse mich immer, ich denke nie daran, daß es viele Menschen gibt, die mir nicht gleichen, die für ihren Schriftstellerruhm, für ihre Künstlerehre, für ihre philosophische Würde besorgt sind. Mir sind solche Sorgen fremd. Ich strebte nie nach dem Ruhme eines guten Schriftstellers, ich wollte nie für einen Schreibkünstler gelten. Meine Natur hat mir ein heiliges Amt aufgetragen, das ich verrichte, so gut ich kann. Gedanken, Worte sind meine Werkzeuge, die ich nur schätze, solange ich sie brauche, und wegwerfe, sobald ich sie gebraucht. Nie hat es meine Eigenliebe weder erfreut noch betrübt, wenn einer meine Werkzeuge gelobt oder getadelt; nur mein Werk wollt' ich anerkannt sehen. Wenn es nicht so, wenn ich wäre wie die andern, wie hätte ich dann vermocht, gegen Herrn Menzel nur ein einziges unfreundliches Wort hervorzubringen, gegen einen Mann, der mich als Schriftsteller immer mit der größten Nachsicht, ja mit Vorliebe und Gunst beurteilt hat? Mancher, vielleicht er selbst, wird mich darum undankbar schelten. Ich muß das ertragen wie vieles. Herr Menzel steht bei dem Feinde, ich kann ihn nicht schonen. Der Soldat im Gefechte darf seine Kugel nicht zurückhalten, aus Bedenken, in den Reihen, gegen die er zielt, steht ein edler Mann, sein Freund, stehen so viele, die den Krieg gar nicht verschuldet. Die Kugeln dieser treffen auch. Das ist das traurige Recht und das harte Gebot des Kriegs: nur den Besiegten darf man lieben, nur ihm darf man verzeihen.

Alle bisherigen Meinungen und Urteile des Herrn Menzels über mich, die ich zu beleuchten gesucht, sind aus dessen „Deutsche Literatur“ genommen und mußten für ihren Teil dazu dienen, diesem nützlichen und allgemein faßlichen Buche die ungehinderte Verbreitung in Österreich und Preußen zu sichern. Da aber dort die Beurteilung meiner Gesinnung und Denkungsart sich auf meine deutsche Schriften gründete, die in vieler Leser Hände sind, so war Herr Menzel nicht ganz frei, mit meinen Worten und Gedanken nach Willkür zu schalten. Er konnte zwar unterdrücken, verstümmeln, deuteln, mußte sich aber auf etwas stützen, das ich wirklich gesagt. Doch jetzt will ich mich zu demjenigen Urteile des Herrn Menzels wenden, wozu er den Stoff aus einigen französischen Artikeln, die ich in Paris bekanntgemacht und die in Deutschland nur von sehr wenigen gelesen worden, zu nehmen vorgab. Hier hatte er völlige Freiheit, mich sagen zu lassen, was er wollte, und der öffentlichen Meinung auf meine Kosten eine Lektion zu geben. Es ist die Kritik meiner Person und Meinungen, die im „Literaturblatt“ unter dem Titel „Herr Börne und der deutsche Patriotismus“ steht. Die „Allgemeine Zeitung“ hatte den liebenswürdigen Eifer, mit den besten Bissen jenes Artikels die deutschen Diplomaten zu bewirten; doch dieser mache ich keine Vorwürfe darüber. Man muß Beharrlichkeit in jeglicher Gesinnung achten, auch wenn sie nicht die unsrige wäre. Es ist aber hinlänglich bekannt, wie die „Allgemeine Zeitung“ seit bald vierzig Jahren ihrer glühenden Liebe für das deutsche Vaterland und ihrem unauslöschlichen Hasse gegen Frankreich immer treu geblieben. Der Franzosenhaß des Herrn Menzels aber ist noch jung, und man kann hoffen, ihn zu bessern.

Wenn Herr Menzel meine in französischer Sprache geschriebenen Artikel nur aus den Übersetzungen und Bruchstücken der deutschen Blätter beurteilt, so hat er leichtsinnig, albern oder gewissenlos gehandelt, sich darauf zu stützen; denn er konnte recht gut wissen, daß kein deutsches Blatt die Freiheit hatte, meine Meinungen über Deutschland und Frankreich unverfälscht und unverstümmelt mitzuteilen. Wenn er sie aber in der französischen Ursprache gelesen, so war alles, worauf er meine Verdammung gegründet, gelogen.

Herr Menzel sagt: ich hätte den deutschen Patriotismus für eine Narrheit erklärt, aber den französischen Patriotismus gelten lassen. Ich zöge gegen die Deutschen im Interesse der Franzosen zu Felde und wollte unter der Maske der Freiheit nur das Franzosentum ausbreiten. Ich verhöhnte die Geister der deutschen Helden, die für ihr Vaterland geblutet. Ich hätte mich von der deutschen Nation losgesagt, ohne mich vorher umzusehen, was ich durch den Übertritt zu einer anderen Nation gewinnen könnte. Die Demoralisation in Frankreich hätte ich getadelt, aber die in Deutschland hätte ich gelobt. Ich suchte den Deutschen selbst alles Deutsche gehässig, verächtlich, lächerlich, alles Französische aber wünschenswert zu machen und den Franzosen alle Mittel und Wege zu zeigen, wie sie über die Deutschen Meister werden können. Und mehr dergleichen Dinge sagte Herr Menzel. Ich werde später Herrn Menzels Vorwürfe ausführlich und wörtlich anführen; vorher aber meine Äußerungen, die ich in der Balance über Frankreichs und Deutschlands wechselseitige Stellung gemacht, soweit es hierher gehört, übersetzen. So wird der Leser selbst vergleichen und urteilen können. Ich sage in der Einleitung der Balance:

„In den Werkstätten der Menschheit finden wir zwei Völker, welchen die Vorsehung die Aufgabe gemacht zu haben scheint, die Arbeiten aller andern Völker zu übersehen und zu leiten, ihnen ihr Tagwerk anzuweisen und ihren Sold auszuzahlen; es sind die Franzosen und die Deutschen. Den ersteren wurde die Leitung der praktischen Arbeiten, der Künste und Handverrichtungen, den andern die Leitung der theoretischen Arbeiten, der Wissenschaften und Spekulation, anvertraut.

Die Theorie ist furchtsam und zaudernd, die Ausübung ist unbedacht und vorschnell; daher die Entzweiung zwischen ihnen; daher die Unverträglichkeit des deutschen Geistes und deutschen Gemütes mit dem Geiste und dem Gemüte der Franzosen; daher sind beide Völker, ob sie zwar mit den Grenzen sich berühren, doch durch einen unermeßlichen moralischen Raum geschieden.

Es ist die Aufgabe der Franzosen, das alte baufällige Gebäude der bürgerlichen Gesellschaft zu zerstören und abzutragen; es ist die Aufgabe der Deutschen, das neue Gebäude zu gründen und aufzuführen. In den Freiheitskriegen wird Frankreich immer an der Spitze der Völker stehen; aber auf dem künftigen Friedenskongresse, wo sich alle Völker Europens versammeln werden, wird Deutschland den Vorsitz führen.

Die Geschichte Frankreichs und Deutschlands ist seit Jahrhunderten nur ein beständiges Bemühen, sich zu nähern, sich zu begreifen, sich zu vereinigen, sich ineinanderzuschmelzen, die Gleichgültigkeit war ihnen immer unmöglich, sie müssen sich hassen oder lieben, sich verbrüdern oder sich bekriegen. Das Schicksal weder Frankreichs noch Deutschlands wird nie einzeln festgesetzt und gesichert werden können. – – –

Die alterreifen Männer beider Länder sollten sich bemühen, die junge Generation Frankreichs mit der jungen Generation Deutschlands durch eine wechselseitige Freundschaft und Achtung zu verbinden. Wie schön wird der Tag sein, wo die Franzosen und die Deutschen auf den Schlachtfeldern, wo einst ihre Väter sich untereinander gewürgt, vereinigt niederknien und, sich umarmend, auf den gemeinschaftlichen Gräbern ihre Gebete halten werden!

Die unwandelbare Freundschaft und der ewige Friede zwischen allen Völkern, sind es denn Träume? Nein, der Haß und der Krieg sind Träume, aus denen man einst erwachen wird. Welchen Jammer hat nicht die Liebe des Vaterlandes schon der Menschheit verursacht! Wie viel hat diese lügnerische Tugend nicht an wilder Wut alle anerkannten Laster übertroffen! Ist der Egoismus eines Landes weniger ein Laster als der eines Menschen? Hört die Gerechtigkeit auf, eine Tugend zu sein, sobald man sie gegen ein fremdes Volk ausübt? Eine schöne Ehre, die uns verbietet, uns gegen unser Vaterland zu erklären, wenn die Gerechtigkeit ihm nicht zur Seite steht!

Ich liebe Deutschland mehr als Frankreich, weil es unglücklich ist und Frankreich nicht; im übrigen bin ich soviel Franzose als Deutscher. Was mich betrifft, so war ich, Gott sei Dank, nie ein Tölpel des Patriotismus; dieser Köder des Ehrgeizes, sei es der Könige, sei es der Patrizier oder der Völker, hat mich nie gefangen.

Das gesellige und geistige Leben der Deutschen leidet an Übeln und wird von Bekümmernissen gestört, welche die Franzosen nie gefühlt noch begriffen, oder die sie nicht mehr fühlen und vergessen haben. Dieser Umstand könnte unsere Bemühungen zuweilen aufhalten und unsere Lage sehr peinlich machen. Die Nationen sind nicht weniger Egoisten als die Individuen; sie achten gewöhnlich nicht viel auf die Leiden anderer Völker und langweilen sich bald bei ihren Klagen. Sie sind aller Zeit bereit, ihre eigne glückliche Lage ihrem Mute, ihrer Beharrlichkeit, ihrer Geschicklichkeit zuzuschreiben; und das Mißgeschick der andern Völker deren Schwäche, Unbeständigkeit oder Tölpelei. Vielleicht würde man in Frank reich jetzt veraltet finden, gegen den Adel zu eifern oder seiner zu spotten; man könnte vielleicht die Klagen der Deutschen über ihre geheime Kriminaljustiz, ihre dumme Zensur und über die unverschämten Beleidigungen, welchen ihre persönliche Freiheit jeden Augenblick bloßgestellt ist, sehr verdrüßlich finden. Sollte mir das begegnen, sollte mir unglücklicherweise nicht gelingen, die Sympathie der Franzosen für mein Vaterland zu gewinnen, dann würde ich mich an ihren Egoismus und an ihren Vorteil wenden, indem ich ihnen zeigte, daß ihre Freiheit und ihr Glück nur unsicher sind, solange nicht auch die Freiheit und das Glück Deutschlands festgestellt sind, und daß die Säule der französischen Freiheit nicht auf dem Platze der Bastille, sondern an den Ufern der Elbe einen festen Grund finden wird.

Deutschland bildet die Gebirgskette, welche die Zivilisation von der Barbarei, die Franzosen von den Kosaken trennt. Frankreich liebt die Republik nicht, man sagt es; aber gewiß liebt es noch weniger die Kosaken, und es hat zu viel Ehrgefühl, um nicht selbst die blutige Beredsamkeit eines Danton der unverschämten Rhetorik eines gekrönten Hetmans vorzuziehen. Nun wohl! Deutschland allein kann Frankreich von der traurigen Wahl zwischen dem populären und monarchischen Despotismus retten; aber unglücklicherweise wurde diese Lage der Dinge von den Franzosen jeder Meinung und jeder Partei seit fast funfzig Jahren verkannt. – –

Frankreich und Deutschland vereinigt können alles vollbringen und alles verhindern. Ein Krieg zwischen Rußland und England könnte niemals ernstlich den Frieden Europens stören, solange Frankreich und Deutschland neutral bleiben, und weder England noch Rußland könnten für Frankreich gefährlich werden, wenn ihnen nicht Deutschland Beistand leistete. Von der Einigkeit Frankreichs und Deutschlands hängt also nicht bloß ihr eigenes Wohl, sondern auch das Schicksal ganz Europens ab.

Frankreich, welches sich seit bald funfzig Jahren belustigt, die Welt wie einen Kreisel umherzupeitschen, hat wohl das Recht, jedes Volk, das ihm sein Bündnis anbietet, zu fragen: Was habt ihr zustande gebracht? Wozu könnt ihr uns nützen? Welche Hülfe bringt ihr? Welche Bürgschaft leistet ihr uns? In Wahrheit zu reden, Deutschland hat seit drei Jahrhunderten nichts getan, und es hat alles geduldig ertragen, was ihm andere haben antun wollen. Aber eben darum haben Arbeiten, Leidenschaften und Genüsse die jungfräulichen Herzen und die keuschen Geister Deutschlands noch nicht erschöpft; es bildet die Reserve der Freiheit und wird ihren Sieg entscheiden. Sein Tag wird kommen, und, um ihn zu wecken, braucht es nur sehr wenig: ein Moment guter Laune, eine Lächeln des Zufalls, etwas Himmelstau, einen Eisbruch, einen Narren mehr oder einen Narren weniger, ein Nichts, das Glöckchen eines Maultiers ist genug, die Lawine fallen zu machen. Alsdann wird Frankreich, welches sich über nichts mehr verwundert, dieses Frankreich, welches in drei Tagen das mühsame Werk eines Jahrhunderts aus dem Stegreife vollbracht und aufgehört hat, sich über sich selbst zu erstaunen, – es wird sich über das deutsche Volk erstaunen, und dieses Erstaunen wird nicht bloß Überraschung sein, sondern Bewunderung.

Frankreich sollte endlich Deutschland, diese Quelle seiner Zukunft, kennenlernen; es sollte sich endlich überzeugen, daß es sich nicht selbst genug und nicht alleiniger Herr seines Schicksals ist. Für die Freiheit kämpfen, das heißt noch nicht frei sein, das heißt nur zeigen, daß man der Freiheit würdig sei. Ein Volk, das Tag und Nacht seine Freiheit bewachen muß, ist nicht frei, wie ein Mensch, der auf seine Gesundheit achthaben muß, nicht gesund ist. Frankreich hat in weniger als funfzig Jahren das Leben von fünf Jahrhunderten verbraucht; es ist groß und bewunderungswürdig, aber sein Ruhm hat keine Früchte getragen.

Frankreich hat Deutschland immer falsch beurteilt und, was schlimmer ist, es hat es gar nicht beurteilt, es hat sich nicht darum bekümmert. Deutschland hingegen hatte immer die Augen auf Frankreich gerichtet, ohne es darum besser zu begreifen. Anfänglich war es die Bewunderung, dann der Haß und in der letzten Zeit eine Art höchst lächerlicher Geringschätzung, die sein Urteil blind gemacht. Die Deutschen, welche niemals vorwärtsgehen, kommen nie in die Lage, umkehren zu müssen, und jetzt werfen sie den Franzosen vor, daß sie so oft Rückschritte machten! – – –

Für jeden redlichen Mann ist es eine Qual, durch die Wahrheit gezwungen zu werden, von seinem Vaterlande übel zu sprechen; die Landsleute, die Fremden selbst sehen darin nur eine strafbare Verräterei. Allein hören Freimütigkeit und Unparteilichkeit auf, Tugenden zu sein, sobald man sie auf einen Gegenstand seiner Liebe wendet? Die Deutschen haben, seit sie Frankreich mit Erfolg bekämpft, eine Nationaleitelkeit bekommen, von der sie früher frei waren. Der Nationalempfindlichkeit der Franzosen ging wenigstens der Ruhm voraus; ohne Zweifel wird der Ruhm auch einst den Deutschen nicht fehlen; aber bis heute haben sie noch nicht genug getan, um sich der Zuversicht hinzugeben, daß man nicht ihr stolzes Selbstgefühl für Einbildung nehmen werde. Indem es Frankreich besiegte, hat Deutschland nur ein Joch von ausländischem Holze gegen ein Joch von inländischem Holze vertauscht und den glänzenden Despotismus Napoleons gegen die Scheidemünze seiner armseligen Zwergtyrannen gewechselt. Und dann, ist nicht in jeder Nationaleitelkeit etwas Kindisches, ja selbst Unsinniges? Ein einzelner Mensch kann entschuldigt werden, wenn er gegen das, was man von ihm denkt und spricht, sich empfindlich zeigt; denn der einzelne gilt nur so viel er geschätzt wird; da aber der Preis einer Nation immer ihrem wirklichen Werte gleichkömmt, so ist die Eitelkeit von ihrer Seite ganz nutzlos und nichts als Einfältigkeit. Übrigens wäre es leicht zu beweisen, daß oft, was die verschiedenen Völker Großes getan, nur durch ihre Fehler zustande gekommen, und was andere Völker erduldet, sie nur wegen ihrer Tugenden erlitten. Es ist also in jedem Lobe eines Volkes etwas, seine Zufriedenheit zu mäßigen, und in jedem Tadel etwas, die Beschämung zu versüßen. –

Indem wir Deutschland und Frankreich zu vergleichen gedenken, haben wir keineswegs die Absicht, die überlegenen oder untergeordneten Eigenschaften des einen oder des andern darzutun; denn das führte zu nichts. Man hat die Gewohnheit, Menschen und Völkern Moral zu predigen, als wäre ihnen möglich, ihren Charakter zu ändern; aber in Wahrheit ist das unmöglich. Weder die Individuen noch die Nationen können alle Tugenden vereinigen; es gibt Tugenden, die unvereinbar, es gibt gewisse gute Eigenschaften, die notwendig mit gewissen Fehlern verbunden sind. Das aber ist die wahre nützliche Aufklärung, die man den Völkern geben kann: ihnen zu zeigen, wie sie in außerordentlichen Fällen, wo sie zum Handeln oder zum Widerstehen gute oder schlimme Eigenschaften, die ihnen selbst fehlen, nötig hätten, dieselben bei fremden Völkern suchen und zum Besten gebrauchen sollen.

Frankreich und Deutschland müssen, um mächtig und unabhängig zu sein, einander ihre Kräfte leihen und eines von dem andern abhängen. Die Dienste, welche sie sich wechselseitig zu leisten haben, sind leicht festzusetzen. Im allgemeinen herrscht bei den Franzosen der Verstand (le caractère), bei den Deutschen der Geist vor; es kömmt also letztern zu, zu entscheiden, was man zu tun, den andern, wie man es zu vollbringen habe. – – –“

– Ein Artikel über Uhland und Béranger enthielt unter andern folgendes:

„Die Deutschen üben eine edle Gerechtigkeit gegen alles, was groß und schön ist, in jeder Gattung, in jedem Lande und zu jeder Zeit, und sie teilen ihre Liebe und ihre Bewunderung zwischen alle Verdienste mit einer strengen und bewunderungswürdigen Unparteilichkeit. – – –

Wären die Menschen immer glücklich, dann würde Béranger ihr Apostel sein und dessen Lieder ihnen zum Evangelium dienen. Wären die Menschen immer unglücklich, dann wäre Uhland ihr Prophet und dessen poetische Moral ihre Heilige Schrift. Da aber das Leben aus Lust und Schmerz gemischt ist, muß man Béranger und Uhland zugleich verehren, sich abwechselnd an ihren Schriften erbauen, bald Franzose, bald Deutscher sein, Gott und Lisette lieben. Im Frühlinge des Lebens und in den schönen Tagen der ersten Liebe erstickt man fast, ein Deutscher zu sein; aber wenn die Witterung kalt ist, gewähren euch eure Kamine und eure feuchten Gefühle nur eine Wärme für das Auge. Wie wohltuend würdet ihr alsdann einen deutschen Ofen und ein deutsches Herz finden! – – –

Béranger ist liebenswürdig, und Uhland ist achtungswürdig: sie sind von ihrem Lande; die Franzosen sind frei und glücklich, und die Deutschen verdienen, es zu sein. Wenn eines Tages die Deutschen, irregeführt von den Lügen und Ränken ihrer Fürsten, dem kindischen Wesen ihrer Poeten und der Unwissenheit ihrer Gelehrten, zum zweiten Male sich mit einem selbstmörderischen Hasse gegen Frankreich begeisterten, dann würden die Lieder Bérangers ihren Zorn verständigen und entwaffnen. Wenn die Franzosen sich von ihrer Nationaleitelkeit oder von dem Ehrgeize eines kriegerischen Oberhaupts von neuem gegen Deutschland treiben ließen, dann mögen sie Uhlands Lieder lesen, um zu erfahren, daß ein Volk, das seinen Ruhm in der Gerechtigkeit setzt und dem das Recht als Schild dient, nie unterjocht werden kann, und daß seine Freundschaft vorteilhafter ist als der Sieg selbst. – – –“

– In einem französischen Artikel über Menzels Franzosenfresserei sagte ich:

„Wie! Ihr seid ein Volk von dreiunddreißig Millionen Menschen, und ihr beklagt euch, von Napoleon beschimpft und verachtet worden zu sein? Hat Napoleon etwa auch die Engländer und Spanier verachtet, die seine Feinde waren? Hat er etwa die Polen verachtet, die seine Verbündete waren? Aber beruhigt euch, ihr unglückseligen Eunüken der Nationalehre, die nicht euch gehört und die ihr nur für den Gebrauch eurer Sultane bewacht; nicht euch, das deutsche Volk, die deutschen Fürsten hat Napoleon verachtet, jene Fürsten des Rheinbundes, die vor ihm gekrochen, die in seinem Vorzimmer wie Bediente Wache gehalten; die um den Titel eines Königs, eines Großherzogs, eines Herzogs, die um die Erlaubnis, sich der armseligen Reste von Freiheit zu bemächtigen, die ihren Untertanen von ihrem ganzen Erbe noch übriggeblieben, und um die Nachsicht, in ihren Präfekturen die Despoten spielen zu dürfen, ihm ihre Völker verkauften und ihm halfen, ihre Landsleute zu unterdrücken und Preußen zu vernichten, das sie gegen Österreich geschützt, und Österreich, dessen Vasallen sie waren. Diese Fürsten waren es, welche Napoleon mit Recht, aber zu seinem Verderben nicht genug verachtet, denn er hat sich von ihnen betrügen lassen. – – –

Ergreift die Waffen, ihr hochherzigen Verteidiger der Nationalehre, erobert das Elsaß wieder; aber eilt euch, die Sache ist dringend, bald werden die Festungen Spielberg, Olmütz, Spandau, Magdeburg, Ehrenbreitenstein, Hohenasperg für die väterlichen Bedürfnisse eurer Regierungen nicht mehr ausreichen; nimmt Straßburg mit Sturm ein, damit er eine Zitadelle mehr gäbe, um eurem Patriotismus als Prytaneum zu dienen. Allein bevor ihr euch den Gefahren des Ruhms aussetzt, fragt die Elsasser, ob sie einwilligen, wieder Deutsche zu werden, ob sie sich glücklich schätzen würden, ihren König gegen einen der deutschen Bundesfürsten, ihre Deputiertenkammer gegen die Frankfurter Bundesversammlung, die Freiheit der Presse gegen die schändliche Zensur, die Nationalgarde gegen die Gendarmerie, die Öffentlichkeit der gerichtlichen Verhandlungen gegen geheime Tribunäle, die Jury gegen abhängige Richter und die Gleichheit der Stände gegen den Hochmut und die Unverschämtheit des Adels und der Satrapen zu vertauschen. Fragt sie das, und sie werden euch antworten: wir sind die glühendsten und treuesten Patrioten unter allen Franzosen, gerade weil wir an der deutschen Grenze liegen. – – –

Geht doch, ihr stümpernden Liebhaber der Nationalehre! Es ist ein Unglück, aber keine Schande, von einem fremden Volke besiegt worden zu sein, das ist allen Völkern, und den tapfersten, begegnet; aber es ist eine Schande, in seinem Vaterlande Sklave zu sein. Der fremde Sieger macht uns wenigstens das Recht nicht streitig, ihn zu hassen und uns an ihm zu rächen; indem er uns unterjocht und niederdrückt, verlangt er nicht zugleich unsere Liebe und unsere Achtung; aber die inländischen Tyrannen zwingen uns, die Hand zu küssen, die uns züchtigt. Die Ehre eines Volkes ist, daß es wisse, frei zu sein; ein Bedientenvolk hat keine Ansprüche auf Achtung zu machen. Was habt ihr nötig, zwei Jahrhunderte zurückzugehen, um im Elsaß eure Nationalschande zu suchen? Sie liegt euch unter den Händen, sie ist von gestern. In Spanien, dem Vaterlande der Inquisition, besteht Preßfreiheit, und in Deutschland, dem Vaterlande Luthers, herrscht die Zensur! Ihr hungert nach Nationalehre, ihr füttert euch mit dem Siege, den vor achtzehnhundert Jahren Arminius über die Römer gewonnen, ihr ernährt euch armselig mit der Asche eures Ruhms, und die Varus von Frankfurt beschimpfen und bedrohen euch alle Tage! Wisset, daß dort die Schande ist und daß auch dort die Ehre könnte sein. – –“

– Ein Artikel über Heine enthielt folgendes:

„Das deutsche Leben gleicht einer hohen Alpengegend; es ist groß, königlich, die Krone der Erde, die mit ihren ewigen Gletschern schimmert. Deutschland ward das reinste Sonnenlicht, den andern Ländern die Wärme der Sonne. Seine unfruchtbaren Höhen haben die Welt zu ihren Füßen befruchtet. Dort sind die Quellen der großen Ströme der Geschichte, der großen Nationen und der großen Gedanken. Den Deutschen das Genie, den Franzosen das Talent; den einen die schöpferische, den andern die anwendende Kraft. Aus dem deutschen Boden sind alle jene große Ideen hervorgegangen, die von geschicktern, unternehmendern oder glücklichern Völkern ins Werk gesetzt und benützt worden sind. Deutschland ist die Quelle aller europäischen Revolutionen, die Mutter jener Endeckungen, welche die Gestalt der Welt geändert haben. Das Schießpulver, die Buchdruckerei, die religiöse Reform sind aus ihrem Schoße hervorgegangen – undankbare und vermaledeite Töchter, die Prinzen geheiratet und ihre plebejische Mutter verhöhnt haben. – – –

Die Franzosen klagen oft und spotten zuweilen über den Nebel, der den Geist der Deutschen umhüllt. Aber diese Wolken, welche den Franzosen das Sehen verhindert, sind nur zu den Füßen der Deutschen gelagert; sie selbst ragen mit ihrer ganzen Größe über die Wolken hinaus und atmen unter einem blauen Himmel eine reine und strahlende Luft. – – –“

Das ist es, was ich den Franzosen von Deutschland, was ich den Deutschen von Frankreich gesagt. Und jetzt betrachte man die Lügenstickerei, mit welcher Herr Menzel meinen guten und reinen Stoff zu bedecken suchte.

„Herr Börne gibt in Paris ein in französischer Sprache geschriebenes Journal, La Balance, heraus. Im ersten Heft desselben erklärt er den Patriotismus für eine Narrheit und dankt Gott, daß er jederzeit davon frei gewesen sei. Er sagt aber kein Wort gegen den französischen Patriotismus. Diesen läßt er gelten. Nur gegen den deutschen zieht er, selbst ein Deutscher, zu Felde, und in welchem andern Interesse als in dem der Franzosen.“

Wo findet sich denn in meinen Worten oder auch nur in meinen Gedanken, daß ich den deutschen Patriotismus für eine Narrheit erklärt, den französischen aber für Weisheit? Wo steht das? Mir braucht Herr Menzel nicht zu sagen, wo es steht, ich weiß es – es steht in seiner Instruktion. Er hat sich darum nicht mit mir zu verständigen, sondern nur mit jenen unschuldigen und gutmütigen Lesern, deren es in Deutschland so viele gibt, die zwar als Knaben schon den Livius und den Tacitus gelesen, aber nur lateinische Vokabeln und Wendungen, nicht aber die uralten Ränke der Aristokratie und die ewigen Tücken des Despotismus daraus gelernt. Gegen jene unwissenden Leser hat sich Herr Menzel zu rechtfertigen, die von dem Maschinenwesen der öffentlichen Meinungsfabrik nicht die geringste Kenntnis haben und von der Bauchrednerei der politischen Gaukler und Taschenspieler gar nichts ahnden. Diesen, nicht mir, zeige er die Stelle, wo sich das findet, was er mir zum Vorwurfe macht. Ich habe nicht den deutschen Patriotismus allein, ich habe auch den französischen und jeden andern verdammt, und ich habe ihn nicht für eine Narrheit erklärt, sondern für mehr, für eine Sünde. Will aber Herr Menzel darüber mit mir streiten, ob der Patriotismus eine Tugend sei oder nicht, so bin ich gern dazu bereit.

„Doch es scheint, wir müssen bei Herrn Börne voraussetzen, er betrachte den Unterschied der Nationen als ein Hindernis der allgemeinen Freiheit, er halte den Patriotismus nicht für etwas Angebornes, Natürliches und Heiliges, sondern für eine Erfindung, für etwas, das den Völkern aufgeschwatzt worden sei, um sie aneinanderzuhetzen und sich wechselseitig zu unterdrücken. Wollten wir auch dies Prinzip zugeben, was wir nicht tun, so würde doch daraus folgen, daß Herr Börne nicht bloß dem deutschen, sondern auch dem französischen Patriotismus den Krieg ankündigen müßte, wenn er dem Verdacht entgehen will, er wolle nur den Franzosen und ihren Interessen auf Kosten der Deutschen schmeicheln und statt der Freiheit oder unter ihrer Maske nur das Franzosentum ausbreiten. Ist denn aber das Prinzip überhaupt richtig? Kann man so in aller Geschwindigkeit den Patriotismus in der Welt ausrotten? und ist es wahr, daß der Patriotismus der Freiheit verderblich sei? Im Gegenteil. Es gibt gar keine Freiheit ohne Patriotismus. Was Herr Börne lehrt, ist genau dieselbe Lehre, die gerade die Feinde der Freiheit von jeher gepredigt haben, die Lehre der Welteroberer, der Stifter großer Weltmonarchien, der Hierarchien. Nur diese waren es von jeher, welche die Nationalunterschiede auszurotten und die ganze Menschheit in eine Uniform zu zwingen trachteten, weil sie wohl wußten, daß sie die Freiheit auf keine andere Weise unterdrücken könnten, als indem sie die Nationalität unterdrückten. Aus demselben Grunde war es auch immer nur der Patriotismus, das heilige Gefühl der Nationalehre, welcher die Freiheit rettete oder wiedereroberte. Nur deutscher Patriotismus war es, der einst den Römern sagte: bis hierher und nicht weiter! und dadurch die allgemeine Demoralisation der Sklaverei, die außerdem unausbleibliche Folge der römischen Kaiserdespotie, aufhielt. Nur deutscher Patriotismus war es, der den Päpsten zurief: bis hierher und nicht weiter! und den ganzen Norden losriß von unerträglichem Joch. Nur deutscher Patriotismus war es, der auch dem weltstürmenden Korsen zurief: bis hierher und nicht weiter! und dadurch erst jene neue Basis schuf, auf der so viel gebaut wird. Herr Börne selbst müßte vielleicht jetzt als französischer Polizeipräfekt in seiner Vaterstadt figurieren und Programme zu kaiserlichen Namensfesten schreiben, wenn nicht eine halbe Million ehrlicher Deutscher ihr Blut auf den Schlachtfeldern vergossen hätten, um ihm die Sicherheit zu erobern, in der er jetzt in Paris sitzt und schreibt und die Geister der Helden verhöhnt.“

Ich betrachte keineswegs, wie Herr Menzel voraussetzt, den Unterschied der Nationen als ein Hindernis der allgemeinen Freiheit, wenigstens gibt es größere Hindernisse, die meine Aufmerksamkeit viel stärker in Anspruch nehmen. Doch was heißt Unterschied der Nationen? Herr Menzel gebraucht oft Worte, welchen sich zu widersetzen ebenso unmöglich ist als die Luft durchzuhauen. Ich halte den Patriotismus, ganz wie Herr Menzel, für etwas Angebornes, Natürliches und Heiliges. Er ist ein angeborner Trieb, und darum natürlich, und darum heilig, wie alles, was von der Natur kömmt. Aber welches Heilige wurde nicht schon mißbraucht, ja mehr mißbraucht als alle gemeinen Dinge, weil eine ehrfurchtsvolle Scheu jede genaue Untersuchung zurückschreckte und den Schändern des Heiligtums freien Spielraum gab? Was ist heiliger als Gott, und was wurde mehr mißbraucht? Ich halte den Patriotismus nicht für eine Erfindung der Machthaber, denn diese haben nie etwas Gutes erfunden. Aber die Fürsten haben auch das Pulver nicht erfunden, und dennoch gebrauchen sie es bloß zu ihrem alleinigen Vorteil und oft zum Verderben ihrer eigenen und der fremden Völker. Das Pulver haben die Machthaber den Völkern abgeschwatzt, und von Patriotismus, von Vaterland haben sie ihnen eine ganz falsche Bedeutung aufgeschwatzt, um sie aneinander zu hetzen und sich wechselseitig zu unterdrücken. Das ist es freilich, was ich meine.

Die Neigung, stete Bereitwilligkeit und der unerschütterliche Mut, für das Glück, die Ehre, den Ruhm, die Freiheit und die Sicherheit seines Landes tätig zu sein und dabei kein Opfer, keine Anstrengung zu scheuen, sich von keiner Gefahr abschrecken zu lassen: das ist es, was wir Liebe des Vaterlandes nennen. Das Glück, der Ruhm, die Freiheit und die Sicherheit eines Landes können von zwei Seiten bedroht werden, von außen und von innen. Die Übel, die von außen kommen, sind seltener; es sind gewaltsame Verletzungen, und sie gleichen den Verwundungen des menschlichen Körpers. Sie sind schmerzlich, aber nicht bösartig, und können den stärksten und gesundesten Staat treffen. Die Übel, die von innen kommen, gleichen den Krankheiten; sie sind häufiger und bösartiger, denn sie setzen verdorbene Säfte, eine fehlerhafte Konstitution oder ungeregelte Lebensordnung voraus. Nun haben aber die Machthaber, welche die öffentliche Meinung, Moral und Erziehung nur zu ihrem eigenen Vorteile lenken, die Liebe zum Vaterland, die sich gegen die innern Feinde hülfreich zeigt, nie als eine Tugend geltend zu machen gesucht, sondern vielmehr als das größte aller Laster verdammt und unter den Namen Landesverräterei und Majestätsverbrechen durch ihre Gesetze mit den härtesten Strafen bedroht. Diejenigen Bürger haben sie für die besten Patrioten erklärt, die ihren unheilbringenden Gesetzen am meisten Ehrfurcht und Achtung bezeigten, indem sie nur für sich und ihre Familie Sorge trugen, sich aber um die Kränkungen, welche ihre Mitbürger und ihr Vaterland erlitten, nie bekümmerten. Nur denjenigen Patriotismus, der sich äußern Feinden des Vaterlands entgegensetzt, haben sie als eine Tugend angepriesen und belohnt, weil er ihnen nützte, weil er ihre Herrschaft sicherte und sie in den Stand setzte, jeden fremden Fürsten oder jedes fremde Volk, die sie befeinden wollten, als Feinde ihres Volkes darzustellen.

Die Liebe des Vaterlandes, sie mag sich nach außen oder nach innen offenbaren, ist eine Tugend, solange sie in ihren Schranken bleibt; darüber hinaus wird sie ein Laster. Wenn Herr Menzel sagt, für das Vaterland handelt man immer schön, so ist das eine alberne Floskel, albern und lästerlich zugleich. Nein, man handelt nur schön für das Vaterland, wenn man das Gerechte will; man handelt nur schön für das Vaterland, wenn es das Vaterland ist, für das man sich bemüht, nicht aber ein einzelner Mensch, ein Stand oder ein Interesse, die durch Ränke und Gewalt sich für das Vaterland geltend zu machen wußten. Die Vaterlandsliebe ist für den Bürger, was die Familienliebe für den Hausvater ist. Wenn nun Religion und Sittlichkeit den Hausvater lehren: du sollst deinen Nebenmenschen lieben wie dich selbst, du sollst ihn nicht hassen, nicht kränken; wenn das Staatsgesetz gebietet: du sollst deinen Mitbürger nicht bestehlen, nicht berauben; ihn nicht in seiner Ehre, seinem Rechte, seinem Eigentum kränken; und wenn auch dein Weib und Kind vor deinen Augen verhungerten, so darfst du doch deinem reichen Nachbar kein einziges Brot entwenden – wollten sie damit lehren oder verbieten, daß man sein Weib und Kind nicht lieben, daß man seine Familie verraten solle? Aber was man nicht tun darf für seine Familie, darf man auch nicht tun für sein Vaterland. Das Recht ist ein unentbehrlicheres Lebensmittel als das Brot, und Tugend ist schöner als Ruhm.

Herr Menzel frägt, ob man so in aller Geschwindigkeit den Patriotismus in der Welt ausrotten könne? Es ist aber nicht die Rede von dem, was man kann, sondern von dem, was man soll. Vom Ausrotten des Patriotismus ist gar nicht die Rede, sondern von der Vertilgung aller Schändlichkeiten, die der Egoismus der Fürsten und der Völker mit dem Namen Patriotismus umschleierte. Von aller Geschwindigkeit ist am wenigsten die Rede. Wir gewähren noch ein Jahrhundert, bis die Völker Europens, bis besonders die Franzosen und die Deutschen, zur Einsicht gelangen, daß von ihrer Einigkeit ihr Glück und ihre Freiheit abhängen. Ehe das geschieht, werden noch manches Jahr die Kosakenpferde in der Rhone trinken, und mancher deutscher Dom wird von den Türken unter russischer Kriegsführung zum Stalle entweiht werden und wird ein Meer von Blut das Glück und das Leben von Millionen Menschen des Festlandes begraben.

Die Fürsten sind einig, aber weil sie wissen, daß die Einigkeit ihrer Völker ihre eigne fruchtlos machen würde, suchen sie diese zu verhindern. Kein Fürst ereifert sich darüber, wenn ein fremdes Volk sein eignes anfeindet. Herr Menzel, der in dem schulbübisch zensierten Deutschland alle mögliche Freiheit genießt, die Franzosen zu verlästern, sie bei den Deutschen zu verleumden und diese gegen sie aufzuwiegeln, – er versuche es einmal, gegen Louis-Philippe, der doch auch ein Franzose ist, ein feindliches Wort zu äußern! Aber ich bin gewiß, daß es Herr Menzel nicht versuchen wird; denn er weiß die feinsten Tendenzen seiner Zeit ebensogut als der Fürst von Pückler zu berücksichtigen, der auch von dem Könige der Franzosen alles mögliche, von dessen Volke aber gar wenig Gutes zu sagen wußte.

Was Herr Menzel am angeführten Orte weiter sagt, fand ich so ermüdend dumm, daß ich mich erst etwas erholen muß, ehe ich darauf eingehe. „Er ist nicht eitel“, rühmt mich Herr Menzel; aber ich muß zu mei ner Beschämung gestehen, daß ich es manchmal doch bin. Sooft ich mich gezwungen sehe, zu spießbürgerlichen Erörterungen hinabzusteigen, regt sich mein Stolz in mir, und ich erröte, keine ebenbürtigen Gegner zu haben. Herr Menzel darf es mir glauben, daß er nicht halb soviel von Politik verstehet als meine französische Köchin, ob sie zwar Eulalia heißt und dieser Name voll Menschenhaß und Reue, voll Melancholie, Empfindsamkeit, Mondlichtszitterschein und andern Deutschtümlichkeiten die allergrößte Unbekanntschaft mit Politik, Diplomatik und übrigen Spitzbübereien zu verraten scheint.

Herr Menzel sagt: was ich lehrte, hätten zu jeder Zeit die Welteroberer gelehrt; diese hätten immer, um die Freiheit zu unterdrücken, alle Nationalität auszurotten und die ganze Menschheit in eine Uniform zu zwingen getrachtet. O Geduld! oder hätte ich nur einen einzigen Zoll von einem Welteroberer, daß ich die Geduld entbehren könnte! Wie hätte denn je ein Eroberer entstehen, wie hätte je der Fürst eines Landes sein Volk so dumm bereitwillig finden können, mit Blut und Leben seiner Raubsucht und seinem Ehrgeize zu dienen, wenn er ihm nicht vorher eine falsche Bedeutung des Patriotismus aufzuschwatzen verstanden, wenn er ihm nicht vorgelogen hätte, das Ausland hassen, heiße sein Vaterland lieben? Und wenn die Eroberer auch wirklich darin ihren Vorteil fanden, den Nationalegoismus der von ihnen unterjochten Völker zu unterdrücken, was könnte man damit beweisen? Die Ehrgeizigen gebrauchen alle Mittel, auch edle, der Zweck heiligt selbst diese in ihren Augen. Die Eroberer, die Unterdrücker haben die Nationaleigentümlichkeiten der von ihnen unterjochten Völker zu zerstören gesucht, solange sie glaubten, daß dieses ihre Herrschaft erleichtere und sichere; sobald sie aber zu besserer Einsicht gekommen, sobald sie begreifen gelernt, daß man verschiedene Völker am sichersten beherrsche, wenn man sie in wechselseitiger Eifersucht, wenn man ihren Patriotismus erhalte und so eines von dem andern bewachen lasse, haben sie mit dem größten Eifer alle Nationalverschiedenheiten zu unterhalten gesucht. In dem österreichischen Staate gibt es, genau gezählt, neun verschiedene Patriotismen. Die Fürsten Österreichs haben die Nationalverschiedenheiten und Charakterzüge aller von ihnen beherrschten Völker immer mit solcher ängstlichen Sorgfalt unterhalten, daß sie sich sogar gescheut, die noch hier und da sich findenden Grabsteine längst verstorbener, längst verfaulter Freiheiten zu zerstören, sie, welchen doch immer selbst vor jedem Zeichen der Freiheit schauderte! Taten sie so zum Vorteile der Freiheit oder zum Vorteile des Despotismus? Ist Österreich ein freier Staat? Möchte Herr Menzel in Wien schreiben? Doch wer weiß, vielleicht möchte er es.

Was hat man nicht schon den Menschen als Patriotismus aufgebunden! Die Österreicher sind so treuherzige und gutmütige Menschen, daß man unter ihnen findet, was sonst nirgends in der ganzen Welt zu finden ist; nämlich Polizeispione unter den ehrlichsten Leuten. Wenn ein solcher ehrlicher Spion seinen Nachbarn, seinen Freund, seinen Bruder verrät, schwört er darauf, er sei ein guter Patriot, und stirbt so selig wie der heilige Antonius.

Ich könnte dem Herrn Menzel ein großes Geheimnis anvertrauen; ich könnte ihm zeigen, daß die Deutschen für den Patriotismus gar nicht gemacht sind, daß sie darum keinen haben, daß es ihre schöne Bestimmung ist, keinen zu haben, und es daher gut sei, daß sie nicht frei sind, und wie sich dieses einst zum Glücke der europäischen Menschheit wenden werde. Doch um das alle klarzumachen, müßte ich mich mit Herrn Menzel auf einen hohen Standpunkt stellen, und ich fürchte, da gäbe er mir recht, hielte mich fest und ließe mich nicht wieder herunter. Man weiß es ja, wie himmlisch wohl es allen deutschen Gelehrten auf sehr hohen Standpunkten ist; denn dort oben in den Wolken gibt es keine Polizei. Darum bleibe ich lieber unten und fahre in meinen ebenen Betrachtungen fort.

Wenn vielleicht Herr Menzel mir den Arminius, den Luther und den Napoleon an den Kopf geworfen, um mit meiner schwachen Fassungskraft zu scherzen, die es mir immer unmöglich machte, die Herrlichkeit des deutschen Patriotismus, ja auch nur sein Dasein aufzufinden, so lasse ich mir es gefallen; denn ich kenne und liebe den Scherz. Herr Menzel wollte mich dann nur necken, weil er wußte, daß ich jedesmal toll werde, wenn ich von der Teutoburger Schlacht und wenn ich jene gar zu jämmerlichen und ungeschickten Schmeichler höre, die, um das deutsche Volk zu loben, das wie jedes Volk des Lobes nie bedarf, ihm nur zwei große Taten auf achtzehn Jahrhunderte vorzuschmeicheln wissen, und eines neunzehnten Jahrhunderts bedurften, um die dritte Tat hinzuzufügen. War es aber Herrn Menzel ernst mit dem Teutoburger Walde, der Reformation und dem korsischen Tyrannen; waren es nicht bloß die alten Possen aus der Befreiungskomödie, wollte er vielmehr, wie viele andere und wie befohlen, die Deutschen damit einschläfern und ihnen raten, sich auszuruhen von den drei großen Werken, die sie in neunzehnhundert Jahren vollbracht, – so muß ich es wohl als ernst annehmen und ein Wort darüber sprechen.

Herr Menzel hat selbst eine Geschichte der Deutschen geschrieben, und zwar mit einem so feurigen anachronistischen Turnerpatriotismus, daß Arminius und Blücher sich wie zwei Brüder ähnlich sehen. Ich bitte ihn daher, in seinem eignen Werke die Kriege der Germanen mit den Römern nachzulesen und mir dort eine Spur von Patriotismus aufzuzeigen. Die deutschen Völkerschaften kämpften damals weder für ihren Boden, noch für ihre Stammgenossen, noch für ihren Nationalruhm, noch für ihre Freiheit. Sie kämpften nur für ihre Führer und fochten mit gleicher Lust und Tapferkeit in der Reihe der Römer gegen ihre Landsleute wie in der Reihe ihrer Landsleute gegen die Römer. Die deutschen Häuptlinge und Fürsten stritten für ihren Ehrgeiz und ihren Vorteil, und je nachdem diese wechselten, wechselten sie mit ihren Verbündeten und ihren Feinden. Bald bekämpften sie die Römer, bald die Deutschen. Zwischen den deutschen Fürsten und Völkerschaften war selbst im eigenen Lande ein unaufhörlicher Krieg. Der Bruder des Arminius kämpfte in den Reihen der Römer, und Arminius selbst wurde, nachdem er Varus besiegt, von andern deutschen Fürsten, worunter seine eigene Verwandte waren, heimlich totgeschlagen. Herr Menzel sieht, daß schon in uralter Zeit der deutsche Patriotismus einen so schlechten Lohn fand als in unsern Tagen. Wäre der brave Blücher älter geworden, hätte er vielleicht auf der Zitadelle von Magdeburg sich mit dem Schicksale des Arminius trösten müssen, das doch noch trauriger gewesen als seines; denn nie hätte er, ob er zwar selbst Husar war, die jetzige Husarenregierung Preußens gutgeheißen.

Die Deutschen kämpften jahrhundertelang, die einen für, die andern gegen die Macht der römischen Kaiser, und nicht eher sahen sie in den Römern einen gemeinschaftlichen Feind und verbanden sich gegen sie, bis nordische Völker kamen und sie auf die Römer warfen, ganz so wie sie achtzehnhundert Jahre später von den Russen gegen die Franzosen gedrängt worden.

Stand deutscher Patriotismus auch nur in der entferntesten geistigen oder Blutsverwandtschaft, nur in der losesten geschichtlichen Verbindung mit der Reformation? Nein, der Patriotismus war weder Ursache noch Wirkung, weder Vater noch Kind, weder Vorhergegangenes noch Nachfolgendes der Reformation. Im Gegenteil, die Reformation vernichtete allen deutschen Patriotismus, selbst jenen schlechten, den Herr Menzel preist und den wir verdammen. Die Reformation war die Schwindsucht, an der die deutsche Freiheit starb, und Luther war ihr Totengräber. Pfaffentrug hatte den alten guten Glauben mit Aberglauben verfälscht, so daß er gesunden Herzen nicht mehr munden konnte. Da kam Luther, der sich wie alle deutsche Gelehrte auf einen reinen Wein verstand, ließ das Faß auslaufen und bot dem Volke für den verdorbenen Wein des Glaubens das reine Wasser der Philosophie an. Was wurde dabei gewonnen? Der Westfälische Friede ist da mit seiner Rechnung über Einnahme und Ausgabe der Reformation. Einige tausend Denker erwarben sich Gedankenfreiheit, und das ganze Land verlor seine Lebensfreiheit. An einem Wahne wurde das Volk ärmer, und an tausend Narrheiten, welche die deutschen Theologen und Philosophen ersonnen, wurde das Land reicher. Das Papsttum, dieser böse neckische Geist, doch ohne Körper, der nur Abergläubische schreckte und von allen Verständigen verlacht wurde, das wurden sie los; dafür aber bekamen sie zwei handgreifliche schwerbewaffnete Völker in das Land, den Franzosen und den Schweden. Ein Jahrhundert lang erwürgten sich die Deutschen untereinander, und um ungestört ihre Wunden verbinden, ihre Toten begraben zu können, mußten sie endlich einen Teil ihres Landes fremden Königen abtreten. Zwanzig Universitäten wurden errichtet, um die Gelehrten für ihre Volksverräterei, für ihre Fürstendienste zu belohnen, und tausend Städte und Dörfer lagen in Trümmer und Asche, und die Gebeine von zehn Millionen Deutschen bedeckten das verwüstete Land. Nie haben die deutschen Fürsten ihren Völkern, nie haben diese sich selbst, nie wurde ihnen vom Auslande mehr Schimpf und Schande angetan als während der Reformation; und das nennt Herr Menzel Patriotismus! Ich habe mich in einem französischen Journale über die Ursachen und Folgen der Reformation umständlicher ausgesprochen, und ich will einige hierher gehörige Stellen daraus anführen.

„Die Reformation hat nur den Fürsten und den Gelehrten Nutzen gebracht, das Volk hat durch sie nichts an seinem sinnlichen Glücke gewonnen und viel von seinem geistigen Wohle verloren. Alles betrachtet, war die priesterliche Macht doch nur eine moralische. Die Völker verarmten, um die Kirche zu bereichern, wie man sich um seine Geliebte zugrunde richtet, wenn man zu schwach oder zu voller Leidenschaft ist, ihrem Schmollen und ihrem Liebkosen zu widerstehen. Als aber nach der Reformation die Fürsten sich der Güter und Einkünfte der Geistlichkeit bemächtigt hatten, traten die Steuern an die Stelle der freiwilligen Abgaben und die Strafgesetze der Schatzkammer an die Stelle des Fegfeuers. Luther nahm dem Volke das Paradies und ließ ihm die Hölle, nahm ihm die Hoffnung und ließ ihm die Furcht. Er schrieb die Reue vor, um von Sünden losgebunden zu werden, aber die Reue gebietet sich nicht. Er verlangte gute Werke statt äußern Gottesdienstes, aber die guten Werke wurden seit dieser Lehre nicht häufiger.

Die Sitten wurden strenger, nach außen war alles rein und fleckenlos; aber es waren nur zurückgetretene Laster, welche die verborgenen Teile des Staatskörpers verwüsteten. Ränke und Spitzbübereien ersetzten die Gewalttätigkeiten und Verbrechen. Die religiösen Feste wurden vermindert, die Werktage, und hierdurch die Mühen des Volks, wurden vermehrt; der Gottesdienst, während dem Katholizismus der Trost und zugleich die Oper und Erholung der Unglücklichen, wurde in eine Schule der Moral umgewandelt, wo die Gläubigen sich langweilten und einschliefen. Die Theologie, früher eine göttliche Kunst, wurde eine Wissenschaft, die der Fassungskraft des Volkes unzugänglich blieb. Das öffentliche Leben hörte ganz auf. Es gab keine Maler, keine Dichter, keine Feste mehr für das Volk; man führte keine öffentliche Gebäude mehr auf; der Provinzial- und Hausegoismus trat an die Stelle des Nationalgeistes; das deutsche Volk, ehemals so fröhlich, so geistreich, so kindlich, wurde durch die Reformation in ein trauriges, plumpes und langweiliges Volk verwandelt. Das deutsche Leben ist ein Fastenleben, das schon drei Jahrhunderte dauert, und das gute deutsche Volk ist noch weit von seinen Ostern.

Luther war ein großer Mann, aber vor allem war er Mensch und besaß alle Gebrechen und Schwachheiten dieser unglückseligen Gattung. Emporgekommener Plebejer, haßte und verachtete er den Stand, aus dem er hervorgegangen, und wollte lieber der Schützling der Fürsten als der Beschützer seinesgleichen sein. Die Fürsten schmeichelten ihm, weil sie ihn fürchteten. Luther war so gerührt von ihrer Furcht und so betäubt von ihren Liebkosungen, daß er gar nicht gewahr wurde, daß die Fürsten nur aus Ehrgeiz und Habsucht seine Lehre angenommen und daß sie sich in ihrem Innern über seinen religiösen und philosophischen Enthusiasmus lustig machten. Luther hat seinem Vaterlande viel Böses angetan. Vor ihm fand man bei den Deutschen nur Dienstbarkeit, Luther begabte sie noch mit Dienstbeflissenheit. Die südlichen Völker, die katholisch geblieben, fürchten ihre Gebieter, doch sie lieben und verehren sie nicht; sie bewahren ihre Liebe und ihre Verehrung für Gott und seinen Statthalter.

Darum haben alle katholischen Völker, sobald sie sich gegen ihre Tyrannen stark genug gefühlt, ihr Joch abgeschüttelt oder wenigstens mit gutem oder schlechtem Erfolge ihre Befreiung versucht. Aber bei den reformierten Völkern, wo die Fürsten auf den Rat und mit Einwilligung der Reformatoren die moralische Macht der Kirche an sich gezogen und mit ihrer materiellen Macht vereinigt hatten, mußten die Untertanen die Liebe und Verehrung, die sie früher der Kirche geschenkt, ihren weltlichen Herren als pflichtschuldige Steuer darbringen.

Nur bei den nordischen Völkern findet man jene dumme und blinde Liebe und jene abergläubische Verehrung für die Fürsten, die den Menschen so sehr entwürdigen und jene unglücklichen Völker an ihre Sklavenketten schmieden. Sie wagen sie nicht zu brechen, sie wagen es nicht zu wollen; das vermeintliche soziale Verbrechen würde sie nicht zurückschrecken, aber sie entsetzen sich vor der Verletzung des Heiligen. Die katholischen Priester haben nie den leidenden Gehorsam gepredigt, gleich den reformierten Geistlichen, und das angebliche göttliche Recht der Fürsten, obzwar schon früher von ihnen in Anspruch genommen, wurde doch erst seit der Reformation von den Völkern anerkannt. – – –

Luther war das Musterbild eines deutschen Philosophen, mit allen Tugenden und Fehlern seiner Nationalität. Von hohem Verstande, ausgebreiteter Gelehrsamkeit, geistreich, mit Adleraugen die Finsternis seiner Zeit durchdringend, standhaft, tugendhaft, unbestechlich, den Gunstbezeugungen der Großen besser als ihren Liebkosungen widerstehend, wagte Luther, ein armer und unbekannter Mönch, die kolossale Macht des Papstes herauszufordern. Aber er war kein politischer Kopf; er kannte die wirkliche Welt nicht, er verstand weder die Ränke, die Leidenschaften und die Halsstarrigkeit der höhern Stände, der bürgerlichen Gesellschaft, noch den richtigen Sinn, die Tugenden und die Interessen der untern Stände. Er verachtete im höchsten Grade das Volk, das, allein gut und tugendhaft, immer seine Meinungen in Gesinnungen und seine Gesinnungen in Handlungen zu verwandeln sucht.

Luthers Unternehmen war mehr ein Werk des Wissens als des Gewissens. Vergessend, das Gott selbst, trotz seiner Allmacht, eine sinnliche Welt erschaffen mußte, um seine Göttlichkeit zu offenbaren; vergessend, daß alle Ideen aneinander hängen, daß die moralischen und materiellen Interessen sich vermengen und daß man die einen nicht bewegen könne, ohne die andern mitzutreiben, verwünschte Luther das Volk, weil es die neuen Ideen verkörpern wollte. Der Teufel besuchte ihn eines Tages in seiner Einsamkeit, um ihn zu gewinnen oder zu schrecken; Luther warf ihm das Dintenfaß an den Kopf, und der Teufel flüchtete sich durchs Fenster. Weil ihm diese Art, den Krieg zu führen, einmal gegen einen armen Teufel geglückt war, glaubte Luther, die Dinte wäre das beste Wurfgeschütz gegen die Gewalttätigkeit, den Despotismus, den Ehrgeiz und die Raubsucht der Mächtigen der Erde. Diese Lutherische Artillerie ist seitdem nicht vervollkommnet worden, und die deutschen Philosophen, Moralisten und Doktoren der Politik begnügen sich noch jetzt, gegen die Tyrannen zu schreiben, welche sich über sie und ihre Dintenfässer mit Recht lustig machen.“

Soll ich jetzt der Verlockung des Herrn Menzels folgen und mit ihm das alte Lied vom weltstürmenden Korsen in Duett absingen? Ach nein, es ist gar zu langweilig. Nur zu oft habt ihr es gehört, nur zu oft wurde es euch vorgesungen. Doch will ich den weltstürmenden Korsen dazu benutzen, um Herrn Menzel zu zeigen, was der falsche und was der wahre Patriotismus ist und wie sich der Patriotismus der Deutschen von dem der andern Völker unterscheidet. Woher kam es denn, daß das schwache Spanien dem weltstürmenden Korsen gleich am ersten Tage seines Einfalls zurufen durfte: bis hieher und nicht weiter? Wie gelang es den Spaniern, die Franzosen in ihrer Siegesbahn aufzuhalten, während das weit mächtigere deutsche Volk sich zwanzig Jahre lang von ihnen schlagen ließ? Es kam daher, weil die Spanier nicht bloß für ihren König und ihre äußere Unabhängigkeit, sondern zugleich für sich selbst und ihre innere Freiheit die Waffen ergriffen. Es kam daher, weil sie nicht bloß gegen die Tyrannei Napoleons, sondern auch gegen die ihrer eigenen Fürsten kämpften; darum gelang es ihnen. Und als sie ihren König zurückgeführt und dieser sie betrog, wie üblich, da ließen sie sich weder täuschen noch schrecken, da verloren sie nicht den Mut, ergaben sich keiner schnöden Ruhe, sondern sie kämpften fort und fort für ihre Freiheit, und wenn überwältigt, kehrten sie immer von neuem zum Kampfe zurück, und heute haben sie gesiegt für immer. Das ist der wahre Patriotismus. Und damals fand sich kein Schriftsteller unter den Spaniern, der ihnen zugerufen: jetzt habt ihr euren König, jetzt könnt ihr zufrieden sein; verlangt nicht zuviel, am höchsten Maßstab des Ideals darf man nie einen menschlichen Zustand messen; schlaft einen gesunden Pflanzenschlaf, gedeiht im stillen, pausiert gehörig und legt euch ins Kindbett! Es fand sich kein solcher. Und hätte sich ein solcher Tor gefunden, hätten ihn die stolzen Spanier verhöhnt und ihn gefragt: Lengua sin manos, cuemo osas fablar?

Und darum, weil wir der Gedanken ohne Zunge, der Zunge ohne Hände spotten, darum, weil wir ein Volk bald beweinenswert, bald lächerlich finden, das sich noch dümmer fangen läßt als die Fliegen, die man wenigstens mit Zucker lockt; das sich fangen läßt mit Schmerzen und Bitterkeiten, – darum verhöhnten wir jene tapfern Deutschen, die für ihr Vaterland geblutet, die Geister jener Helden, die für ihr Vaterland gestorben! Wir nicht. Ihr verhöhnt sie, ihr bestochenen Sachwalter, die ihr durch eure Verfälschungen, eure Verdrehungen, eure Ränke, das deutsche Volk um das Erbe betrügen, das ihnen jene gefallenen Helden hinterließen; ihr verhöhnt sie, nichtswürdiges Geschlecht! Nicht wir verhöhnen die Geister jener Helden, wir, die wir im Kerker schmachten, die wir landesflüchtig werden mußten, weil wir der Freiheit treu geblieben, für die jene Helden geblutet; weil wir die Gesinnungen kundgetan, durch die sie einst unsere Fürsten vom Joch Napoleons befreit und sie aus Knechten, die sie waren, wieder zu Herren erhoben. Wir beweinen das edle fruchtlos vergossene Blut jener Helden. Wären sie so weise als tapfer gewesen, so bedenklich, als sie vertrauungsvoll waren, hätten sie die Waffen nicht niedergelegt, bis sie dem Volke die Freiheit gesichert: dann lebten wir im Vaterlande, glücklich und geehrt, und ihr schnöden Helfershelfer der Tyrannei müßtet in der Welt umherirren, bis ihr einen Winkel findet, dunkel genug, eure Schande zu verbergen.

Wie! Jene tapfern Deutschen, die ihr Blut auf dem Schlachtfelde vergossen, hätten mir die Sicherheit erobert, mit der ich in Paris sitze und schreibe und die Geister der gefallenen Helden verhöhne! Die Sicherheit erobert? Nötig gemacht, hätte Herr Menzel sagen sollen. Hätten jene Helden für die Freiheit unseres Vaterlandes gekämpft und nicht bloß für die Freiheit unserer Fürsten, dann brauchten wir keine Sicherheit in einem fremden Lande zu suchen. Und hätten die Franzosen solche bange Sklavenherzen wie die Deutschen, und wäre ihr König so niedrig gesinnt wie die deutschen Könige, dann gewährten sie uns keine Freistätte in ihrem Lande, sondern sie würden uns, mit Ketten belastet, der Rache unserer Feinde ausliefern.

Freilich würde ich mich sehr unglücklich fühlen, müßte ich noch in meiner Vaterstadt als Polizeibeamter Programme zu kaiserlichen Namensfesten schreiben; aber weil zu kaiserlichen. Ob der Kaiser Napoleon hieße, oder Ferdinand, oder Nikolas, das wäre mir alle gleich. Und dennoch wollte ich lieber so schmähliche Programme abschreiben, als meine Hände besudeln, wie jetzt alle deutsche Polizeipräfekten es mit Lust und Liebe tun: mit Entwürfen zu Instruktionen für reisende Kundschafter, mit Zusammenstellen der Berichte hausierender Spione, mit Steckbriefen hinter allen Freunden des Vaterlands, mit Protokollführung über die den gefangenen Patrioten abgemarterte Geständnisse, mit der doppelten Buchhalterei über alles, was in den Wirtshäusern getrunken und gesprochen wurde. O tausendmal lieber! Nie war während der französischen Herrschaft die deutsche Polizei so tief in Kot versunken als jetzt; nie wurde ihr so Unmenschliches zugemutet; nie wurde das härteste Verlangen mit solcher freudigen Bereitwilligkeit gewährt; nie während der zehenjährigen Herrschaft der Franzosen wurde bei der Polizei mit solcher schadenfrohen Tücke, mit solcher Unmenschlichkeit und, wo die Tücke aufhört, mit solcher ledernen, tränendichten Schulfüchserei der Amtspflicht verfahren als gleich während dem ersten Jahre der deutschen Herrschaft. Ich muß das wissen, Herr Menzel, ich war auch dabei. Und seitdem ist das ganze deutsche Volk von seiner Ober-Regierung in zwei Klassen abgeteilt worden; in die der Spione und die der Spionierten. Außer ihnen nicht einer mehr. Sei einer brav oder schlecht, Mensch oder Teufel, das kümmert sie nicht; man ist Polizeihund oder Polizeiwild, Hammer oder Amboß.

„Herr Börne ist kein Freund, der deutschen Schulphilosophie, und doch verfährt er ganz wie sie. Er beginnt damit, sein Objekt anders haben zu wollen, als es ist, und da dies nicht gehen will, negiert er es schlechtweg. Aber sowenig wie die Welt anders wird, wenn die Philosophen sie anders machen wollen oder gar negieren, ebensowenig ändert sich das deutsche Volk, mag es Herr Börne in der Wirklichkeit anders machen wollen oder gar in der Idee negieren.“

Herr Menzel hofft, es werde mir nie gelingen, das deutsche Volk zu ändern. Aber was berechtigt ihn, mir ein so törichtes Vorhaben anzudichten? Noch keiner hat versucht, ein Volk zu ändern, und nie wäre der Versuch gelungen. Wir wollen das deutsche Volk nicht ändern, wir wollen es aufwecken, denn es schläft. Wir sind seine Fliegen, die ihm um die Ohren summen und im Gesichte herumkitzeln; ich wenigstens glaubte nie mehr zu sein. Zwar schläft das deutsche Volk einen sehr festen Schlaf, – wie wäre ihm auch möglich gewesen, seinen Gelehrten zu widerstehen, die mit ihren Büchern selbst einen österreichischen Vorposten einschläfern könnten; zwar schläft es einen idealen Schlaf, wie ihn Herr Menzel so lyrisch schön besungen, es schläft wie ein Veilchen um Mitternacht, wie ein Kind im Schoße der Mutter; aber wir sind auch unermüdliche Fliegen. Und weckt es unser Stachel nicht auf, so weckt es einst der Donner, und tut es der Donner nicht, so tut es ein Erdbeben. Aufwachen, aber nicht sich ändern. Das verhüte Gott, daß je das edle deutsche Volk sich ändre!

„Herr Börne will uns die Freiheit aus Frankreich bringen. Was für eine Freiheit? Er sagt es uns nicht. Die Republik ohne Zweifel? Aber was für eine Republik? Die Tugendrepublik des seligen Maximilian Robespierre? Herr Börne beobachtet zu viele Schicklichkeit gegen sein eigenes Genie, um sich als Schwärmer für das Tugendmaximum Blößen zu geben. Er ist den Fünfzigen näher als den Zwanzigen. Die Lasterrepublik des neuetablierten jüdischen Hauses Heine und Compagnie? Herr Börne hat sie noch vor wenigen Monaten im Réformateur entrüstet angegriffen, und wenn er sie auch im zweiten Heft der Balance wieder in Schutz nimmt, so tut er es nicht aus Sympathie für die Laster, sondern nur aus Malice gegen Deutschland. In Frankreich tadelt er die Demoralisation, in Deutschland lobt er sie, nicht weil sie die Sitten, sondern weil sie den Staat untergräbt. Alles ist ihm recht, was als ein zerstörendes Element in Deutschland um sich frißt. Was ist nun aber in allen seinen Negationen des Positive? Was will er für eine Freiheit, wenn er weder die Tugendrepublik, noch die Lasterrepublik und auch nicht die konstitutionelle Monarchie will, die er mit so viel Unrecht auf jede mögliche Weise beschimpft, gegen deren Freunde er die unsäglichste Verachtung blicken läßt? Er sagt uns nicht, was er gründen will, wenn er alles zerstört haben wird. Er denkt, die Franzosen werden schon dafür sorgen. Man muß nur diesen Bahn brechen in Deutschland, den Deutschen selbst alles Deutsche gehässig, verächtlich, lächerlich, alles Französische wünschenswert machen und den Franzosen alle Mittel und Wege zeigen, wie sie über die Deutschen Meister werden können, erst durch ein schmeichelhaftes Fraternisieren und dann, wenn gehörig vorgearbeitet ist, durch die Invasion.“

Es gab noch keinen diplomatischen Lehrjungen, es gibt keinen einzigen Krautjunker in ganz Deutschland, der nicht einmal über die Tugendrepublik des seligen Herrn von Robespierre gescherzt hätte. Herr Menzel gehe mit seinem seligen Herrn von Robespierre ins Bad Doberan und lasse sich präsentieren, oder nach München in den Bocksbierkeller. Dort wird er ohne Zweifel Lachen erregen mit der Tugendrepublik des seligen Herrn von Robespierre; aber mich verschone er damit. Er wird mich nie demütig genug finden, mit fürstlichen Lakaien über die Tugend und Seligkeit Robespierres zu streiten; das faßt kein Bedientenherz.

Herr Menzel meint, ich könne in meinem so reifen Alter doch unmöglich mehr für die Tugendrepublik schwärmen. Die Republik als eine Herrschaft der Tugend geltend zu machen, um sie den Menschen zu verleiden, das ist der alte wohlbekannte Polizeipfiff. Aber die Republik hat nie das Versprechen gewagt, das Laster zu zerstören; sie versprach nur dessen gesetzliche Organisation aufzulösen, ihm seine Erblichkeit, seine angebornen Vorrechte zu entreißen und die geschlossenen Körperschaften zu trennen, die dem Laster eine unbesiegbare Übermacht über die Tugend geben. Die Staatsverfassung keiner Art vermag mehr als das; der Mensch ist älter als der Bürger, der Mensch muß sich bessern, dann folgt ihm der Bürger nach. Und das ist ein anderer Polizeipfiff, die Liebe zur republikanischen Freiheit als eine jugendliche Schwärmerei darzustellen. Die Liebe der Freiheit wohnt aber im Herzen, und das Herz altert nicht. Ich kannte achtzigjährige Republikaner, und ich selbst war bis in mein fünfundvierzigstes Jahr der konstitutionellen Monarchie zugetan.

Aber wie kömmt die Republik hierher? Habe ich von den Vorzügen der monarchischen oder republikanischen Regierungsform gesprochen, daß Herr Menzel Anlaß fand, darüber mit mir zu rechten? Es ist nichts als die gewohnte bange Vorsicht des Herrn Menzels. Er fürchtet so sehr die Überzeugungskraft meiner Ansicht über die Lage Deutschlands, daß er sich scheut, ihr nahezukommen. Er führt das Volk seiner Leser auf ein Feld, von dem ich weit entfernt bin, und ruft ihm zu: dort steht er, schlagt drauf! Und sie schlagen zu und haben die Luft und das Gebüsch getroffen, mich aber nicht, und Herr Menzel zieht als siegender Feldherr in die Herzen aller Krautjunker ein. Sind Frankreich, England und Belgien Republiken? Sind sie nicht konstitutionelle Monarchien? Heißt das die Republik fordern, wenn wir diejenige Ordnung der Dinge, die in jenen Ländern herrscht, auch für Deutschland wünschen? Gibt es aber in Deutschland konstitutionelle Monarchien? Gehört es zum Wesen der konstitutionellen Monarchie, daß die Volksvertreter das Budget anerkennen müssen, daß sie nicht sprechen dürfen, worüber sie wollen, daß sie ihre Reden nicht bekanntmachen, die Protokolle ihrer Sitzungen nicht drucken lassen dürfen? Gehört die Zensur zum Wesen der konstitutionellen Monarchie? Gehört es zum Wesen der konstitutionellen Monarchie, jungen Schriftstellern von Geist und Talent das Schreiben zu verbieten, bloß weil sie einen guten Stil haben und man fürchtet, das Volk möchte künftig lesen, was früher nur die Gelehrten verstanden? Gehören die heimlichen Gerichte zum Wesen der konstitutionellen Monarchie? Gehört es zum Wesen einer konstitutionellen Monarchie, daß die von den Fürsten bezahlte Richter allein über Freiheit und Leben derjenigen entscheiden, die der Beleidung jener Fürsten angeklagt worden? Gehört es zum Wesen der konstitutionellen Monarchie, daß man die Angeschuldigten vier, fünf Jahre im Kerker schmachten läßt, bis man sie verurteilt oder freispricht? Gehört es zum Wesen der konstitutionellen Monarchie, die Jugend als ein Verbrechen zu bestrafen und als ein Vergehen, jung gewesen zu sein? Gehört es zum Wesen der konstitutionellen Monarchie, viele hundert Jünglinge während der Blütezeit ihres Lebens im Kerker schmachten zu lassen, weil sie die Freiheit länger geliebt, als ihre Fürsten sie gebraucht? Gehört es zum Wesen einer konstitutionellen Monarchie, daß man weder die Namen der Eingekerkerten noch die der Angeschuldigten noch das Verbrechen der Verurteilten bekanntmacht? Daß man über die vielen Hunderte, die man zur Zuchtstrafe verurteilt, Rechnung ablegt wie über ein Schlachthaus? So viel Ochsen sind geschlachtet worden, so viel Kühe, so viel Hämmel, so viel Schweine – das Schlachtvieh hat keinen Namen –, so viel Theologen sind verurteilt worden, so viel Juristen, so viel Pfarrer, so viel Mediziner, so viel Offiziere –, sie haben keinen Namen, die Schlachtopfer des Despotismus! Gehört es zum Wesen einer konstitutionellen Monarchie, daß man eine Mutter bestraft, weil sie ihren Sohn, eine Schwester, weil sie ihren Bruder aus dem Kerker zu befreien suchte? Gehört es zum Wesen einer konstitutionellen Monarchie, daß man eine Frau mit Steckbriefen verfolgt wegen geäußerter „Teilnahme an dem Schicksale ihre Mannes“, der gefangen sitzt? Daß man eine Mutter zwingen will, die Briefe der Polizei auszuliefern, die sie von ihrem geflüchteten Sohne erhält? Daß man ein vierjähriges Kind vor Gericht ladet, um seiner Unschuld und Unwissenheit ein Zeugnis gegen seine eigene Mutter abzulocken? Gehört es zum Wesen der konstitutionellen Monarchie, wenn die verschiedenen Fürsten eines Landes sich zum voraus über das Eigentum und die Nutznießung der geflüchteten Patrioten zanken, die man wieder erwischen könnte; daß sie streiten, wer von ihnen das Recht haben solle, sie zuerst zu martern; daß sie einen Vertrag schließen, derjenige von ihnen solle das Vorrecht haben, der sich zuerst gemeldet; daß sie dann sich eilen, sich auf die Flüchtlinge zu abonnieren, sich einschreiben zu lassen wie zur Vorstellung einer Oper? Welch ein jämmerlich ungeschickter Verteidiger der in Deutschland bestehenden Ordnung der Dinge ist Herr Menzel, wenn er behauptet, zwischen dieser Ordnung der Dinge und einer Republik läge nichts in der Mitte! Um so schlimmer, wenn nichts in der Mitte liegt; um so schlimmer, wenn keine andere Wahl ist, als jene Ordnung der Dinge geduldig fort zu ertragen oder sich durch die Republik zu retten.

Herr Menzel behauptet, ich hätte die Demoralisation in Frankreich entrüstet angegriffen und getadelt, die in Deutschland aber gelobt und in Schutz genommen, und er ruft das zweite Heft der „Balance“, wo ich von Gutzkows „Wally“ gesprochen, als Zeugnis auf. Was gab dem Herrn Menzel die Dreistigkeit zu solcher Lüge, da sich doch in der Balance gerade das Gegenteil findet? Die Zuversicht umpanzert ihn; er weiß, daß er meine Gegenwehr verlachen kann, weil ihm seine Polizeitaktik den Sieg sichert. Er weiß, daß die Balance nur von sehr wenigen gelesen worden, daß selbst diese wenigen nur mit Zittern weiter erzählen durften, was sie darin angesprochen, und daß ihre schwachen Stimmen von dem Geschrei des „Literaturblattes“, der „Allgemeinen Zeitung“ und der Hunderte andern deutschen, angstkeuchenden, bettelnden oder bezahlten Blätter betäubt und verschlungen wurden. Aber freilich, mein Tadel der „Wally“ hatte einen ganz andern Grund als der des Herrn Menzels. Ich verteidigte Religion und Sittlichkeit, weil ich in ihnen eine Stütze der Freiheit finde; Herr Menzel aber, weil er in ihnen eine Stütze der Herrschaft sieht, der Gunstspendenden. Nicht daß ich die „Wally“ gelobt, sondern daß ich das lächerlich despotische Verfahren getadelt, welches die deutschen Regierungen gegen Gutzkow sich erlaubt, das war es, was den Eifer des Herrn Menzels erregte. Aber ganz Deutschland denkt hierin wie ich. Über das, was recht und sittlich sei, hat die öffentliche Meinung zu entscheiden, nicht die Frankfurter Staatsinquisition, in deren verpestetem Luftkreise weder Recht noch Sittlichkeit bestehen können. Und wenn die Moral meine eigne Tochter wäre, ich wollte sie ebensogern in einem Bordell erziehen lassen, als ich sie der Aufsicht der Polizei anvertraute.

Als Herr Menzel, einst ein Pharisäer des Liberalismus, da zu heucheln noch Vorteil brachte, das junge Deutschland vor das Gericht des alten zog und es anklagte, an diesem Tage hatte er seine Seele mit blutiger Unterschrift dem Bösen zugesagt, und von einem solchen Handel kauft man sich nicht wieder los, mit aller Reue nicht. Da Christus von Judas verraten wurde, war er schon reif zu seiner Herrlichkeit und stand als Gott auf, nachdem er als Mensch gestorben. Wer aber einen Keim des Guten und Schönen erstickt, ist ein zehenfacher Judas. Herr Menzel zerriß sich die Kleider, streute Asche auf sein Haupt und flüsterte den Machthabern ins Ohr und heulte auf allen Gassen, es werde dem Lande ein Voltaire, ein Rousseau geboren werden, ein Messias, der das Volk von seiner Gedankenfreiheit befreien würde. Darob erschraken die Herodes Deutschlands, und sie schickten ihre Häscher aus, die junge, gefahrdrohende Brut zu zerstören. Die Verfolgung des Jungen Deutschlands war ein wahrer bethlemitischer Kindermord. Die unschuldigen Kindlein! Voltaire war nicht unter ihnen. Die dummen Herodes! Wenn dem deutschen Volke ein Voltaire kommen soll, wird er kommen; noch nie wurde ein großer Mann in der Wiege erwürgt.

Ich hätte gegen die Freunde der konstitutionellen Monarchie in Deutschland immer die unsäglichste Verachtung blicken lassen, sagt Herr Menzel. Verachtung! nein; denn sie haben es gut gemeint. Aber angestaunt, bedauert habe ich jene Männer, welche die Geschichte lehren und doch selbst nichts von ihr gelernt; welche die letzten fünfzig Jahre durchgelebt und doch nicht um eine Täuschung ärmer, nicht um eine Enttäuschung reicher geworden sind; welchen die Taschenspielerei der Macht so fremd wie unschuldigen Kindern war, so daß sie gar nicht begreifen konnten, wo denn auf einmal die Muskatnuß, wo die Preßfreiheit, wo die drei Eide hingekommen. Diese wenigen, zwar unverständigen aber treuen Freunde der konstitutionellen Monarchie schmachten jetzt im Kerker oder leben in der Verbannung oder darben zum Lohne ihrer Vaterlandsliebe oder zittern unter dem Schwerte der Rache, das an einem Faden über ihrem Haupte hängt; denn in Deutschland atmet man jetzt nur ab instantia frei. Wo sind aber die übrigen tausend Freunde der konstitutionellen Monarchie hingekommen? Wohin haben sie sich verkrochen? Als die konstitutionelle Monarchie noch Macht und Einfluß hatte, als zum Volksvertreter gewählt zu werden noch Vorteil brachte, weil es die Gelegenheit verschaffte, der Regierung ihre Gunst abzutrotzen; als die konstitutionelle Monarchie noch Feste gab, da setzten sich viele Freunde an ihren Tisch und tranken und schwatzten und schwangen den Becher wie ein Schwert und blitzten und donnerten mit Reden, die doch nur die warme Luft abkühlten, aber niemals einschlugen. Sobald aber die konstitutionelle Monarchie ihr Ansehen verloren, da schlichen sich ihre Freunde fort, und wenn sie die arme zerlumpte Konstitution auf der Straße begegneten, wendeten sie das Gesicht von ihr und wurden bleich und rot. Herr Menzel wird uns sagen, die guten Freunde der konstitutionellen Monarchie hätten die Erlaubnis nicht mehr, frei zu reden; aber wann hatte die Freiheit je die Erlaubnis bekommen, frei zu sein? Man nimmt die Freiheit, man empfängt sie nicht; und wer sie genommen und dann ohne Kampf zurückgab, der war ein gemeiner Taschendieb, kein Eroberer, und man hängt ihn mit Recht.

Herr Menzel wird uns sagen, es wären hier und da in Deutschland noch kostbare Reste von konstitutioneller Freiheit zu finden. Freilich, geradesoviel als Österreich und Preußen brauchen, die Fürsten jener Länder in Furcht vor ihren Ständen und dadurch von sich selber in Abhängigkeit zu erhalten. Jene Trümmer der konstitutionellen Freiheit sind es, welche die festesten Stützen des Despotismus bilden.

Wenn man sich einen Augenblick des Ernstes und der Trauer erwehren könnte, würde man die deutsche Geschichte der letzten vierzig Jahre als eine Fastnachtsposse betrachten, von einem komischen Engel zur Belustigung des himmlischen Hofes gedichtet. Zwanzig Jahre lang bekriegten die Deutschen die französische Freiheit; zwanzig Jahre lang wurden sie von den Franzosen geschlagen, geplündert und gedrückt, und als sich nach zwanzig Jahren der Sieg auf ihre Seite gewendet und sie die Hauptstadt ihrer Feinde erobert, – was taten sie, wie rächten sie sich? Sie brachten den Franzosen eine Freiheit, wie sie sie nie gehabt, einen Wohlstand, den sie früher nie genossen, und die guten Deutschen kehrten sieggekrönt in ihre alte Sklaverei und ihre alte Armut zurück! Was war's aber? War es Großmut, welche die despotischen Fürsten des Nordens bewog, dem besiegten Frankreich eine freie Verfassung zu gewähren? War es Großmut, daß Ludwig XVIII., der, mit allen Vorurteilen der alten Zeit und mit einem Hasse, den zwanzigjährige Verbannung unterhalten, nach Frankreich zurückgekehrt, den Franzosen die Freiheit schenkte? Nein, es war keine Großmut; es war die Ehrfurcht, die ein mutiges und beharrliches Volk den Siegern abgedrungen, es war die Furcht, die ihnen ein trotziges und drohendes Volk aufgedrungen. So gewannen die Franzosen durch ihre Niederlage, was die Deutschen sich nicht durch ihren Sieg gewinnen konnten.

Ist das die schöne Bestimmung der edlen Deutschen, die Polizei von ganz Europa zu machen und aller Orten die Büttel der Freiheit zu sein? Noch heute ist es deutscher Einfluß, der in allen Ländern die Gewaltsherrschaft beschützt oder die Freiheit immerfort bedroht und stört und sie nicht zu ruhigem Genusse kommen läßt. Dieser deutsche Einfluß waltet in England, in Frankreich, in Spanien und Portugal, in der Schweiz und in Griechenland. Ein deutscher Fürstenknabe, der Sohn eines österreichischen Vasallen, wurde nach Lissabon geschickt, um dort dem Königskinde zu zeigen, wie man mit Eiden und mit Völkern spiele. Mit deutsch-protestantischem Gelde wird Don Carlos unterstützt, daß er in Spanien die Ketzergerichte wieder einführe. An der Spitze aller geheimen Verbindungen gegen die Freiheit des britischen Volkes steht der Herzog von Cumberland, der in Berlin seine Studien gemacht und dem dort die Augen aufgegangen. Als der Sultan Mahmud mit gutem Willen seine Völker auf den Weg der Zivilisation führen wollte und bei seinen christlichen Freunden Rat und Belehrung suchte, schickte man ihm von Wien Polizeiverständige, um in Konstantinopel eine geheime Polizei zu organisieren, als die Elementarschule der christlichen Zivilisation. Und als der naive Sultan einen Schritt weiter ging und eine türkische Zeitung anordnete, machte ihm das österreichische Kabinett über das Verderbliche einer solchen Neuerung die dringendsten Vorstellungen und bemerkte: Zeitungen wären noch gefährlicher als Janischaren und vertrügen sich mit der geheimen Polizei wie Alkalien mit Säuren. In ganz Europa wenden alle Feinde der Freiheit ihre hoffnungsvolle Blicke nach Deutschland hin. Das deutsche Volk ist der liebe gute Onkel, der noch immer die Schulden seiner Völker-Neffen bezahlt. Doch genug! Herr Menzel bittet uns, nicht so laut zu sprechen, denn Deutschland, das arme gute Ding, läge in Kindesnöten und seine Wehen wären gar zu süß.

Was in allen meinen Negationen das Positive sei, was ich gründen wolle, wenn ich alles zerstört haben werde; was für eine Freiheit ich denn wolle, frägt Herr Menzel und antwortet sich darauf: dafür werden schon die Franzosen sorgen. Fangt Gimpel, ihr Finkler der öffentlichen Meinung, daß es euch nicht an Gesellschaft fehle; aber redet mit menschlichen Geschöpfen nicht von Freiheit, die ihr nicht versteht und nicht fühlet. Die Freiheit ist gar nichts Positives, sie ist nur etwas Negatives: die Abwesenheit der Unfreiheit. Die Freiheit kann und will nichts gründen als sich selbst, sie kann und will nichts zerstören als die Gewaltsherrschaft. Die Freiheit kann ein Volk nicht umwandeln, sie kann ihm nicht die Tugenden und Vorzüge verschaffen, die ihm seine Natur versagt; sie kann ihm die Fehler nicht nehmen, die ihm angeboren, die sein Klima, seine Erziehung, seine Geschichte oder sein unglückliches Gestirn verschuldet; die Freiheit ist nichts und dennoch alles, denn sie ist die Gesundheit der Völker. Wenn der Arzt einen Kranken zu heilen sucht, kommt ihr dann, um ihn zu fragen: warum heilt Ihr diesen Mann, ehe Ihr reiflich überlegt, was Ihr nach der Heilung aus ihm machen wollt? Er ist ein schwacher Greis, wollt Ihr einen kräftigen Jüngling aus ihm machen? Er ist ein Bettler, wollt Ihr ihn zum reichen Manne machen? Er ist ein Bösewicht, wollt Ihr ihn zum tugendhaften Menschen machen? Er ist ein Dummkopf, könnt Ihr ihm Geist verschaffen? Er wohnt in der öden Lüneburger Heide, wollt Ihr ihn nach Neapel bringen? Der Arzt antwortet Euch: Ich will ihn heilen; wie er dann seine Gesundheit benutzen könne, benutzen wolle, das ist seine Sache, das wird seine Bestimmung entscheiden. So auch spricht die Freiheit: ich gebe den Völkern ihre Gesundheit wieder; doch wie sie die Freiheit benutzen wollen, benutzen können, das muß ich ihrem Willen und ihrem Schicksale überlassen. Wie ein gesunder Bettler, der an seiner steinernen Brotrinde kaut, glücklicher ist als der kranke reiche Mann, der an einem üppigen Tische schwelgt: so ist ein freies Volk, und wohnte es am eisigen Norden, ohne Kunst, ohne Wissenschaft, ohne Glauben, ohne alle Freuden des Lebens und mit den Bären um seine Nahrung kämpfend, – so ist es dennoch glücklicher als das Volk, das unter einem paradiesischen Himmel mit tausend Blumen und Früchten schwelgt, die ihm der Boden, die Kunst und die Wissenschaft reichen, aber dabei der Freiheit entbehrt. Nur die Freiheit vermag alle Kräfte eines Volkes zu entwickeln, daß es das Ziel erreichte, welches ihm auf der Bahn der Menschheit vorgesteckt worden. Nur sie kann die verborgen keimenden Tugenden eines Volkes an den Tag bringen, offenbaren, welche seiner Gebrechen der Entartung, welche der Natur zuzuschreiben, und seine gesunden Vorzüge von denjenigen trennen, die unter dem Scheine der Kraft nur eine Schwäche bedecken, die nichts als krankhafte Kongestionen, gesetzwidrige Anmaßungen eines Organs über das andere sind, – so etwa wie die Häuslichkeit und der Transzendentalismus der Deutschen.

Ein Volk, das nicht frei ist, das noch in seiner Regierung wie ein Fötus im Mutterschoße ruht, ist gar kein selbständiges Volk; es ist eine Hoffnung, aber keine Wirklichkeit. Und die Freiheit ist auch die Ehre der Völker. Selbst wenn alle Herrscher das wären, was sie nicht sind, die Väter ihrer Untertanen, wenn sie für nichts besorgt wären als für deren Glück, für deren Zufriedenheit, selbst dann auch wären jene Völker ohne Freiheit und ohne Ehre bedaurungswürdig. Sie müssen, was ihnen als Recht gebührt, als Geschenk annehmen, zittern bei jeder üblen Laune, bei jeder Leidenschaft, jeder Trunkenheit ihrer Gebieter; sie sind keine Menschen, sie sind nur Sachen, geliebte Kleinodien ihres Besitzers, sie sind keine selbständigen Wesen.

Alle Feinde der Freiheit reden die nämliche Sprache, denn sie gehören zu einem Volk, und der Eigennutz ist ihr gemeinschaftliches Vaterland. Sooft sie in einem Lande, das eine freie Verfassung hatt, Mängel sehen, schreiben sie diese Mängel der freien Verfassung zu. Sooft sie in einem andern Lande, das unbeschränkte Herrscher hat, Vorzüge erblicken, sagen sie, diese Vorzüge wären die wohltätigen Folgen der unbeschränkten Regierung. Als Herr Menzel in des Fürsten Pückler französischer Reise las, daß ein Teil der Provinzen Frankreichs so öde, so leblos, so armselig wäre, was freilich wahr ist, da jubelte er und rief: „Seht ihr's, seht ihr's, Freunde des Franzosentums!“ Was sollen wir sehen? Wir wollen Ihren Gedanken ergänzen. Seht ihr's das ist die Folge einer repräsentativen Verfassung, das ist die Folge der Preßfreiheit, das ist die Folge der Geschwornengerichte, das ist die Folge der Öffentlichkeit, das ist die Folge der Gleichheit, das kömmt dabei heraus, wenn man Staatsverbrecher gleich in den ersten sechs Monaten richtet und sie nicht vier Jahre lang im Kerker schmachten läßt, das kömmt dabei heraus – enfin, c'est la faute de Rousseau, c'est la faute de Voltaire. Aber, mein guter Herr Menzel, wenn die Franzosen keine Freiheit und keine Geschwornengerichte hätten, wären dann die Felder besser bebaut? Sind perennierende provisorische Gefängnisse etwa Treibhäuser, die alle edlen Früchte zur Reife bringen? Ist die Zensur ein Dünger, der das Land befruchtet? Und sooft Sie von den Vorzügen des Geistes und des Herzens sprechen, die das deutsche Volk über das französische erheben, möchten Sie diese Vorzüge des deutschen Volkes seinen Regierungen zuschreiben. Aber würden diese Vorzüge der Deutschen, die keiner bestreitet, sich vermindern oder zugrunde gehen, wenn Deutschland eine freie, sittliche und christliche Staatsverfassung hätte? Würden sie nicht vielmehr dabei gewinnen, wenn sie aus der Stille des Gedankens und der Dunkelheit des Gefühls in das freie helle Leben der Taten übergingen?

Sooft einer seinen Blick nach Amerika wendet, kommen gleich alle Feinde der Freiheit herbei und schneiden spöttische Gesichter und sagen: Eine schöne Republik, eine schöne Freiheit, wo die Sklaverei herrscht! Als wäre die amerikanische Sklaverei Folge der Freiheit, als wäre sie nicht schon vor der Republik gewesen! Aber, sagen jene, die Freiheit sollte die alte Sklaverei aufheben wollen und können, und tut sie es nicht, so will sie oder vermag es nicht. In ihrem Hasse gegen die Freiheit ergreifen sie das wunderlichste Mittel, sie zu verleumden: sie dichten ihr nämlich eine Vortrefflichkeit und eine Schönheit an, die sie nie gehabt und nie versprochen, damit ihr Ideal die Wirklichkeit beschäme. Die Freiheit soll die Menschen zu Engeln machen, alle Laster, alle Schwächen ausrotten, einen schlechten Boden fruchtbar, einen rauhen Himmel milde machen; sie soll Hagel, Überschwemmungen, Krankheiten beseitigen, wohl gar den Menschen unsterblich machen! Es ist zum Erbarmen, was sie in ihrer Verzweiflung nicht alle reden. Und mit solchem erbärmlichen Lumpengesindel muß man sich herumstreiten!

Also diese eure goldene Freiheit – spricht Herr Menzel – sollen uns die Franzosen bringen? Wer sagte das je? Ich? Ein anderer? Herr Menzel nenne uns den Toren, der behauptet, ein Volk könne frei werden, indem es sich erobern lasse, da doch, wie die Weltgeschichte lehrt, selbst jedes erobernde Volk durch die Eroberung seine Freiheit verloren. Nein, nicht bringen sollen uns die Franzosen unsere Freiheit, wir sollen sie bei ihnen holen. Wir sollen von ihnen lernen, wie man sich freimache, wie es einem endlich damit gelinge, wenn man immer das nämliche wollte, wenn man nie den Mut verliere und, hundertmal besiegt, hundertmal von neuem in den Kampf zurückkehre. Wir sollen von den Franzosen die Formen der Freiheit holen, ihre Institutionen. Es sind nicht etwa französische Erfindungen, die sich für unser Vaterland nicht passen, es sind deutsche Erfindungen, welche einst von Deutschen nach Frankreich und England gebracht worden. Das sagt Herr Menzel selbst in einem seiner dicken Bücher, die das Volk nicht liest und die darum von der Polizei weniger streng bewacht werden. Dort sagt Herr Menzel alles, was wir auch sagen, und ich wollte aus seinen dicken Büchern eine magere Chrestomathie zusammensetzen, so daß, wenn Herr Menzel flüchtig genug ist, den Gendarmen zu entgehen, ich bald das Vergnügen hätte, ihn in Paris zu begrüßen. Herr Menzel in des Buches Einsamkeit sagt selbst, was er mir zum Vorwurfe gemacht, es gesagt zu haben: man müsse zerstören, ehe man baue. Er eifert auch auf lobenswerte Art gegen die vermaledeite bayrische Strafgesetzgebung. Er spricht von römischen Majestätsgesetzen, von Feuerbach, von Swammerdam, von den zwölfhundert Nerven der Weidenraupe. Aber was weiß das Volk von Feuerbach und Swammerdam, was versteht es von römischen Majestätsgesetzen und den zwölfhundert Nerven der Weidenraupe? Hätte Herr Menzel schlicht und einfach erzählt: Wenn in Bayern ein tugendhafter Bürger von dem Volke zu einem seiner Stellvertreter ernannt worden und nun als solcher, seiner natürlichen und seiner übertragenen Pflicht gemäß, für das Wohl des Volkes besorgt ist, wird er auf zwanzig Jahr ins Zuchthaus gesperrt, muß aber zuvor vor dem Bilde des Königs niederknien, es göttlich verehren und ihm abbitten, daß er sich um das Glück seiner Mitbürger bekümmert; und so ist es dem braven Bürgermeister Behr in Würzburg ergangen – das hätte das deutsche Volk verstanden. Aber Herr Menzel ist ein deutscher Gelehrter!

Der deutsche Gelehrte hat eine gar wohlfeile und bequeme Moral, und der kunstverständigste Cartouche fände weder gegen deren Preis noch gegen deren Brauchbarkeit etwas einzuwenden. Auch hat das russische Kabinett seine schmeichelhafte Hochachtung für den deutschen Gelehrtenstand in offiziellen Aktenstücken mehr als einmal ausgesprochen. Der deutsche Gelehrte ist freisinnig, tugendhaft, gerecht, menschenfreundlich, billig; aber was die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Tugend und die Menschenliebe fordern können, dem allen glaubt er genug getan zu haben, sobald er es einmal gesagt, was gut, gerecht und billig sei; dann glaubt er zu dem seligsten Tode sich christlich vorbereitet zu haben und spricht: Dixi et salvavi animam meam. Aber was gut und recht sei, alle Tage und tausendmal zu sagen, bis man es hört; aber es nicht bloß in einem stillen dunkeln Buche, sondern unter freiem Himmel zu sagen; aber es in der Sprache des Volks zu sagen, und es nicht bloß an der Leiche der Theorie, sondern auch in seiner lebenden Anwendung zu zeigen, – das kommt dem deutschen Gelehrten nie in den Sinn. Er sagt: Dixi. Hofft ihr Toren, Gott zu betrügen mit euren lateinischen Heucheleien? Er wird euch richten am Tage des deutschen Gerichts, und wehe euch!

Und wie sie sich untereinander kennen, sich verstehen, einander loben; wie jeder seiner eigenen Schwäche und Erbärmlichkeit in der des andern frönt! Lobt doch Herr Menzel den Herrn von Raumer, diesen Menschen mit der Seele eines Herings – diesen Narren der rechten Mitte, der, wenn zwei sich stritten, ob Berlin unter dem Wendekreise des Steinbocks oder dem des Krebses läge, augenblicklich entscheiden würde, es läge unter dem Äquator, – der, sobald er dem Restaurateur Haller eine Ohrfeige gegeben, dem edlen Bentham auch eine gibt, – der die Preßfreiheit einen schwerbeladenen Giftwagen und zur Entschädigung den Zensor ein Heupferd, einen Schröpfkopf, und dessen rote Dinte kaltes Fischblut nennt, – der, wenn er in die eine Schale seines Witzes die „radikalen Rübchen“ geworfen, in die andere die „konservativen Rohrstengel“ legt und mit solcher einfältigen Gemüsweiberpolitik zwei dicke Bände ausfüllt, – diesen lobt Herr Menzel! Es war freilich die bescheidenste Art, sich selbst zu loben.

Was uns Herr von Raumer in seinem Buche über England Lehrreiches berichtet, haben wir mit Dank angenommen. Wir erkennen sein Verdienst, er hat hinlänglich bewiesen, daß er Englisch versteht, und wir würden ihn jedem Buchhändler zum Übersetzen aus dem Englischen ins Deutsche empfehlen. Nur davon wollen wir sprechen, wie sich Herr von Raumer in England als Deutscher gezeigt; davon, daß alles Wasser der großen Themse seine schmutzigen Sklavenfinger nicht zu reinigen vermochte und seine preußische Staatsdienerseele aus der reinen und stolzen Luft Englands noch matter heimgekehrt, als sie hingekommen war. Im allgemeinen geht Herr von Raumer bei seinen Urteilen über die britischen Staatsverhältnisse mit seiner beliebten Vermittelungsweise zu Werke, wodurch er sich bei Herrn von Ancillon, dem preußischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, geltend machen muß, da dieser einst als Pfarrer auch die Extreme zu vermitteln gesucht. Er wendet auf die Whigs und die Tories den pythagoräischen Lehrsatz an: er betrachtet sie als die beiden Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks, verbindet sie dann durch die Hypotenuse seiner eignen Meinung und schwört darauf, das Quadrat seiner eignen Meinung sei für sich allein so groß als die Quadrate der beiden entgegengesetzten Meinungen zusammengenommen. Ich drücke mich hier zum Scherze gelehrt und dumm aus, um den deutschen Gelehrten zu zeigen, daß ich etwas Tüchtiges gelernt habe und daß, wenn ich gewöhnlich klar und vernünftig spreche, es nur in der menschenfreundlichen Absicht geschieht, daß mich jedermann verstehe.

Herr von Raumer lobt die Tories aus Staatsdienerpflicht, und die Whigs lobt er auch aus Staatsdienerpflicht; denn, wenn er sich den Whigs feindlich gezeigt, hätte er keine Gelegenheit gefunden, das Lager der Feinde seiner Regierung auszuspähen. Nachdem aber Herr von Raumer die Whigs gelobt, wird ihm dennoch bange; er zittert, man möchte in Berlin argwöhnen, er habe die Whigs nicht bloß aus Staatsdienerpflicht gelobt, sondern von Herzen und aus Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen. Er sucht also diesem Argwohn durch die feierlichsten Versicherungen seiner Rechtgläubigkeit vorzubeugen. Sooft er die englische Freiheit lobt, fügt er hinzu: die Freiheit in England sei alt und aus historischem Boden hervorgewachsen; in Deutschland aber sei das Verhältnis ganz anders. Das ist freilich sehr wahr und natürlich, denn in Deutschland konnte die Freiheit nie alt und zur Geschichte werden, weil man sie immer schon als Keim und im Geschehen ausrottete. Sooft Herr von Raumer von englischen Reformen Gutes spricht, eilt er sich, zu bemerken, daß Preußen diese Reformen schon längst besäße, und trinkt auf die Gesundheit des ersten Reformators Europens, nämlich des Königs von Preußen. Und da einst ein Engländer, dem grober und freimütiger Porter in den Adern floß, den König von Preußen einen Despoten genannt hatte, stieg es dem Herrn von Raumer wie spanischer Pfeffer in die Nase. Wie schade, daß von diesem spanischen Pfeffer nicht ein Körnchen in die Briefe des Herrn von Raumers heruntergefallen ist! Vielleicht wären die „radikalen Rübchen“ und die „konservativen Rohrstengel“ etwas schmackhafter dadurch geworden.

Herr von Raumer besuchte O'Connel, den großen Agitator, wie ihn alle Welt so sehr artig nennt, weil er das Glück gehabt, nicht schon als kleiner Agitator gehängt zu werden. Herr von Raumer schreibt seinen Freunden, denen er dieses berichtete: Wie! werdet ihr aufschreien, du warst bei O'Connel, du? Nun ja, ich war bei O'Connel, und ich lebe noch; denn der Mann war so billig, mich nicht aufzufressen. Bald aber fällt dem Herrn von Raumer ein, man könnte es ihm in Berlin übel deuten, daß er von O'Connel mit heiler Haut davongekommen und keinen Menschenfresser in ihm gefunden. Was tut er? Er spottet der kleinen Demagogen, die in Köpenick und andern preußischen Festungen eingesperrt sind, und sagt, die wären nur Knirpse und jämmerliche Wichte, mit dem großen Agitator verglichen. Als ließe man in Preußen einen Verteidiger des Volks zum O'Connel heranwachsen! Als würde, stiege durch ein Wunder ein O'Connel vollendet aus der Erde empor, man ihn nicht an den Hörnern des Mondes aufknüpfen! Ja, Herr von Raumer, der große Äquator, verhöhnt die unglücklichen deutschen Jünglinge, welche die schönsten Jahre ihres Lebens im Kerker verschmachten müssen, weil sie das Wort Freiheit ausgesprochen oder niedergeschrieben! Er verhöhnt sie, daß sie keine O'Connels geworden! Wie soll ich eine solche Niederträchtigkeit bezeichnen? Ich könnte sie eine preußische nennen, aber das wäre noch lange nicht genug.

Folgende Stelle wird am besten den Geist des Herrn von Raumers dartun und den des Herrn Menzel, der ihn begreift.

„Das ist edel und löblich, daß vertriebene Spanier, Franzosen, Polen, so streng sie auch über ihre Gegner urteilen mögen, doch immerdar ihr Vaterland über alles lieben; daß die Flamme ihrer Begeisterung sich in Blicken, Bewegungen, Worten kundgibt, sobald Spanien, Frankreich, Polen nur genannt wird. Über Deutschland allein ist die Schmach gekommen, daß Deutsche, welche meist nur ihre eigne Torheit aus der Heimat hinwegtrieb, daß diese unter andern Völkern umhergehen und es sich zur Ehre rechnen, ihr Vaterland lieblos und gemütlos anzuklagen. Nicht die Liebe treibt ihre Klagen und ihre Beredsamkeit hervor, sondern lediglich Haß, Eitelkeit und Hochmut. Anstatt mit sorgsamer Hand zu leiten, anstatt mit Aufopferung (zunächst der eignen Afterweisheit) zur Heilung des erkrankten Vaterlandes beizutragen, freuen sie sich jedes neu hervorbrechenden Übels und wühlen, den Geiern des Prometheus vergleichbar, in den Eingeweiden dessen, der ihnen das Leben gab. – Doch, diese schlechteste Klasse aller Ultraliberalen ist sehr selten dem deutschen Boden entsprossen; sie gehören meist einem Volke an, was einst im flachen Kosmopolitismus hineingezwungen ward, und welches oft die Verhältnisse der Familie, der Obrigkeit, der Untertanen usw. lediglich auf der Waage des kalten Verstandes abwägt, mit anatomischen Messern zerlegt und mit chemischen Säuren auflöst.“

Die deutschen Flüchtlinge sind brave und tüchtige Männer, und so hoch gestellt durch die Ehre ihres Betragens, daß die Verleumdungen niedriger Regierungsknechte sie nicht erreichen können. Sie ertragen die Verbannung aus ihrem Vaterlande und die härtesten Entbehrungen mit tugenhafter Stärke und fristen ihr Leben durch die Arbeiten ihres Geistes oder, was noch edler ist, durch ihrer Hände Arbeit. Sie haben selbst in ihrer größten Not niemals die Unterstützung in Anspruch genommen, welche die Großmut und Menschenliebe des französischen Volks seit sechs Jahren den Verbannten aller Länder dargereicht. Nach den amtlichen Berichten der französischen Regierung, worin sie von der Verwendung der Millionen, die ihr für die Unterstützung der Flüchtlinge bewilligt worden, Rechenschaft gibt, haben etwa siebentausend Polen, Spanier und Italiener Unterstützung genossen, und unter diesen siebentausend war nur ein Deutscher. Und diesen kennen wir, er ist einer der bravsten von allen, und nur der Wunsch, seine Studien zu vollenden, bewog ihn, die Menschenliebe der französischen Regierung nicht zurückzuweisen.

Es ist gewiß, daß es unter den deutschen Flüchtlingen auch besoldete Schurken gibt; aber diese sind nicht vom Auslande, nicht von der französischen Regierung, sondern von den deutschen Regierungen besoldet. Das sind jene, welche die deutsche Polizei unter der Maske geflüchteter Patrioten alle Tage nach Paris, nach London und in die Schweiz schickt, um die wahren Patrioten zu bewachen und auszuspähen und zugleich durch vorsätzliches Lüften ihrer eignen Maske auf die wahren Patrioten den Verdacht zu werfen, als wären sie der Polizei verkauft. Diese deutschen Spione sind es, die am lautesten ihr Vaterland verlästern und die man am häufigsten in den Bureaus der Pariser Oppositionsblätter findet, wo sie, um Zutrauen zu erwerben, täglich die schmähendsten Artikel gegen die deutschen Regierungen einliefern.

Ganz mit Recht ruft Herr von Raumer aus: Über Deutschland allein ist die Schmach gekommen, daß Deutsche ihr Vaterland anklagen! Um so schlimmer. Die vertriebenen Spanier, Franzosen und Polen haben nicht zu klagen gegen ihr Vaterland, sondern nur über ihre Gegner (wie sich Herr von Raumer vorsichtig ausdrückt), das heißt gegen ihre Regierungen. Das Volk hielt zusammen, das ganze Volk kämpfte für seine Freiheit, und es konnte nur besiegt werden, weil seine Tyrannen sich mit fremden Tyrannen verbunden, es zu unterjochen. Aber wie viele waren es, die in Deutschland durch Wort und Tat für die Freiheit des Vaterlandes gekämpft? Wurden sie nicht verlassen von ihrem Volke? Standen nicht alle die Tausenden, ob sie zwar die Unterdrückung mitfühlten, seitwärts, auf den Ausgang wartend, immer bereit, die Beute des Sieges, aber nie bereit, die Gefahren des Kampfes zu teilen? Nicht von ihren Gegnern wurden die deutschen Patrioten besiegt, sondern von der Feigheit ihrer Freunde. Und wenn sie sich jedes neu hervorbrechenden Übels ihres Vaterlandes freuen, – hoffend, daß es ihre milchherzigen Mitbürger endlich zur Gärung bringen werde –, wenn sie sich freuen, daß jene Schwachköpfe, welche nur immer jede Begeisterung zu mäßigen gesucht, welche die heiße Liebe des Vaterlands in eine kühle wissenschaftliche Liebe zu verwandeln gesucht, – daß diese für ihren mäßigen Freiheitssinn ganz so hart bestraft wurden als sie selbst für ihren ungestümen; ganz so hart für ihre Geduld als sie selbst für ihre Ungeduld, ganz so grausam gezüchtigt worden für ihre feuerlöschenden Reden und Schriften als sie selbst, welche die Waffen ergriffen, – so ist diese Schadenfreude den armen deutschen Flüchtlingen wohl zu gönnen.

Herr von Raumer und Herr Menzel stehen unter einer Fahne, und daher ist ihr Losungswort das nämliche. Herr Menzel hatte die Parole, jeden deutschen Schriftsteller, der Anhänglichkeit für Frankreich zeigte oder die deutschen Regierungen nicht ausgezeichnet liebenswürdig fand, für einen Juden zu erklären, und er ging im Eifer seines patriotischen Vorpostendiensts so weit, daß er das ganze Junge Deutschland, unter dem doch nicht ein einziger Jude war, in Masse beschnitt und zahlreiche arme Seelen der ewigen Verdammnis übergab. Doch Herr von Raumer treibt es noch weiter als Herr Menzel. Er trommelt aus: der größte Teil der deutschen Flüchtlinge wäre dem deutschen Boden nicht entsprossen, sondern gehöre einem Volke an, was einst im flachen Kosmopolitismus hineingezwungen ward: das heißt aus dem Kauderwelsch des Verfassers der radikalen Rübchen ins Deutsche übersetzt: die meisten politischen Flüchtlinge wären Juden. Und es ist doch nicht ein Jude unter ihnen, nicht ein einziger! Und mit solchen unverschämten Lügen hoffen sie die öffentliche Meinung irrezuführen! Aber Herr von Raumer sollte doch nicht so erbost gegen jenen flachen Kosmopolitismus sein, der die Juden in den deutschen Boden hineingezwungen, da er selbst von eben jenen flachen Kosmopolitismus in die Häuser aller der Berliner jüdischen Bankiers hineingezwungen wurde, bei denen er durch sein ganzes Leben schmarotzt hat. Wären die Hunderte von politischen Gefangenen nicht ganz vom Leben abgeschieden, könnten sie ein Wort der Klage laut werden lassen, dann würde man, in der Hoffnung, die Teilnahme ihrer Mitbürger mit ihrem unglücklichen Schicksale zu schwächen, auch von ihnen die Lüge verbreiten, sie wären Juden. O die Elenden!

Zu jener Stelle aus Raumers Briefen, welche Herr Menzel in seinem „Literaturblatte“ mitteilt, bemerkt derselbe: „So ist das Treiben jener Menschen, die im Sold des Auslandes ihr heiliges Vaterland höhnen, längst von allen Ehrenmännern in Deutschland angesehen worden.“ Wenn Herr Menzel sich und den Herrn von Raumer zu den Ehrenmännern zählt, dann dürfen die deutschen Flüchtlinge dazu lächlen, daß er sie vom Auslande gedungene Schurken nennt.

Wenn ich bemerkt, daß sich unter den deutschen Flüchtlingen keine Juden befinden, so geschah es gewiß nicht, die Juden darum zu loben; das Gegenteil wäre besser. Aber entschuldigen muß ich sie. Der Jude kann einmal dumm sein, aber zweimal ist er es selten. Es hatten eine große Menge Juden gegen Napoleon die Waffen ergriffen und für die Freiheit ihres deutschen Vaterlandes gekämpft. Doch als sie unter den Siegern zurückgekehrt, wurden sie gleich wieder unter die Heloten gesteckt, trotz der gerühmten deutschen Treue und Rechtlichkeit. Ja, man wartete nicht einmal überall, bis sie zurückgekehrt. Es geschah in Frankfurt, daß während die jüdischen Freiwilligen im Felde waren, man ihren Vätern zu Hause die bürgerlichen und politischen Rechte wieder entzog, die sie unter dem Einflusse der französischen Gesetzgebung genossen hatten. Damals, da ich noch jung war und eine größere Lebenszeit zum Hoffen vor mir hatte, kam mir die Sache komisch vor. Mein eigner Bruder war unter den Frankfurter Freiwilligen nach Frankreich gezogen, und während meine Mutter in Angst und Kümmernis war, ihr geliebter Philipp ? so heißt er, ich bitte Seine Majestät den König von Preußen ganz untertänigst um Entschuldigung – möchte für die deutsche Freiheit totgeschossen werden, entsetzte man mich meines Amtes, weil ich ein Jude war. Darum haben die leicht gewitzigten Juden an den Freiheitsbewegungen, welche nach der Julirevolution in Deutschland stattgefunden, nur geringen Anteil genommen und durch diese ihre Vorsicht hinlänglich gezeigt, daß ihnen die blonde und echt christlich deutsche Gesinnung nicht so fremd ist, als Herr Paulus glaubt. Sie dachten, wir wollen abwarten, was die Sache für ein Ende nimmt; wenn die Freiheit siegt, haben wir immer noch Zeit, uns als Patrioten zu melden.

Wir wollen jetzt von dem Meister wieder zu unserm Lehrjungen des Preußentums zurückkehren. Herr Menzel läßt uns sagen, wir wollten uns die Tugendrepublik des seligen Herrn von Robespierres von den Franzosen in das Land bringen lassen, zuerst durch schmeichelhaftes Fraternisieren, dann durch grobes Invasieren. Wir verrechneten uns aber, die Zeiten hätten sich sehr geändert; Frankreich wäre im Sinken und Deutschland im Steigen. Diese Ansicht der Dinge überrascht mich gar nicht von einem so wohlerzogenen deutschen Untertanen, als Herr Menzel ist. Deutsche Untertanen sehen nie weder auf die Waagschale noch auf das Gewicht noch auf das Gewogene, sondern immer nur auf die Zunge der Waage; in allen monarchischen Staaten eine sehr ungetreue Dolmetscherin. Die Zunge kann sich auf die eine Seite neigen und das Übergewicht dennoch auf der entgegengesetzten Seite sein.

„Wer immer noch in dem alten Traume der Französischen Revolution lebt, übersieht ganz, daß die Reproduktion der Zeit den Ort wie die Form gewechselt hat. Das erbärmliche Wiederkäuen der alten Dinge in Frankreich beweist, wie sehr dort die Schöpferkraft des Neuen erloschen ist, während sie beinahe in allen Ländern Europas mächtig sich regt. In dem ruhigen Entwicklungsgange der materiellen und geistigen Interessen in Deutschland bereitet sich eine weltgeschichtliche Epoche vor, von deren Höhe man dereinst nur mit Lächeln auf die Leute herabsehen wird, die sich rückwärts gedrehten Hälsen von der Illusion des Franzosentums nicht loszureißen gewußt haben. Daß diese Entwicklung vor sich geht in der monarchischen Form und nicht in der republikanischen, in einer langsamen Evolution und nicht in einer vom Zaun gebrochenen Revolution, das macht, daß die Fanatiker sie gar nicht begreifen. Aber die Franzosen selbst sind nicht so fanatisch als die deutschen Franzosenfreunde. Sie sehen besser, beurteilen uns richtiger und hüten sich nur, das gefährliche Wort auszusprechen. Es ist gewiß, daß die einsichtsvollen Köpfe und besten Patrioten in Frankreich ihrer eignen Zukunft mißtrauen und dagegen ahnungsvoll und bange auf das deutsche Volk blicken, von dem sie wohl wissen, daß die nächsten Jahrhunderte ihm gehören werden.“

Die nächsten Jahrhunderte werden weder den Deutschen noch den Franzosen noch sonst einem andern Volke oder einem Fürsten gehören; sondern der Menschheit. Eine traurige Zeit, wo man durch Schmeichlen nichts mehr wird gewinnen und durch periodisches Desertieren nicht mehr sein Handgeld wird vervielfachen können! Aber welcher Schelm von reisendem Spion hat dem Herrn Menzel all das närrische Zeug über Frankreich vorgelogen? Was die Franzosen vierzig Jahre lang gekäut und wiedergekäut, das haben sie seit sechs Jahren verdaut, und jetzt gehört es ihnen auf immer. Woran sie heute kauen, das ist eine ganz neue Speise, wovon Herr Menzel gar nichts zu wissen scheint. Und dieses erbärmliche Wiederkäuen der alten Dinge in Frankreich beweist, – daß die Franzosen keine Deutsche sind; daß sie keine Kinder sind, die sich von den Knecht-Ruprechts und den Schornsteinfegern der Polizei hinter den Ofen jagen lassen; daß sie Männer sind, die, was sie einmal gewollt, einmal verlangt, alle Tage wollen und verlangen; daß sie immerfort für das nämliche kämpfen und sich durch keine abschlägige Antwort zurückschrecken, durch keine Niederlage entmutigen lassen. Doch ein deutscher Gelehrter begreift dieses Käuen und Wiederkäuen nicht. Ihm ist die Freiheit, er mag sie lieben oder ihr abhold sein, nur ein System der politischen Wissenschaft, und er findet daher einen lächerlichen Pleonasmus darin, wenn man, was man gestern gesagt und hat drucken lassen, heute schon wieder sagt und drucken läßt, ehe noch die erste Auflage vergriffen ist.

Was wäre denn das für ein gefährliches Wort, das die Franzosen nicht auszusprechen wagten? Das gefährlichste Wort für die Franzosen des neunzehnten Jahrhunderts ist Menzel, und dennoch wollte ich es in allen Städten und Dörfern, auf allen Gassen ausschreien, und es fände sich in ganz Frankreich kein altes Weib, das Weib und alt genug wäre, bei dem Worte zu erschrecken. Wie! die Franzosen sähen ahnungsvoll und bange auf das deutsche Volk? Die französischen Patrioten und die Besten? Vielleicht sieht der König der Franzosen mit Furcht auf die deutschen Fürsten, die einst unter Rußlands Trommel ihn überfallen möchten. Und er hätte recht, sich zu fürchten, denn da er jenen vereinten Fürsten nur seine eigne Fürstlichkeit, und nur diese, entgegenzusetzen hat, so könnte er in einem so ungleichen Kampf unterliegen. Aber die Franzosen? Mitnichten. Das französische Volk hat das deutsche oder braucht es nicht zu fürchten. Werden die Deutschen frei, dann sind sie die besten Freunde und treuesten Verbündeten der Franzosen; und bleiben sie in ihrer gegenwärtigen Erniedrigung, dann werden sie in jedem Kriege wie holländische Tonpfeifen zerbrochen werden.

Was aber die vom Zaun gebrochene Revolution betrifft, so ist das eben eine Redensart, die man hinter allen Zäunen findet. Herr Menzel bewirte damit seinen Freund Raumer, ich will nichts damit zu tun haben.

„Je schwärzer Herr Börne die deutschen Zustände malt, um so einleuchtender wird die Wahrheit, daß es mit einem Volk, das trotz der Zensur eine Geistes kraft und Geistesfreiheit entwickelt hat wie kein anderes Volk ohne Zensur, eine ganz besondere Bewandtnis haben, daß es unter ganz besonders glücklichen Sternen geboren sein muß. Ein unparteiischer Fremder, der alles liest, was Herr Börne von der Erbärmlichkeit der Deutschen mit der schwärzesten Dinte geschrieben hat, und der dann uns selber kennen lernt und ein wackeres, in Wohlstand blühendes, sittenreines, in seiner Nationalbewaffnung furchtbares, doch gemäßigtes, in seiner konstitutionellen Bildung langsam, aber sicher reifendes Volk und endlich die unermeßlich reiche und freie Entfaltung unserer Geister in der Literatur findet, der muß wiederholen, was einst vor anderthalb Jahrtausenden ein Römer von uns sagte: ›Es ist ein Wunder, wie die Deutschen alles schon von Natur haben, wozu wir kaum durch die mühseligste Staatskunst gelangen können‹.“

Es ist nicht davon die Rede, wie die Deutschen vor funfzehnhundert Jahren waren, sondern wie sie heute sind. Große Ahnen sprechen die Nachkommen nicht frei von ihrer Schuld, sie klagen sie ihrer Erniedrigung um so lauter an. Was uns die Natur gegeben, ist Glück, und kein Verdienst; Verdienst ist nur der weise Gebrauch des Glückes. Wer unter einem glücklichen Gestirn geboren und durch seine Verbrechen oder Torheiten die treuen und festen Sterne selbst zum Lügen und zum Wanken brachte, so daß sie ihre Liebe in Haß umgewandelt: der rühme sich seiner Sterne nicht, er schweige, damit man sie vergesse. Mit einem Volke, das trotz seiner Geisteskraft und seiner Geistesfreiheit sich von einer aller Kraft spottenden, alle Freiheit zernichtenden Zensur nicht zu befreien wußte; das sich denjenigen unterwirft, die schwach sind an Geist, denjenigen gehorcht, deren Geist in Fesseln liegt; mit einem Volke, das trotz seines blühenden Wohlstandes, der aller gemeinen Sorgen des Lebens überhebt; das trotz seiner Tüchtigkeit und seiner Sittenreinheit nie das erreichen konnte, was andere Völker ohne Geisteskraft, ohne Geistesfreiheit, ohne Tugend und ohne Wohlstand zu erreichen wußten; das sich der schmachvollsten Unmündigkeit nicht zu entreißen weiß, wie ein Schwachkopf vor Gespenstern zittert oder wie ein Kind vor der Rute, – mit einem solchen Volke muß es eine ganz besondere Bewandtnis haben. Wahrlich, Herr Menzel führt die Waffe mit ausgezeichneter Ungeschicklichkeit; er faßt die Klinge mit der Hand und bietet seinem Widersacher den Griff dar. Nichts ist leichter, als alle seine Entgegnungen auf ihn selbst zurückzuwenden.

Gerechter Gott! was ist das für eine Geisteskraft, die sich geltend zu machen fürchtet und sich vor jedem Polizeijungen gleich wie ein Taschenmesser zusammenlegt und die Schneide in dem hörnernen Stiel versteckt! Und was ist gar an der Geistesfreiheit zu rühmen? Wer ist nicht geistesfrei? Man ist es zu jeder Zeit und überall; man ist es im Kerker, auf dem Scheiterhaufen, in der Wüste, im Gedränge der Narren und noch am Tische eines argwöhnischen, blutdürstigen und betrunkenen Tyrannen. Herr Menzel ist es selbst, und seine Gedanken können seiner Worte spotten.

Mit der unermeßlich reichen deutschen Literatur mag Herr Menzel noch ein Jahrhundert lang ganz nach Belieben schalten; wir haben jetzt auf wichtigere Dinge zu denken, nach hundert Jahren wollen wir darüber rechten. Haben die Franzosen und Engländer nicht auch eine reiche Literatur, und hat sie die abgehalten, sich freizumachen? Jeder Pariser Handwerker würde den gelehrten Narren verhöhnen, der spräche: wir haben Montaigne, Rabelais, Corneille, Racine, Molière, Descartes, Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Diderot, Chateaubriand; wir haben eine königliche Bibliothek von einer halben Million Bänden und achtzigtausend Manuskripten; wozu braucht ihr Preßfreiheit? Wenn ein unverschämter Buchknecht in England spräche: wir haben Bacon, Shakespeare, Newton, Pope, Milton, Byron, Hume, Gibbon; wozu wollt ihr noch Parlamentsreformen? würde ihn jeder Londoner Lastträger an der Brust packen, ihn schütteln und ihm erwidern: Ihr seid ihr, und wir sind wir, und wir sind mehr als ihr.

Herr Menzel sagt, die Deutschen schritten langsam und sicher in ihrer konstitutionellen Bildung fort. Was die Sicherheit betrifft, so wollte ich keinem raten, auf irgendeine deutsche Konstitution eine Hypothek zu nehmen, denn die deutschen Konstitutionen gehören alle zu den Mobilien. Was aber die Langsamkeit betrifft, so kömmt es darauf an, wie es Herr Menzel versteht. Ein Büßender, der nach Rom wallfahrte, ging nach je zwei Schritten einen zurück, das war langsam, er kam aber endlich dennoch hin. Die Deutschen aber machen in ihrer konstitutionellen Bildung nach jedem Schritte zwei Schritte zurück. Heißt das auch langsam und sicher? Doch vielleicht denkt Herr Menzel, man könne auch von der entgegengesetzten Seite zur Freiheit kommen, weil die Welt rund ist, und so will ich es gelten lassen. Doch was er von der furchtbaren Nationalbewaffnung des deutschen Volkes spricht, kann ich nicht gelten lassen, weder den Nominativ noch den Adjektiv. War es dem Herrn Menzel ernst damit, oder wollte er spotten? Kann ich das wissen? Kann ich die Schelmereien erraten, die seine Gedankenfreiheit im stillen übt?

Ist es denn eine Bewaffnung der Nation? Es ist eine Bewaffnung gegen die Nation. Glaubt Herr Menzel, die großen Kriegsrüstungen, welche die deutschen Fürsten seit sechs Jahren gemacht, wären gegen Frankreich gerichtet gewesen? Nein, an einem Kriege mit den Franzosen wagte man bis jetzt noch nicht zu denken. Man wollte nur den gesunden Schlaf, die Pausen und die Mutterwehen des wackern, in Wohlstand blühenden, sittenreinen und an Büchern unermeßlich reichen deutschen Volks bewachen; dazu waren die Rüstungen bestimmt. Und die Furchtbarkeit dieser Bewaffnung liegt nur in den Pappkasten der Frankfurter Militärkommission und wird sonst nirgends zu finden sein. Vereinte Kräfte wirken nur, wo Einigkeit herrscht, und die Einigkeit der deutschen Fürsten hat sich bis jetzt nur in den Steckbriefen gegen die geflüchteten Patrioten gezeigt. Österreich und Preußen feinden sich heimlich an und mißtrauen sich; beide mißtrauen den kleinen deutschen Fürsten, diese mißtrauen einander selbst, und alle vereint mißtrauen ihren Völkern und werden gewiß keinen Krieg mit Frankreich anfangen, ehe die Russen an der Oder stehen und auf die Mäuse achtgeben, während die Katze nicht zu Hause ist. Und das nennt Herr Menzel eine furchtbare Nationalbewaffnung!

„In Deutschland wachsen im Schatten mehr Früchte als in Frankreich beim hellsten Licht. Wir lernen daraus nur erkennen, was für ein guter Boden in unserem Volk ist, und wenn nur der Boden gut ist, an der Sonne wird es, obgleich sie wechselt, niemals fehlen. Ich sehe den schwarzen Schatten auch, ich gehöre nicht zu denen, die Schlechtes für gut halten und Gutes schon für das Beste, aber eben deshalb kann ich auch nicht blind sein für das wirklich Gute und Große in der deutschen Natur. Erscheinungen, die bei andern Völkern auf die tiefste Versunkenheit der Nation schließen lassen würden, lassen bei uns keineswegs darauf schließen. Die Oberfläche unseres Daseins verträgt viel, ohne daß der Kern angegriffen wird. Unser großes Volk ist gar sehr auf die Dauer gemacht. Es spürt manche Wunde nicht, an der andere Völker verbluten würden. Es achtet, gleich dem ruhenden Löwen, mancherlei Beleidigungen nicht, die andere Tiere zur Wut reizen. Es meint, gleich dem schlafenden Riesen, den der Donnergott mit dem Hammer schlug, es sei nur ein Blatt vom Baum auf seine Nase gefallen.“

Wahrhaftig, es gibt Einfältigkeiten, die einen ganz aus der Fassung bringen können. Ich stehe verdutzt wie ein Narr mit offenem Munde da und weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich, der ich nicht die schärfsten Gründe fürchte, sobald das Recht mich deckt, fürchte mich vor den Schneeballen, die mir Herr Menzel an den Kopf wirft! So sah ich einmal ein Volk im Aufruhr den Kugeln trotzen und vor einer Feuerspritze erschrocken davongelaufen.

Wo nur Herr Menzel alle die Zitronen und Zuckerhüte hernimmt! Er ist ein stiller Ozean von Limonade, womit man den französischen Nationalkonvent zu einem böhmischen Landtage hätte abkühlen können. Wie dithyrambisch er ist, wenn er die Geduld des deutschen Volkes verherrlicht! Ein Pindar der Geschlagenen, ein Homer der Thersiten! Wenn die Tories wüßten, welcher einschläfernde Schwung in den Dichtungen des Herrn Menzel herrscht, sie würden ihn eiligst nach England berufen, um als ein Tyrtäus neuer Art das englische Volk zur Feigheit zu begeistern. Gewiß haben die Alexanders unter den deutschen Hofräten das „Literaturblatt“ des Herrn Menzels unter ihrem Kopfkissen liegen. Ich aber – oder wollte sich Herr Menzel vielleicht über mich lustig machen? Nun, dann umarme ich ihn mit Entzücken, denn es ist ihm herrlich gelungen; er hat mich ganz rasend gemacht.

„Wir haben Zeit die Hülle und die Fülle.“ Ist das nicht ein Sturzbad, womit man ganz Bedlam heilen könnte? Ist das nicht ein prächtig Paar Siebenmeilenstiefel für ein fliehendes Volk von Hasen? Ist das nicht ein Spruch, ganz würdig der sieben Weisen der Polizei, die in Frankfurt philosophieren? Doch was helfen alle Gleichnisse? Herr Menzel ist unvergleichlich.

Das deutsche Volk „spürt manche Wunde nicht, an der andere Völker verbluten würden“. Also weil es ein zähes Leben hat, soll es jede Wunde ungerochen annehmen? „Es achtet, gleich dem ruhenden Löwen, mancherlei Beleidigungen nicht, die andere Tiere zur Wut reizen.“ Der Löwe verachtet die Maus, die in seiner Mähne spielt, und die Fliege, die ihn kitzelt; aber duldet er es, solange er lebt, daß ihn ein Esel mit Füßen tritt, daß ein Tiger seinen scharfen Zahn in sein Fleisch bohrt? Werden die Deutschen etwa nur von Mäusen und Fliegen beleidigt? „Er meint, gleich dem schlafenden Riesen, den der Donnergott mit seinem Hammer schlug, es sei nur ein Blatt vom Baum auf seine Nase gefallen.“ Ich kenne den Riesen nicht, von dem hier Herr Menzel spricht, aber ich halte nicht viel von ihm. Was wäre denn das für ein Held, der, wenn ihm sein Feind einen Faustschlag ins Gesicht gibt, dazu lächelte und spräche: Ich habe es für einen Nasenstüber gehalten! Wenn es ein Nasenstüber gewesen, dann war der Schimpf um so größer, und um so blutiger hätte er gerochen werden müssen. Die Ehre sitzt nicht in der Haut, sie sitzt im Herzen. Aber der Riese schlief, und der Donnergott wachte! Es sei. Ich weiß recht gut aus Hufelands Makrobiotik, daß der Mensch wenigstens sechs Stunden; ich weiß aber auch aus der nämlichen Makrobiotik, daß er höchstens acht Stunden täglich schlafen soll. Doch das Riesenvolk der Deutschen schläft Tag und Nacht, und alle Tage, und das ganze Jahr und schon drei Jahrhundert lang! Das ist ungesund, Herr Menzel. Des deutschen Riesenvolkes Donnergott ist der Bundestag, der ihm mit dem Hammer seiner Ordonnanzen auf den Kopf geschlagen, und das deutsche Volk gähnte und lächelte dazu und sagte: es habe das für ein Blatt – Papier gehalten! Das heißt seinen Löwen- und Riesenstolz zu weit treiben, und das alles ist zwar sehr dithyrambisch, aber auch sehr einfältig.

„Herr Börne fühlt sich sehr wohl, daß die Langmut, mit welcher wir seine Beleidigungen hinnehmen, seine härteste Strafe ist. Er ist nicht eitel, aber welchem sterblichen Geist würde nicht dennoch der Gedanke schmeicheln, sich einzeln einer ganzen Nation gegenüber im Kriege zu befinden? Aus seinem sicheren Versteck in Paris wirft er alles, was sein Genie von Beschimpfungen erfinden kann, in unser Land herüber, und doch vermag er es nicht einmal dahin zu bringen, daß wir ihm ernstlich zürnen. Wir sehen ein, er hat in vielen Dingen recht, und die vielen andern Dinge, worin er unrecht hat, kann ihm wohl verziehen werden, denn er ist krank, hat den Spleen im höchsten Grade, quält am Ende sich mit seinen Grillen mehr als andere, und es würde sehr ungerecht sein, wenn die große deutsche Nation dem kleinen kranken Manne in Paris ihr Mitleid versagen wollte.“

Glaubt es Herr Menzel selbst oder will er es glauben machen, daß ich mit meinen Gesinnungen dem deutschen Volke allein gegenüberstehe? Doch wie es auch sei, er bitte seine Gönner, nur auf vier Wochen Preßfreiheit zu bewilligen, und es wird sich zeigen, daß vielmehr Herr Menzel und seine Gönner es sind, die dem deutschen Volke allein feindlich gegenüberstehen. Er spricht von meinem sichern Versteck in Paris und gibt sich eine überflüssige Mühe, sich lächerlich zu machen. Soll ich etwa in Frankfurt schreiben? Ich wäre dort versteckter, als ich es in Paris bin, und wenn Herr Menzel mich zu sprechen wünscht, wird ihn eine Reise nach Paris weit weniger kosten, als es ihn kosten würde, meinen Gefängniswärter zu bestechen. Diese Menschen sprechen von Versteck! Ihr sprecht aus eurem sichern Versteck hervor. Nie würdet ihr wagen, die deutschen Flüchtlinge anzukläffen, wenn ihr nicht wüßtet, daß die Kette der Zensur, an der ihr selber liegt, und das Gitter der Polizei, das euch einschließt, euch gegen die verdiente Züchtigung schützt.

Herr Menzel sagt, ich hätte in vielen Dingen recht, in vielen unrecht; aber er sagt nicht, worin ich recht, er wagt nicht einmal zu sagen, worin ich unrecht habe. Er umhüllt alles mit einem blauen Dunst, versichert die Welt, dahinter wäre ich verborgen, und sucht ihr zu erklären, woher mir der Dunst gekommen. Er erklärt meine traurigen Phantasmen aus den Fehlern meiner Leber und aus noch tiefern Fehlern. Keiner wundere sich darüber, hier Verdauung und Religion zusammengestellt zu sehen: es gibt Menschen genug, welchen ihre Verdauung die einzige Religion ist und deren Vorbereitung der heiligste Gottesdienst.

Herr Menzel nennt mich einen Überläufer, und er wagt dieses Wort auszusprechen! Wenn er Zensor wäre, sollte er es in allen neuen Wörterbüchern durchstreichen. Ich erinnere mich noch der Zeit, da Herr Menzel mich sehr gepriesen, da er schrieb, Deutschland wäre meine Braut, und wenn ich es hart anfahre, wäre das nur das Schmollen eines Liebenden. Ich erinnere mich auch, daß er geschrieben, mich zu tadeln käme ihm vor, wie von der Polizei zu sein. Habe ich mich seitdem geändert? Nein, die Zeiten haben sich geändert, die Winde, die Ängste und die Hoffnungen. Damals war Herr Menzel noch nicht in die württembergische Kammer gewählt, und da diente ihm die Maske der Freisinnigkeit, sich neben freisinnigen Männern einen Platz zu gewinnen. Sobald der Freiheitskarneval vorüber war, zeigte Herr Menzel sein wahres Gesicht. Ich nenne ihn keinen Überläufer, sondern einen Überschleicher. Doch er mag sich noch so langsam und vorsichtig umgestalten, mich täuscht er nicht, wie vielleicht viele andere. Wie er auch schlich, ich ging ihm wie ein Minutenzeiger nach, ich weiß, wohin er schleicht, kenne sein Ziel und auch die Stunde, in der er es erreichen wird.

Hier aber muß ich die Meinung, die ich von Herrn Menzel habe, ganz sagen; denn die strengste Pflicht verbietet mir, der Gefahr eines leichtsinnigen Widerspruchs beschuldigt zu werden, auszuweichen. Wenn ich früher von der Instruktion des Herrn Menzel gesprochen; wenn ich ihn einen Kotsassen der „Allgemeinen Zeitung“, einen Prokurator der deutschen Bundesversammlung genannt, so bitte ich ihn und bitte jeden meiner Leser, dieses ja nicht zu mißdeuten. Ich will nicht damit sagen, daß sich Herr Menzel verkauft hat, ich sage nicht damit, daß Herr Menzel seiner wahren Meinung entsagt und falsche heuchelt, um der Macht zu schmeichlen; ich sage es nicht, denn ich denke es nicht. Ich klage nur die Eitelkeit seines Herzens, die Schwäche seines Gemüts und seinen Unverstand in politischen Dingen an. Menzel ist der erste nicht, der aus einem Freunde der Freiheit ihr Feind geworden, nicht weil er seine Gesinnung gewechselt, sondern weil er die Macht nicht mehr hatte, der Freiheit nützlich zu sein, oder den Mut verloren, sich öffentlich ihren Freund zu nennen. Es gab schon viele solcher Menschen, die aus der Not eine Tugend gemacht, die es aber nicht dabei bewenden ließen, was noch verzeihlich geblieben wäre, sondern die jene erzwungene Tugend sich selbst als freie Tugendhaftigkeit, die Not derer aber, die ihre Not treu fortgefühlt, diesen andern als Halsstarrigkeit, Blödsinn oder Ruchlosigkeit angerechnet. Was war es denn sonst, was in früherer Zeit Görres, Schlegel, Steffens, Zacharias Werner und noch manchen andern edlen Deutschen aus dem Reiche des Sonnenlichtes und der Wahrheit in Nacht und Wahn gestürzt; was sie aus Adlern zu Eulen, aus Denkern zu Mystikern gemacht? Die Verzweiflung war es an sich, dem Vaterlande und der Welt. Ohnmächtig, sich die Freiheit des Lebens zu gewinnen, flüchteten sie in die Freiheit des Todes. Um nicht länger Gefangene zu bleiben, wurden sie Gefängniswärter und klirrten dann so stolz mit den Schlüsseln in ihren Händen, als hätten sie damit die Wahrheit aufgeschlossen und nicht eingeschlossen, und dann kamen alle Heuchler und Dummköpfe herbei und küßten die Schlüssel der Wahrheit und verehrten die heiligen Schlüsselträger.

Wie gut diese frommen Leckermäuler es verstanden haben, sich eine zugleich heilige und nahrhafte Suppe zu bereiten, indem sie irdisches Brot in den himmlischen Glauben brockten, davon möge folgendes Beispiel zeugen. Adam Müller, Preuße, Protestant und sonst nichts, wurde katholisch und österreichischer Staatsbeamter. Als Generalkonsul in Leipzig schrieb er der Frau von Varnhagen: „Ich bin kein Knecht der Mächtigen, aber auch kein independenter sogenannter Staatsbeamter, sondern ganz einfach der Diener meines Kaisers, nächst Gott, in Leben und Tod; außerdem glühend für das, was von den Besten aller Jahrhunderte Freiheit genannt worden ist, für eine galante Freiheit, für eine solche, die sich nur im Dienst und in der Hingebung an einen irdischen Herrn zeigen kann, deren Lebenselement das Opfer ist, die also nur an dem Opfer aller Opfer ihre Flamme entzünden kann.“ Aber Adam Müller war kein Heuchler. Er hatte sich in den Glauben hineingeglaubt und, sich an dem Opfer aller Opfer entzündend, sein Amt und den damit verbundenen Gehalt als ein ihm auferlegtes Kreuz mit christlicher Ergebung ertragen. Er gehörte zu jenen klugen Amphibien, die sich vor jeder irdischen Not in den Himmel, und vor jeder himmlischen Not sich auf die Erde flüchten. Sie werden auch selig werden, denn der liebe Gott ist ein gar guter Herr und nimmt es nicht so genau; uns aber sollten diese Herrn mit ihrer galanten Freiheit nicht zum besten haben wollen.

Was will denn aber eigentlich Herr Menzel, könnten mich die Leser fragen, und woher kömmt ihm seine wunderliche Idiosynkrasie gegen die Franzosen? Diese Frage kurz zu beantworten: Herr Menzel ist der Peter von Stuttgart. Es schmerzt ihn, das heilige Grab des Absolutismus in den Händen der Ungläubigen zu sehen, und er beschwört die frommen Deutschen, Frankreich zu erobern und in Paris ihr Kreuz aufzupflanzen, und für dieses gottgefällige Werk verspricht er ihnen Ablaß von allen ihren Sünden und Schwächen. Ich will es euch sagen, was diejenigen wollen, für deren Vorteil Herr Menzel und noch viele andere sich öffentlich oder heimlich bemühen. Aber ich will es nicht mit meinen eigenen Worten sagen: denn da käme Herr Menzel wieder und spräche: er hat den Spleen, glaubt ihm nicht! Nein, ich will es mit den Worten derjenigen sagen, die den Spleen nicht kennen, die, ob sie zwar ungeheuer viel essen, doch nie an Verdauungsschwäche leiden, weil sie die Grundbedingung eines guten Magens haben: ein schlechtes Herz. Ich will es mit den Worten der Staatsmänner, Diplomaten und Fürsten, dieser hohen, höchsten und allerhöchsten Personen, sagen. Suche sich der deutsche Leser die von Kombst herausgegebene Aktenstücke des Deutschen Bundes und das in London erscheinende Portfolio zu verschaffen*. Dort wird er die Ansichten, Befürchtungen, Hoffnungen und Pläne, welche Rußland, Österreich und Preußen rücksichtlich des deutschen Volkes haben, klar ausgesprochen finden. Da mir aber die ungemeine Geistesfreiheit, die in Deutschland herrscht, hinlänglich bekannt ist und ich fürchte, genannte Schriften möchten dort schwer zu haben sein, will ich deren Resultate so kurz als möglich ausziehen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menzel der Franzosenfresser.