Drittens. - Russische Stimmen. - Gleich von 1789 an fanden die Lehren der Französischen Revolution bei vielen deutschen Denkern eine günstige Aufnahme...

III. Russische Stimmen

„Gleich von 1789 an fanden die Lehren der Französischen Revolution bei vielen deutschen Denkern eine günstige Aufnahme; aber die Masse des Volks blieb ihnen um so fremder, als seine pedantisch-religiöse Erziehung (éducation pédantes-quement religieuse) es von jeder eigentlich politischen Idee entfernt hielt.


– Zwar wußte Napoleon mit seinem eisernen Szepter alle Äußerungen feindlicher Gesinnungen gegen die Macht niederzuhalten; doch konnte er nicht verhindern, daß die von der Französischen Revolution in Umlauf gebrachten Ideen sich in Deutschland ausbreiteten und sich besonders in den Universitäten und Schulen festsetzten. Erst nach dem Sturze des großen Mannes gewahrte man, welche tiefe Wurzeln jene Ideen schon gefaßt hatten. Ihre ersten Früchte waren schön und herrlich, denn der Befreiungskrieg gab Gelegenheit, die edelsten und reinsten Gesinnungen zu entfalten. Die Begeisterung des Volks war ebenso bewunderungswürdig durch ihr erhabenes Ziel als durch die Mäßigung, worin sie sich anfänglich zu erhalten wußte. Unglücklicherweise zeigten die folgenden Jahre, daß die Fürsten und Minister sich schwer getäuscht hatten, als sie den Kampf Deutschlands unter diesem einzigen Gesichtspunkt betrachtet. Nach dem Kriege zeigten politische Ansprüche, die sich in den meisten Staaten kundgaben, augenscheinlich genug, daß, als die Deutschen die Waffen ergriffen, sie nicht bloß Napoleon, sondern auch ihre eigenen Re gierungen treffen wollten.

– Da die wahre Religiosität einer der Grundzüge des deutschen Nationalcharakters ist, mußte der Befreiungskrieg hierdurch natürlich eine Art religiöse Weihe bekommen. Mehrere Staatsmänner suchten den öffentlichen Geist in dieser Richtung zu erhalten, und unter andern war der Fürst Metternich in diesem Sinne tätig. Indessen, obzwar die Mehrzahl des deutschen Volkes zu dem alten öffentlichen Rechte, das sich auf theologische Prinzipien gründet, sich hinzuneigen schien, so erklärte sich doch auf mehreren Universitäten eine starke Opposition gegen jene Ansicht.

– Preußen allein machte sich, nach einer doppelten bittern Erfahrung, keine Täuschung mehr über die Richtung des öffentlichen Geistes. Es erkannte mit vielem Scharfsinne, daß die Deutschen die Polen weniger wegen ihrer selbst als wegen ihrer Revolution liebten. Deutschland verdankte 1832 sein Heil nur dem ernsten und würdevollen System, welches Preußen in seinem feindlichen Betragen gegen die polnische Revolution leitete.

– Alle deutsche Bundesstaaten, mit Ausnahme Österreichs und Preußens, sind konstitutionelle Staaten, und der freie Austausch der Ideen durch die Presse hat dort besonders seinen Einfluß auf die gesetzgebenden Versammlungen geübt. So wie einst in Frankreich, von 1789 bis 1792 die Erörterung allgemeiner Prinzipien, indem sie die Gemüter von den örtlichen und persönlichen Interessen abzog, überall die Keime der Anarchie von 1793 legte, so kann man in den letzten Sitzungen der deutschen Kammern, besonders denen der kleinen Staaten, eine ähnliche Richtung erkennen.

Hätte nicht die deutsche Bundesversammlung durch ihre Ordonanzen vom Juni jener Freiheit der Diskussionen eine Grenze gesetzt, würde das Übel, das aus einer solchen Quelle kam, die organischen Elemente verschiedener deutschen Staaten bald erreicht und zerstört haben. In der Tat ließ man sich dort angelegen sein, jede liberale Opposition durch eine noch liberalere auszustechen; man ging dort eiteln Phantomen mit dem einfältigsten Eifer (niaise ardeur) nach und gefiel sich in der dümmsten Opposition (l'opposition la plus sotte) gegen die Regierung, so daß man die Franzosen hierin noch übertraf. Daher sind auch aus der deutschen Presse, der man doch die tiefsinnigsten und ausgezeichnetsten philosophischen Werke der neuern Zeit verdankt, die wunderlichsten und unvernünftigsten Erzeugnisse hervorgegangen, die nur je aus verrückten Köpfen (cerveaux atteints de folie) gekommen. Man muß hoffen, daß man in der Folge jenen Abscheulichkeiten (monstruosités) ein Ende machen wird; man muß hoffen, daß man von nun an darauf sehe, daß in Deutschland die wahren Gelehrten und die tiefen Denker nicht bloß allein das Wort führen, sondern sich auch Gehör verschaffen können.

– Schon 1819 hatte Österreich den Plan, unter seinem Protektorat für alle in Deutschland erscheinenden politischen Werke, Journale und Bücher eine Bundeszensur zu errichten; doch dieser Versuch scheiterte an der Opposition der bayrischen und sächsischen Regierung. Später ließ Österreich in Leipzig und Frankfurt periodische Schriften erscheinen, die im Geiste der Doktrinen, die es geltend machen wollte, geschrieben waren; allein sie hatten keinen großen Erfolg, ob sie zwar von Leuten von Geist redigiert worden und beträchtliche Kosten verursacht hatten.

– Das System, auf dem sich die österreichische Stabilität gründet, ist sehr alt. Man hat nicht vergessen, daß ehemals die Ferdinands zufolge dieses nämlichen Systems Deutschland zu unterjochen gesucht. Die schönen Maximen haben dem Hause Habsburg nie gemangelt; aber wenn seine Tätigkeit immer groß war, waren seine Taten dagegen selten.

– Die Souveräne der kleinen konstitutionellen Staaten, durch die Herrschbegierde ihrer Kammern aufs äußerste gebracht, so wie einst Ludwig XVI. durch den Nationalkonvent, erinnern sich dieses großen und merkwürdigen Beispiels; sie sehen selbst ein, daß, wenn sie die Ausgelassenheit jener anmaßlichen gesetzgebenden Körper (la licence de ces législatures usurpatrices) sich länger gefallen ließen, sie in ihrer Existenz selbst bedroht wären. Man sieht sie also jetzt Preußen in allen Maßregeln unterstützen, die dahin zielen, die Rechte der gesetzgebenden Versammlungen einzuschränken; man sieht, daß sie sich gutwillig allen allgemeinen Beschlüssen des Frankfurter Bundestages unterwerfen.

– Die echten deutschen Grundsätze, was den Austausch der Ideen betrifft, müssen immer dahin zielen, vor allem die Lokalinteressen, dann die Provinzialin teressen zu bewahren und zu unterstützen. Damit das in der angegebenen Reihenfolge stattfinde, müßten die Regierungen mit der größten Strenge darauf wachen, daß man gegenwärtig nur die Lokal- und Provinzialinteressen öffentlich verhandle. Es kömmt zuerst darauf an, jeder Familie, jeder Gemeinde, jeder Provinz ihre Freiheiten und Rechte zu sichern; daraus folgt, daß es nicht jedem Professor des öffentlichen Rechts erlaubt sein dürfe, jene Spezialfreiheiten den chimärischen Ideen von allgemeiner Freiheit und dem Traume der sogenannten Volkssouveränität aufzuopfern. Preußen hat seinesteils diesen Geist der alten deutschen Gesetze sehr gut aufgefaßt, indem er die Revision der Stadt- und Dorfverfassungen anbefohlen; auch hat dieser Samen gute Früchte getragen.

– Man kann jedoch nicht in Abrede stellen, daß diese Art zu verfahren, indem man den Familiengeist benutzt, um nach und nach den Nationalgeist zu bilden, nur dann ohne Gefahr angewendet werden kann, wenn der Geist und die Liebe der Häuslichkeit (l'esprit, l'amour du foyer), von welcher hier die Rede ist, tiefe Wurzeln in den Herzen der Bürger geschlagen hat. Nun aber ist diese Tugend den Sitten und dem Charakter der Deutschen so anklebend, daß nur eine ununterbrochene Folge von Plagen und Mißgeschick deren Wurzeln untergraben konnten. Anders ist es bei den slawischen Völkern; sie kennen weniger jene innige Sympathie, die den Menschen an seinem Geburtsorte, an das Dach, das ihn beherbergt, an die Möbel, die ihm gedient haben, binden. Der Nationalgeist des Slawen richtet sich weniger nach den Sitten des Hauses und nach der Meinung seiner nächsten Nachbarn als nach der Einwirkung der lebenskräftigen und beweglichen Volksklassen, zu denen er gehört, Massen, die seine Sprache reden und seine Leidenschaften teilen. –

– Ein Krieg Deutschlands gegen Frankreich und England hat in unserer Zeit einen doppelten Charakter ... Es handelt sich auf der einen Seite, die Bajonette und die Kugeln und auf der anderen Seite die Ideen zu bekämpfen; was den materiellen Kampf zwischen den Armeen betrifft, so ist er den Wechselfällen des Krieges unterworfen ... Nehmen wir den Fall an, wo Deutschland unterliegen sollte ... So beklagenswert auch ein solches Ereignis für Deutschland wäre, kann man es doch nicht mit den traurigen Folgen vergleichen, welche der Triumph der englisch-französischen konstitutionellen Prinzipien für den Deutschen Bund und für jeden Staat insbesondere hätte ... Auch müßte Deutschland, im Falle eines Bruchs mit Frankreich und England, seine Hauptaufmerksamkeit auf den Kampf wenden, den es gegen die Prinzipien seiner Feinde zu bestehen haben wird. Alle Regierungen sehen heute vollkommen ein, daß die größten Gefahren, die sie bedrohen, in der Tat von jener Seite kommen.

– Die Fürsten und die Großen im allgemeinen ... müssen vor allen Dingen sich selbst und ihren Interessen (à ce qui leur est le plus cher) treu bleiben. Ihre heiligste Pflicht ist, ihre Rechte nicht beschränken zu lassen.

– Das wissenschaftliche Deutschland hat selbst während der traurigen Tage der fremden Herrschaft seine Würde zu behaupten gewußt. Auch hat in den Gemütern der deutschen Jugend keine Anhänglichkeit für Frankreich Wurzel fassen können, obzwar die Ideen des Liberalismus sie zu solchen Gefühlen hätte geneigt machen sollen. Im Gegenteil, sie bewahrte immer eine tiefe Antipathie gegen jenen feindlichen Nachbarn, und dies trat nie stärker hervor als beim Hambacher Feste. Dort, ohngeachtet des Schwindels, der alle ergriffen, hat man es Börne, der gegenwärtig war, und den doch die Demagogen so achten, nicht verziehen, um die Gunst der französischen Liberalen niederträchtig gebettelt (bassement mendié) und hierdurch Deutschland vor ihnen beschimpft zu haben.“

Das deutsche Volk möge diesen Kosakenkatechismus gut auswendig lernen, damit es an dem Tage, wo es nach dem Rituale der russischen Kirche durch Ohrfeigen seine Firmung erhalten wird, vor dem heiligen Zar ehrenvoll bestehe.

Was der Bericht des russischen Staatsmannes von der feindseligen Stimmung sagt, die sich in Hambach gegen Frankreich laut ausgesprochen, und was er bei dieser Gelegenheit von mir erzählt, ist alles falsch oder gelogen. Eine starke Sympathie für die Franzosen sprach sich dort überall aus; freilich eine Sympathie, wie wir sie verstehen, nicht diejenige, welche die Schriftsteller der Polizei als solche darstellen, um sie als etwas Gehässiges erscheinen zu lassen. Ich erinnere mich, daß einer der Hambacher Pilger, der mir von früher als ein preußischer Spion bekannt war, in meiner Gegenwart und unter vielen jungen Leuten mit frommer Begeistung von dem Glücke sprach, das die Rheinprovinzen unter der französischen Herrschaft genossen, und wie es zum Heile von ganz Deutschland führen müsse, wenn die freien Institutionen Frankreichs wieder bis zum Rheine vorrücken könnten. Aber selbst die unerfahrnen jungen Leute hörten den heiligen Mann mit Kälte an, denn er trug das Kainszeichen auf seiner Stirne. Ich selbst hatte in Hambach keinen einzigen Franzosen gesprochen noch gesehen, ich konnte also nicht um die Freundschaft Frankreichs betteln. Der mutige, edle und geistreiche Wirth war in Hambach der einzige, der ganz ohne Veranlassung über, und mehr aus einem Geiste des Widerspruchs, als aus innerer Überzeugung gegen die Franzosen öffentlich sprach. Dieses erregte allgemeines Mißfallen und lauten Tadel. Zum Lohne für seinen Franzosenhaß, den Herr Menzel deutschen Patriotismus nennen würde, wurde der gute Wirth ins Zuchthaus gesperrt und mußte drei Jahre lang die Uniform der Diebe tragen und Strümpfe stricken. Dort in dem Kerker, statt seinen Haß der Tyrannei zur heiligen Wut entflammen zu lassen, dort aus seinem sichern Versteck hervor, schrieb Wirth über Sonne, Mond und Sterne und andere Ewigkeiten, ließ sich wie ein wahres deutsches Schaf in den Pferch der Wissenschaft zurücktreiben und düngte mit seinen philosophischen Erzeugnissen die Felder der Erbpächter des deutschen Landes. Und wo Jean Paul lange die Freiheit lehrte, wohnt jetzt der edle Wirth als Mündel der bayrischen Polizei und muß ihr von jedem Schritte, den er tut, und von jedem Gedanken, den er ausgibt, Rechenschaft geben!

Jeder, dem bekannt ist, daß die russische Regierung in Deutschland so viele Spione hat, daß sie mit ihnen das Herzogtum Nassau und das Großherzogtum Hessen trotz der tapfersten Verteidigung erobern könnte, wird sich wundern, daß sie von dem Geiste, der in Hambach herrschte, so falsch unterrichtet worden. Dieses hatte aber seine eigne Ursache. Die Hambacher Spione waren in einer bedenklichen Lage und ermangelten jener heitern Gemütsstimmung, welche ein Spion zur Ausübung seiner schönen Kunst nach den Regeln der Optik und Akustik nötig hat. Nämlich gleich in der ersten öffentlichen Versammlung, die in Hambach in einem Wirtshause stattfand, und wo mehr gesprochen als gedacht, mehr gesungen als gesprochen, mehr getrunken als gesungen, und mehr spioniert als getrunken wurde, – war ein Spion so naiv, über alles, was er gern wissen wollte, seine Nachbarn rechts und links laut auszufragen. Wie heißt der Herr, der jetzt spricht? Wie der, welcher dort singt? Wie jener, der dort trinkt? Und sobald er den gewünschten Bescheid erhalten, schrieb er es sehr kindlich vor aller Augen in sein Taschenbuch ein. Man bemerkte es, fiel über ihn her und wollte ihn prügeln, und die Behörde war genötigt, den ehrlichen Mann zu seiner Sicherheit ins Gefängnis zu setzen oder ihn im stillen aus der Stadt zu führen. Hierdurch wurden aber die übrigen Spione ängstlich gemacht, so daß sie nicht mehr wagten, über das, was sie sahen und hörten, gleich Buch zu führen und die nötigen Erläuterungen einzuziehen. Aus diesem Grunde mochten wohl viele Berichte mangelhaft und falsch geworden sein.

Um dem Herrn Menzel ein kleine Freude zu machen, will ich ihm noch erzählen, daß mir damals in Hambach von einem radikalen Barbiergesellen meine Uhr gestohlen worden. Ich lief auf der Stelle zur geeigneten Behörde und forderte deutschen summarischen Prozeß, und daß man sogleich den wahrscheinlichen Dieb arretiere. Aber die Gerichte lachten mich aus, ob ich zwar einer der Fürsten von Hambach war, und sagten mir: ja, bei euch geht das an, aber bei uns, nach französischen Gesetzen, ist man nicht so schnell mit dem Arretieren. Damals verwünschte ich alle französische Institutionen und fand es sehr lächerlich, daß ein Mann wie ich, der eine goldene Uhr trug, nicht jeden armen Teufel, auf den er Verdacht geworfen, sollte arretieren lassen können. Ja, der Geist ist stark, aber das Fleisch ist schwach!

Die mitgeteilten Aktenstücke sprechen verständlich genug für sich, und weitere Bemerkungen darüber wären ganz überflüssig. Doch, da es viele kindische Menschen gibt, die der Erfahrung und eines klaren Blicks ermangeln, würde ich dennoch ad usum delphini noch einiges darüber sagen, wenn ich nicht fürchtete, durch kleine Nutzanwendungen und Puppenmoralitäten meine vernünftigen Leser zu ermüden. Aus jenen offiziellen Aktenstücken geht das im allgemeinen hervor: daß die deutschen Regierungen das deutsche Volk ganz so beurteilen, wie ich es getan, und daß sie sich selbst in dem nämlichen Lichte darstellen, in welchem ich sie darzustellen gesucht; es geht also daraus hervor, – daß ich nicht den Spleen habe und kein Bauchredner bin. Es möge daher Herr Menzel künftig mehr auf meinen Kopf und meine Brust als auf meinen Unterleib sehen und seine abdominale Zärtlichkeit einem schönern Gegenstande zuwenden. Was er an mir für den Spleen erkennt oder vielmehr dafür geltend machen möchte, ist die splendida mascula bilis, die zu jeder Zeit den Mann geziert, in der unseren aber noch mehr tut als das; die ihn beschützt, ihn, seine Ehre und seine Seligkeit. Wer in dieser schnöden, pestbeherrschten Welt sich vor Ansteckung sichern und gesund bleiben will, muß sich in Essig baden, um alle bleisüßen Herzen und verbuhlten Lavendelseelen von sich entfernt zu halten. Es gibt darum noch brave Leute genug, welche auch die sauere Hand eines ehrlichen Mannes drücken, und diese verstehen mich und lächeln mir.

Fußnoten

* 1. Authentische Aktenstücke aus den Archiven des deutschen Bundes, zur Aufklärung über die hochverräterischen Umtriebe der deutschen Fürsten. Straßburg 1835.

2. Der deutsche Bundestag gegen Ende des Jahres 1832, Straßburg 1836.

3. Le Portofolio, ou Collection de documents politiques etc. Traduit de l'anglais. Tome 1 u. 2. Mémoire sur l'état et l'avenir de l'Allemagne, écrit sous la direction d'un ministre à St. Petersbourg et communiqué confidentiellement à plusieurs gouvernements germaniques. Paris 1836.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menzel der Franzosenfresser.